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Zweisamkeit. – Landkind und Stadtkind.

Morgens besuchte ich mit Zela die Anlagen um das Haus. Dann schritten wir auf laubverschatteten Pfaden zu einem Sommerhäuschen empor. Von hier waren die Glanzpunkte der Insel ausgezeichnet zu überschauen, die See und der ganze Hafen Bourbon. Zela rief: »Da ist das Schiff – dicht unter uns – nicht weiter als fünf Meilen!« Mit dem Glase glaubte ich Ludwig den Großen zu erkennen, wie er sich unter dem Sonnendach des Decks eifrig mit den Schildkröten betat.

Ich ließ mich auf einer Felsspitze nieder und beobachtete Zela, wie sie einer Biene oder einem Vogel gleich von Baum zu Baum schwirrte und aufmerksam Geruch und Beschaffenheit prüfte. Die Natur hat sich aus den übervölkerten Städten in die Wüste und die entlegnen Gebirge geflüchtet. Hier tändelt sie mit ihren Lieblingskindern: Ringeltaube, Antilope, Berberroß. Als Zela unter dem Thronhimmel des heiligen Hindubaums stand, der angeblich in jedem zusammengefalteten Blatt eine Fee herbergt, bildete ich mir ein, sie sei ihre Königin und müsse einem Blatt entglitten sein, um zwischen den Blumen zu tanzen, zu tollen. Ich rannte auf sie zu und drückte sie an mich: »Ich sah dich herabfallen und hab dich jetzt, teurer Geist, und hier will ich dich halten.«

»Oh, laß mich nieder! Du tust mir weh, – ich bin nicht gefallen, – oh, laß mich los!«

»Versprichst du, dann nicht in das grüne Reich deines Feenbaums zu fliehen?«

»Was meinst du? Ach, laß mich los, – du erdrückst mich ja!«

Ich setzte sie zärtlich auf die Erde und offenbarte ihr meine Furcht. Sobald ich sie freigegeben hatte, flüchtete sie, erschreckt wie ein junges Häschen, zu ihrer alten Amme. Zum ersten Mal hatte ich meine arabische Maid umarmt. –

Zelas Vater war Araber edelsten Geblüts gewesen, ihre Mutter, eine gefeierte Schönheit vom georgischen Kaukasus, durch Kriegsfälle zweimal in Gefangenschaft geraten. Als sie das Kind geboren hatte, betrachtete sie es, sah darin ihr Ebenbild, segnete es und verschied. Ist's verwunderlich, daß der Sproß solcher Eltern so war, wie ich's zu beschreiben versucht habe? –

Als ich zu den Freunden zurückkehrte, sprachen sie davon, daß sie den Kommandanten in Port St. Louis besuchen müßten, und einigten sich auf den nächsten Tag. Ich schützte Schiffsdienst vor. Nun schlenderten wir mit de Ruyter herum, um die Pflanzen und Sträucher anzusehn, die er von indischen Inseln mitgebracht hatte. Er war ein leidenschaftlicher Gärtner, Baumeister, Pflanzer und liebte das Eiland wegen seines Klimas und Bodens, wo alles gedieh. Er erklärte: »Ich hab alle möglichen Leute befragt, bis zu Fürsten und Gewaltherrn hinauf, – am zufriedensten und glücklichsten sind die Gärtner. Wär ich nicht zufällig zur See gekommen, – ich wäre aus Wahl Gärtner geworden. Aber wir haben ja keine Wahl, – taumeln wie Käfer und Fledermaus blind auf der Erde oder in der Luft umher ... Abgesehn von dem Vergnügen, das mir die Gartenkunst bereitet, – sie ermöglicht mir's auch, das bittre Los einiger Opfer des Sklaventums zu lindern. Ich kann's verdammen, wenn auch nicht beseitigen. Was ich vermochte, hab ich getan. Bei mir finden Sie keinen Sklaven. Das Brot, das Sie verzehren, ist vielleicht nicht das weißeste oder feinste; aber es ist nicht beträuft mit Blut und Schweiß des gequälten, überanstrengten Fronknechts, noch mit Flüchen gesäuert. Einige zwanzig, die ich losgekauft oder frei angetroffen habe, sind meine Pächter. Von dem, was sie erwerkeln, zieh ich den Zehnten in Verbrauchsgütern. Der eine muß mich jährlich mit Korn, der andre mit Kaffee beliefern, und so fort mit Reis, Zucker, Gewürz, Baumwolle, Tabak, Wein, Öl, Branntwein, und was der Boden sonst bringt. Überschuß verkauf ich. Alles, was Sie hier essen und trinken, ist das Erzeugnis freier Arbeit. Ich glaub, unsre Hausmannskost wird uns darum nicht weniger munden. Ich bin besser bedient von Freien, die mit ganzem Herzen dabei sind, als von herzlosen Leibeignen.« –

Der Ritt zu dem Kommandanten wurde um einen Tag verschoben, und jeder beschäftigte sich nach Laune. De Ruyter entwarf den Grundriß eines Anbaus für eine Frauenwohnung. Aston grub süße Kartoffeln, Yamswurzeln, Gemüse zum Mittag. Ich errichtete eine Bambuslaube im Gebüsch und setzte den geheimnisvollen Baum, der Zela Zähren gekostet hatte. Nachts hatte ich kein Auge zugetan und schlief unter dem Schirm eines Rosenapfelbaums ein. Die Sonne stieg über die Bäume empor. Ich wurde durch ihre Strahlen geweckt, die wie Feuer auf meine Glieder fielen. Ich wußte, daß sie mich in wenigen Minuten aus meinem Lager herausbrennen würden; aber das steigerte den Genuß der Augenblicke, – geduldig ertrug ich das Fegefeuer meiner Beine. Da – näher und näher – ein leises Rascheln. Eine Schlange –? Aber schon fiel mir ein, daß nach de Ruyter nicht ein giftiger Wurm auf der Insel sei. Dann spürte ich, wie etwas leise knisternd über mich gespreitet wurde. Ich hob die Lider und erblickte Zela mit ihrer kleinen Aduh, die mich mit einem riesigen Fächerpalmblatt beschatteten. Als sie mich erwachen sah, wollte sie fort; aber ich faßte sie am Saum ihrer weiten, gestickten Hosen.

»Warum liegst du in der Sonne? Weißt du nicht, daß sie schlimmer ist als der Biß der Viper? Ihr Stich auf den unbedeckten Kopf gefährlicher als der einer Lanze?«

»Was führt dich her, Zela?«

»Oh, – ich wollte – Obst pflücken wollte ich ...«

»Wozu hast du den Palmwedel da gebracht? Hier in der Nähe steht keine Palme.«

Nun gewahrte sie den Baum, den ich gepflanzt hatte: »Was glaubst du wohl? Wie konnt ich wissen, daß du in der Sonne schläfst? Wir trugen das Blatt her, um diesen Stamm zu schützen.«

»Woher wußtest du denn, daß er hier gepflanzt war? Ich hab es ja niemand gesagt!«

Ich glaubte in ihren Augen, im wechselnden Ausdruck der Züge zu lesen, daß ich ihr nicht mehr gleichgültig sei. Ich begleitete sie nun ins Haus mit Schritten, die fast so leicht waren wie die ihrigen ...

Den andern Morgen ritten de Ruyter und Aston nach der Stadt. Ich unterhielt mich mit Gartenarbeiten. Zela hatte sich daran gewöhnt, bei mir zu bleiben, und ich konnte kaum einen Augenblick ohne sie sein. Ihr ruhiges Antlitz belebte sich durch Grübchen, wenn sie lächelte. Obwohl ich häufig Fehler im Arabischen machte, konnten wir uns über Allgemeines unschwer verständigen; aber wir waren doch gleicherweise Schüler in der Rede des Herzens. Mein Ungestüm wurde jetzt durch inniges Zartgefühl gebändigt. Für meine neuen Gefühle konnte ich keine Worte finden, – sie starben mir auf den Lippen. Wir ließen uns im Dämmer eines Baums auf einem Teppich nieder und unterhielten uns in der alten Bilderschrift ihres Landes. Wir kratzten in den roten Sandboden Umrisse von Vögeln, Schiffen, Häusern; mit diesen Zeichen paarten wir die stumme Sprache von Früchten, Blumen. Dann lustwandelten wir, beraubten den Garten seiner reifsten, köstlichsten Früchte. Dabei war unser Hauptstreit der, wer die besten breche, welches die besten seien. Sie sang der frischen, zuckersüßen Dattel feurige Lobsprüche, ich erklärte sie für nichts gegen den flaumigen Honigpfirsich, die stolz geschopfte Ananas. Aston wieder, dicht hinter uns, gab der Mangostane den Vorzug, worin sich die Würze des Honigpfirsichs, der Dattel, der Ananas mit ihrer eignen verschmelze.

»Sieh da, Aston, – Sie wollten doch zum Kommandanten! Jetzt ist's zu spät, – die Sonne brennt. Warum haben Sie sich nicht de Ruyter angeschlossen? Er ist die Stunde fort.«

»Sie träumen! Wir sind vor sechs Stunden aufgebrochen und nun zurück. Es ist Mittag. Wir haben Sie überall gesucht. Das Essen wartet auf Sie.«

»Nanu! Zela und ich kamen her, als Sie mit de Ruyter Kaffee tranken und davon sprachen, zur Stadt zu reiten. Gewiß nicht länger als vor einer Stunde.«

»Aufgewacht, Schwärmer, nach der Sonne geguckt! Steht sie nicht genau über Ihrem Kopf? Sicher hat sie auf Ihr Gehirn gewirkt! Aber nun los! Wir, die wir nach Hunger und Uhr rechnen, brauchen was Festeres als die Feinkost der Liebe!«

Erstaunt, wie rätselhaft schnell der Tag verflogen sei, begaben wir uns ins Haus. Zela, der Verstellung fremd, vermochte de Ruyter auf seine Neckerei nur zu erwidern, sie habe nicht gewußt, daß es so spät sei, und fürchte, die Zeit unbewußt vertan zu haben; auch hätten wir so viel Obst genossen, daß keiner hungrig gewesen sei ...

Angeblich wollte mich der Kommandant gern kennen lernen und hatte uns alle zur Tafel geladen. Aston war sehr freundlich empfangen worden. Deshalb ritten wir in einigen Tagen mit dem Frühesten hin. Die Stadt liegt dicht am Hafen. In den Vororten kamen wir an einigen erträglichen Häusern vorbei, deren Gärten von Früchten, Blumen strotzten. Dann schlängelten wir uns durch schmutzige, ungepflasterte Gassen, an denen Holz- und Lehmhütten standen. Nah beim Hafen erreichten wir die Kommandantur, die unter den Zwergbuden wie ein Palast aussah.

Der Platzoberste empfing mich mit der weltmännischen Gleichsetzung und Art des Franzosen, die so absticht gegen die bullenbeißerische Brummigkeit eines englischen Amtsträgers, der streitsüchtig jeden Fremden als Eindringling ansieht. Unser Franzose floß über von Artigkeiten. Während Erfrischungen bereitet wurden, nahm er mich in die Putzstube seiner Frau und verließ uns mit den Worten: »Ich hab dir da einen jungen Araberhäuptling gebracht.«

Ich mußte mich neben sie aufs Sopha setzen, und sie überschüttete mich mit allen möglichen Fragen, ohne zu zweifeln, daß ich der sei, der ich schien: ich sei hübsch, – meine Halstücher seien noch hübscher. Ob sie aus Kaschmir kämen, – warum ich mir den Kopf scheren ließe, – ob ich an die Jungfrau Maria glaubte, – ob ich je verliebt gewesen sei, ob ich getauft sein wolle. Ihre Hände hielten Schritt mit ihrer Zunge, bis sie mich fast »enthülst« hatte, um meine Gewandung zu untersuchen. Meine Haut sei sehr zart, nicht zu schwarz. Ob die Araberinnen hübsch seien, ob ich die Französinnen gern hätte. Sie wolle in Bälde nach Frankreich zurück, weil sie die Hitze nicht länger aushalte, das barbarische Volk, den Mangel an Umgang, Oper, allen feineren Lebensbedürfnissen.

Hier wurde sie von de Ruyter unterbrochen, ihrem ausgesprochnen Günstling. Sie nannte ihn den einzigen wahren »Gentleman« auf der ganzen Insel, weil er mehrere Jahre in Frankreich und Paris gewesen war. Von da ab plapperte sie unaufhörlich von dieser Stadt. »Lieber de Ruyter, gehört Ihnen dieser junge Mensch? Wo haben Sie ihn her? Ich hab ihn in mein Herz geschlossen, will ihn unbedingt mit nach Paris nehmen. Denken Sie nur, was für ein Aufsehn er dort erregen wird! Wunderbar, daß diese Leute, die in der Wüste mit den Löwen und Tigern zusammenleben, so entzückend aussehen und sich so nett benehmen! Und dann denken Sie nur, mein Lieber, wie er dastehn wird, wenn er einen Winter in Paris verbracht hat und Walzer tanzen kann! Ja, Sie sind ein lieber Mensch, nur vergessen Sie nicht, daß Sie ihn mir geschenkt haben! Wie süß er den Turban aufsetzt und – wie heißen Sie denn? Kommen Sie, zeigen Sie mir, wie Sie den Turban falten! Ganz Paris wird sich sterblich verlieben – in Ihren Turban und in Ihre Schals.«

In der Tonart ging es weiter, bis sie mürbe war. Dann beschwor sie mich, bei ihr zu bleiben: sie könne keinen Augenblick ohne mich sein, – goß sich auf ein Polster hin und winkte mir, ihr Federwedel und Fächer zu reichen. »Ach, wer möchte hier leben«, sprudelte sie, »wo die Hitze so unerträglich ist, daß niemand einen alten Freund bewillkommen kann, ohne zu vergehen! Ich sag offen, daß ich den ganzen Monat nicht drei Sätze gesprochen hab. Und dieser Junge wird auch müde sein. Sie kennen unser Haus, de Ruyter, ich bitte – was für ein goldiger Kerl – schicken Sie mir ein paar von meinen Frauen – und reichen Sie mir das Kölnische Wasser da!« –

Nach einem üppigen Frühstück führte uns der Kommandant nebst dem Kapitän und einigen Offizieren der Korvette, die im Hafen ankerte, in ein Lesezimmer, das sich die Kaufleute geschaffen hatten. Hier fand man alle Größen versammelt: Soldaten, Beamte, Krämer. Der Kommandant mußte eine Dankschrift an den Kapitän, an de Ruyter, Offiziere und Mannschaft verlesen, für die wichtigen Dienste, die sie durch die Aufreibung der Seeräuber St. Sebastians geleistet hätten. Der Kapitän ergänzte, daß der Erfolg nur der Geschicklichkeit und Unerschrockenheit de Ruyters zuzuschreiben sei. Der Kommandant verehrte dann den zwei Kapitänen schöne Degen, dem Oberleutnant der Korvette und mir vergoldete Silberbecher mit Inschriften. Auf de Ruyters Bitte hatte er aus Zartgefühl gegen Aston und mich den Zusammenstoß mit der englischen Fregatte unerwähnt gelassen.

Wir nahmen von neuem Erfrischungen ein, warfen einen Blick in die Bücher und Zeitungen und trennten uns dann. Als wir in das Platzamt zurückkehrten, wo ein großes Zweckessen stattfinden sollte, bestand die Dame des Hauses darauf, wir müßten alle während der Tageshitze schlafen. Dem entzog ich mich und ging nach dem Hafen, um die Schiffe zu mustern. Der schöne amerikanische Schoner lag dort, – ich hätt einen ganzen Tag seine herrliche Bauart betrachten können. Aber das Seufzen der Sklaven, die unter ihrer Last dahinschwankten, ihre triefenden Stirnen, matten Augen, wundgeriebnen, fliegenwimmelnden Rücken scheuchten mich fort.

Dann durchzog ich außer der Stadt auch die Vororte, wo die Eingebornen hausten, trat in ihre Hütten und plauderte mit ihnen, bis ich wieder zum Kommandanten mußte. Nach dem Bade speiste ich dort mit einer stattlichen Gesellschaft. Die Unterredung drehte sich hauptsächlich um die »große Nation«, die Seeräuber, Paris. Von alledem hatte ich nur eins gesehen, wollte nur das sehen, kümmerte mich nur darum. Ich atmete auf, als ich die großmäuligen Fatzken loswurde und den Kommandanten zu Pferde nach einem frohbunten Schmuckplatz am Stadtrand begleitete, der umsäumt war von Hügeln und Lusthäuschen. Dann wandten wir uns endlich, endlich heimwärts, wobei uns der Kommandant ein Stück geleitete.


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