Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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44

Jim Featherstone kleidete sich an, um an einem Festessen teilzunehmen. Sein Diener machte eine Bemerkung, daß sich sein Herr nicht sehr auf den Abend zu freuen scheine, an dem er so viele alte Kriegskameraden wiedersehen sollte. Er ging nämlich heute zu dem Jahresdiner seines alten Regimentes.

»Angus, Sie haben die Wahrheit gesagt. Ich bin im Augenblick gar nicht begierig, patriotische Reden zu hören, in denen von den Kriegsgefahren gesprochen wird, die wir zusammen durchgemacht haben.«

»Vielleicht, wenn Sie ein oder zwei Glas getrunken haben?« begann der Diener.

»Wenn Sie damit meinen, daß ich nur glücklich bin, wenn ich mich betrinke,« entgegnete Jim ärgerlich, »dann kann ich Ihnen nur sagen, Angus, daß das eine große Lüge ist. Ich möchte bloß nicht zu diesem Essen gehen, weil ich lieber wo anders wäre.«

»Heute abend ist eine Premiere im neuen Operettentheater.«

»Da möchte ich erst recht nicht dabei sein, um Operettenpremieren kümmere ich mich im allgemeinen wenig.«

»Sie werden sich sicher besser in Ihrem Klub amüsieren, wenn Sie eine Partie Bridge spielen.«

»Dabei würde ich mich sehr langweilen,« entgegnete Jim ungeduldig. »Mischen Sie sich nur nicht in meine Angelegenheiten, Angus.«

»Nein, mein Herr, das wäre das Letzte, was ich täte. Sie haben Ihre Krawatte aber nicht gut umgebunden.«

Während Jim sie schnell und geschickt in Ordnung brachte, überlegte er, was wohl der gesetzte Angus sagen würde, wenn er wüßte, daß er viel lieber in einem Wohnzimmer in Garre säße und in die Augen des schönsten Mädchens schauen möchte, das es auf der Welt gab. Angus würde ihn wahrscheinlich verachten, denn er war zufrieden, wenn er zu Hause bei seiner Mutter war und Kaninchen großziehen konnte, um dadurch einen Nebenverdienst zu haben.

Später wurde Jim während des Festessens doch von der allgemeinen freudigen Stimmung angesteckt, und es tat ihm leid, daß er vorher so geringschätzig davon gedacht hatte. Er traf viele alte Freunde wieder, mit denen er schwere Zeiten in Flandern verlebt hatte.

Der offizielle Teil des Festes war um elf Uhr zu Ende. Jim verließ die Gesellschaft und begab sich nach Scotland Yard, um zu prüfen, was inzwischen für Berichte eingelaufen waren, denn er vertrat augenblicklich einen höheren Beamten, der auf Urlaub war.

In seinem Büro las er schnell die kurzen Nachrichten der Polizeistationen und die Protokolle der Verhaftungen durch, als plötzlich der Beamte vom Nachtdienst hereinkam.

»Eine Dame möchte Sie sprechen, mein Herr,« sagte er.

»Hat sie denn schon auf mich gewartet?«

»Nein, sie ist eben erst gekommen.«

»Wer ist es denn?« fragte Jim und dachte plötzlich an Valerie.

»Ich kenne sie nicht. Sie sagt, sie müßte Sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen. Es ist eine Miß Clayton.«

»Fay?« fragte Jim erstaunt. »Führen Sie die Dame bitte herein.«

»Das ist ja eine unerwartete Überraschung,« sagte er, als sie eintrat.

Sie stand in der Türöffnung und sah ihn an. Selbst gegen ihren Willen mußte sie ihn bewundern, denn Jim machte in seinem Frack eine gute Figur. Die Kriegsauszeichnungen und Orden blitzten auf seiner Brust.

»Niemand würde denken, daß Sie ein Polizeibeamter sind, Featherstone. Sie sehen beinah wie ein Gentleman aus.«

»Wollen Sie nicht Platz nehmen? Weshalb kommen Sie hierher, Fay?«

»Ich wünschte nur, Sie würden mich endlich einmal nicht mehr Fay nennen,« sagte sie etwas geziert. »Es ist Ihnen doch bekannt, daß ich verheiratet bin. Nicht daß ich die Sache tragisch nehme. Aber Featherstone,« fuhr sie plötzlich ernst fort, »Sie müssen sehr vorsichtig sein, daß dem Mädchen nichts zustößt.«

»Welchem Mädchen? Meinen Sie Miß Howett?«

Sie nickte.

»Irgendeine Gefahr ist im Anzug, aber ich weiß noch nicht genau, was es sein wird. Coldharbour Smith hat mich diesen Morgen besucht. Wahrscheinlich kennen Sie ihn. Natürlich müssen Sie ihn kennen!«

»Was war es denn mit Coldharbour Smith?« fragte er ungeduldig. »Worum handelt es sich? Seien Sie nicht böse, daß ich so brüsk frage,« sagte er, als er sah, daß sie seine aufgeregten Worte verletzten. »Aber ich bin wirklich in großer Sorge.«

»Er erzählte mir von einem großen Plan, sich einen Spaß mit Miß Howett zu machen. Aber ich glaube, das ist nur ein Vorwand. Er sagte, daß Miß Howett nach ihrer Mutter sucht, und ich sollte ihr mitteilen, daß sich diese Dame in Coldharbours Club, im ›Goldenen Osten‹ aufhielte. Wenn ich dadurch ihr Interesse erweckt hätte, sollte ich sie nach Limehouse bringen und dann wäre meine Aufgabe beendet. Fünfhundert Pfund wollte er mir dafür geben. Was denken Sie darüber, Captain Featherstone?«

Sein Gesichtsausdruck machte die Beantwortung der Frage überflüssig.

»Wann sollte dieser Plan ausgeführt werden?«

»Ich weiß es nicht, mir ist kein bestimmter Abend angegeben worden, aber es sollte wohl noch diese Woche geschehen.«

Er war aufgestanden, ging zu dem Kamin und schaute auf die glühenden Kohlen. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen und vermutete, daß er es nicht sehen lassen wollte. Aber nach einer Weile drehte er sich zu ihr um.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich Ihnen für Ihr Vertrauen danke, Mrs. Savini. Sie haben wie jede anständige Frau gehandelt, als Sie dieses Angebot ablehnten, und ich kann Ihnen nur sagen, daß ich auch nichts anderes von Ihnen erwartet hatte.«

Fays Wangen färbten sich rot. Das war das erste Kompliment, das sie seit langen Jahren gehört hatte.

»Ich weiß wohl, daß dies ein Verrat ist. Ich hätte früher nie im Traum daran gedacht, so etwas zu tun.«

»Aber Sie haben es nun getan und es soll nur zu Ihrem Vorteil gereichen.« Er schaute auf seine Uhr, es war halb zwölf. »Ich will versuchen, Spike Holland anzurufen.«

»Heute morgen telephonierte ich –« begann sie.

Er wandte sich schnell um.

»Sie waren es, Fay? Miß Howett sagte mir, daß jemand sie anrufen wollte. Was für eine gute Seele Sie doch sind.«

Er ging zu ihr und reichte ihr die Hand. Und obwohl sie die Stirn in Falten legte, gab sie ihm doch die ihre.

»Wenn Sie mich zu Ihrer Hochzeit einladen, Featherstone, und es fehlen einige von den Hochzeitsgeschenken, dann dürfen Sie nicht denken, daß ich daran schuld bin.«

»Können Sie so lange warten, bis ich telephoniert habe?«

Sie nickte.

Er bekam sofort Verbindung mit dem »Blauen Bären«, und zu seiner größten Verwunderung kam Spike gleich an den Apparat.

»Ich dachte, Sie wären auf Wachtposten, Holland.«

»Das ist doch nicht nötig, Captain. Miß Howett ist schon um sieben Uhr fortgefahren.«

»Mit wem ist sie denn weggefahren?« fragte Jim schnell.

»Mit dem Beamten, den Sie von Scotland Yard geschickt haben. Ist sie denn noch nicht bei Ihnen angekommen?«

»Nein,« sagte Jim heiser und hängte den Hörer an.

»Was ist los?« fragte Fay mit leiser Stimme.

»Miß Howett ist nicht in Garre, sie ist heute abend mit einem Manne fortgefahren, der behauptete, daß er ein Detektiv von Scotland Yard sei,« erwiderte er langsam.

Einige Augenblicke war er vollkommen bestürzt über diese Nachricht, aber seine alte Energie kam bald wieder über ihn. Er klingelte und ein Beamter in Uniform erschien. Schnell gab er seine Befehle.

»Rufen Sie sofort Abteilung K an. Alle Mannschaften, auch die Reserven, sollen den ›Goldenen Osten‹ einschließen. Unter den Plänen für Razzias ist es Nr. 37 . . . Haben Sie verstanden?«

»Jawohl, mein Herr,« sagte der Beamte und notierte die Befehle auf.

»Alle Reserven der Abteilung im Dienst oder auf der Station sollen sofort in zwei Dienstautos zu mir kommen – aber schnell.«

Aus einer Schublade seines Schreibtisches zog er eine große Browningpistole, nahm sie aus dem Lederetui und schob einen Patronenrahmen hinein. Dann steckte er sie in die Tasche und nahm seinen Mantel.

»Ich wollte Sie eigentlich bitten, mitzukommen, aber ich glaube, es ist besser, wenn Sie hier bleiben. Es hat doch niemand gesehen, daß Sie nach Scotland Yard kamen?«

»Featherstone –« Fays Stimme war erregt. »Dieser Coldharbour Smith weiß verschiedenes von mir, es wird Sie nicht sehr interessieren, aber es würde mir sehr unangenehm sein, wenn Julius es erfahren würde. Wenn es zu einer Schießerei kommen sollte, knallen Sie ihn nieder!«

Jim mußte trotz allem leise lachen.

»Sie sind eine blutdürstige Frau,« sagte er kurz und ging. Als er auf den Hof kam, war schon ein Dutzend Leute vom Spezialdienst versammelt, und er erklärte ihnen schnell den Zweck der Razzia.

»Ich verstehe, wir gehen offiziell darauf aus, die Leute abzufangen, die verbotene Glücksspiele spielen. Ich habe seit drei Monaten einen Durchsuchungsbefehl in der Tasche, und ich führe ihn heute abend aus. Ich vermute, daß wir in dem Gebäude eine Dame finden, die dort gefangengehalten wird. Sollte das der Fall sein, so bin ich jedem dankbar, der mich davon abhält, Coldharbour Smith über den Haufen zu schießen.«


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