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Farbige Sirenen. – Zu zweien auf den Spuren der Natur.

Seit einigen Tagen hatte der Sturm nachgelassen. Trotz der Windstille ging die See noch immer hoch, und wir kamen nicht vorwärts, etwa wie 'ne geschaukelte Wiege oder Soldaten, die auf der Stelle treten. Bei glatterem Wasser und leichten Winden hielten wir dann nach Nordost und waren bald zwischen den Sundainseln. Als wir uns heranbooteten, bestaunten uns die müßigen Insulaner. Ob sie sich nicht den Kopf zerbrachen über die törichten Fremdlinge, die rastlos auf dem weiten Wasser umhergondelten, in Fahrzeugen aus Bäumen, unter denen sie die Zeit verträumten, von deren Früchten sie sich nährten, und die sie niemals fällten, um auch nur einen Nachen draus zu zimmern? Wir verständigten sie durch Zeichen, daß wir Wasser und Früchte wünschten. Sie deuteten nur auf den Strom und die Bäume.

Wir lagen bei der großen Insel Cumbava und hatten auf der Grab zu Abend gespeist. Ich kehrte mit Zela zum Schoner zurück. Die Nacht war wie gewöhnlich sehr hell und ruhig. Auf einmal hörte ich ein Schnaufen und Plantschen im Wasser dicht am Strand wie von einem Walroßzug; der Wasserspiegel war gebrochen und von Lichtfunken überrieselt. Zela sagte: »Schnell an Bord! Die Eingebornen schwimmen vom Ufer. Oft hat mein Vater gesagt, daß sie so die Schiffe ganz in der Stille überfallen.« Ich schrie der Grab, der ich noch nah war, eine Warnung zu, machte, daß ich an Bord kam und rief die Leute an die Waffen. Während ich noch am Fallreep stand, erkannte ich bald eine Menge dunkler Köpfe mit langem Schwarzhaar, die sich eilig näherten. Wir preiten sie nacheinander in einem Halbdutzend Sprachen, erhielten aber nur ein lautes Klatschen zur Antwort und ein schrilles Zirpen, das eher von 'nem Haufen Sturmschwalben herrührte als von vorrückenden Kriegern. Einige Matrosen wollten feuern. Ich verbot's aber, weil alle, wer nun auch dahinter steckte, unbewaffnet waren. Plötzlich riefen Zela und ihre kleine Aduh: »Nanu, das sind ja lauter Frauen! Was die bloß wollen?«

Lautes Gelächter! Der Quartiermeister reichte mir ein Nachtglas und brüllte: »Seht, Käpten, 'n ganzes Rudel Seejungfern will zu uns!«

Ich war noch immer nicht im Bilde, ließ die Leute zurücktreten und winkte die Nixen rauf. Sie verstanden augenblicklich und kletterten in wenigen Minuten an den Ketten, dem Fallreep, dem Bug und dem Heck hoch, bis das Verdeck voll war. Das Geschlecht der Angreifer war nun nicht mehr zu bezweifeln, und die Kämpen nahmen sich mit ihren Pistolen, Entermessern, Piken putzig genug aus gegenüber Frauen, die weder Trutzwaffen besaßen noch einen Schuppenpanzer zum Schutz, sondern nur ihre natürliche Wehr und keine andre Bedeckung als eine Fülle langen, pechfarbigen Haars. Um der Gerechtigkeit willen gestehe ich, daß manche wenn auch nicht schön, so doch jung und mit glatter Haut und hübschen Gesichtern begabt waren. Aber ich war Zela so zugetan, daß meine Gedanken nicht einen Augenblick abdrehten. Freilich hatte ich knabenhaft fürwitzig die Witwe von Yug veralbert. Besser hätte ich mit dem Panther gespielt; denn was ist so unerbittlich und verstohlen-grausam wie ein lasterhaftes enttäuschtes Weib? Doch weg, verfluchter Rückblick! Pack dich, Erinnerung, zudringlicher Teufel!

Mit Tagesanbruch fanden sich die an Land und im Wasser heimischen Damen wie ein Schof Krickenten an Deck zusammen. Sie hatten sich mit den Angebinden der Matrosen: Knöpfen, Nägeln, Glasperlen, alten Hemden, Jacken und sonstigen Klunkern, neckisch herausgeputzt. Die Eitelkeit des Geschlechts war wachgekitzelt. Als sie in dem närrischen Aufzug herumstelzten, der den Leib nur teilweise deckte: die eine im buntgewürfelten Hemd, die andre in einer weißen Jacke, einige bloß mit einem Strumpf oder einem Schuh, noch andre mit grellen Sacktüchern, die sie sich aus innerm Drang um den Kopf gewunden hatten, da schielten sie, wer wohl den schönsten Dank habe. Endlich überwältigte alle Staunen und Eifersucht: eine schreckliche Weibse hatte sich erfolgreich an den alten Quartiermeister gekätzelt und ihn so bestrickt, daß er ihr mit fürstlicher Gebelaune ein Ehrenkleid in Gestalt einer betagten Scharlachweste übermachte, – der nämlichen, die einst auf seiner Heldenbrust geprangt und eine so gewaltige Verheerung unter den hübschen Dirnen von Plymouth angerichtet, angeblich sogar ungezählte Anbeter bei einer berühmten Schönheit ausgestochen hatte. Alle Nymphen klatschten angesichts der strahlenden Frau, die, jeder Zoll 'ne Königin, unter ihnen einherschritt, mit einem aus Neid und Begeisterung gepaarten Gefühl in die Hände. Dann kreischten sie auf, kobolzten, um jedem Vergleich zu entgehen, mit ihrem wertgeminderten Putz ins Wasser, kakelnd und schnatternd wie Seemöwen, bis sie das Land erreichten. –

Um einer Wiederholung des Unfugs vorzubeugen, gingen wir unter Segel und wanden uns mühsam durch die Inselgruppen hin. Viele waren uns unbekannt oder doch auf keiner Seekarte verzeichnet.

Ob ich auf weitem Wasserfeld in schmuckem Schiff dahinflog, ob in der Wüste auf flüchtigem Roß, – immer empfand ich mit Wonne, wie mir das Blut schneller in den Adern kreiste. Aber wie alle solche Vergnügen dauerten auch sie nur kurz, wurden teuer erkauft durch die schmerzhafte Ermüdung, die ihnen folgte. Reinstes Entzücken fühlte ich, wenn ich mit Zela unbekannte, unbewohnte Inseln im indischen Meer durchstreifte. In stummer Ehrfurcht staunten wir jede Frucht, jeden Strauch, jede Blüte an, – die Unkenntnis ihrer Namen und Eigenschaften steigerte noch die lustvolle Bewunderung; selbst die neuen kamen uns erlesener vor. In dieser erhabnen Feierlichkeit einer nicht von Menschenhand verfälschten Natur untersuchte Zela mit mädchenhafter Freude ein fremdes Blümchen. Ich stand in Staunen vor einem Riesenbaum, auf dessen weitgespreizten Ästen Affen, Papageien ihre Reiche begründet hatten, in dessen Schatten sich ein ganzes Kriegsheer bergen konnte. Oft hielten wir uns – vielleicht mit Recht – für die ersten, die in die heiligen Einsamkeiten gedrungen waren. Vögel und Vierfüßler schauten uns verwundert an, flohen aber nicht. Sie dachten (oder vielmehr: ich dachte für sie): »Wie! Kommt denn der Mensch auch noch hierher? Ist er nicht zufrieden mit seinen vier Erdteilen? Muß er seine Herrschaft auch über den fünften ausdehnen, worin noch einige Plätze nicht von ihm besetzt sind? Warum ist uns das Leben gegeben, wenn es uns – dem Menschen zum Zeitvertreib – geraubt und wir gequält werden sollen, um seine unersättlichen Begierden zu stillen? Er ist ein Ungeheuer, nur deshalb mit der Herrschaft über die Natur belehnt, um sie zu zerstören!« – – –


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