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De Ruyters Orlogfahrt.

Wir hatten jetzt einige geruhige Monate verschwelgt. Da wurde de Ruyter durch Meldungen bestimmt, sich wieder für die See zu rüsten. Sein Geist kannte keine Ruhe, wenn's ein Ziel galt. Im Augenblick des Landens hatte er mit dem Kleid des Farmers dessen Sinnesart übergestreift. Beides saß so gut, daß ein Außenstehender ihm nichts andres zugetraut hätte. Garten- und Ackerbau, Pfropfen, Pflanzen nahm Hand und Herz ganz in Anspruch. Hartnäckig mied er den Hafen, verabscheute den Teergeruch, behauptete, der Anblick des Meers errege ihm Brechreiz, verwünschte den Seewind, der sein Zuckerrohr entwurzle, seine Baumschule zerstöre. Er verpönte die Schiffsausdrücke, ließ kein Pökelfleisch ins Haus.

Als ich einst im Garten schaffte, rief er mich vom Balkon an: »Hallo, Jung, nach vorn verholt! Sie werden gebraucht!« Ich den Spaten hin und ins Haus, um ihm die »salzige« Redensart aufzumutzen. Aber beim Eintritt ins Zimmer mußte ich bremsen: der Fußboden war mit Karten bedeckt, de Ruyter tüftelte kniend mit Maßstab und Zirkel an Entfernungen herum. Der hohe, hagre Steuermann lehnte über ihm und deutete auf eine Inselgruppe im Kanal von Mosambik. De Ruyter war noch zu vertieft, um mich zu bemerken, und ich musterte eine Weile zuerst den einen, dann den andern. De Ruyters Augen funkelten, das Gesicht strahlte, die Muskeln zuckten. Die Züge des Reis waren unveränderlich wie ein von Teer und Wellen gebeizter Schiffschnabel. Sein Gesicht sah aus wie ne betagte Sonnenuhr, deren zerfreßne Oberfläche nicht mehr die Stunden anzeigt. »He, Jungchen«, sagte jetzt de Ruyter, »wir müssen uns tummeln. Bestellen Sie die Reittiere, wir wollen zum Hafen runter!« Dann stand er auf, zog seine weiße Jacke aus, ne blaue an. Ohne zu fragen, folgte ich seinem Beispiel, und wir trabten los. Sein Pony hielt nicht Schritt mit der Ungeduld des Reiters: »Lassen wir die stolpernden Klepper den Mönchen, – übersteigen wir das Gebirge nach dem Kompaß zu Fuß!«

Wir übergaben die Pferde einem Diener, erkraxelten die Höhen und nahmen unsre Richtung stracks und jach wie der Kranich. Unten booteten wir uns sofort ein. Kaum auf der Grab, übernahm de Ruyter den Befehl mit einem Stampfen. Die in der Sonne faulenzenden Araber sprangen auf, – alles Leben und Bewegung. Nach harter zielbewußter Arbeit war die Grab auf dem besten Wege, in eine Korvette umgekrempelt zu werden.

De Ruyter gab mir Verhaltungsmaßregeln und ging mit dem Reis an Land, gradeswegs nach Port St. Louis, vornehmlich um Leute anzumustern und Vorräte zu kaufen. Kaum wurde laut, er suche Freiwillige, als Matrosen aller Länder, Abenteurer jeder Art sich herzudrängten. Sein Name genügte; wer sich anschloß, war überzeugt, sein Glück sei gemacht. Freilich war de Ruyter sehr heikel; besonders Europäer nahm er nur vereinzelt, – wußte er doch, wie schwer sich solche entgleiste Naturen zügeln ließen. Der Reis sollte die Mannschaft durch Araber und eingeborne Inder auffüllen, – kein Kunststück in dem volkreichen Hafen.

Mittlerweile scharwerkten wir Tag und Nacht an Bord. Bald wurde die Grab aus einem schwimmenden Rumpf so etwas wie ein lebendiges Flügelwesen, nach einigen weiteren Tagen eine Art Kriegsschiff. Wir malten ihre Seiten verschieden an: die eine schwarz, die andre mit einem breiten weißen Streifen.

De Ruyter hatte mir angekündigt, er werde allein fahren; er wolle ein paar Engländer in der Enge von Mosambik aufbringen und höchstens vier, sechs Wochen fort sein: »Inzwischen können Sie sich damit unterhalten, die Anlagen zu beaufsichtigen, die Verbesserungen zu vollenden. Anscheinend fühlen Sie sich hier so glücklich, sind ein so tüchtiger Pflanzer geworden, auch ruft so vieles nach dem Auge des Herrn, daß Sie besser bleiben. Überdies dürfen wir Aston nicht allein lassen. Später hab ich Wichtigeres vor. Dann rüsten wir uns neu aus und schiffen uns alle ein; Aston landen wir in einer englischen Siedlung.«

Bereitwillig stimmte ich zu. Zuguterletzt nahmen wir auf der Grab einen Abschiedstrunk. Mit dem Landwind ging de Ruyter Anker auf. Bei Tagesanbruch sahen wir von einer Höhe den dunklen Rumpf, die weißen Segel sturmvogelgleich über die Wogen gleiten.

Ich setzte mein tätiges, friedliches Leben fort. Meine Liebe zu Zela war ungemindert; täglich hatte ich etwas Neues an ihr zu bewundern. Zur Stadt ging ich nur, um Geschäfte zu erledigen oder den Kommandanten zu besuchen, mit dem ich nach de Ruyters Fingerzeig Fühlung halten sollte. Seine Gattin, ein guter Mensch, schätzte mich nach wie vor und wünschte eifrig, Zela in »feiner Geselligkeit« zu unterweisen: geschliffen und gefaßt, werde sie ein Edelstein reinsten Wassers sein. So wenig ich von »schicken« und »gebildeten« Damen gesehn hatte, – es genügte, mich anzuekeln. Von Anbeginn war ich mir darüber einig, Zela so natürlich und ungezähmt zu lassen, wie sie aus der Wüste kam. –

De Ruyter war kaum fünf Wochen weg, als ich vor Tage geweckt wurde: die Grab ankere in Port St. Louis. Ich runter! Sie lag draußen und wollte eben ihren Wimpel stecken. Auf Kabellänge achteraus erspähte ich den blitzsauberen amerikanischen Schoner, der wie eine Möwe auf den kurzen Brandern schaukelte. Was tat er hier? Er war doch von Mauritius nach Manila gesegelt, um nach Europa zurückzukehren! Ich wurde noch mehr verdattert, als er eine französische, drunter eine englische Fahne aufzog. Was bedeutete das? Sicher war er mit de Ruyter eingetroffen. Ich stieg das Ufer hinab. Mein Schritt war durch die Aufregung nicht lässiger geworden, doch glaubte ich, die Lände nie zu erreichen. Dort brachten mich die wenigen Minuten zur Verzweiflung, eh ich einen Kahn zur Grab auftrieb. Ich kam an einem ihrer Boote vorbei, wollte aber keine Sekunde versäumen, um mit de Ruyter zu sprechen. Ich faßte den Schlagriemen und zog durch, als ob es mein Leben gelte. Die klare, tiefe Stimme des Freundes traf mein Ohr, – einen Augenblick später waren unsre Hände verflochten. Seine Linke ruhte in einer Schlinge. Ich zeigte darauf, weil ich mich noch nicht verpustet hatte. Er lächelte und wies auf den Schoner.

»Wie?«

»Gehn wir in die Kajüte, dort berichte ich Ihnen. – Ich hatte an der Nordküste der Enge von Mosambik gekreuzt. Da erfuhr ich, daß eine englische Fregatte bei einer steifen Brise Mokka angelaufen habe. Ich wollte ihr ausweichen und fuhr in einer Sturmnacht mit vollen Segeln nach den Amarantinseln rüber, zwischen ihnen und der Bernsteinbank. Bei dem Blitz glaubte ich Blaulichter und Signalraketen leewärts zu erkennen. Es konnte die Fregatte sein. Deshalb hielt ich so gut's ging Kompaßstrich. Morgens wurde es ruhig. Ich entdeckte bald, ebenso erstaunt wie erfreut, an unsrer Leeseite ein Segel, das bestimmt nicht die Fregatte war. Es lag beim Winde, wir kamen schnell ran. Wie sich nachher rausstellte, war die Spitze seines Fockmasts durch Blitzschlag hin. Noch weiter ran, erkannte ich an Rumpf und Masten – unsern Schoner aus Boston! Jetzt war ich doppelt um Hilfe bemüht und entfaltete so viel Segel, daß ich auch fürchtete, die Masten zu verlieren. Als ich Flagge zeigte, bemerkte ich Unruhe und wunderte mich, daß er bald darauf trotz seinem elenden Zustand Segel beisetzte und abfiel. Da schrie's im Ausguck: »Zweites Segel in Lee!« Noch war ich mir im unklaren, – da sah ich, wie man das Großsegel des Schoners von einer Seite zur andern übergehn ließ; als er aufluvte, flog die Fockmastspitze über Bord. Ich gab noch mehr Tuch. Eh er klar kommen konnte, war ich auf Reichweite ran. Nun feuerte ich mein Jagdgeschütz ab, aber blind, damit er seine Flagge zeigte. Er tat's erst, als wir einen Vollschuß über ihn, einen weitern in ihn abgegeben hatten. Er wies die englischen Farben, – das war des Pudels Kern!

Der Schoner war durch die Fregatte gekapert worden. Der nächtliche Sturm hatte sie getrennt. Da war keine Zeit zu verlieren! Die Fregatte war in Sicht, obgleich sie 'n tüchtiges Stück leewärts lag. Uns hatte sie wahrscheinlich nicht gesichtet, weil wir so weit ab und kleiner waren als sie. Der Mut der Engländer ist unter keinen Umständen zu brechen. Der Schoner hatte sich von den Trümmern des Fockmasts befreit, hielt auf sein Geleitschiff zu und ließ alle Geschütze gegen uns spielen. Bald war ich neben ihm und mußte ihm einige Breitseiten antragen. Da ich an seiner Leeseite blieb, schnitt ich ihm jede Fluchtmöglichkeit ab. Dann strich er die Flagge, und ich bemächtigte mich seiner. Ich erfuhr, er sei –«

»Aber Sie haben mir noch nichts von Ihren Verlusten gesagt, und was mit Ihrem Arm los ist!«

»Ein Mann tot, zwei verwundet, meine Flosse von Splittern geritzt.«

»Hoffentlich nicht ernstlich!«

»O nein, durchaus nicht.«

»Wie«, rief Freund Van, der eben mit Pflaster und Schere eintrat, »was nennen Sie ›durchaus nicht‹? Ich praktiziere fast ein Halbjahrhundert und hab' nie einen schlimmern Fall der Art gesehn. Sind nicht zwei von den drei Fingerverästlungen der Ellbogenschlagader lädiert? Ist nicht der Mittelfingerknochen bloßgelegt? Das erste Glied des Zeigefingers zerschmettert?«

»Pah, ein, zwei Fühlhörner gequetscht!«

»Ja«, entgegnete Van, (dabei blickte er voll Genugtuung mich und dann mit Behagen die geschwollne, entstellte Hand an, die er aufgebunden und auf den Tisch gelegt hatte) »hätt ich nicht den Zeigefinger amputiert, jedes Pritzelchen Knochensplitter entfernt, – wären Sie einem andern Medicus in die Hände geraten, – nicht bloß der Finger wär futsch gewesen, sondern die ganze Hand bis zum Gelenk. Und jetzt nennen Sie's ›gar nichts‹! Allerdings sind Wunden auch nichts, sofern ich sie behandle! So groß ist meine Kunst, und ich gehe so zart vor (er spülte mit einer starken Ätzlösung), daß meine Patienten eher geneigt sind zu schlafen, als zu stöhnen.«

De Ruyter zuckte, und ich rief: »Ja, Sie quälen Ihre Kranken bis zur Bewußtlosigkeit!«

Ohne zu hören, beobachtete der Arzt de Ruyter und fuhr fort: »Ich freu mich, daß Sie Schmerzen haben.«

»Den Teufel tun Sie!« zischte der Verletzte.

»Allerdings, ich bin entzückt; denn es beweist, daß die Sensibilität wiederhergestellt ist. Ich seh auch, daß der Muskel wieder ansetzt. Nun brauchen wir bloß Bähungen anzuwenden, um die Schwellung zu dämpfen, und das morbide Fleisch mit Höllenstein niederzuhalten. Bald ist's gut.« –

Ich begrüßte auch Louis, der sich angelegentlich nach der Schildkröte erkundigte, die er bei Zela gelassen hatte. Derweil Frühstück bereitet wurde, ging ich an Deck, dem Reis und den alten Kameraden die Hand zu schütteln.


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