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Gefecht mit englischen Blaujacken.

Wir kamen wegen der vielen Windstillen nur langsam voran. Meine Zeit war ganz ausgefüllt, daneben trieben wir tausend Flausen. Die enthaltsamen, mäßigen Eingeborenen waren leichter zu lenken als ein noch so kleiner Haufen Europäer. Die unsrigen waren allerdings peinlich ausgewählt, alle hatten verantwortliche Stellen, waren voll beschäftigt. De Ruyter war nicht nur ein kühner, glänzender Befehlshaber, sondern auch ein bewundernswerter Gesellschafter; drum hatte ich nichts zu klagen.

Es war zwischen der großen Bank von Garagos und den St. Brandon-Inseln, da scholl's aus dem Korbe: »Fremdes Segel in West!« Dann: »Noch eins!« Als es aufklarte, konnten wir sie vom Deck aus sehen. Ein Uhr nachmittags. Ich rief de Ruyter aus der Kajüte: »Es sind gewiß zwei Fregatten, vielleicht französische von Isle de France.«

»Kann sein; aber ich bezweifle es. Das Glas, bitte!«

Er musterte sie aufmerksam: »Zu hoch über dem Wasser – Segeltuch zu dunkel – Rumpf zu kurz – die Rahen für französische nicht rechtwinklig genug. Nein, das sind keine Franzosen. Die Leesegel nieder, nach Backbord umgelegt, dicht an den Wind!«

Da holte auch das vordere fremde Schiff an und ging über Stag; das hintere nahm eben die Richtung. Der Luftdruck war schwach, wir fuhren alle dicht beim Winde. Die erste Fregatte segelte erstaunlich gut, ließ die andre unter dem Horizont nach Lee zu; mit uns konnte sie sich freilich nicht messen. Wir fürchteten nur, der Wind könne umspringen oder uns ganz verloren gehn. Das war bei Sonnenuntergang der Fall.

Nachts waren wir auf der Hut. Kein Licht brannte. Die Decks wurden gefechtsklar gemacht, die Kanonen doppelt geladen, auch die Kleinwaffen vorbereitet. Nicht in der eitlen Hoffnung, mit der Fregatte anzubinden, sondern um jedem Versuch vorzubeugen, uns mit Booten zu entern. Auf den zweien blieb es ebenfalls dunkel; nichts verriet ihre Lage. Unser Ziel war, zwischen die Inselgruppe der »Brüder« zu kommen, um nicht wieder gesehen zu werden. Die Nacht war wolkig, die Gläser versagten, gespannt sahen wir dem Tag entgegen.

Unser Heilkünstler, der eine so scharfe Blutwitterung hatte wie der Aasgeier, rüstete im Raume ein Gerähm für die mutmaßlichen »Fälle«. Von Zeit zu Zeit streckte er den Kopf aus der Luke, wann denn der Tanz beginne. Zwei Jungen hatte er sich als Gehilfen ausgebeten. Als wir mit Stangenrudern in die Bucht kamen und ankerten, wagte er sich herauf. Er schleifte eine Binde nach, lang wie 'ne Logleine und rollte sie gewandt auf. »Nun, mein Lieber«, redete er mich an, »ist's Zeit, daß ich Sie in die Lehre nehme. Setzen Sie sich einen Moment auf diesen Kanonenschwanz, ich demonstriere Ihnen die Applikation einer Aderpresse!« Dabei zerrte er eine aus dem Hosenbund.

»Unsinn, Doktor, ich hab andres vor!«

»Ach, Sie sind jung und eigensinnig! Jeder sollte es verstehen. Denn wenn's nicht im entscheidenden Augenblick geschieht, verliere ich meinen Patienten und der Blessierte das Leben.«

Als ich nach achtern abgerufen wurde, ersuchte er de Ruyter, sich im Anlegen von Kreuzbinden unterweisen zu lassen. Er erhielt eine etwas barsche Antwort und latschte nach unten, wobei er vor sich hinbrammelte: »Mangel an Schlaf erzeugt Fieber, Fieber Delirium, dann Wahnsinn.«

Bald erschien er wieder mit einer kleinen Flasche nebst einem Glase und drängte de Ruyter, mich, die ganze Mannschaft, sein Elixier zu versuchen: ein natürliches, kühlendes Wasser, das die Temperatur des Körpers lindere und erquicke wie Schlaf. De Ruyter bedauerte, ihn angegrobst zu haben, schmeckte und sagte, es sei nur Salpetersäure und Soda. Als der Arzt ihn so nachgiebig fand, zog er wieder seine Binden hervor. De Ruyter lachte und entfernte sich. Nun ging der Arzt auf mich, dann auf die andern zu. Aber ungeachtet seiner Beredsamkeit wurde er keinen Tropfen mehr los. Verzweifelt und damit nichts umkomme, nahm er selbst ein tüchtiges Glas voll und ließ sich bloß durch die Erinnerung an seine Kranken hindern, die Flasche zu leeren; die durften hernach kosten.

Endlich teilten sich die Wolken im Osten, der Sehkreis weitete sich. Die Fregatten waren aber noch immer unsichtbar, und jedes Antlitz erhellte sich. De Ruyter beobachtete eine schwere Nebelbank in Lee, die langsam verdunstete. Plötzlich rief er: »Da ist sie!« Wirklich erblickte ich eine Fregatte, die wie eine Insel im Nebel lag. Bald darauf mußte sie uns auch erspäht haben und setzte trotz der hirnversengenden Hitze von 108 Grad Fahrenheit sieben Boote aus. De Ruyter bewunderte ihre Unerschrockenheit, sagte aber: »Ich wollte kein Blutvergießen. Doch muß und werde ich die Grab gegen jede Übermacht verteidigen, selbst wenn die Fregatte längsseit käme. Die wilden Malaien haben uns gelehrt, daß der Tod dem Kerker vorzuziehen ist; wenn alle so dächten, gäb's keine. – Was meinen Sie, Freund?«

»Ich liebe den Kampf, hasse die Stickluft.«

»Aber jene da sind ja Ihre ...«

»Bedauerlich. Bulldoggen balgen sich mit ihrer eignen Brut und Sippe. Das wissen Sie. Ich bin kein Mischling. Meine Zucht werde ich beweisen!«

Die Boote kamen schnell heran. Nur 54 von unsrer Belegschaft waren waffentüchtig, darunter viel Unerprobte. Als alles schlagfertig dastand, trat eine unheimliche Pause ein. So rauflustig, leichtsinnig ich damals war, – ich spürte doch eine seltsame Regung: mit dunklen Mauren gegen meine blonden Landsleute! Als ihr jauchzendes Hurrah von Boot zu Boot brauste, fühlte ich das wilde Pochen meines Herzens, Eistropfen rannen mir die brennende Stirn herab. Auf der Grab eine nieerlebte Stille. Widerwärtige Gedanken quollen in mir auf. Aber sie zerstoben.

Ich sofort bei der klaren Miene, dem festen Tritt, der vollen, hellen Stimme de Ruyters: »Auf! Gebt ihnen das arabische Kriegsgeschrei zurück. Seid doch sonst nicht so schweigsam. Seht auch, ob das Vorderboot in Reichweite der Kanonen ist!«

Ich ließ fliegen.

»Zu hoch«, sagte er, »will's mal mit diesem Geschütz versuchen. – Eine Lunte! – So!«

Die Kugel surrte schnurgerade los, traf auf das Wasser, prellte empor wie ein Schlagball und tanzte dicht über das Vorderboot hin. Das legte die Riemen glatt, bis sie vorbei war, und rief den andren zu, sie möchten vorrücken. Beim ersten Abschuß hatten wir die französische Flagge gesetzt. Auf ihren Booten wehte der Union Jack. Als sie aneinander waren, beratschlagten sie. Dann trennten sie sich in zwei Abteilungen und schoben sich weiter heran. Wir betrommelten sie ununterbrochen. Aber herzhaft antworteten sie jedesmal mit ihrem Kampfruf, drängten nur noch schneller vor. »Da sehn Sie's, de Ruyter«, rief ich, vielleicht ein wenig frohlockend über ihren Heldensinn, »ein Boot hat was abgekriegt und sinkt. Sie haben nur eins, die Leute aufzunehmen, und übertönen jede Schlappe mit einem heitern Hurrah, als wenn sie bei 'nem Fest wären!«

»Prisengelder, Beförderung, Gewohnheit tun viel. – Jetzt mal eine Lage Kartätschen! Wir müssen die führenden Boote außer Gefecht bringen!«

Von da an blieb ich vorn auf meinem Posten. Die meisten Europäer unterstanden mir. De Ruyter hatte mir seine letzten Winke gegeben und harrte achter inmitten seiner Araber, über die er viel vermochte. Ein zweites Boot wurde in Grund gebohrt. Während sie die Kameraden auffischten, waren ihre Verluste offenbar so groß, daß sie einander anfeuerten. Dabei bestrichen sie uns übers Kreuz mit Drehbassen und Musketen. So waghalsig sie zweifellos waren, – sie wurden zum Stehen gebracht, schienen unschlüssig. Das Wort »Rückzug« war für Männer, die Erfolg verwegen gemacht hatte, nicht vorhanden. Das schwerste Boot, ihre Barkasse, mit einer achtzehnpfündigen Haubitze bestückt und mit Seesoldaten besetzt, pullte jetzt mit dem Zweitboot heran. Wir hörten »Vorwärts, Burschen!« Unter ständigem lebhaftem Geböller, das bei uns einigen Schaden anrichtete, hängten sie sich mit verdoppeltem Hurrah in die Riemen. Dabei litten sie erheblich unter unsren Einschlägen. Unsägliche Anstrengungen hatten sie hinter sich. Der schwache Luftzug glühte wie ein Hochofen. Offensichtlich hatten sie sich eines so heißen Empfangs und ungleichen Kampfes nicht versehen. Verzweiflung und die ihr verschwesterte Todesverachtung schien sie anzuspornen. Fünf aus ihrem kleinen Geschwader erreichten uns, während sich das Ächzen der Sterbenden mit den Kampfrufen und dem scharfen Funken der Kameraden mischte.

Jetzt griffen wir zu Speeren und Handwaffen. Die Flinksten der Feinde kletterten bald unsre Ketten herauf. Oft zurückgeworfen, legten sie sich immer wieder ins Zeug, um an Bord zu kommen. Wir wollten sie von der gefährdeten Seite abdrängen; aber inzwischen gelangte das Zweitboot quer vor unsern Bug. Eine Brise und eine leichte Dünung schwaiten ihn nach dem Lande, und nun stürzten sich einige von dort aus aufs Deck. Das lenkte uns ab. Kleine Abteilungen enterten von andersher.

Ich sah, wie ein Laskar, den ich vorher angepfiffen hatte, weil er sich hinter den Mast verkroch, durch die Luke türmen wollte. (Alle waren verschalkt außer der, worunter der Arzt werkte.) De Ruyter hatte besorgt, einige der Matrosen aus Bombay möchten sich dort drücken, und Scolpvelt angewiesen, nur die Verwundeten und die Pulverjungen rauf und runter zu lassen. Lächelnd hatte er zugefügt: »Schneiden Sie, Doktor, allen Hasen, die ihren Posten verlassen, die Pfoten ab!« Über Vans Gesicht war ein wohlgefälliges Grinsen gehuscht: »Unbesorgt, Käpten!« Ich merkte, wie übel das Beispiel der Feigheit wirkt, wie schnell Kopflosigkeit einreißt, und knallte den Laskaren nieder. Er taumelte die Luke hinab auf den Doktor, der ihn schon am Beine zerrte.

Da erhielt ich einen Hieb eines Entermessers, und eine Pistole wurde mir so heftig in den Mund gestoßen, daß sie mir die Lippen zerfetzte. Sie ging aber nicht los, vielleicht weil das Schloß naß war. De Ruyter säuberte das Deck mit seinen Arabern und mahnte mich, die Augen nach Steuerbord offen zu halten. Die Engländer schlugen sich tollkühn, gewannen aber keinen Fußbreit Boden. Einige schwer Angekrellte klammerten sich noch an die Takelung und fochten mannhaft weiter. Hatten wir sie koppheister in die Boote, in die See gejagt, so quälten sie sich wieder hoch. Unser waren viele verletzt. In meinen Adern kreiste Lava; eine Aufregung durchschauerte mich, die mich fast toll machte. Ich hatte allerhand bezogen, war aber stumpf gegen den Schmerz. Meine Kerls stritten im allgemeinen ebenso unverzagt, wenn auch nicht so draufgängerisch wie John Bull.

Weitere zwei Boote wurden durchlöchert und sackten neben uns ab. Die Engländer, die noch an Bord waren, unterwarfen sich langsam, richtiger: gaben ihre aussichtslose Gegenwehr auf. Einer sagte: »Ich will verdammt sein, wenn ich vor'm Nigger de Flagge streiche, mögen sie uns behondeln, wie se wollen!«

Ich beschwichtigte: »Kommt, Kameraden, legt die Waffen hin! Ihr sollt haben, was ihr jetzt nötiger braucht: 'n Stück Pökelfleisch und 'n Glas steifen Grog.«

»Je nu, 's is ollens aus, Tom! Und wenn er auch nich so aufgetakelt is, er redt doch wie'n Christ.«

Die vorn geblieben waren, ebenfalls viele verwundet, kamen und lieferten die Waffen ab.

De Ruyter erzählte nachher, Scolpvelt sei berichtet worden, daß ich mit dem Laskaren so kurzen Prozeß gemacht hätte. Sofort sei er an Deck gekommen, im dichtesten Getümmel, um sich zu beschweren, daß ich ihn unverantwortlicherweise eines herrlichen »Falls« beraubt hätte. Er habe brennend gewünscht, an ihm ein neues, selbsterfundnes Instrument zu probieren, das er in der Hand hielt: eine sechseckige, dreifach gezähnte Säge, die schnell um die eigne Achse rotiere und ohne Schmerz und Knochensplitter schneide. Vergeblich wurde er daran erinnert, daß er unbedingt auf seiner Stelle zu bleiben habe. Er maulte weiter, daß aus Verachtung der Wissenschaft oder gemäß einer Verschwörung sich alle an Bord zusammengerottet hätten: ein verruchtes Attentat, um die Hoffnungen eines philanthropischen Lebens zu verkümmern, zu vereiteln, zu vernichten!

Als de Ruyter darauf drang, ihn nicht weiter zu stören, stand er in wehleidiger, in sich gekehrter Betrachtung seines Schauerwerkzeugs da. Plötzlich kreiselte ein Matrose, von einer Kugel ins Herz getroffen, im Totentanz neben ihm. Ehe er niederbrach, erangelte ihn Van an den Armen, bog ihn wie ein Z zusammen, schuffelte mit erstaunlicher Kraft damit fort und knurrte: »Kann ich keinen lebenden Fall kriegen, dann will ich meine Säge an 'ner Leiche prüfen, und das sofort!«


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