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Hans Huckebein, der Unglücksrabe. – Kindliches Rechtsverfahren.

Mein Bruder war folgsam, sanft, nachgiebig. Ich war immer in Schwulitäten. Hartnäckig wollte ich meine Neigungen durchsetzen. Widerstand schärfte mein Verlangen nur. Zu den vielen kleinlichen Beschränkungen durch unsern unholden Gebieter gehörte der Befehl, die Kieswege im Garten zu meiden. Der Bruder gehorchte. Ich durchstöberte, mich schadlos zu halten, die Nachbargärten und kehrte mit Obst, Blumen in rauhen Mengen heim. Brüderchen begnügte sich mit einem täglichen Bummel auf der Gemeindeweide oder der Landstraße. Ich stopfte mir die Taschen mit Brot und Äpfeln, erklomm die Hügel oder lernte in den Bächen schwimmen. Ich haßte alles, was mir dabei in die Quere kam: Pfaffen, Pastöre, Schulmeister. Was ich als gefährlich oder unrecht meiden sollte, war meine größte Lust. Wäre man mir mit Liebe begegnet oder wenigstens ihrem Schein, – ich wäre vermutlich auch nachgiebig, sanft, folgsam gewesen. Aber solange ich denken konnte, waren Strafen und Strenge jeder Art die einzigen Zeichen väterlicher Liebe, die auf mich entfielen.

Vater hatte eine schrullige Liebe zu einem Raben, der mit seinen schäbigen Flügeln, seinem würdevollen, altfränkischen Aussehen einsam im Garten lustwandelte. Kinder konnte er nicht verknusen; sooft er einen von uns sah, jagte er ihn fort. Ich war damals fünf Jahre. Hätte sich der Vogel für einen andern Ort entschieden als den einmal erwählten Obstgarten, – ich hätte sein Besitzrecht nie angefochten. Sobald wir gehen konnten, hielten wir ihn und Vater für die zwei mächtigsten, schrecklichsten Tyrannen auf Erden. Das Vieh kam in die Jahre, es schaute grau und grantig aus und hinkte auf einer Seite; seine Gelenke waren steif, die Ständer rauh wie die Borke des Korkbaums, mit Riesenwarzen bestreut, die Triefaugen hatten einen bösen Blick. Meist faulenzte er in der Sonne an einer Südwand, wo die köstlichen Pflaumen wuchsen. Welche Kniffe hätten wir nicht angewandt, ihn wegzuködern! Vergeblich boten wir ihm den Küchenabfall an, – er glupte nur höhnisch hin. Sein mürrisches, gehässiges Wesen, die Schwierigkeit, das Obst zu ergattern, waren unerträglich. Wir suchten ihn mit Knüppeln einzuschüchtern; zu schwach, auf seinen wetterharten Körper den mindesten Eindruck zu machen, zogen wir den kürzeren. Heimlich schmiß ich Steine nach ihm, – auch nichts! Vergeblich rief ich die Hilfe des Gärtners, der Dienerschaft an; sie lachten uns nur aus.

Eines Tages hatte ich ein Dirnchen aus der Kinderstube gelockt, Früchte mit mir zu mausen. Heimlich wutschten wir in den Garten. Aber gerade als wir uns unter einem Kirschbaum beglückwünschten, schoß das verwünschte Biest gegen uns los. Das ging über die Hutschnur! Er schnappte das Mädel am Kleide. Es konnte vor Angst nicht schreien. Nun galt's!

Ich ermutigte sie und warf mich auf den Verhaßten. Er ließ sie fahren, griff mich mit Klauen, Schnabel an. Ich packte ihn am Halse, hob ihn mühsam hoch, schleuderte ihn gegen den Baum, die Erde. Nichts schien ihm was anzuhaben, felsenhart wie er war. So kämpften wir; aber offensichtlich war ich der Schwächere. Die Kleine, mein Liebling, rief: »Ich will den Gärtner holen!« »Ja nicht«, antwortete ich, »er wird's Vatern sagen. Ich will das Luder henken. Gib deine Schärpe!«

Das tat sie. Mit Ach und Krach schaffte ich's, wenn auch übel zugerichtet, das eine Ende um den Hals des Biestes zu schlingen; dann erklomm ich den Kirschbaum, wand das andre Ende um einen waagrechten Zweig und rutschte dal. Da baumelte der Satan!

Eben kam mein Bruder angerannt. Über mein Aussehen war er nicht zu knapp erschrocken. Aber als er unsern Erzfeind schweben sah, heulte er vor Freude. Wir knoteten das Ende der Schärpe fest und begannen ihn zu steinigen. Als wir des Spiels müde waren, das Tier auch offensichtlich verreckt war, ließen wir's runter. Es fiel auf die Seite. Ich nahm den Stützpfahl eines Himbeerstrauchs und bearbeitete, um ganz sicher zu gehen, seinen Kopf. Zu unserem Entsetzen fuhr es mit einem heisern Krächzen wieder auf und faßte mich. Unser erster Gedanke war, davonzulaufen. Aber es hielt mich fest. Ich stürzte wieder drüber her, rief meinen Bruder zu Hilfe und hieß ihn mit der Schärpe auf den Baum klettern. Derweil bemühte ich mich, den Raben an der Flucht zu hindern. Sein Anblick war grauenerregend: ein Auge hing ihm aus dem Kopfe, das Blut quoll ihm aus dem Schnabel, mit den Flügeln peitschte er die Erde, der Schwanz, den ich halb ausgerissen hatte, war zerfetzt. Schrecklich kämpfte er ums Leben. Ich blutete über und über. Endlich konnten wir den durch die Anstrengungen und Wunden Erschöpften wieder angalgen, knüttelten ihn zu Tode, hieben den Kopf zu Brei. Schließlich banden wir ihn an einen Stein und versenkten ihn im Entenpfuhl.

Der erste Zweikampf, zugleich der furchtbarste, den ich je zu bestehen hatte! Ich erwähne ihn, so kindisch er war: nicht bloß, daß er mir frisch im Gedächtnis lebt, – er erweist sich auch bei einer Schau über mein Leben deutlich als Anfangsglied einer langen Kette. Er zeigt, wie lange ich Plage, Unbill ertragen konnte; wurde ich bis aufs Blut gereizt, so begnügte ich mich nicht mit Halbheiten, sondern schritt sofort zum Äußersten.

Ein schwerer Fehler, und schwer hab ich ihn bereut! Ich habe getötet, wo ich das strenge Recht für mich hatte, wo ich aber im Geiste der Barmherzigkeit nur hätte zurechtweisen sollen. So haben die Zuschauer das für Rache angesehen, was in meinen Augen nur angemeßne Vergeltung war.


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