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Züchtigung einer Schreiberseele. – Schottische Gerechtigkeit und Gerissenheit.

Wäre mir die Wahl geblieben, ich hätte jetzt die Flotte verlassen. Trotzdem war mein Zug zum Meere ungeschwächt. Ich fühlte, daß es meiner Natur zuwiderlief, mich einer langen Lehrzeit im Seedienst zu unterwerfen. Ehe ich mein eigner Herr würde, konnten vierzehn Jahre oder mehr verrinnen; das erschien mir damals endlos. Von nun an brütete ich nur über die Möglichkeit, meine Fesseln zu sprengen, selbst das Glück zu suchen wie die Helden der alten Sagen und Geschichten; aber meine Freundlosigkeit, meine Weltfremdheit dünkten mich ein arger Hemmschuh. Immer noch härmte ich mich bei der Erinnerung an Mutter, die ich damals fast vergötterte, an meine Schwestern. Tausend zarte Klänge der Vergangenheit hafteten an meiner Seele. Dabei hielten mich die hartnäckige Verfolgung durch das Schicksal, langes Fernsein, schofle Behandlung, der Gedanke an meinen strengen, unerbittlichen Vater in einer verzweifelten, unseligen Stimmung.

Damals packte mich die Lesewut. Ich nutzte jede Gelegenheit, Bücher zu leihen und zu hamstern, und jeden freien Augenblick, drin zu schmökern. Besonders gern versenkte ich mich in alte Theaterstücke, Seefahrten, Reisen. Käpten Blighs Erzählung von seiner Unternehmung nach den Südinseln und der Meuterei seiner Schiffsmannschaft lernte ich fast auswendig; sie hat mein Leben entscheidend beeinflußt.

Der Schreiber unseres Kapitäns merkte, daß ich eine stattliche Reihe Bände besaß, aber keinen Platz, sie aufzustellen. Da fiel ihm ein, sie würden seiner Kabine hübsch anstehn – reingucken tat er nämlich nie. Er schlug mir vor, sie ihm zur Aufbewahrung zu geben, und bot mir seinen Raum als Lesezimmer an. Freudig willigte ich ein, erschien doch meiner damaligen Einfalt sein Antrag ungemein liebenswürdig. Ein paar Tage kamen wir recht gut miteinander aus. Dann wollte ich mir ein Werk holen. Er war übler Laune und sagte patzig: »Sie können hier lesen, soviel Sie Lust haben; aber ich leide nicht, daß Bücher aus meiner Kammer genommen werden.«

»Gehören sie nicht mir?«

»Jetzt nicht!«

»Wie? Wollen Sie sich meine Bücher aneignen?«

»Ruhe – keine Unverschämtheit!«

»Meine Bücher her! Nun ich Ihre Absicht kenne, will ich sie nicht länger hier lassen!«

Er höhnte, ich möge sie doch anfassen. Ich riß eins vom Brett. Er schlug mich. Ich wieder. Solch ein Schlag war damals so ungefährlich wie der eines Saugfohlens. Mein Widersacher war zwei-, dreiundzwanzig, stämmig gebaut, ich ein hochgeschoßner, schmächtiger Bub von vierzehn. Die vermeßne Gegenwehr erschreckte den Hasenfuß so, daß er einen Augenblick zauderte. Aber einige Jungoffiziere hatten sich an der Tür aufgestellt und riefen: »Recht so, Kleiner!« Das stachelte den schmutzigen »Federhalter«. Er packte mich mit den Worten: »Du Rotznase, dich krieg ich schon klein«, und zog mir eins mit dem Lineal über, das auf meinem Kopfe zerschellte. Dann quetschte er mich gegen die Wand und schnickte mordsmäßig auf mich los. Solange ich konnte, hielt ich stand. Die Zuschauer ermutigten mich und riefen Schande über ihn. Es schwindelte mir von den Hieben, Blut strömte aus Mund und Nase. Körperlich unterlag ich, nicht aber geistig. Ich bat nicht um Schonung, sondern trotzte ihm. Als er mich rausfeuern wollte, brachte ich ihn zum Schäumen, indem ich erklärte, daß ich ohne die Bücher nicht gehen würde. So kämpften wir weiter: er, um mich rauszutreiben, – ich, um mich zu behaupten. Auf einmal landete er einen Magenhaken, und ich stürzte reglos hin. Er tobte fort: »Pack dich, Lump, oder ich schlag dich tot!«

Ich fühlte mich am Ende meiner Kraft. Verzweiflung bemächtigte sich meiner und Raserei, von einem feigen Schuft wie ein Hund abgedroschen zu werden, des Elenden hämische, frohlockende Reden zu hören. Doch was blinkte da neben mir? Der Tisch flog um, ein Federmesser bot sich griffbereit dar. Die Aussicht auf Rache pulverte mich wieder auf. Ich faßte es und fügte, seine Drohung wiederholend, mit gezückter Waffe hinzu: »Memme, acht auf dein eignes Leben!«

Ich lag noch auf einem Knie und wollte hoch. Der Tintenkuli fuhr zurück, als er die Klinge und mein leidenschaftverzerrtes Gesicht erblickte. Ich versetzte ihm verschiedene Stiche. Er schloß die Augen, hielt die Hände vors Gesicht und winselte entgeistert um Gnade. Jemand rief: »Heda, was tut ihr?« Ich drehte mich um: »Der feige Schuft hat mich fast totgeprügelt, – ich hab ihn totgestochen!« Damit schmiß ich das Messer hin, nahm mein Buch und verließ die Kabine.

Sogleich wurde ein Marinesergeant abgesandt, mich an Deck zu holen. Der Kapitän stand unter seinen Offizieren und fragte den ersten Leutnant, was los sei. Antwort: »Der Bursche hat die Kabine Ihres Schreibers betreten und ihn mit einem Federmesser umgebracht.« Er betrachtete mich angeekelt und rief, ohne mich zu befragen: »Meinen Schreiber umbringen! Legt dem Burschen Ketten, Handschellen an! – Meinen Schreiber umbringen!« Ich wollte sprechen, wurde aber augenblicklich zum Schweigen gebracht: »Knebelt ihn! Bringt ihn sofort runter! Kein Wort, junger Mann! – Meinen Schreiber umbringen!«

Als der Sergeant mich beim Wickel nehmen wollte, sagte ich: »Hände weg!« blickte selbstbewußt drein, – ich hielt mich jetzt für einen Mann – und schritt langsam die Luke hinab. Eine Wache wurde mir beigegeben, der Profoß brachte die Eisen. Vermutlich hatte aber der Kapitän inzwischen eine andre Lesart gehört: ein Kadett kam herunter, widerrief den Fesselungsbefehl und sagte: »Nur getrost, es geschieht Ihnen nichts. Wir werden die Wahrheit sagen. Sie haben gehandelt wie ein Mann. Lassen Sie den Mut nicht sinken!«

»Fürchten Sie nichts für mich!« –

Einige Stunden drauf war der »Alte« da: »Schämen Sie sich nicht über Ihr Benehmen, junger Mann?«

»Nein!«

»Wie, junger Mann? So antworten Sie mir? Stehn Sie auf, junger Mann, Hut runter!«

Ich sagte, daß ich auf die Ketten wartete, stand aber auf.

»Man wird Sie als Mörder henken, junger Mann!«

»Ich will lieber gehenkt, als von Ihren Schergen geschlagen werden.«

»Wie? Was? Sind Sie toll, Sie?«

»Ja! Ihre schnöde Behandlung hat mich toll gemacht. Sie, Ihr französischer Leutnant strafen, quälen mich fortwährend ohne Grund, – das laß ich mir nicht gefallen! Ich bin als Offizieranwärter, als Mann von Stand und Bildung in die Flotte getreten und behandelt worden wie'n Hund. Setzen Sie mich an Land! Ich will keinen Dienst mehr tun, mich weder von Ihnen noch Ihren Dienern mißhandeln und prügeln lassen!«

Dabei trat ich einen Schritt auf ihn zu, – weshalb, weiß ich nicht. Er faßte mich am Kragen und befahl mir, mich auf die Lafette zu setzen. »Nein«, widerredete ich, »Sie haben mir mal verboten, mich in Ihrer Gegenwart zu setzen, – ich tu's nicht!«

»Tu's nicht!« keifte er, wobei er mich fast erdrosselte. Ich konnte nicht sprechen, hob aber die Hand, um mir Luft zu machen. Hierauf wiederholte er: »Sie wollen nicht?« und gab mir einen heftigen Schlag ins Gesicht. Ich, mit nochmaligem »Nein«, war so kühn, ihn anzuspucken.

Seine rote Fratze lief augenblicklich fast blau an. Er konnte kein Wort hervorbringen, schleuderte mich von sich und kehrte, fast berstend vor Grimm, in seine Kajüte zurück. Viele Offiziere, besonders Kadetten, scharten sich um mich. Ich erhob mich von der Lafette, auf die ich gefallen war. Zwei Backskameraden kamen auf mich zu: »Recht so, Junge, nur keine Bange!«

»Seh ich vielleicht bangbüxig aus?« –

Mit Sonnenuntergang durfte ich runter, sollte mich aber nie wieder an Deck zeigen. Den dickbäuchigen schottischen Capitano hab ich nicht mehr gesehn. –

Nun begann für mich ein einziger Festtag. Ich erhielt meine Schmöker und bemühte mich, durch Lesen meine Bildungsmängel auszugleichen. Der Schreiberling erholte sich. Zwar machte er immer einen großen Bogen um mich; aber ich war boshaft genug zu sagen: »Wenn Sie auch Schreiber sind – stibitzen Sie künftig keine Bücher mehr, und schlagen Sie keinen Gentleman!« Dabei deutete ich auf einen großen Schmiß auf seiner Wange. Er war der Sprößling des Schneiders unsers edlen Kapitäns, seine Bestallung ein echt schottischer Einfall, um – die Rechnung bei seinem Vater zu begleichen.


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