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Eine »gewichtige« Ohrfeige.

Der Markt war von farbigen Papierlaternen erleuchtet und pökelvoll. Ich stand vor einer der besten Buden, die einem Parsen gehörte. Eben wies er einer vom Gesicht bis zu den Füßen verschleierten Frau einige Ohr- und Nasenringe, die fast so klotzig waren wie ein Spielreifen, und schmuste lang und breit über deren Zierlichkeit und Schönheit. Als sie handelseinig waren, schlug die Frau ein Stück ihres Kopftuchs zurück. Die Nase und ein Teil des Ohrs wurden frei; dieses war fast so groß und flach wie ein Teller und schlappte herab wie bei 'nem Schwein. Der Schmuckhändler hielt mit dem Daumen das Loch drin offen und paßte den Riesenring ein, der an einen Kronleuchter erinnerte. Mangels eines Spiegels drehte die Frau den Kopf etwas gegen die Schulter und zupfte die Ohrlappen nach vorn; dabei entblößte sie eine Doppelreihe dunkelorangefarbner Zähne, zahlreicher als an einer Harke und ebenso spitz. Von soviel Anmut bezaubert, flötete der Verkäufer: »Was für 'n Engel!«

Dann forderte die Frau eine Beteldose. Er legte ihr vier bis fünf hübsche goldne vor und meinte, nie dürfe ihr reizendes Händchen von einem geringern Metall berührt werden.

Schuldete ich nicht Aston, der mir morgens seine Uhr geschenkt hatte, noch ein Andenken? Ich wog zwei der Kapseln in der Hand, ohne auf den Preis zu achten. Alles Feilschen ist mir verhaßt; ich steckte sie in die Falten meines Lendenschals und reichte dem Krämer unbesehen den von mir geschätzten Gegenwert in gutem Gold. Er rechnete nach, und da er mich derart freigebig sah, forderte er dreist mehr: ich hätte nur für eine bezahlt! Meine einzige Antwort war: Lüge! Dabei rollte ich ein gekalktes Betelblatt um eine Arekanuß, verstaute sie im Munde und kehrte den Rücken. Der Parse zeterte »Räuber« und streckte die Hand aus, mich zu halten. Er erwischte einen Turbanzipfel und riß ihn runter. Ich wandte mich und klebte ihm eine solche Ohrfeige, daß er zwischen seine gläsernen Schaukästen flog. Ein Parse vergibt so was nie, – wer überhaupt? Kaum wieder auf, stieß er mit einem Messer oder etwas Ähnlichem nach mir. Er war im Laden, ich davor; ich brauchte nur etwas zurückzutreten, um auszuweichen. Mehr durch die Frechheit in Wallung gebracht als durch den Mordversuch, knallte ich ihm – wutsch – eine Truhe an den Schädel.

Mehrere Leute drinnen und draußen mengten sich ein und nahmen für ihn Partei. Der Lärm lief über den ganzen Markt. Der Goldschmied, Kopf und Gesicht blutig, außer sich vor Wut, schimpfte mich Dieb, Räuber und – das Geschrei hatte jetzt alle Müßiggänger herbeigelockt – rief meiner Nachbarschaft zu, mich zu packen, ins Loch zu führen oder kalt zu machen, falls ich Widerstand leistete. Der Knäuel wuchs weiter, ich kam ins Gedränge. Der schäumende Kaufmann, ganz toll geworden, setzte noch einmal an, meiner habhaft zu werden.

Die Gefahr gab mir schnell die Geistesgegenwart wieder. Ich holte eine Pistole und einen Kris aus dem Gürtel, die besten Helfer im Handgemenge, doch erst, nachdem andre ein gleiches getan. Noch hielt ich zurück. Bei derlei Gelegenheiten gibt's 'nen Heidenkrach, man zieht vom Leder, droht, bedenkt sich aber, einen bewaffneten, tatbereiten Mann anzugreifen, der Miene macht, sich seiner Haut zu wehren; sowie jedoch ein Hieb fällt, wichst alles drauf los, und dann muß der Schwächre dran glauben, – wenn nicht ein Zufall zu seinen Gunsten spielt. Während dieser flüchtigen Pause, wo mein Leben an einem Faden hing, ließ ich die Blicke umherschweifen: durch die Mauer vor mir konnte ich unmöglich entschlüpfen. Auf der Stelle abgemurkst – immer noch besser als eingespundet! Einziger Ausweg: ich zog mich in die Höhle des Löwen zurück, – aber nicht, um ihn um Gnade anzuflehn. Das geschah so jäh, daß die drinnen machtlos waren. Einen dolchte ich zusammen, schleuderte den Goldschmied zu Boden und wuchtete die zwei Bambusstützen seines Verkaufsstandes nieder. Das Dach prasselte zwischen uns hin, und ich verkrümelte mich in einen dunklen Gassenschlitz hinter dem Basar.

Die rauhkehligen Flüche der Malaien, das Rachegekläff des Parsen gellten mir nach. Es war geratner, das Feld zu räumen, als der Raserei einer entfesselten Meute zu trotzen, – nicht zu vergessen, wer ich war, und welche Folgen ein Erkennen für mich haben konnte. Besser hätte ich mich nach dem äußern Hafen gedrückt, wo meine Prau ankerte, und wäre an Bord gegangen; aber das Verlangen, mich von Aston zu verabschieden, hemmte mich. Vorsichtig schlich ich durch die krumme, kotige Seitenstraße, erstaunt, nicht verfolgt zu werden. Trotzdem hastete ich aus Leibeskräften und suchte vorsorglich meine Gewandung etwas zu verändern. In dem Irrsal düstrer Gassen fand ich den Gasthof nur schwer.

Unbemerkt erreichte ich mein Zimmer. Aston war ärgerlicherweise noch nicht da. Vielleicht war er auch in den Rummel verwickelt? Auf, ihn zu suchen! Ich zog seine weiße Jacke und seine Hosen an und konnte nicht ein frohlockendes Lächeln verbeißen, als ich das Haus verließ und der Aufwärter schüttelte über mich den Kopf.

Ebendas muß mich verraten haben ...

Geradewegs nach dem Markt! Astons Hünengestalt überragte mit Schultern und Haupt, was immer noch vor des Goldarbeiters Verschlag zusammengerottet war oder vielmehr auf dessen Schwelle; denn der Verschlag war jetzt nur noch eine Tür, ein leerer Fleck. Den Haufen bildeten freilich nicht mehr dieselben, sondern Eingebornensoldaten, Polizisten. Aston und eine der Amtspersonen lauschten anscheinend einem Bericht über den Vorfall. Der Hauptbeteiligte klaubte ihnen verstört, totenblaß auseinander, welche Unbill ihm widerfahren sei. Mehrere aus seiner Familie und von seinen Freunden hatten sich neben ihm aufgepflanzt. Er deutete dorthin, wo sich seine Bude erhoben hatte, nun eine Lücke in der Ladenzeile, trampelte auf das Dach, das jetzt friedlich neben dem Unterbau ruhte, zerrte sich den Turban vom Kopf und zerfetzte seine Kleider. Dann verschwand er, ohne den Zuspruch der Anwesenden zu beachten.

Um nicht bemerkt und ausgefragt zu werden, verzog ich mich wieder in den Gasthof.

Aston erschien bald und schüttelte mir die Hand: »Ich bin heilfroh, Sie hier zu finden. Auf dem Basar war ein bedenklicher Handel, – ich fürchtete schon, Sie seien darein verstrickt.«

»Was war denn los?«

»Die Menge schob mich hin. Der Verschlag oder Schuppen eines Goldschmieds war niedergerissen. Der Pöbel begann ihn auszurauben, während der Besitzer mit ein paar andern sein Eigentum zu verteidigen suchte. Alles Hafengelichter war da; sie werden dem armen Teufel kaum ein Karat Gold gelassen haben. Ich bin zu spät gekommen, hatte auch den Degen nicht mit; aber ich tat, was ich konnte: streckte einige Banditen in den Sand, ließ die Sepoywache holen.«

»Wie fing's denn an?«

»Mit einem Araber. So weit ich verstand, kommt so was hier öfters vor, doch selten derart offen. Während der Kaufmann einer Frau, vermutlich seinem Lockvogel, einige Wertgegenstände vorlegte, kaperte der Gauner, was ihm gerade in die Hand fiel, stach einen in der Bude nieder, warf den Juwelier zur Erde, sprengte mit Hilfe Draußenstehender den Laden, und ein paar Lumpen fingen an zu plündern.«

»Hat man jemand besonders im Verdacht?«

»Daß ich nicht wüßte. Doch einige Langfinger sind ins Kittchen gewandert.«

»So, nun pflanzen Sie sich mal ihren Glimmstengel ins Gesicht, – ich will Ihnen alles erzählen.« –

Er staunte nicht schlecht, daß ich der vermeintliche arabische Räuber sei. Ärgerlich rügte er meine Unbesonnenheit und Rauflust. »Außerdem«, fügte er hinzu, »will der Händler den Mann, der ihn zuerst angegriffen habe, unter Tausenden erkennen; dabei warf er das wenige, was er gerettet hatte, von sich und schwur bei allem, was ihm heilig, weder zu essen noch zu trinken, bis er gerächt sei.«

»Wenn er Wort hält, wird sein ›Fastenmonat‹ ewig währen, – ich will mit dem Landwind abfahren.« –

Doch der Teufel fügte, daß das Wetter mir einen Strich durch die Rechnung machte. Übrigens brauchte ich keinen Argwohn zu fürchten in einer Stadt, wo solche Aufläufe an der Tagesordnung waren und man einem Toten oder Vermißten nicht viel nachfragte. Die Einwohnerschaft bestand in bewaffneten Malaien, die unter allen südlichen Völkern, überhaupt unter allen Menschen, ein Leben am wenigsten achten, und aus Arabern, bei denen Totschlag kein Mord und Raub kein Verbrechen ist. Noch eins: der Bruder des Parsen, den ich im Laden niederstach, war nicht tot. –

Früh besuchte Aston den Statthalter. Ich ging auch aus, stülpte aber vorsichtig eine Schottenmütze statt des Turbans auf. Ich bummelte zum Hafen hinab, um Erkundigungen einzuholen. Dann besorgte ich mir in den Läden einige notwendige Kleinigkeiten. Schließlich hatte ich mehrere Aufträge für de Ruyter zu erledigen: Nachrichten zu sammeln, Briefe nach dem Innern Hindostans abzufertigen. Das tat ich durch einen Mittelsmann der französischen Regierung, die wohl in jedem indischen Hafen ihre Aufpasser hatte. Ein- oder zweimal vormittags glaubte ich »beschattet« zu sein, aber entwischte den mutmaßlichen Verfolgern. Auch überraschte mich mehrmals der Gasthofdiener durch Bemerkungen über den Zwischenfall. Das machte mich umso stutziger, als uns ein andrer dienstbarer Geist erzählt hatte, eben jener Schmuckhändler bringe gewöhnlich seine Waren hierher, wenn Fremde da seien.

Wir verbrachten den Tag wie den vorigen. Mein erzwungener Aufenthalt schaffte mir jedoch kein sonderliches Vergnügen. Der Zusammenstoß mit dem Parsen schierte mich wenig im Vergleich zu der Gefahr, wenn meine Person erschnüffelt würde. Von den ausgebeuteten Schiffen konnten welche im Hafen sein und – meiner Verkleidung zutrotz – der oder jener von der Besatzung mich wiedererkennen. Auch dachte ich an den Schoner. Zwar war er auf seinem Ankerplatz für einen oder zwei Tage geborgen; aber zufällig konnte man ihn aufspüren. Dann gab es einen Magneten, der meinen Aufbruch stärker als all diese Vernunftgründe beschleunigte: Zela, die sicher die Sterne im Wachen überflügelte und keine Ruhe fand, solange ich fort war. Das bestimmte mich, noch diese Nacht die Prau aufzusuchen, ohne Rücksicht auf den Wind und das Wetter, das immer noch trübe und veränderlich war; auch legte sich der Tagwind bei Sonnenuntergang, wie oft in diesen Breiten.

Wie ich mich von Aston trennte, – rühren wir nicht daran! Um den Abschiedsschmerz zu betäuben, schrieb ich ihm ein kurzes Lebewohl. Meine fünfzig oder sechzig Goldstücke stopfte ich in seine Jackenärmel, so daß er sie bestimmt finden mußte.

Keinem im Haus verriet ich etwas von meiner Abreise. Mein ganzes Gepäck war ein Wolltuch, das die gelegentlichen Regenschauer nicht zur Last machten. Von Entbehrlichkeiten wie Kämmen, Schermessern, Bürsten, Leinenzeug hielt ich nichts. Meine Zähne waren ohne Zahnbürsten fest und weiß wie bei 'nem Hunde, meine Mähne nicht geschoren wie sonst, sondern wucherte dick und ungepflegt wie ein Brombeerstrauch.


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