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Am Busen der Natur. – Lebensbeichte.

Nach zwanzig Stunden gelangte ich in einen Weiler an der Grenze Dekhans. Hier lohnte ich das Gespann ab, gabelte ein paar Kulis auf, überschritt einige Reis- und Maisfelder, kreuzte eine Furt und erreichte de Ruyters Sommerhaus. Ich erkannte es nach dem Kompaß und den Landmarken. Es lag allerliebst auf einer Bodenwelle am Fuße eines Berges, in einem stillen Winkel, den ein Kokoshain barg, nach Nord, Ost, West Hügel einkesselten.

Hier war ein Wildgarten, bewachsen mit Guajava, Mango, Granatäpfelbäumen, umsäumt von einer hohen, undurchdringlichen Feigendistelhecke. Das Innere des Hauses war wie ein Zelt mit blau-weißen Streifen bemalt. Die Decke des Mittelzimmers stützten gerade Bambusstämme, woran Waffen, Flinten, Jagdspieße hingen. Zwei anstoßende Schlafstuben waren durch gespaltnen Bambus und Matten abgetrennt. Die Einrichtung bestand in einem Zelttisch, Betten und anderen Annehmlichkeiten, dazu einigen Büchern und Zeichengeräten. Rohe, aber kühne, geistvolle Entwürfe von Schiffen, Löwen- und Tigerjagden zierten die Wände. Ein kleiner, freier Platz vor der Tür mit früchteschweren Bananen- und Zitronenbäumen senkte sich zu einem großen Badeteiche, der von Rosen, Jasmin, Geranium eingefaßt war.

Ein alter Bauer, der Schaffner, sagte: »Ihr sehen, Herr, dies sein englisch Geschmack.« Auf der Ostseite des Bangalos, von einer prächtigen Sagopalme überwölbt, stand ein langer, niederer Schuppen, der als Küche diente. Unter dem nämlichen Dach hauste der Landmann mit Weib und Kind und Rind, das sich eben mit den Gören um ein paar Früchte kabbelte. Dieser Yak oder Grunzochse war merkwürdig klein und struppig. Der Mann erklärte, er sei gut, stark zum Reiten; ihr Malek (Herr) habe ihn aus der See geholt.

»Ein Seeungeheuer!« lachte ich. »Wohlan, dann wollen wir miteinander schwimmen!« und schickte mich an, ihn in den Weiher zu leiten.

»Nein, nein, er gehen gern berghinauf, gehen nicht gern hinab in Wasser!«

Ob er seinen Herrn kürzlich gesehen habe?

»Nein. Aber er haben zwei Tagen zuvor vielen Sachen für Huzur geschickt.« (Ein anderer Name für »Herr«.)

»Geschrieben hat er nicht?«

Da lüftete er einen Lappen von Turban und zog aus den Falten ein gekniffenes, durch eine Kokosschnur zusammengehaltnes Blatt in Staniol. Ich entfaltete es und fand einen Bericht von de Ruyter.

»Warum, Sackerlot, habt ihr mir das nicht eher gegeben?«

»Ihr nichts sagen mir.«

»Nein! Wie konnte ich denn wissen, daß ihr's hättet?«

»Ja, Herr alles wissen. Armer Gaowalamann gar nichts wissen.«

Nun ging mir ein Dreierlicht auf, warum mir nichts zu essen angeboten worden war. Dabei war ich mordshungrig, obwohl ich meine Kinnbacken mit allen möglichen Früchten in Bewegung gehalten hatte. Ich bestellte ein Gabelfrühstück und ging wieder ins Haus, um den Brief zu lesen. Danach war die Fregatte abgesegelt, nachdem man in meinen Stammquartieren flüchtig nach mir gefahndet hatte. Das beruhigte mich sehr, und mein Herz pochte vor Lust. De Ruyter schrieb, er sei durch Walther aufgehalten worden, den man festgesetzt habe, solange der Fall mit dem schottischen Leutnant untersucht würde; entgegen allen Lügen, um ihn hineinzuziehen, entlastete ihn die Zeugenaussage de Witts. Das Schiff verschob seine Abfahrt einen Tag, um die Angelegenheit zu klären und den Schotten an Bord zu schaffen. Dem ging's hundeelend: er spie Blut, hatte zwei eingeschlagne Rippen; hinzu kam die Verrenkung des Kiefers, der Verlust der Zähne. Ich betrachtete meine Schuld reichlich abgegolten und glaubte den Wicht für immer aus meinem Gedächtnis gewischt.

Walter wollte ihm Genugtuung geben; aber der Leutnant hatte die Nase voll von der ersten Tracht. Später erfuhr ich, daß er in Bombay sich nie mehr an Land wagte, da angeblich Wechselfieber, Stechmücken, Skorpione die Stadt ärger machten als die Hölle; was er aber mehr fürchtete als die Brillenschlange, war – Walthers Anblick. –

Ich schickte einen Kuli nach einer Wasserpfeife, planschte im Teiche, streckte mich dann mit einem Buch unter die Bäume und spachtelte meinen Nachtisch nach einem reichlichen indischen Zwischenmahl. Eine niegekannte Leichtigkeit, Schwungkraft, Überfreude durchrieselte mich. Mein erster ganz glücklicher Tag! Ich vergällte mir auch nicht die gegenwärtige Stunde durch Gedanken an die kommende, wie wir das in reifern Jahren tun. Als einzig sorgenloses Leben erschien mir das eines Bauern, seine beschränkten Bedürfnisse als der Quell seines Friedens. Sofort versuchte ich's, warf meine abgewetzte, dreckige Kluft ab, schlang mir ein Stück gestreiften Kattuns um die Hüfte und beturbante mich. So begab ich mich barfuß, tüchtig mit Kokosöl gesalbt, mit einem Kokosmesser in das Wäldchen, erklomm mit der Bauernfamilie die Bäume, lernte sie anbohren und Safttöpfe aufhängen. Das kürzte mir mit Gärtnerei die Zeit so angenehm, daß mir schon am dritten Tage die Kunde von de Ruyters Unterwegssein meine Ruhe und Einsamkeit störte.

Gleichwohl bestieg ich den Yak, einen Bambusstock in der einen, das Messer in der andern Hand, und trabte ihm, zwei Kulis voraus, entgegen. Plötzlich hielt er, als er um eine Paternosterbaumgruppe bog, vor mir und erzählte Walther von einer Löwenjagd. Meine Verpuppung war so vollkommen, daß er weiterritt, ohne mich zu erkennen. Da haftete sein schnelles Auge auf seinem Yak. Ich rief ihn an: »Heda, de Ruyter, wie geht's?« Erstaunt zogen sie die Zügel an, musterten mich eine Sekunde und schlugen eine solche wilde Lache auf, als seien sie übergeschnappt. De Ruyter wiegte sein Pferd hin und her und hielt sich die Seiten: »Himmel, Sie bringen mich noch um. Sie Tollkopf!«

Ernsthaft versetzte ich: »Was gibt's da zu lachen? Ich bin ländlich aufgetakelt. Das schickt sich für das Klima am besten. Nicht? Wünschen Sie frischen Palmtrank, – diese Leute führen in meinen Pötten den besten, den ich selbst gezapft habe.«

Wir setzten uns auf die Bank, plauschten, und als sie ihrer Ausgelassenheit müde waren, trottete ich ihnen auf meinem Yak nach dem Bungalo voran.

Zwei ungetrübte Sonnentage waren unser. Wir erklommen die Hügel, jagten Schakale, unbekümmert um Hitze und Anstrengung, sangen, tanzten, nicht im Dusel wie während der Knechtung, sondern trunken vor Wonne.

De Ruyter zog wie ich eine einfache Lebensweise jeder andern vor. Ausschweifungen leistete er sich nie. Machte ich mich welcher schuldig, so entsprangen sie meinen leichtentzündlichen Anlagen, die pulvergleich durch jeden Zufallsfunken Feuer fingen, selbst wenn ihn ein Eselshuf schlug. In allem, was ich unternahm, war's auch noch so albern, mußte ich Herodes überherodessen, ertrug ich keinen Nebenbuhler. Brennt mir nicht heut die Stirn vor Scham, wieviel Torheiten (milde ausgedrückt) ich damals und später in mein Kerbholz schnitt? Strenge, dauernder Zwang hatten so viel von dem unleidlichen Geist des Widerspruchs und Eigensinns in mir angehäuft, daß er sich in alle meine Handlungen mischte. Urteil, beßre Gefühle rangen vergebens, den Strom zu dämmen, der mich fortriß. Falsche Auffassungen haben die schönsten, lichtesten Auftritte meines Lebens verzerrt, das wahrhaft Gute und Schöne geschwärzt, mich verleitet, die Rollen zu spielen, die ich selbst am meisten verachtete: den Trunkenbold, den Schlemmer, den Prahler, den Raufbold. Meine schiefe Ansicht der Dinge muß die Folge der Erziehung und des bösen Beispiels gewesen sein. Ursprünglich war ich die Kehrseite alles dessen, und wenn ich nach plötzlichen Eingebungen handelte, habe ich selten gefehlt.


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