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Der Waldmensch.

Um den Schoner gründlich aufzumöbeln, durchforschte ich die malaiischen Wälder nach Bauholz. Bei einer Küstenfahrt lief ich einen kleinen Golf an, der landwärts durch eine überhängende Bergwand und riesige von Schilfmooren unterwachsne Bäume unzugänglich war; nur eine Ratte mochte hier durchschlüpfen. Einige Fichten entsprachen meinem Zweck, – vorausgesetzt, ich konnte ran. So schickte ich den Kahn nach den Zimmerleuten zurück. Inzwischen suchten wir nach einem Ausgang, schlenderten auf dem schmalen Uferstreifen hin und sammelten Austern und Muscheln. Zela bereitete Kaffee, ich dehnte mich auf den Klippen, eingelullt durch den eintönigen Wogenprall, das Krähen des Dschungelhahns, die schrillen Klagerufe des fernen Pfaus. Wer im Hexenkessel des Lebens herumquirlt, kennt die unvergleichliche Lust, einsam – doppelt süß: mit einem Trautgesellen – in einem friedvollen, weltfernen Winkel zu rasten ...

Wir hatten unsern Kaffee getrunken. Zela stützte den Kopf auf meinen Arm und wies nach einem weißen Fleck auf dem Wasser: Vans Boot, unterwegs zu den Kranken und Verwundeten am Lande und zu den Heilpflanzen, die er eifrig für seinen Arzneischrank sammelte. Auf einmal hörte ich Geraschel in der Dschungel und machte den Stutzen fertig. Der Pfauruf näherte sich, und Zela flüsterte: »Vorsicht – ein Tiger – er zeigt ihn immer an.«

Ich lud eine Kugel aufs grobe Schrot und legte auf der Böschung auf, willens, nicht eher zu feuern, als bis der Tiger uns annahm; fehlte ich, so wollten wir dem Boot entgegenschwimmen. Wir waren aber durch einen Felsvorsprung geborgen, und ich hoffte immer noch unbemerkt zu bleiben. Ich tat die Mütze ab und lugte über die Steine. Das Rascheln hielt an. Da gewahrte ich zu meiner Verblüffung nicht einen Tiger, sondern einen – Greis. Er faltete die Büsche auseinander, spähte achtsam umher, duckte sich und rutschte an der Buchtspitze heraus. Ich wollte auf; aber Zela hielt mich nieder und gab mir Zeichen, mich nicht zu rühren oder zu sprechen. Als er sich aufrichtete, hoch, dürr, ähnelte er keinem mir bekannten Volksstamm. Er war auffallend langgliedrig und führte als Waffe nur die große Keule der Südseeinsulaner. Das schwarze Gesicht war von grauem Haar umwallt, tiefgerunzelt. Er schien von Altersschwäche gebeugt; doch glitt er langschrittig über den rauhen Boden. Unheimliche Tücke glimmte in den unholden Augen. Er hockte sich uns gegenüber aufs Geröll, griff einen scharfen Stein, schlug Muscheln auf und würgte sie gierig runter. Hierauf nahm er ein großes Blatt, packte einen Haufen Austern ein und wickelte es zusammen. Schließlich schaute er auf die See, blinzelte das Boot an, wusch sich die Hände, trabte etwas hurtiger nach seinem Ausschlupf, und weg war er.

»Ich will ihm nach«, rief ich aufspringend.

Zela beschwor mich: »Ein Dschungel-Admie, – gefährlicher, listiger, grausamer als ein wildes Tier!«

»Er ist allein, ich bin ihm bestimmt gewachsen. Dabei finde ich einen Steg, der uns nützen wird.«

Ich ging ihm nach und fand, unter dem dicken Kantakbusch hinkriechend, einen engen, ziemlich ausgetretnen Schlängelpfad. Ich hörte den Kerl vor mir und konnte ab und zu unbemerkt einen Blick auf ihn werfen. Zweige, unter denen er sich hätte bücken müssen, drückte er nieder oder hieb sie mit der Keule ab. Zela wollte durchaus nicht bleiben und folgte mir auf den Fersen. Wir schlichen in geringer Entfernung hinterdrein. Er bog rechts nach dem großen Sumpf ab, durchschritt das Bett eines Wildbachs, erstieg eine Uferbank, gelangte zu einem steilen Felsen von etwa fünfzehn Fuß und erklomm eine moosbewachsne Föhre. Da sie höher war als der Fels, hängte er sich mit Armen und Beinen an einen wagrechten Ast und hangelte sich durch abwechselndes Vorschieben der Hände wie ein Matrose längs den Maststagen fort. Von oben ließ er sich sacht niedergleiten und trollte weiter.

Wir machten's ebenso. Nun überquerte er eine Hügelkette. Hier ragten die Föhren, die ich brauchte, und es gab wenig oder gar kein Unterholz. Er hielt und beäugte achtsam einen mächtigen vor Alter umgestürzten Stamm. Dem halbverfaulten Holz entsproßte eine Reihe junger Bäumchen; er schien sie mit einem Stock zu messen. Vier entwurzelte er, streifte die Zweige ab, band sie mit einem Strick von Kammgras zusammen, schulterte sie und trottete nach einem kleinen Platz, worauf wilder Mango und Bananen wuchsen. Er untersuchte und beschnoberte die Früchte auf ihre Reife. Rupfte er eine Banane ab, die sich nicht leicht schälen ließ, – weg damit! In vielen Schleifen ging er weiter. Wir nach, so dicht es die Entdeckungsgefahr zuließ. Endlich kam er an einen offnen Grund, hübsch geebnet und von Gras, Unkraut, Gesträuch gesäubert. In einer Ecke stand unter dem Schirm eines ausnehmend dicken, weiß überblüteten Baums eine niedliche rohrgeflochtne Hütte; das Dach aus Zwergpalmblättern reichte zwei Fuß über den Boden.

Erstaunlich, wie geschmackvoll der Einsiedler den Platz für die Klause gewählt hatte! In der angrenzenden Felswand war eine Höhle, teilweise verborgen von drei hohen, gradstämmigen Betelpfefferbäumen. Hinten begann Dschungelwildnis.

Der Waldalte legte sein Föhrenbündel nieder, beugte sich und schliefte auf Händen und Füßen durch die niedrige Tür. Ich betrachtete alles aufmerksam hinter den dichten Büschen am Saume, prägte mir Merkmale ein, um den Besuch zu wiederholen, und bemühte mich, in die Hütte zu spähen. Da zog ein Geräusch meine Aufmerksamkeit zu Boden, – das Diamantauge einer Brillenschlange glitzerte. Sie war dicht neben Zela über den Pfad gekrochen und verhoffte nach ihr. Über der Gefahr der Geliebten vergaß ich alles, stieß einen Schrei aus und hob sie empor. Die Schlange schien nicht erschreckt und wechselte langsam auf die andre Seite. Da rief Zela: »Der Dschungelgeist!«

Ich ließ sie auf die Füße, drehte mich und zuckte zurück, als ich ihn herankommen sah, den Prügel mit beiden Händen wie einen Spazierstock über sich wirbelnd. Die gesteigerte Bösartigkeit des Blicks, die gebleckten Zähne, die gekrauste niedre Stirn bekundeten Angriffslust. Der Stutzen lag gespannt in meiner Linken. Eh ich anbacken konnte, machte er einen gewaltigen Satz, und die Waffe sauste nach meinem Schädel. Ich zuckte aber einen Schritt zurück und jagte ihm die Ladung unter der linken Achselhöhle in den Leib. Er machte einen Luftsprung. Bevor ich zurückweichen konnte, fiel er wie vom Blitz gefällt auf mich. Im Sturz dachte ich, das Ungetüm werde mich abtun, und rief Zela zu, sie möge sich nach dem Boote retten; doch sie rannte ihm mit aller Kraft ihren Jagdspieß in die Seite und rief: »Er ist tot, er rührt sich nicht mehr! Steh auf!«

Nicht ganz leicht befreite ich mich. Die Kugel war ihm ins Herz und durch und durch gegangen; vermutlich hatte das den Todessprung veranlaßt. Er schweißte stark.

Wir gingen in die Hütte. Im Inneren unterschied sie sich wenig von denen der Inselbewohner, nur war sie reinlicher, wohnlicher. An einer Seite war ein sinnreich gesicherter Verschlag, vermutlich gegen Einbrecher. Er barg einen hübschen Vorrat von Wurzeln und Früchten, sorgsam ausgebreitet, um nicht zu faulen.

Auf einmal Flintenknall, Hallo. Wir waren der See doch näher, als ich angenommen hatte! Als wir zurückgingen, löste sich das Rätsel durch den Umweg, den uns der Dschungel-Admie geführt hatte. Am Strande trafen wir Van. Er hatte sich von meinen Bootsleuten herbringen lassen, um zu erfahren, was uns in den Wald gelockt habe. Als er uns dann nicht sah, wurde er unruhig, zumal er meinen Schuß hörte, und ließ feuern.

»Fein, daß ich Sie treffe, Van! Ich hab ein Prachtstück für Sie, woran Sie Ihre Kunst üben können.« Ich berichtete ihm von der Begegnung.

»Wo ist er?«

Er folgte mir eifrig und rief, als er sich dem Leichnam näherte: »Was, – das? Das ist keiner von der Ordnung der Zweihänder, von dem Genus homo oder Mensch, sondern von der zweiten Ordnung der Vierhänder, einer von dem Stamme der simiae, – Affen, Paviane: schmales Becken, verlängerte Hirnsichel, lange Arme, kurze Daumen, flacher Steiß. Dies (er wandte ihn um) ist ein Orang-Utan, der erste voll ausgewachsne, den ich sehe, und faktisch dem Genus homo sehr ähnlich. Aber fassen Sie mal her: dreizehn Rippen! Sonst ist nur wenig Unterschied zwischen Ihnen beiden. Nach Buffon haben die Orangs kein Organ für Religion, – und Sie?! Die Tiere sind tapfer und ungestüm wie Sie und dabei sehr sinnreich, was Sie wieder nicht sind. Überdies nachdenkliche, intelligente Wesen mit der besten Regierung der Welt. Sie teilen ein Land in Bezirke und machen sich nie eines feindlichen Einfalls schuldig noch eines Eingriffs in die Rechte andrer. Nur, weil sie keine Priester, Könige, Aristokraten haben. An der Spitze stehen volksfreundliche Häuptlinge. Sie ziehen truppweis aus, bauen Häuser und leben gut. Der hier war wohl ein Rebell, ein arger Sünder. Sehn Sie nur: er ist krank, hat Geschwüre und einen Kropf, – auch allerhand Wunden. Gewiß ist er aufsässig gewesen und aus der Geschlechtsgemeinschaft verbannt worden. Ich will das Skelett präparieren und dem Anatomischen Kollegium in Amsterdam dedizieren. Eine gar rare Sorte!«

Wir überließen Van seiner Beschäftigung, untersuchten die Nutzbäume und hieben eine Schneise nach dem Strand.


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