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In den Kiefern des Todes.

Der Regen dämpfte den Sturm. Um Zela nach Möglichkeit vor dem feuchten Sand zu schützen, lehnte ich mich sitzend gegen die Zeltstange und barg sie in den Armen. Gegen Morgen erzählte sie:

»Zwei Stunden nachdem du weg warst – ach, hättst du mich nicht verlassen! Ich fühle es: nicht dein Schicksal hängt an dem meinigen, wie du mir so oft gesagt hast, – nein, mein Schicksal hängt an dem deinigen. Warum hast du mich denn nicht auf den Berg mitgenommen? Du hast mich schon klettern sehn und gesagt: Nur die Eidechse kann dir folgen.«

»Ja, – aber damals warst du vogelleicht! Jetzt bist du schwer durch die Bürde unter deinem Herzen. Unser erstes Kind hat noch vor der Reife das Leben eingebüßt durch die waghalsige Anstrengung, womit du seinen Vater rettetest.«

»Durfte ich zögern? In der Waagschale der Frau wiegt das Leben des Kindes federleicht gegen das Leben des Gatten. Ein Wesen, das selbst verwaist ist, – wie könnte das freudig ein Geschöpf in diese grausame Welt setzen, wo es so verlassen sein müßte wie die Mutter – und so hilflos!«

Sie überließ sich ihrem Herzeleid. Endlich fuhr sie fort: »Ich ging längs dem Ufer hin bis zur Felsenspitze vorn an der Bucht. Da kam ich zu einem schattigen Platz. Das Wasser war so glatt und kühl. Ich wollte mit Aduh baden. Die andre hieß ich aufpassen. Du freust dich doch so sehr an Korallen! Dort wuchsen sehr schöne. Aduh mußte tauchen, um ein Ästchen zu holen. Sie waren spröde. Es dauerte lange, bis wir ein unversehrtes hatten. Da hörten wir dichtbei starkes Geräusch im Wasser. Aduh mit ihrem guten Auge meinte: ›Es sind Bennetfische, die verkünden Unwetter.‹ Gleich drauf sah sie dich die Bucht entlangkommen und sagte: ›Ich schwimm am besten und will ihn zuerst begrüßen.‹ Sie war schneller als ein Fisch. Ich schalt: ›Du bist so schlecht und beschämst deine Gebieterin. Ich hab doch gelobt, zuerst am Strand zu sein!‹ Dennoch neckte sie mich weiter, bis sie einen Felsen erreichte, der schwer zu ersteigen war. Er ragte steil aus der Flut und war mit schlüpfrigem Moos überzogen. In dem Augenblick kreischte die andre: ›Haifische! Haifische!‹ Ich nahm's für Scherz, bis ich ihr ansah, daß sie wahr sprach. Nun wollte ich landen wie Aduh. Das laute Klatschen der Haie war hinter mir, – die Matrosen schrien. Aduh beugte sich herab und bot mir die Hand. Hastig packte ich zu, wollte mit aller Kraft hoch. Aduh faßte meine rechte Hand, mit der linken griff ich etwas Seegras. Die Angst machte mich schwerer. Das Seegras riß ab. Aduh wollte mich nicht loslassen. Aber ihre Füße konnten sich nicht halten. Wir stürzten beide ab. Doch fiel sie nicht auf mich, – ich hätte sonst sterben müssen – die Ärmste warf sich kopfüber auf die niedrigen Klippen. Ich rutschte auf die Seite. Korallenklippen sind scharf. Ich wär liegen geblieben, hätten nicht die beiden – wie, ahne ich nicht – mich herausgeholt. Ich wußte von nichts mehr, bis ich hier unter starken Schmerzen erwachte. Dann kamst du. Seitdem ist's besser, viel besser.«

Sie wiederholte »Viel besser« und sank in einen unruhigen Schlummer, erschöpft durch Blutverlust und Qualen. Ich wischte ihr den Schweiß von den Schläfen. Das Ächzen schnitt mir ins Herz. Offenbar war der innre Schaden schlimmer, als ich besorgt hatte, – äußre Wunden konnten solche Krämpfe nicht erzeugen. Trübe Vorgefühle verleiteten mich beinah, ihren Hintritt zu beschleunigen, – an den ich doch wieder nicht zu denken wagte, – und meine Furcht und unser beider Leben zugleich zu enden. Die Pistolen lagen griffbereit. Da kam einer an die Zelttür: »Die Bö hat ausgetobt, es klart auf.«

Noch eine Stunde, und die See ging nicht mehr so hohl. Inzwischen wurde das Boot so bequem wie möglich hergerichtet und das Zelt abgebrochen. Ich trug Zela, nachher Aduh, die sich nur von mir berühren lassen wollte, an Bord. Die Matrosen strengten sich beim Rudern aufs äußerste an, um ihre Teilnahme für ein Wesen zu bekunden, das nur freundlich mit ihnen sprach und sich nie unter ihnen zeigte, ohne ihnen Gutes zu erweisen. Noch immer rollten die Wogen schwer in die Bucht. Das war ein Vorteil: das zur Waljagd gebaute Boot huschte leicht wie eine Seeschwalbe drüber hin. Damals freilich schien's mir nicht so. Abwechselnd löste ich die Leute an den Riemen ab. Angst und Ungeduld wichen der körperlichen Anstrengung. Wir bewältigten die fast drei Seemeilen in zwei Stunden. Das Deck der Grab füllte sich, als wir vorüberflogen, und de Ruyter fragte, was es gebe. Ich bat nur, unverzüglich mit dem Arzt nachzukommen. Auf dem Schoner standen die Leute am Fallreep. Im Augenblick waren wir längsseits. In einem Sessel wurde Zela an Deck gehievt. Stumm trug ich sie in die Kajüte.

Schnell waren die zwei von der Grab da. Als sie die Veränderung gewahrten, die vierundzwanzig Stunden Zelas Antlitz und Körper aufgeprägt hatten, schauderte de Ruyter und bedeckte sich das Gesicht mit den Händen. Der unerschütterliche Van, der außer bei der Nachricht von Louis' Tode nie das kargste Mitgefühl bekundet hatte, nahm die Brille von den Augen und trocknete sie. Dann löste er ungewöhnlich sanft die Hüllen und untersuchte. Keiner fragte. Während des Verbindens berichtete ich kurz.

Der beste Gedankenleser hätte niemals Vans verschloßne Züge enträtselt. Er prüfte noch umständlich die Quetschungen, gab Opium und ging. Ich folgte und mühte mich eifrig, ihn auszuholen. Mußte er nicht staunen, wie ausgewechselt ich gegen ihn war? Sooft ich an Krankheiten oder Wunden daniederlag, – immer hatte ich meine spöttelnde Art bewahrt und ihm oft unerträglich zugesetzt. Jetzt war ich klein. Auf seiner Geschicklichkeit ruhte all meine Hoffnung. Ich war demütig und gehorsam wie der getretenste Sklave. Die treue Dienerin Aduh, die man neben Zela bettete, wurde nicht minder sorgfältig gepflegt. Offenbar war sie kräftiger oder litt weniger: ihr Gesichtsausdruck hatte sich nur unmerklich gewandelt.


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