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Rettung in Seenot.

Schon die Windstillen und -stöße, die sich im Gänsemarsch folgten, duldeten uns nicht auf der Bärenhaut. Dabei jagten wir noch die Schiffe, die sich als gesetzliche Prisen erweisen konnten, und drückten uns, wo wir nicht gewachsen waren. Von den Räubereien des Schoners hallten der Golf von Siam und die chinesischen Gewässer lange wider. Wirbelstürme, Wasserhosen waren minder gefürchtet als unser langer, niedriger Rumpf. Doch dem Teufel gleich, waren wir nicht ganz so schwarz, wie man uns malte.

Unser Raum war hauptsächlich mit Beute vollgepackt, für Wasser blieb nur wenig Platz. Unsre Habsucht strafte sich oft bitter durch die grausame Folter des Verschmachtens. So auch, als wir Karamata anliefen. Hier winkte uns das lebenspendende Naß, Obst, Geflügel in Hülle und Fülle. Auf einer andern Insel, dem »Seepferd«, fand ich gemäß einer Vereinbarung mit de Ruyter einen Brief, der mich bis zur Küste Kotschinchinas schickte. Während eines Höllensturms kam ich mitten unter die heimsegelnde Kanton-Flotte, die zwei Kriegsschiffe deckten. Der Steuermann dachte schon an Fahrzeuge des Fliegenden Holländers; aber der verwitterte Quartiermeister am Ruder sah's anders. Er wischte sich mit der schwieligen Hand das Spritzwasser ab, das sich mit dem Tabaksaft seines Graubarts mischte, und meinte: »Kann sein, die Karline des ollen Neptun möcht heut morgen 'ne Tasse Tee und hat Wasser gekocht, und vielleicht will se sich aus den drei Kisten da bedienen. Drei! Ja, meine Altsche hat jedesmal drei Löffel voll ringetan: einen für mich, einen für sich, einen für 'n Pott.« In der Tat schien die See zu sieden, ihr Feim stöberte in der Luft wie Schnee.

Ein Fahrzeug hielt ich scharf im Auge. Segelschnitt, hohe Masten, rasche Wendungen wiesen es als Kampfschiff aus, aber – alles sprach dafür – kein englisches.

»Nehmt das Glas, Quartiermeister! Ich krieg nicht spitz, was das für 'n Teufelskahn ist. Er ändert den Lauf und kommt auf uns zu. Wir müssen schwenken und ihm das Heck zeigen. – Na?«

»Je, haben Se in Indien nie drei solche Schratsegel gesehn wie das da? Ich lernte zuschneiden, als ich auf 'm New Yorker Lotsenboot diente, und de Leinwand da hab ich geschneidert, so gewiß ich Bill Thompson heiß!«

»Was, – die Grab?«

»Allemal!«

Die Kunde verbreitete sich, und Freude strahlte aus jedem Auge. In einer Stunde war die Grab neben uns, empfangen von Jubelrufen, die das Sturmgetöse übertönten. Kein Boot konnte sich bei dem Seegang halten; durch unser eignes Signalbuch verständigten wir uns, daß ich dicht an der Grab bleiben und mich nach ihren Wendungen richten solle. Der Sturm blies unentwegt aus dem Golf von Siam und fegte den Geleitzug nach Borneo hinab. Ich folgte de Ruyter, der langsam drauf zusteuerte. Tag und Nacht waren wir den schwer angekratzten »Teekisten« auf dem »Nacken«, um sie zu zersprengen und aufzuhalten. Bei Sonnenuntergang war uns de Ruyter zur Seite, der Flotte beträchtlich voraus. Er sagte: »In 24 Stunden wird der Sturm vorüber sein, inzwischen aber nicht die Bohne abflauen. Nachts wollen wir nochmal versuchen, das entmastete Schiff da abzuschneiden. Bis die Sonne weg ist, will ich die Fregatte hindern, ihm zu Hilfe zu kommen; später kann sie nichts mehr nützen. Nachts macht euch in ihr Kielwasser, und ihr sollt mich in der Nähe finden!«

Damit segelte er noch kühner in das Geschwader hinein, um mit den größten Schiffen Schüsse zu wechseln. Durch seine schnellen Bewegungen hielt er die Fregatte ständig in Atem. Die Indienfahrer sahen aus wie chinesische Dschonken und waren großenteils mit Laskaren, ausgestoßnen, elenden Wilden, bemannt, – auch das entmastete Schiff, das wir schon als gute Prise betrachteten.

Es wurde stockdunkel, Regen schüttete herab. Nur zeitweise konnte ich etwas von dem Indienfahrer bemerken, wenn er seine Notzeichen gab. An meiner Leeseite waren Untiefen und Unterwasserklippen. Die Grab zeigte sich erst gegen Morgen. Das Wetter hatte etwas aufgeklart. De Ruyter fürchtete, der Indienfahrer sei verunglückt. Als er ihn zuletzt sah, war er trotz seiner Warnung zwischen die Klippen geraten. »Sie müssen unrettbar untergehn. Ja, jetzt feuern sie Notschüsse ab, – zu spät!«

De Ruyters Vermutung, er sei gescheitert, bestätigte sich bei Tagesgrauen. Ich gewahrte das mächtige Wrack, das auf einem Klippenbett lag, während die schweren Roller wie Riesenlawinen drüberfegten. Jede Sicht der Deckflotte war durch den Nebel verhängt. Schon waren wir den Klippen so nah, daß wir's mit der Angst bekamen. Dem Schiffsvolk hätten wir jetzt unmöglich helfen können, vorausgesetzt, daß überhaupt noch ein Lebender drunter war.

Um neun hatten sich die Sturzwellen so weit beruhigt, daß de Ruyter und dann ich ein Boot aussetzten. Der Untersteuermann und meine vier besten Matrosen nahmen das Walboot. Beide fuhren miteinander um die Untiefen; vermutlich wollten sie sich tollkühn dem Rumpf nähern. Der ritterliche de Ruyter, erster Seemann, erster in der Gefahr, ob's zu retten, ob's zu schlagen galt! Ich konnte, kraftlos wie ein bettlägriges altes Weib, nur mein gelähmtes Glied verfluchen. –

Mittag war vorbei. Leute bewegten sich auf der Großrahe des Wracks. Die Boote waren so nahe ran, daß sich die Schiffbrüchigen in sie herabseilen konnten. Ich steuerte ihnen entgegen. Die See sänftigte sich immer mehr. De Ruyter kletterte zu uns herauf. Als er mir die Hand schüttelte, strahlte sein Gesicht in ungewöhnlichem Glanz:

»Hätte sich der dämliche Kasten da von den Klippen freigehalten, so wäre er unser gewesen, und ich hätte blanke vierzigtausend spanische Taler gewonnen. Aber ich weiß nicht wieso: daß ich vier seiner Leute geborgen habe, freut mich mehr, als wenn ich's gekapert hätte, mit Teekisten drin, hoch wie der Himalaja. Arme Kerls! Müssen hart sein wie Fischottern, um eine solche Nacht auf einer solchen Stange zuzubringen. Holt sie über, Jungs, zuerst aber Vater und Sohn!«

Ein Mann in einer zerfetzten roten Jacke mit gelben Aufschlägen und Silberstickerei, befleckt, triefend, wankte auf mich zu, kaum imstande, sich aufrecht zu erhalten. Ein dunkelfarbiger junger Mensch, nackt bis zum Gürtel, geschmeidig, sehnig, hielt ihn am Arm. Jener, zwischen Vierzig und Fünfzig, Hauptmann in einem bengalischen Regiment, kehrte nach 25 Dienstjahren verabschiedet nach Europa zurück; dadurch hatte er Anspruch auf den lebenslänglichen vollen Sold von 180 Pfund jährlich. Wäre seine Lebensweise oder das Klima gemäßigter gewesen, – er hätte den Bettellohn noch manches Jahr beziehen können. Aber in der Ofenglut Kalkuttas hatte sich seine Leber unnatürlich erweitert wie bei 'ner Straßburger Gans und durch dieselben Mittel: Hitze und Stopfen. Galle, nicht Blut schien durch seinen Körper zu kreisen, vielmehr: drin zu stocken, und gab seiner Haut die grüngelbe Farbe sumpfenden Wassers. Sein Ruhegeld konnte kein halbes Jahr mehr laufen. Der Sohn war zwischen Sechzehn und Siebzehn, der wohlgeratne Sproß einer Eingebornen. Dies und andres erfuhr ich erst nachher. Gleich nach Ankunft gab ich ihnen eine eigne Kammer und sorgte für ihre Bedürfnisse. Von den beiden andern war einer der dritte Maat, ein kerniger Landsmann aus dem Norden, sturm- und schiffbruchgewohnt, – war er doch in einem Kohlenschiff an gefährlicher Küste aufgewachsen. Der zweite war der Serang oder eingeborne Bootsmann. Von dem tapfern Jüngling, der seinen Vater gerettet hatte, sprachen sie mit Bewunderung.

Sobald der Maat durch Schlafen und Essen wieder in Form war, gab er uns allerlei Einzelheiten aus dem Trauerspiel zum besten: »Der klobige Kauffahrer hatte Tee, Seide, Kurzwaren geladen. Weiber, Kinder, schwarze Dienstboten und andre waren dreihundert an Bord. Auf die Warnung der Grab hatten wir versucht, das Steuer rumzuwerfen; aber das Vorsegel fehlte, es gehorchte nicht mehr, – See und Sturm spielten mit uns. Jeder Brecher, jede Bö fegte Menschen von den Masten, von Bord oder wo sie sich sonst ein Fleckchen gesucht hatten. Drunten im Wasser schien alles lebendig, die Treibenden regten Arme und Beine wie Schwimmer. Der Anblick machte mich ganz krank. Ne alte schwarze Amme, 'n weißes Kind in den Armen, wirbelte immer wieder um die Klippen rum, als wenn sie's an Bord bringen wollte. Sooft sie dagegen flog, glaubte ich sie schreien zu hören. Ein Matrose neben mir auf der Rahe wandte kein Auge von ihr. Plötzlich rief er wie verrückt: ›Ja, ja, alter Satan, ich komm, ich komm!‹ und jumpte dal. Nicht einen Schwimmstoß machte er, – sank zu Grund wie Blei. Der alte Hauptmann, der sich mit seinem Sohn auch an der Rahe festgebunden hatte, riet mir, nicht runterzusehen; denn mein Kopf ging rundum, als wär er überlastig. Dann kam der amerikanische Käpten und warf uns die Leine eines Senkbleis zu. Der erste, der sie haschen wollte, wurde weggespült. Dann bekam sie der Sohn des Offiziers zu packen, gelenkig wie 'n Affe. Ich zurrte das Ende eines Seils dran fest, und der Käpten zog's zu sich ran. Einer nach dem andern ließen wir uns runter und wurden rübergefiert.«

Die fünf hatten die Retter für 'ne Art Leichenfledderer gehalten, wurden aber bald eines bessern belehrt. Der Maat fuhr fort: »Gottlob sind einige Landsleute bei euch, wenn ihr auch nicht unter englischer Flagge geht; mehr verlang ich nicht. Und ist's auch 'n Yankee, ich muß doch sagen: ich hab nie 'n beßres Fahrzeug, musterhaftere Seeleute, gefälligere Kameraden gesehn!« –

Völkischer Stolz muß wie der Stolz einzelner gut geschmiert werden, um glatt zu laufen. John Bull ist mit seiner gerühmten Offenheit und Ehrlichkeit so eitel und leichtgläubig wie der »geschwollne« Ganter, wenn er mit Ölkuchen genudelt ist. Eine Anspielung darauf, daß der Ostindienfahrer durch zwei französische Kaper von seinem Geleitzuge abgezwickt worden sei, der von den allgewaltigen, unbesiegbaren englischen Schlachtschiffen behütet wurde, – noch dazu während eines Sturms, – hätte eine solche Andeutung nicht die Volkswürde verletzt? Denn die britischen Matrosen schmeicheln sich, sie allein seien so verwegen, zugleich gegen Sturmesnot zu kämpfen und einen Feind anzugreifen. Verständlicherweise war denn auch die amtliche Verlautbarung über den Verlust – unvollständig ...


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