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Trennung von den Schicksalsgefährten.

Fast ein Monat später. De Ruyter fand mich eines Abends ruhiger, aufmerksamer. Er erzählte, der Statthalter dringe in ihn, Eilpost nach Europa zu schaffen. Das »Europa« schreckte mich zuerst; ich hatte gelernt, es zu hassen, das Morgenland als meine Heimat zu betrachten. Nun lag alles anders! Ich fieberte, mich von meiner Umwelt zu trennen. Gern hätte ich das entgegengesetzte Ende der Erde aufgesucht, – gleichgültig, wie – konnte ich nur durch Tätigkeit, Abwechslung meine Gedanken verscheuchen, das Gewesne auslöschen. De Ruyter begriff diese Gärung und gab mir Zeit zum Überlegen. Ich antwortete, ich sei unfähig zu denken und könne ihn nicht beraten. Ich bekannte aber meine Wünsche und ersuchte ihn, unbedingt seinem Urteil zu folgen.

»Wie ich urteile, – leicht zu sagen. Die Engländer werden offenbar eine Weile das Übergewicht in Indien behaupten, alle andern europäischen Völker aus ihren Niederlassungen auf den indischen Inseln rausgesetzt werden. Unser Bleiben kann den Lauf der Dinge nicht hemmen. Merkt ein Kluger, er sei fehl am Platz, geht er woanders hin. Die Schwachen, Furchtsamen plumpsen wie Gimpel der Klapperschlange in den Rachen. Bringen Sie den Schoner nach Port St. Louis und machen Sie ihn dort seeklar! Die Grab taugt bloß für die indischen Gewässer. Ich werde sie losschlagen oder hier lassen. Wir nehmen dann beide den Schoner. Es brennt; drum fahren Sie am besten sofort mit diesem Landwind aus!«

Das tat ich und schminkte mir wieder den beherrschten Starkmut an, der mir zeitweilig abgeblättert war. In Port St. Louis begannen die tausend Vorbereitungen für eine lange Fahrt. Um sie zu beschleunigen, wurden Vorräte, Handwerker und Seeleute der Regierung auf Befehl des Statthalters verschiedentlich beansprucht. An Essen, Schlafen fand ich keinen Geschmack mehr, verließ das Schiff keinen Augenblick. So war nach wenig Tagen alles fertig, – wir konnten jede Stunde fort.

Mein Kummer machte mich nicht so eigenliebisch, die zu vergessen oder zu vernachlässigen, die von mir abhingen. Ich beriet mich mit de Ruyter, wie am besten für Aduh und das noch immer leidende Malaienmädchen zu sorgen sei, ebenso für die auf ein Dutzend zusammengeschmolznen Araber aus Zelas Stamm. Er sprach zuerst mit dem Reis und ließ ihm großzügig die Wahl zwischen einer ganzen Pflanzung auf seinem Inselgut als freier Spende für sich und die Seinen und dem Geld für ein Koffardeischiff oder für die Rückkehr nach seiner Heimat. Der alte Seemann war ein Sohn der Wüste, hatte aber ein Herz und einen Kopf, die Jahre und Mühsale nicht vergreisen konnten. De Ruyter stellte fest, daß er in das Land seiner Väter zurückzukehren wünsche. Zelas Araber und ihre zwei Dienerinnen sollten ihn begleiten, – die Araber in freier Wahl folgen, die Mädchen von ihm förmlich an Kindesstatt angenommen werden.

Jeder einzelne wurde reich belohnt; dabei kamen weniger seine Verdienste in Betracht als die Treue gegen die Herrin. Wären sie auch filzig gewesen wie Priester, so hätten sie meine Gaben durchaus zufriedenstellen müssen. Aber mochten diese schlichten Leute andern Lastern hörig sein, – die Habsucht, die schändlichste aller Untugenden, war vielleicht in ihr Herz gedrungen, den ersten Platz darin hatte sie nicht. Das letzte Reis ihres Geschlechts war dahin; einer der reinsten arabischen Stämme, dessen Ahnenreihe Jahrtausende bis zu den Vätern des Menschengeschlechts hinaufreichte, war erloschen. Darüber machten sie ihrem Kummer in lauten Klagen Luft; ich, »des eignen Herzens Kannibale«, nährte den meinen im Stillen.

Aduh hätten wir nie von der Notwendigkeit überzeugt, mich zu verlassen. De Ruyter mußte sogar bei mir alles aufbieten, mich von dem letzten Gliede zu trennen, wodurch ich mit der Vergangenheit zusammenhing. Seine Gründe waren so schlüssig, daß ich mich endlich dreingab. Er ersann eine List, uns zu scheiden. Ich widersetzte mich; aber sie wurde ausgeführt. Die traurigen Folgen füllten den Becher meines Elends zum Überfließen, schwimmen wie vergiftetes Öl immer obenan.

Die indischen Matrosen wurden abgemustert, die Grab verkauft, die Europäer auf den Schoner versetzt. Es hielt nicht schwer, die Mannschaft zu ergänzen, – so viele wollten nach dem Vaterland zurück! De Ruyter bedachte seine ältesten Leute verschieden: einigen schenkte er Ackerstücke auf seinem Gut, wovon er einen Teil samt dem Hause verkauft hatte; die Freigelaßnen wurden in die öffentlichen Bücher eingetragen.

Sonst hätte mich die Verwandlung gewurmt, die ich nun mit mir vornehmen mußte. Es war nicht die der Raupe zum beflügelten Falter, sondern die des Falters zur Raupe. Kurz: ich tat die freie, anmutige Tracht des Ostens ab zugunsten der abscheulichen, lächerlichen Mode des Westens. Lieber die Beine im Block als der Hals! Galeerenfesseln schnüren die Glieder eines Mannes nicht schlimmer als Steifleinen, Stärke und die modische Knappheit des Anzugs. Den Übergang zu der Jacke und den langen Hosen des Seemanns hätte ich klaglos ertragen, wär es nur dabei geblieben.


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