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Eine Weltreise. – Außer Hörweite der Heimat. – Die Schiffsfarm und ihre Nutznießer.

Als wir wieder einen englischen Hafen anliefen, wurde ich einem Wachschiff in Spithead überwiesen. Von meinem Vater hörte ich keinen Ton. Ich war noch jung, aber stolz genug, nutzlose Gegenvorstellungen, jämmerliche Klagen zu unterlassen, und einsichtig genug, auszuharren. Von Kind an war ich abgestumpft gegen aufgezwungne Befehle; deswegen suchte ich gleichgültig dreinzuschauen und runzelte die Stirn, um meine innere Erregung zu tarnen.

Bislang war ich wenigstens in den Händen von Männern gewesen, die meine Familie kannten. Nun aber sah ich mich plötzlich auf einem Schiff, auf dem mir alle fremd waren, ohne Geld, am Nötigsten schlecht versehen. Überdies hatte mir ein langfingriger schottischer Kadett fast alle Siebensachen aus meiner Kiste weggepascht, während ich auf dem Wachschiff eingesperrt war. Aber niemand machte sich die Mühe, nach meinen Habseligkeiten zu forschen. Wieder ging's auf einer Korvette in See. Wir segelten nach Kadiz, Lissabon, Südamerika, der afrikanischen Küste. Achtzehn Monate hatten wir die vier Enden der Welt besucht. Auf der Fahrt von dreißigtausend Meilen sammelte ich einige nützliche Kenntnisse in der Erdkunde.

Unser Befehlshaber war Messungskapitän, ein kleines, flinkes Kerlchen, das sich wie die meisten Knirpse für einen großen Mann hielt. Er pflegte den Kopf seitwärts zu schrauben, um an mir hinaufzuäugen und vor sich hin zu knurren: »Sie lange Latte, Sie tolpatschiger Schwachmatikus, was wanzen Sie hier rum, statt auf meine Befehle zu achten?« Er haßte mich, weil ich gebaut war wie ein Mann; ich verachtete ihn, weil er so wenig einem glich. Ab und an hopste er auf die Schleife einer Haubitze, um die Leute zu backpfeifen.

Ich habe später den größten Teil der Erde einzeln wiedergesehen, mit reiferem Verstand, lebendigerem Gefühl; weshalb also eine notgedrungen kindliche Beschreibung liefern? In England nahm dann unser »Häuptling« Fühlung mit Vater. Der war durch die Zeit nicht weicher geworden und gab seinen zwar erhabenen, aber verabscheuungswürdigen Willen dadurch kund, daß er mich auf ein Schiff bringen ließ, das auf dem Sprung nach Ostindien war.

Wer könnte meinen Seelenzustand in Worte kleiden! Vom heimischen Herde fortgezerrt, um den unendlichen Ozean zu durchqueren und in ein wildes Land zu kommen, abgeschnitten von jeder Bindung, jeder Möglichkeit der Mitteilung, wie ein Schwerverbrecher für Lebenszeit verschickt – kehrten doch damals nur wenig Fahrzeuge unter sieben oder mehr Jahren zurück! Ich ward weggerissen, ohne Mutter, Bruder, Schwestern oder sonst ein bekanntes Gesicht zu sehen. Keine Stimme, die ein Trostwort sprach, einen Schimmer von Hoffnung spendete, daß auch nur ein menschliches Wesen mir Teilnahme schenkte! Hätte ein Diener unsres Hauses, nein: die alte Bulldogge, mein Jugendgespiele, mich nur für eine Stunde besucht, – ich hätte ihn vor Freude umhalst und wäre zu kindlicher Liebe aufgetaut, statt in dumpfer Ergebung zu erstarren. Von nun an entfremdeten sich meine Gefühle unmerklich unserm Blute, suchten das Herz Fremder in der weiten Welt. Wieder ward ich von meinen Backsgenossen getrennt, die ich lieben gelernt hatte. Der unsichtbare Geist, der mich unter solch einer Kummerbürde aufrichtete, ist mir ein Geheimnis noch jetzt, wo meine Leidenschaften durch Vernunft, Zeit, Erschöpfung verascht sind. Das Feuer in meinem Hirn ist ausgeglüht ohne eine andre Spur als die vorzeitigen tiefen Runen in meiner Stirn. Noch jetzt facht die bloße Erinnerung an diese Widerfahrnisse die Flamme wieder an, und ich lodre vor Empörung.

Nicht länger konnte ich mir die schmerzliche Ansicht verhehlen, daß ich völlig verfemt sei und Vater mich von seiner Schwelle gestoßen habe in der Hoffnung, ich würde sie nie mehr überschreiten. Die Fürsprache der Mutter – wenn sie überhaupt erfolgte – war ohnmächtig. Ich war auf mich allein gestellt. Das einzige Zeichen, daß Vater noch immer eine Art Verpflichtung gegen mich anerkannte, war ein Jahrgeld, Gewissen oder Stolz trieb ihn dazu an. Vielleicht tönte er gleich andern guten, klugen Leuten: »Ich habe für meinen Sohn gesorgt. Wenn er sich auszeichnet, zurückkehrt als ein Mann hoch in Rang und Ehren, kann ich sagen: er ist mein Sohn, ich hab ihn zu dem gemacht, was er ist! Bei seinem Schneid kann er auf See sein Glück machen!« Er überließ mich meinem Schicksal mit genau soviel Gewissensbissen, als wenn er einen Wurf blinder Welpen hätte ersäufen lassen.

In dieser Vereinsamung war mir elend, traurig zu Sinn. Was ich vor mir sah, war trübe, düster schon in der Einbildung. Trotz meiner grünen Jugend, meinem korkleichten Geist, meiner springlebendigen Veranlagung konnte ich keinen Lichtpunkt gewahren, der mich mit der leisesten Möglichkeit hellerer Zeiten gelockt hätte. –

Wir waren einige Tage auf See, da wandte sich der Kapitän, zornig über einen Leutnant, mir zu, der in der nämlichen Wache war: »Besser nehmen Sie sich hier in acht! Daß Sie's wissen: Kapitän A. hat mir eine Abscheulichkeit erzählt, die Sie auf seinem Schiffe begangen haben.«

»Ich weiß von keiner.«

»Oder«, fuhr er fort, willens, seine letzte Wut an einem hilflosen Prügeljungen auszulassen, »oder glauben Sie, Leute mit Messern stechen, sei nichts? Ich werde Ihnen schon aufs Dach steigen! Auf die erste Klage jage ich Sie fort.«

Über diese Drohung mußte ich grienen, – war es doch mein sehnlichster Wunsch, an Land zu gelangen. Er hielt's vielleicht für Verachtung und zog erbost los.

Aber ich merkte bald, daß er kein übler, nur ein schwacher, galliger Mann war. Er hatte mehrere Jahre auf Halbsold gestanden und, auf dem Lande groß geworden, den Geschmack eines Pächters an Dreck und Dung eingesogen; sein Seemannsberuf konnte den zwar hemmen, aber nicht ersticken. Als er endlich ein Schiff bekam, fand er wieder zu seiner alten Neigung. Ernst, eifrig hatte er die väterliche Klitsche bebaut und mehr Stolz verspürt, wenn er seine fetten Schweine und Schafe sah, den Boden für seine Kohlrüben pflügte, als wenn er die indische See auf einer schnittigen Fregatte furchte. Die Ehre der Anstellung hatte er nicht ergiert. Ein vornehmer Verwandter beim Flottenstabe hatte sich an seiner entarteten Beschäftigung gestoßen und ihn in das hohe Amt geschoben.

Er verließ widerstrebend, was er nicht mitnehmen konnte: Haus und Land. Weinte er nicht über sein Kind und dessen Mutter? Wollte ihm nicht das Herz brechen angesichts des herrlichen, des unvergleichlichen Berges fettesten Mists, der dableiben mußte? Sich aber von dem lebenden Bestand: den Schafen, dem Borsten-, dem Federvieh trennen, – es wäre zu schmerzlich gewesen; hatte er doch mehr Zeit, Geld, Geduld für deren Ernährung und Aufzucht geopfert als die meisten Eltern für ihre Kinder. So brachte er sie mit. Es war eine Quelle des Entzückens für ihn, daß sein Kahn einer Meierei glich. Seine meiste Zeit war jenen Pfleglingen gewidmet. Das Schiff führte der erste Leutnant. Dessen Vergnügen wurde nur dadurch geschmälert, daß er die üble Laune des Pachterkapitäns mit auszubaden hatte; oft genug ließ er sie nämlich an den Offizieren auf dem Achterdeck in Schimpfereien aus, wenn schweres Wetter unter der Herde Krankheit, Tod, Beinbrüche anrichtete.

Im ganzen jedoch ärgerten wir Kadetten ihn mehr als er uns. Ein Streich bestand darin, daß wir allnächtlich einem oder zwei Hühnern feine Nadeln in den Kopf piekten; wenn sie dann als verendet über Bord gehen sollten, trachteten wir sie zu erangeln, – ein Braten war unser.


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