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Rettung des arabischen Mädchens. – Flucht auf die Schiffe.

»Wir haben keinen Augenblick zu verlieren«, unterbrach uns de Ruyter, »wir müssen zurück. Die Wilden draußen werden sich bestimmt vereinigen, uns mit den Eingebornen angreifen. Trommeln Sie die Nachzügler zusammen! Die Gefangenen sind schon eingeschifft.«

»Kommen Sie, Aston«, bat ich, »helfen Sie mir das arme verwaiste Geschöpf an Bord schaffen!«

Wir gingen nach dem Zelt. Dort fanden wir sie in lautem Wehklagen, woraus sich einzelne Rufe lösten: »Vater, steh auf, – wir sind frei! Die Fremden sind gut. Schau nur, sie kommen uns befreien. Das alte Weib hat mich nicht ermordet. Ich bin wohlauf, – sie ist tot. Oh, Vater, steh auf! Sieh, ich hab dich verbunden, – du blutest nicht mehr!« Und wirklich hatte sie hierfür den letzten Fetzen an ihrem Leibe geopfert.

Ich nahm sie an der Hand: »Komm, Schwester! Du bist frei, wir müssen diese wilden Maratten verlassen.«

Ohne sich umzusehen, fuhr sie fort: »Sieh, – Vater schläft! Sie wollten ihn nicht schlafen und essen lassen, – und er ist doch so müde und hungrig.«

»Komm, Liebe, wir müssen fort!«

»Fort? Wie können wir? Vater schläft, – ich kann ihn nicht wecken. Oh, weck du ihn, damit ich ihn speisen kann! Sieh, ich hab schönes Obst, – seine Lippen sind trocken. Ach, diese grausamen Maratten werden wiederkehren, wenn du fort bist, und ihn morden. Wach auf, Vater! – Seine Augen sind offen. Aber er kann sich nicht rühren. Er ist alt und schwach vor Hunger.« Hierauf küßte sie ihn, streichelte ihm das Haupt und träufelte ihm den Saft eines Granatapfels ein.

»Wir müssen weg«, mahnte Aston, »man ruft nach Ihnen! Ich kann den Anblick nicht aushalten. Ich will sie aufs Boot tragen.«

Ich entfaltete sanft ihre Hände, bedeckte sie mit meinem Wolltuch und versprach, für den Vater zu sorgen. Aston hob sie auf und ging. Sie schluchzte zum Herzbrechen. Sie beschwor den Namen ihres Vaters, sie zu retten. Aston bebte, aber nicht von der leichten Bürde. Mir ging's wenig besser. Ich schickte einige Araber mit und ging zu de Ruyter zurück, der die Leute mühsam forttrieb.

Als Aston an Louis vorbeikam, rief der mir in seinem Kauderwelsch zu: »Was tragt er da? Was – 'n Mädchen? Wozu is die gut? Hö, er hätt' diese große Schildkröte tragen können, die wer sonsten im Stich lassen müssen. Denn keiner kann se aufheben; etwan Sie? Und se könnt diese kleine tragen. Se wird sehr gute Suppe geben, se is sehr niedlich, – viel mehr als so 'n kleines Mädchen.«

Ich befahl ihm, augenblicklich mitzukommen, oder die Maratten würden ihn zu Suppe kochen. »Wie«, sprudelte er, »de Schildkröte hier lassen, die ebenso viel wert is wie allens, was wer erschnappt haben!« Verzweifelt rang er die Hände.

Bewaffnete zeigten sich jetzt auf den Hügeln, und de Ruyter wurde wütend über unsre Saumseligkeit. Einige sternhagelvolle Franzosen waren nicht aus den Zelten herauszubringen. Das Geschrei auf den Hügeln nahm zu. De Ruyter entfernte sich durchs Tor. Ich verweilte mit den Arabern etwas länger, um die Versprengten aufzulesen, und folgte. Die Stadt hatten wir an mehreren Stellen angesteckt, ebenso zwei arabische Fahrzeuge, die neben sieben, acht Kähnen auf dem Sand lagen.

Die Eingebornen jagten der Stadt zu, und bald liefen jenseits gerüstete Scharen am Fluß entlang, den wir überqueren mußten. Im raschen Dahin machten wir die Waffen fertig. Bald hörten wir schießen und sahen de Ruyter übersetzen. Er ließ drüben eine Abteilung zurück, um das Ufer zu sichern, und ging zu den Booten, die überrumpelt werden konnten. Ich wurde durch die besoffnen Franzosen aufgehalten, und eh ich anlangte, war die Zahl der Feinde besorgniserregend gewachsen. Keck griffen sie die Abteilung auf dem Gegenufer an. Dann durchwateten sie unten den Fluß, hängten sich an unsern Nachtrab und ließen uns keine Ruhe. Wir behaupteten standhaft unsre Stellung, bis der Haupttrupp drüben war. Eben als ich mit den Arabern folgte, hörte ich Schüsse hinter uns, und nun tauchte hinter einer Sandbank eine Masse Mensch auf, ein Trampel in sonngleißender Schuppenrüstung: der Vorratsmeister mit der Schildkröte auf den Schultern, dazu ein holländischer Seesoldat. Ich spornte sie zur Eile, – jeder Augenblick mehrte die Gefahr. Wie sie auf uns zuschwankten, konnt ich mir kaum das Lachen verkneifen. Louis sah einem Nilpferd ähnlich, als er unter dem Seeungeheuer wie ein Betrunkner einhertaumelte. Der Holländer war unförmig aufgewulstet: sein rotes Wollwams, das er an den Handgelenken, die Pluderhosen, die er an den Knien zusammengebunden hatte, waren mit Gold und Juwelen genudelt, die er beim Niederreißen eines Hauses erschnüffelt hatte. Er glich einem Wollsack und strampelte wie 'n kleiner holländischer Einmaster in der Gegensee. Ich riet ihnen, den Balg abzuwerfen, wenn ihnen das Leben lieb sei, und fing an, den Fluß auf einer Sandbarre zu durchwaten, – dem einzigen Übergang.

Die Wilden drückten immer stärker auf unsre Nachhut. Da wir die Waffen im Fluß schwer gebrauchen konnten, wurden die Feinde dreist. Ohne die Wache drüben wären wir kaum durchgekommen: die hielt das Vorgehen der Wilden erheblich auf, die Bahn vor uns klar. Da hörte ich ein Gezappel in der Flut und ein gellendes Siegesgeschrei. Ich sah mich um: der Holländer hatte sich verspurlost. Durch den Schatz überlastet, hatte er den Halt in der Furt verloren und versank im Strom, niedergezogen durch die Auswüchse, die er unmöglich abschütteln konnte. Ich bekam ihn, durch Louis abgelenkt, nur flüchtig zu sehen. Der war auch hingefallen, entweder aus Furcht oder weil sein Landsmann ihn mitgezerrt hatte. Ich rannte zurück und streckte ihm einen Speerschaft hin. Er packte ihn, während das Ungetüm, das er hergewuchtet hatte, ins Wasser platschte und höhnisch mit den Füßen wedelte, als es wieder zuhaus war.

Als der gute Dicke sich auf die Bank gerettet hatte, rief er mit kläglichem Gesicht: »Aber wo is meine Schildkröte? Oh, kümmern Se sich nich um mich, Kaptän, retten Se de Schildkröte!«

»Zum Teufel mit dem Biest! Hättest du sie doch im Hals stecken!«

»Ja, ja, Kaptän, das is allens, was ich wünsch! Oh, wo is meine Schildkröte?« Indem tauchte sie auf, um ihren Gegner zu verspotten, und wie die glänzende Kruste in der Sonne funkelte, schien Louis ihr nachstürzen zu wollen: »Da, da! Oh, retten Se!«

»Wo?« (Ich dachte an den Soldaten.)

»Ei, – dort!« (Er zeigte auf die Schildkröte.) »Oh, Kaptän, ich sagte Ihn, wie munter se war. Ich hab ihr vor zwei Stunden de Kehle abgeschnitten; aber vor Sonnuntergang wird se nicht sterben, – das tun se nie. Und dann wird se verloren sein, – etwan nich?«

Zwei Mann mußten ihn fortschleifen. So unwillig gab er seinen Schatz preis, daß er, den Blick angespannt stromab gerichtet, seitwärts wie 'ne Krabbe herantapste.

Ein-, zweimal hatte ich unsre Verfolger abzuschlagen, eh wir am Gegenufer anlangten. Nun eilten wir den Booten zu. Vier von uns waren bei dem Rückzug leicht verwundet worden; außerdem hatten wir den Holländer und die tiefbeklagte Schildkröte eingebüßt. Wo Felsen oder Büsche Deckung gaben, stießen die Feinde in Rücken und Flanke vor. Ich zog mich deswegen dicht ans Meer zurück und folgte dem Gestade. Dort gab es einen höchst bedenklichen Durchgang: rauhe Felsen, die eine halbe Seemeile von unsern Booten in die See vorzackten. Die Eingebornen waren hier zusammengeklumpt, – schon rollte ein heftiges Feuer bei ihnen. Wie konnte uns de Ruyter so im Wurstkessel lassen! Was tun? Da erspähte ich an der Klippennase seine schwalbenschwänzige Flagge. Jetzt prellten wir vor und wurden von den Schiffsgenossen begrüßt. Sie bahnten uns den Weg. Aber um jeden Zollbreit mußten wir erbittert ringen, und drei Leute gingen uns tot. Die Wilden lagen mit ihren Luntengewehren im Schutz der Felsen; wir konnten ihnen keinen Schuß beibringen. Die Kähne kamen heran, die Franzosen wurden am Strand aufgestellt. Da er hier offen war, wagten sich die Feinde nicht vor, unterhielten aber ein zerstreutes Feuer. Unter ihrem Höllengeschrei booteten wir uns ein. In dem Augenblick stießen sie zahllos wie ein Krähenschwarm auf uns nieder. Tobend, heulend folgten sie ins Wasser, Pfeile, Steine, Kugeln hagelten um uns her.


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