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Zerstörte Luftschlösser. – »Taugenichts« als freiwillige Feuerwehr.

Sooft Walther Dienst tat, besonders während der Nachtwachen, begleitete ich ihn auf die Mastspitze. Wenn er hier über sein Los klagte, suchte ich ihn durch den Hinweis auf ausgiebige Rache zu beschwichtigen. Ich zeigte ihm, wie leicht sich das machen lasse. Sagte ihm, wir seien Männer, hätten die Kraft, unsre Bande abzuschütteln. Schiff sei nicht Welt, wir keine Galeerensklaven, lebenslang an die Riemen geschmiedet. Indien mit seinen tausend Königreichen stehe uns offen. Unsre verzweifelte Lage zeige noch einen Silberstreif. In der Schale des Elends könnten wir nicht tiefer sinken, jede Veränderung müsse zu unseren Gunsten ausschlagen.

»Ja«, sagte er, »wir wollen dahin, wo noch keine Europäer gewesen sind, wohin sie uns nicht zu folgen wagen. Wir wollen ein Land von uns stoßen, worin wir kein Vatererbe, keine Eltern, keine Freundschaft haben, wollen Heimat suchen unter den Kindern der Natur. So was soll's ja geben. Und wer eher könnte es versuchen als Vergewaltigte, Geächtete wie wir? Der aussätzige, verachtete Paria führt bestimmt ein seliges Leben, gemessen an dem, was ich gelitten habe – leide.«

»Aussatz«, entgegnete ich, »fällt aus; ich denk, meine Glieder sollen mir noch gute Dienste leisten. Sie sind meine einzigen Freunde; die echten Weisen des Ostens würdigen die Mitgift der Natur besser als die Engländer.«

Walther suchte seinen wie durch Zauber gelähmten Geist aufzupeitschen, sprudelte glühende, leidenschaftliche Worte, während er sich auf eine der zahllosen indischen Inseln versetzte und frohlockte über seinen Bogen, seinen Wurfspieß, seine Angel, seine Kähne.

»Doch nein, kein Kahn!« rief er dann. »Nimmer will ich auf die Salzfluten blicken, sie würden mein Blut gerinnen lassen. Nein, ich will eine geschützte Klamm ausfinden, ein Flußufer, von Bäumen beschattet, will brüderlich mit den Eingebornen leben.«

»Indem du ihre Schwestern nimmst ...«

»Ich werde heiraten, Kinder haben, eine Hütte bauen.«

»Tätowiert, nackt herumlaufen?«

»Auch das! Mir gleich! Was sie tun, tu ich auch.« –

Mit solchen Luftschlössern vertrieben wir uns die Zeit und vergaßen alles andre. Bis die unschuldigen Märchenbauten plötzlich durch den raunzenden, breiten, gemeinen Tonfall des schottischen Leutnants zerkrachten, der heraufbelferte: »Haltet die Schnauze, ihr lausigen Spitzbuben in der Kranzmars da, oder ich hol euch runter, damit euch der Bootsmannsmaat die Neunschwänzige kosten läßt, ihr Lumpenkerls!«

Da schlitterten wir beide, so stark ist die Macht der Gewohnheit, die Takelung herab und schlieften in die Hängematten. Erwachten dann, um untertags unser Joch zu tragen, nachts unsern Traum weiterzuspinnen. Bis wir endlich, wohl gleicherweise, diese Stunden herbeisehnten.

Aston behandelte Walther nach wie vor als Ehrenmann, desgleichen das Schiffsvolk, das mit Sklavenschlauheit auf ihn achtete. –

Wir hatten kurz vor Bombay gelegen, segelten nach Madras und kehrten mit Geheimweisungen des Admirals nach Bombay zurück. Auf dem Hinweg pennte ich eines schönen Tages in einem Seitenboot, als plötzlich wilder Lärm ausbrach. Nie hab ich einen solchen Aufruhr auf einem Kriegsschiff erlebt. Die Leute stürzten übereinander aus allen Luken an Deck. Jede Mannszucht hatte aufgehört. Der diensttuende Leutnant war wie vom Donner gerührt. Der Kapitän, die meisten Offiziere kämpften sich fragend, befehlend durch das Gehäuf der Matrosen; aber alle Ordnung war dahin, sie wurden einer wie der andre bedrängt, zusammengekeilt. Bald merkte ich, daß Verzweiflung, nicht Widersetzlichkeit auf den verwitterten Gesichtern stand. Endlich machte sich das Geheimnis Luft in dem einstimmigen Rufe: »Feuer! Feuer in der vordern Pulverkammer!«

Der Schreckenslaut hatte eine Wirkung, die sonst nichts auf der Welt hätte auslösen können: der feste, harte, tapfre Janmaat durchbrach den straffen Drill eines ganzen Lebens. Wehrloses Entsetzen ergriff ihn vor dem einzigen Element, vor dessen Bekämpfung er zurückbebte: dem Feuer, – Feuer in der Pulverkammer! Noch ein Augenblick, und zerfetzte Leiber wirbelten ohne Unterschied von Rang und Stand in der Luft herum! Gewohnheit oder Triebwille rüttelte die Offiziere auf, die auf den ersten Schrei dem allgemeinen Gefühl zu erliegen schienen. Blutrot jedes Antlitz! Alle starrten auf die Vorderluke, erwarteten das unvermeidliche Schicksal. Das Land hatten wir aus dem Auge verloren. Kein Segel in Sicht, kein Fleck an der Kimmung! Die einzige Wolke der schwarze, dicke Rauch aus der Öffnung; bei der Windstille blähte er sich geballt empor, – wir sahen uns schon in seinem Gefolge.

Todesschweigen auf der stattlichen Fregatte. Dann wirres Gemurmel! Sofort stürmte die Mannschaft ohne Verabredung, aber gleichzeitig nach den Seitenbooten. Andre quetschten sich an die Borde, strengten die Augen an in der blöden Hoffnung auf eine Rettungsmöglichkeit. Wieder andre krabbelten zitternd die Takelung hinan. Nur eine Handvoll eisennerviger Unentwegter stand gleichmütig da: Kämpen, grau von Stürmen, Schlachten, Mühsalen, nicht vom Alter.

Während der Unruhe fuhr ich bei dem Trompetenstoß Astons zusammen, der den Feuerwehrmännern befahl, zu den Eimern zu greifen, den Marinesoldaten, mit ihren Waffen achter zu kommen, den Offizieren, seinem Beispiele zu folgen. Er riß ein Entermesser aus dem Gestell. Jetzt trieben die andern Offiziere, wie wenn sie zu ihrer Pflicht erwacht wären, die Leute von den Booten.

Ich eilte zu Aston: »Ich will in die Kammer, wenn Sie die Feuermänner schicken und Wasser runterreichen lassen.«

Damit schoß ich die große Luke hinab, das verödete Unterdeck entlang, packte ein Tau und ließ mich durch den Qualm gerade in die Kammer hinab. In dem stockfinstern vordern Teil war der Feuerherd nicht festzustellen. Ich tappte umher, Hemd und Haar brannte, der Atem ging schwer in dem Rauch. Da strauchelte ich über jemand, der tot oder sinnlos beschmort war, und riß Bündel glimmender Lunten herab. Dadurch entzündeten sich die Blaulichter, die zu Signalen dienten, und ich hörte einige zu Hilfe kommende Männer rufen: »Das Schiff fliegt auf!« Sie flüchteten wieder an Deck, wo ein verzweifeltes Gebrüll ertönte: »Das Schiff fliegt in die Luft!«

Als die Blaufeuer aufloderten, klärte ein Blick das Geheimnis: der Feuerwerksmaat, einziges Lebenszeichen ein Schnaufen, ruhte mir zu Füßen mit einer zerbrochnen Pipe im Munde. Die mit Zündmasse versehenen Lunten hatten durch seine Nachlässigkeit Feuer gefangen. Nur das langsame Schwelen Hunderter solcher Lunten hatte den Rauch verursacht; die Gefahr war, daß sie knapp vor dem Pulver lagen. Ich faßte sie, feuerfest in der leidenschaftlichen Hoffnung, das Schiff zu retten, mühte mich, sie nach oben zu geben, und rief nach Beistand. Da sprang Aston herab.

»Nicht runter!« schrie ich. »Reichen Sie diese verdammten Dinger rauf. Dann ein Dutzend Pützen, und alles ist in Butter!«

Aston ließ dem Kapitän melden, daß keine Gefahr sei, uns nur Wasser fehle. Die ersten Eimer schwappte er dann über mich: »Sie brennen ja!« Haar, Hemd brenzelten wirklich. Das war neben dem Qualm vermutlich schuld, daß ich besinnungslos hinfiel. Aston trat an meine Stelle. Die frische Luft belebte mich bald. Nach wenig Sekunden war die Kammer überschwemmt, alles sicher.

Ich mußte rauf: das Gesicht von feuchtem Pulver verdreckt, nur die Hosen an. Verbrannte Haare, Augenbrauen, versengte Hände, Antlitz, kurz: das ganze Geschau mochte wie ein frisch der Hölle entstiegner Feuergeist anmuten. Die Offiziere grinsten, schienen aber gleichzeitig meine Geistesgegenwart höchlich zu loben. Schienen; denn in der Flotte kann man sich beherrschen: Dank gegen mich wäre Selbsttadel gewesen. Doch ich war zufrieden. Der Eindruck ließ sich nicht verwischen. Konnten sie mich fürder einen unnützen Drückeberger schelten? Freilich sorgte ich dafür, lange ein solcher zu sein, indem ich Brandwunden, Quetschungen vorschützte. Sie sagten: »Nun ja, dem armen Kerl muß man schon ein bißchen durch die Finger sehn.«


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