Edgar Wallace
Der grüne Bogenschütze
Edgar Wallace

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12

»Vater, ich möchte gern ein Landhaus haben,« sagte Valerie Howett des Morgens beim Frühstück.

Mr. Howett schaute erstaunt auf.

»Was meinst du?« fragte er verwundert.

»Ich möchte ein Landhaus haben,« wiederholte Valerie.

Sie sah müde und blaß aus, schwere schwarze Schatten lagen unter ihren Augen, und er bemerkte eine Abgespanntheit und Müdigkeit an ihr, die ihm Sorge machte.

»Ich habe einen wunderbaren, alten Landsitz besichtigt, er ist nicht weit von London entfernt und hat nur den Nachteil, daß er an die Besitzung Abel Bellamys grenzt.«

»Aber meine Liebe, ich habe doch in Amerika verschiedenes zu erledigen und kann während des Winters nicht in England bleiben! – Aber vielleicht läßt es sich doch einrichten,« meinte er dann. »Wo liegt es denn?«

»In Garre – es heißt Lady's Manor und ist ein alter Witwensitz, der früher zu der Burg gehörte. Das Haus muß allerdings gründlich renoviert werden.« Sie sah auf ihren Teller und fuhr dann geschickt fort: »Ich dachte, das wäre gerade ein Platz für dich, lieber Vater, wenn du dein Buch schreiben willst.«

Mr. Howett träumte davon, eine politische Geschichte Englands zu schreiben. Er plante dieses Buch schon seit zwanzig Jahren und hatte bereits umfangreiche Vorarbeiten dafür gemacht. Die Tatsache, daß schon mehrere gute Werke über dieses Gebiet erschienen waren, schreckte ihn nicht ab, sondern spornte ihn höchstens zum Wetteifer an. Er strich sich nachdenklich über die Haare.

»Das Haus liegt so ruhig und friedvoll – ich bin sicher, Vater, daß du das Buch niemals schreiben wirst, wenn du nach Amerika zurückkehrst, wo du von deinen Geschäften vollständig in Anspruch genommen wirst. Und es ist doch auch ganz klar, daß du es in einer so unruhigen Stadt wie London nicht schreiben kannst. Hier ist es doch ebenso schlimm wie in New York.«

»Du sagst, es ist sehr still dort?« fragte Howett schon halb überzeugt.

»Es ist eine bezaubernde Ruhe dort,« sagte sie lebhaft.

»Es ist eigentlich keine schlechte Idee von dir, Valerie.« Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schaute zur Decke empor. »Und schließlich ist es ja auch gut für dich – wirklich, wenn ich es mir länger überlege, ist es keine schlechte Idee. Ich werde nach New York kabeln und zusehen, ob ich die Sache nicht anders ordnen kann. – Sage mal, fürchtest du dich eigentlich vor Geistern?« fragte er dann etwas unvermittelt und lächelte.

»Nein, ich fürchte mich nicht,« sagte sie ruhig. »Wenn du damit etwa den Grünen Bogenschützen meinen solltest.«

»Das ist eine ganz merkwürdige Sache.« Mr. Howett schüttelte den Kopf. »Ich kenne Bellamy nicht, aber wie ich gehört habe, scheint er sich vor nichts in der Welt zu fürchten, es sei denn vor dem Besuch eines Steuerbeamten.«

»Bist du ihm niemals begegnet?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, ich habe persönlich noch nichts mit ihm zu tun gehabt. Ich sah ihn oft genug, er wohnte ja hier im Hotel. Ich mag ihn nicht und vor allen Dingen kann ich seinen Sekretär mit dem fahlen, gelben Gesicht nicht leiden.«

Sie erhob sich, und er eilte an ihre Seite, um sie zu stützen, als sie den Raum verließ.

»Valerie, du mußt einen Arzt wegen deines verrenkten Fußgelenks zu Rate ziehen.«

»Ach, das wird heute schon wieder besser werden. Ich werde mich hinlegen, nichts tun und keinen Besuch empfangen.«

Lachend lehnte sie seine Hilfe ab und ging allein zu ihrem Zimmer, obwohl sie sich ein wenig schwach fühlte. Am Vormittag meldete sich ein Besuch, und Mr. Howett klopfte an die Tür seiner Tochter.

»Captain Featherstone ist hier – er sagt, daß er dich sprechen möchte. Kann er nähertreten?«

»Wenn er verspricht, recht ruhig zu sein,« kam die Antwort. »Ich bin gerade nicht in der Stimmung, mir Vorhaltungen machen zu lassen.«

»Warum in aller Welt sollte er dir denn Vorhaltungen machen?« fragte ihr Vater erstaunt.

»Laß ihn hereinkommen!«

Jim Featherstone betrat Valeries Zimmer auf Zehenspitzen mit einer solchen Vorsicht, daß sie ihn hätte schlagen mögen.

»Es ist sehr traurig, Sie so liegen zu sehen,« begann er. »Bitte schmollen Sie nicht, Miß Howett, ich bin gekommen, um Ihnen meine Teilnahme auszusprechen.«

Mr. Howett ging ins andere Zimmer zurück und schrieb ein Telegramm.

»Wo waren Sie vorige Nacht?« fragte Featherstone, als sie allein waren.

»Im Bett,« antwortete sie prompt.

»Und die Nacht vorher?«

»Auch im Bett.«

»Würden Sie mich für zudringlich halten, wenn ich mir die Frage erlaube, ob Sie im Traum nicht jener düsteren Gegend von Limehouse einen Besuch abstatteten, um sich nach einem Mann umzusehen, der unter dem Namen Coldharbour Smith bekannt ist?«

Sie wollte ihn ungeduldig abwehren.

»Warten Sie einen Augenblick,« sagte er und hob feierlich abwehrend die Hand. »Als Sie nach Coldharbour Smith suchten, gerieten Sie da nicht in eine allgemeine Schlägerei in einer Kneipe, die hauptsächlich von Chinesen und Negern besucht wird?«

Sie schauderte bei der Erinnerung.

»Sie wurden glücklicherweise von einem ehrlichen, aber rauhen Matrosen gerettet – aber trotzdem haben Sie einen bösen Fußtritt von einem der Kerle abbekommen.«

»Waren Sie vielleicht der ehrliche, aber rauhe Seemann?« fragte sie verwirrt.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, es war einer meiner Leute, Sergeant Higgins, ein guter Kerl, obgleich er nichts von einem Helden oder Stutzer an sich hat. Aber warum unternehmen Sie solche schrecklichen Dinge?«

»Weil ich es muß,« antwortete sie verbissen. »Ich hätte Creager sehen müssen, bevor dies alles passierte. Ich wußte manches von ihm, ich wußte, daß er von Bellamy Geld empfing, weil er früher einmal etwas Schreckliches für ihn getan hat. Und auch dieser andere Mann –« sie schauderte wieder. »Es war schrecklich.«

»Coldharbour ist kein feiner Mensch,« gab Captain Featherstone zu. »Leute, die derartige Kneipen halten, sind gewöhnlich nicht sehr zartbesaitet. Coldharbour wird also auch von Bellamy unterstützt?« fragte er scheinbar belustigt. »Das wußte ich noch nicht. Wo bekommen Sie denn nur alle diese Informationen her?«

»Ich bezahle dafür,« sagte sie, indem sie eine direkte Antwort ablehnte. »Und ich denke, meine Informationen sind einigermaßen zuverlässig.«

Er dachte einige Augenblicke nach und schaute auf den Teppich.

»Ich habe das Gefühl, daß Sie sich auf diese Weise selbst zugrunde richten,« sagte er dann ernst. »Glücklicherweise war Coldharbour vorige Nacht nicht zu sehen. Wenn er dort gewesen wäre, so hätte es Bellamy in den nächsten vierundzwanzig Stunden erfahren.«

Er sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, und dieser unerwartete Anblick machte ihn betroffen.

»Ich habe alles versucht,« sagte sie, »wirklich alles, ich glaube, daß ich eigensinnig und närrisch bin, und ich war eitel genug, zu glauben, ich sei klüger, als die Polizei der ganzen Welt. Aber ich sehe jetzt doch ein, daß ich es nicht bin.«

Er sah sie an.

»Jagen Sie hinter einem Schatten her, Miß Howett?« fragte er ernst.

»Nein, nein, nein!« rief sie heftig. »Ich bin meiner Sache sicher. Irgendein Gefühl sagt mir, daß ich auf dem rechten Wege bin.«

»Würden Sie mir nicht mitteilen,« fragte Featherstone leise, »wer die Frau ist, die Sie suchen?«

Er sah, wie sie ihre Lippen fest aufeinander preßte.

»Das kann ich nicht sagen, es ist nicht mein Geheimnis allein.«


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