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»Wir sind noch nicht im Hafen!«

Wir waren auf der Südostseite Borneos. – Bald sollte ich de Ruyter treffen. Aber eben als ich eine kleine Inselgruppe nahe dem Stelldichein ansteuerte, überraschte mich eine tagelange völlige Windstille. Dabei verlor ich einen meiner besten Leute. Unter den Achseln durch ein Seil gehalten, war er hinabgelassen worden, um eine lose Kupferplatte festzunageln. Ich war auf Deck, hörte einen Heidenlärm vom Bug her und rannte hin. Ein starker Grundhai hatte den Mann am Bein erwischt.

Mit Flossen und Fluke peitschte der Hai das Wasser und bot alle Kraft auf, das Opfer herabzuzerren. Der Mann klammerte sich an die Püttings und kämpfte erbittert ums Leben. Als er mich sah, rief er: »Käpten, Hilfe!«

Sofort schrie ich den Gaffern zu, Harpunen, Enterpiken zu nehmen, das Heckboot auszuschwingen.

Fix und schneidig, wie Matrosen verunglückten Kameraden zu Hilfe kommen, griffen sie an; ein Bruder des Ärmsten setzte sogar mit einem Messer über Bord.

Der Schaum unten war blutgefärbt. Der Seeteufel wurde gespeert, eh er locker ließ. Die Fangleine brach aber, – er strich ab.

Inzwischen wurde der Matrose besinnungslos eingeholt. Das Bein war schauderhaft zugerichtet, das Fleisch knieab wie ein Strumpf runtergestreift, der Knochen bloßgelegt. Wir hatten einen Bader, den Scolpvelt aufgegabelt und mir überwiesen hatte; der Kerl war nicht dumm, aber faul und vertrunken.

Der Verunglückte wurde einige Tage später still.

Ein unerwarteter Todesfall an Bord drückt sich tief und schmerzvoll ein. Teerjacken sind unwissend und unaufgeklärt wie die Araber im Wüstenpferch. Sonderbar, daß soviel Seeaberglaube in der Welt spukt! So ist's den Seefahrern jedes Landes und Glaubens eine böse Vorbedeutung, wenn man am Freitag abreist, dem Sabbat der Muselmänner, dem Kreuzigungstag der Christen. Die Insel bei Pulo-Penang hatte ich an diesem schwarzen Tage verlassen. Der Zweitmaat – mein Landsmann – und zwei Matrosen – Brüder – lauter Prachtkerle, hatten darüber gemurrt. Ich lachte sie oft deshalb aus, erhielt aber stets zur Antwort: »Wir sind noch nicht im Hafen!« Der eine Bruder verlor sein Leben durch einen Raubfisch. Bald kam der andre ebenso merkwürdig um.

Während der Windstille ruderte ich einmal dicht am Lande hin und in einen Fluß hinein. Wir ließen den Dregganker fallen, um zu speisen. In der Abendkühle badeten die Matrosen. Der Bruder des vom Hai Geholten, ein glänzender Schwimmer, forderte meinen malaiischen Dolmetscher zum Wettauchen heraus. Sie sprangen gleichzeitig und blieben so lange unten, daß mir unheimlich wurde. Endlich erschien der dunkle Kopf des Inders. Verwundert sah er sich geschlagen: »Der weiße Mann muß der Teufel sein, – keiner kann's ihm zuvortun!« Unsre Angst stieg, jeder strengte sein Auge an, um den tiefen, trüben Strom zu durchblicken.

Der Schwimmer ward nicht mehr gesehn. Wir suchten auf jede erdenkliche Weise, – vergebens! Die Nacht brach an und trieb uns aufs Schiff zurück.

Der sonderbare Tod der Brüder innerhalb eines Monats brachte größere Schwermut und Trauer über das Schiffsvolk als ein weit schlimmerer Verlust bei einer Schlägerei oder im Gefecht.

Als wir die Südostküste entlangkrochen, dem verabredeten Hafen zu, war's noch immer ungewöhnlich heiter. Da bemerkte ich kurz vor Sonnenuntergang zum erstenmal seit Tagen eine Wolke. Leichter Nebel hüllte die Berge im Westen ein. Als die Sonne dahinter versank, schoß plötzlich ein Flammenstreif die Höhen entlang, rankte sich um die düstre Kuppe des höchsten Gipfels und blieb einige Augenblicke liegen, schimmernd wie eine Rubinenkrone. Der Mond war dunkelrot, die See wechselte die Farbe und war ausnehmend klar. Ich stutzte, als ich die Klippen, Fische, Muscheln auf dem Grunde sah. Wir loteten zehn Faden. Die Luft war heiß, eine Kerzenflamme an Deck steilte so ruhig auf wie in einem Gewölbe.

Offenbar trieben wir landwärts. Ich ließ daher die Segel festzurren und Anker werfen, um mich beim ersten Zeichen von Wind zu empfehlen. Dabei äußerte ich zu dem wachhabenden Untermaat: »Nun sind wir vor Anker, der Zauber ist gebrochen, nicht?«

Unwirsch brummte er: »Wir sind noch nicht im Hafen!«

Die Flachküste unmittelbar vor uns mutete wie ein Sumpf an, dessen Riesenschilf hin- und herschwankte, – dabei regte sich kein Lüftchen. Die Heimat von Fiebern, Schlangen, Elefanten, Tigern. Wir glaubten das Brüllen zu hören. Menschen konnten offenbar nicht hier wohnen. Dennoch sahen wir später über den Dschungeln Lichter zwinkern, wie sie die Fischer anwenden; andre blieben stehen, als ob sie von einem Dorf herrührten.

Leewärts keine Wolken. Nicht ein Stern. Endlich begann der Blitz auf den Bergen zu spielen. Ich saß mit Zela auf Deck in Betrachtung der ungewöhnlichen, bedrückenden Wetterzeichen. Sie erzählte von seltsamen Feuererscheinungen, Samums, Wirbelwinden, die sie in ihren Wüsten erlebt hatte. Da – auf einmal ein befremdliches Geräusch, wie's dem Donner vorhergeht. »Horch«, sagte ich, »was ist das?« und sprang auf. Der Schlag war gefallen, eh ich die an Deck schlafenden Leute wecken konnte. Entmastet! Ich blickte hoch. Bei dem Wetterleuchten sah ich nur zwei entblätterte Strünke, alle höhern Spieren, Rahen, Takel stoben wie Distelflaum mit dem Wind davon. Die See war weiß von Feim und gischtete hoch empor, – wir standen wie unter einem Wasserfall. Die Pfortdeckel, die meisten Fallreeps waren glatt abrasiert, die Geschützriegel hatten nachgegeben, die Rohre brachen heraus. Unser kleines Fahrzeug stürzte wie toll in die See, zeitweise waren wir tatsächlich unter ihrer Oberfläche. Ich faßte Zela und hielt mich mühsam an den Wanten fest. Die Ankerkette platzte, – wir wären sonst unvermeidlich weggesackt.

Ich schöpfte erst wieder Atem, als ich den Bug über Wasser sah. Ich rief nach den Leuten. Keine Antwort. Sie waren doch nicht alle hinabgespült?! Zuletzt krochen einzelne herauf, stumm, keuchend, schreckstarr. »Ist wer über Bord?« fragte ich und spähte ängstlich übers Heck. Eine Stimme – ich erkannte sie als die meines Lieblings, des jungen Schweden – flehte aus der See: »Ach, Käpten!« Es war heller als am Mittag, die Flächenblitze zuckten ununterbrochen, ich wurde fast geblendet. Das Meer war schneeweiß. Aber rollten nicht viele dunkle Köpfe darin umher?

Der verhängnisvolle Stoß des Taifuns war vorüber. Ich machte mich von Zela los, die sich in Todesangst an mich genestelt hatte, und sicherte sie neben dem amerikanischen Steuermann, der zum Ruder gegriffen hatte. Das Heckboot war weggewaschen. Ich stürmte nach dem leichten Walboot, das heil geblieben war, und spornte die Leute an, sich ihrer Gefährten anzunehmen. Sie zögerten, wußten sie doch kaum, ob sie selber der Vernichtung entgangen seien. Da rief ich einige meiner Landsleute beim Namen: »Sollen eure Kameraden umkommen, weil sie kein Boot oder Tau haben? Nicht eine Hand, ihnen auch nur ein Seil zuzuwerfen? Setzt das Boot aus! Wo ist Strong? Himmel, er ist über Bord, – sonst hätt er sich nicht erst bitten lassen! Hebt alle zugleich, ihr Burschen! – So, jetzt ist's flott! Gebt acht, daß es nicht abtreibt oder volläuft! – Recht so! (Jetzt sprangen meine vier Besten hinein.) Ich will mit – weiß, wo sie sind – genug jetzt (denn nun zeigten alle gleichen Eifer) – Sie, Steuermann, halten Sie den Schoner in den Wind, ziehn Sie Laternen auf, machen Sie Taue bereit!«

Wir stießen ab. Der Wind hatte sich ebenso plötzlich gelegt, wie er aufgesprungen war. Aber die See schlug, drängte, brodelte wie ein Fluß, wenn er sich ins Meer entleert. Auch der Blitz erstarb in schwachem Lodern. Sobald wir backgegangen waren, lasen wir zwei Mann auf, die sich an den achter treibenden Spieren festgekrallt hatten. Ebenso zwei andre, die in der Nähe schwammen. Nun hasteten wir rufend in der Richtung, aus der die Bö uns getroffen hatte, und forschten nach dem Untersteuermann und dem jungen Schweden. Beide fehlten bestimmt, – wieviel noch? Endlich mußten wir umkehren, um nicht das Schiff zu verlieren.

Es stürmte, regnete: Weltuntergangswetter. Unendlich mühsam kamen wir dem Schoner näher, schließlich unter seine Leeseite. Es riß ihn in die See hinaus. Als das Boot unter die Windvierung schoß, wurde es nicht genug abgehalten, so gewaltig drängten die Leute zu Bord. Der Schoner ruckte stark und brachte uns sieben zum Kentern. Durcheinander von Flüchen, Geschrei! Kräftig strich ich aus, um einer Umklammerung zu entgehen. Als wir in die Wasserschleppe des fortjagenden Schoners gerieten, bemerkte ich, wie oben die Mannschaft nach hinten drängte und uns Taue zuwarf. Keins erreichte uns. War das Lied ausgesungen? Da – etwas Weißes an Bord, dazu eine Stimme, die mir durch und durch schnitt, sich über den Wind, die See, das Geschrei der Ertrinkenden erhob: »Da ist eins! Gott, gib's ihm oder nimm mich hin!« Die äußerste Spanne einer dünnen weißen Leine rutschte mir fast in die Hand. Ich packte zu, – so sicher war das Auge, das gezielt, die vom Herzen gelenkte Hand, die geworfen hatte. Deine Hand, Zela! Dein kleiner Arm, deine winzige Hand waren in dem Augenblick stärker als die stämmigsten Matrosen, – retteten fünf Leben, denen fünf Minuten später nicht mehr zu helfen war ...


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