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XXXI.
Zum Heiligen Grab.

So einer Herzog Christophs Leben betrachtet, entnimmt er allerorten dessen Verlangen anderen Menschen ihr Glück zu bereiten.

Ihm selbst aber erblühte wenig irdisches Glück. Und keines – in der Liebe.

Die Margaret von Sigenheim errettete er für den Parzival von Puchberg. Seine stille Liebe zur Kunigunde brachte er Gott zum Sühnopfer. Die Gertraud war auch eines anderen. Und ob auch nicht – sie war bürgerlichen Standes. Das trug er aber alles mit mutigem Herzen, entsagte fortan stets mehr allem Irdischen, und so er an seine heißgeliebte Mutter Anna dachte, bangte ihm nie. Denn so die auch vom Jenseits darniedersah und in die tiefste Tiefe seines Gemütes, für eines seligen Geistes klar schauendes Auge war nichts zu finden, was es nicht hätte seh'n und erkennen dürfen.

Das einzige wär' etwan derselbige Traum vom Rosengarten gewesen. Aber für Träume kann der Mensch nichts, wenn er tagsüber an nichts Sündliches denkt.

Mittlerweil' nun Herzog Christoph zwar alles Sinnliche für überwunden hielt und in der Menschen Lob und Preis dahinlebte, dünkte er sich doch nimmer so ruhmeswert. Denn er sann allgemach und stets mehr nach, ob er die Kraft, so Gott ihm verliehen, auch wohl angewendet habe. Und was er immer Gutes getan oder gewollt oder Böses verhindert – es erschien ihm doch alles wie nichts.

So tauchte allmählich ein anderes und Erhabeneres vor seiner Seele auf. Das war heißes Verlangen, zur Befreiung des Grabes unseres Heilandes beizutragen. Dabei erging's ihm aber, wie voreinst dem frommen Meister Jörg von Halsbach mit seinem Verlangen.

Der sagte einmal zu seiner Frau, ob's nicht etwa doch ein Übermut sei, daß eben er zu dem großen Werk erkoren sein wolle, einen mächtigen Dom zu bauen. Dieselbe Frage tat Christoph an sich wegen der Befreiung des Heiligen Grabes und wünschte, Gott möge ihm ein Zeichen geben, wär' es auch das geringste. Ein solches bekam er im Wachen, wie Meister Jörg dazumal im Traum. Aber dem wurde sein Zeichen wahr und erfüllte sich bis zum letzten Ziel und Ende des Werkes – dem Herzog Christoph nicht. Das lag in Gottes unerforschlichem Ratschluß.

Herzog Christoph hatte aber noch ein weiteres Bedenken. Das ging dahin: Ob er seine Stimme alsofort zum Aufruf an die Trefflichsten seiner Zeit erheben oder vorerst eine Pilgerfahrt gen Palästina tun sollte, um nach Erfüllung seiner Andacht der Ungläubigen Kraft und Schwäche zu erforschen.

Mitweil er in solchen Zweifeln befangen war, kam er eines Tages von Schongau daher nach München, da wollte er sich mit Herzog Albertus über etwas besprechen und glaubte ihn allernächst in der Hofburg zu treffen.

Albertus war aber nicht daheim, sondern zu seiner Kurzweil in die Hirschau geritten. Die Kunigunde hingegen war da, hatte den Christoph vom Erkerfenster aus erblickt, beide hatten sich gegrüßt, und so blieb ihm eben nichts übrig als zu ihr hinaufzugehen und den Albertus zu erwarten – obschon er es gern vermieden hätte.

Als Herzog Christoph eintrat, begrüßte er die Kunigunde ganz artsam und sie ihn auch mit mild freundlichen Worten, der Herzogin Töchterlein aber, die kleine Sidonia und Sibylla, eilten voll Freuden auf ihn zu, weil sie ihn nur wieder einmal sähen. Er hob sie auch sogleich zu sich empor, küßte die zwei Engel herzinnig, sprach gar mancherlei mit ihnen und ließ sich das und jenes von ihrem neuen Spielzeuge weisen. Zuletzt nahm ihn die Sibylla an der Hand und zog ihn mit holdester Anstrengung in die eine Ecke der Stube, denn dort befand sich ihr Kostbarstes. Das stellte das Heilige Grab vor. Darin lag des Herrn und Heilandes Bildnis, gar schön aus Wachs geformt. Vor dem Grabe befanden sich rote, feuriggelbe, blau und grüne Kugeln von Glas, die waren mit Wasser gefüllt, und hinter jedweder stand ein Ämpelein von Töpferarbeit und mit rotem Wachse gefüllt. So dann die Dochte alle angezündet wurden, spielten die gläsernen Kugeln in ihren ausnehmend herrlichen Farben unter dem vielen Busch- und Blumenwerke hervor, davon reiche Zier zu sehen war. Was nun die Leute bei selbem Heiligen Grab anbelangt, war das so. Auf der rechten Seite knieten, gar zierlich aus Holz geschnitzt, fromme Ritter, Frauen, Mönche und andere, auch zwei Könige und mehrere andere Fürsten. Die hatten ihre Kronen neben sich liegen, hoben die Hände zum Gebet empor oder lagen auf dem Angesicht. Kurz, da war all und jedes höchst andächtig und auferbaulich. Destoweniger auf der linken Seite. Denn auf selbiger zeigten sich schier über ein Dutzend Türken in kunterbunten Talaren und Kaftanen, vielfarbige Turbane um die Köpfe gewickelt, und mächtig große, silberne und güldene Halbmonde, Pfaubüsche und Roßschweife drauf gesteckt. Selbige Türken zeigten nicht die geringste Achtung vor dem Grabe, machten sämtlich trotzige Gesichter und ballten, vom Höchsten bis zum Geringsten, die Hände gewaltig auf die Christen hinüber oder schwangen das krumme Schwert. Es lagen auch mehrere Christenköpfe neben ihnen, und ein ganzer Haufen Gold, das sie den Besuchern des Grabes abgenommen hatten. War demnach der Unterschied zwischen beiden Teilen an sich sehr klar und deutlich. Dafür stand aber hinter den Christen ein segenspendender, heiliger Engel mit großen Flügeln von Rauschgold – hinter den Türken dagegen der Teufel. Der war kohlschwarz, stand in lauter Feuerflammen von blutrotem Glas und streckte seine Krallen voll Begierde nach seinen Leuten aus.

Nachdem Herzog Christoph das alles beschaut und belobt hatte, sagte er: »Es gefalle ihm das Wenige nicht, und wenn es ihm die Sibylla schenken wolle, so nähm' er es schon an und ritte damit fort gen Schongau.«

Wie das Sibylla hörte, hob sie rasch beide Händlein über ihr Heiliges Grab, sichtlich bereit zu mutiger Verteidigung, und eiferte in holdest kindlichem Trotz: »Das Grab dürfe kein Mensch haben als sie!« Weil sie aber gar so gut und mitleidig war und glaubte, Herzog Christoph sei etwan traurig, dachte sie sogleich daran, ihm einen Ersatz zu geben und schenkte ihm einen einzelnen Ritter. Der war bis an die Zähne gerüstet, hatte einen weißen Mantel an, ein großes, rotes Kreuz darauf, stand verwegen da und zog eben sein großes Schwert, als wolle er auf einen Feind einhauen.

Gottes Stimme und Wink erhellt oft aus unschuldvoller Kinder Wort und Gabe. So war in der Sibylla Trotz und Geschenk ein schöner Sinn verborgen und erschlossen.

Während dies vorging, lehnte Kunigunde im Erker und sah mit wehmütigem Entzücken auf Herzog Christophs und ihrer Kinderlein Verkehr. Übereins wandten sich Sidonia und Sibylla von Herzog Christoph ab und gerieten spielend in das nächste Gemach, so daß jener mit der Kunigunde allein blieb.

Da sprachen die beiden erst von der Kinder frischem Aufblühen, dann wieder von etwas anderem.

Aber was immer zur Sprache kam, die Worte wollten sich keinesteils leicht gestalten, sah jedes am anderen, daß es beklommen sei, ohne zu wissen, warum – zuletzt schwieg die Kunigunde gänzlich und Herzog Christoph schier desgleichen.

Der ging ab und zu und sah dann und wann zum Fenster hinab, ob Albertus nicht komme. Es war aber immer nicht sein Bruder, sondern irgend ein anderer, ein reitender Bote oder ein Reisiger, der durchs Burgtor trabte – und höchstens über den ein wenig sagend Wort – mehr aber nicht kam über Christophs Lippen – so gerne er mit Kunigunden gesprochen hätte.

Doch er besiegte sein Verlangen.

Nicht solang vermochte Kunigunde ihre Gefühle zu meistern.

Mit einemmal faßte sie Mut und sagte: »Herzog Christoph, mich drängt es längst, Euch etwas mitzuteilen. Doch beantwortet mir erst eine Frage. Ihr kommt so selten gen München, meidet Euren Bruder und mich – wem gilt es? Habt Ihr etwas gegen mich?«

»Nein, Frau Herzogin!« entgegnete Christoph, stehenbleibend.

»So seid Ihr mit Albertus im Verborgenen uneins? Ihr sollt und müßt mir gestehen, daß Ihr ihm noch zürnt, und Ihr müßt mir versprechen, des Grolles letzten Funken zu verlöschen. Bekennt mir alles, denn ich bin Euch so gut, daß Ihr sprechen dürft – gleichwie zu einer Schwester.«

Herzog Christoph hatte unwillkürlich seinen Blick auf Kunigunde gerichtet, während sie sprach. Erst bei den letzten Worten bemerkte er, daß sein Auge länger als billig auf der Gemahlin seines Bruders ruhe, die er in so heiligem Pflichtgefühle geflohen hatte. Lenkte demnach sein Auge ab, tat etliche Schritte, und warf in möglichster Heiterkeit hin: »Frau Herzogin, Ihr glaubt etwa, ich grollte meinem Bruder gar aufs neue und es reute mich, daß ich all der Landesherrschaft gänzlich entsagte? Dem ist nicht so. Meine paar Städtlein und Schlösser sind mir genug, wollen aber auch regiert sein. Da kann ich nicht so fast oft gen München kommen.«

»Ihr leugnet vergebens,« erwiderte jene, »Ihr seid unzufrieden. Aber es soll Euch Gerechtigkeit werden, sobald ich Eure billigen Wünsche kenne. Was all Euer Trotz und Kampf dem Bruder nicht abgewann, vermag vielleicht ich zu fah'n!«

»Ihr seid zu gut und gnädig« – sagte Christoph, »viel Dank für Euren trefflichen Willen. Mehr Dank, so Ihr keinen Schritt in der Sache tut. Denn was Ihr meint, ist mein Verlangen nicht, und wär' es so, würdet Ihr mich sicher nicht beschämen wollen.«

Verlegen wandte sich Kunigunde ab, aber sie vermochte nicht von der Sache abzubrechen: »Ihr sagt, Ihr trügt kein Verlangen nach größerer Macht. Dennoch seid Ihr unmutig, daß Ihr der Herrschaft immer entsagtet – oder es drückt Euch sonst ein Geheimnis. Was ist Euch? Ich bitt' Euch, verlang' es zu wissen – und ich habe sogar ein gewisses Recht an Euch. Vergaßt Ihr denn die frohen Stunden zu Wien? Seht doch, ich gab Euch mit soviel freudigen Worten mein liebstes Armband – ach, Ihr wißt nicht, was sich Wichtiges daran knüpft – ich fragte, sagte und vertraute Euch tags darauf soviel in der Jugend Unbefangenheit an – und Ihr wollt mir nun nicht ein Wort des Vertrauens entgegengeben – – Ihr habt doch das Armband noch?«

»Wohl hab' ich's bewahrt« – entgegnete Christoph – »laßt uns nicht weiter von dem allen sprechen!«

»Doch, doch«, drängte Kunigunde. Sie erhob sich in sichtlich großem Kampfe, trat einen Schritt auf Christoph zu und fuhr fort: »Herzog Christoph, Gott fügte es, daß wir allein sind. Was ich Euch nun sage und gestehe, und was Ihr mir wieder gestehen werdet, soll uns vor Gottes Auge nicht beflecken, sondern reinigen und das Herz erleichtern. Also will ich Euch zuerst ein Geständnis ablegen. Das ist groß und bedeutsam, und sein Inhalt gleicht einem schweren Vergehen gegen meinen treuen Gemahl Albertus – und dennoch bedünkt's mich wieder, es sei keines. Denn mein Wille ist nicht und nie dabei gewesen, wieweit ich mich auch in Gedanken von meiner Pflicht verlor. Das ist aber nicht genug – ich muß mich selbst wieder finden und Ihr sollt es vernehmen, müßt es vernehmen – dann werdet Ihr mir auch Euer Geständnis nicht länger vorenthalten und freudig will ich Euer Herz zu erleichtern suchen, wie Ihr mir Kraft verleiht, so Ihr mich anhört.«

Seine hohe Bestürzung kaum unterdrückend, erhob Herzog Christoph abmahnend seine Rechte und sagte:

»Und warum soll ich das erfahren und hören, Frau Herzogin? Warum nicht Euer Herr und Gemahl, er, mein fürstlicher Bruder Albertus, der Euch so treu liebt und alles Recht auf Euer Vertrauen besitzt? Ich kannte ein himmlisch frommes Frauenbild. Die Edle ist nicht mehr. Sie wähnte gleichfalls eine Schuld auf dem Herzen zu tragen, wie Ihr – und sicher glaub' ich, daß auch Ihr nur wähnt – aber keinem, denn ihrem Gatten, eröffnete sie ihrer Seele tiefe Kümmernis!«

»Sie war ihm wohl von Anfang bis zu ihrem Tod ergeben –?«

Leise flüsterte es Kunigunde.

»Gewiß und wahr,« sagte Christoph – »und so wird es bei Euch sein!«

Eine Weile schwieg Kunigunde und schüttelte sanft, wie zweifelnd, ihr schönes Haupt, dann sprach sie mit wild wehmütigem Ernste:

»Nein, Herzog Christoph, es ist nicht so! Ich werde meinem Gemahl Albertus stets mehr ergeben sein. Oft bedünkt mich's, als liebe ich ihn – säh' ich ihn allein, ich wüßte es für gewiß – und so wär' es bis zum Tod. Doch so oft ich jenen anderen erblicke, nimmt meiner Neigung Wachstum wieder ab –«

»Ich will ihn nicht wissen und kennen« – unterbrach Herzog Christoph – »und ich beschwöre Euch, sprecht nicht fürder!«

»Ihr müßt es wissen,« fiel hinwieder Kunigunde ein – »Ihr selbst seid jener andere!«

»Frau Herzogin!« Ein vorwurfsvoller, schier vernichtender Blick traf die Kunigunde. – »Wißt Ihr auch, was Ihr sagt?«

»Ich weiß es,« engegnete sie, »und dieser Blick des Unmutes ist es, nach dem ich mich gesehnt, der mir meine Ruhe wieder geben soll. Dem Himmel Dank, daß das Geheimnis von meinem Munde ist – schon jetzt ist leichter mein Herz, und mit jedem Worte, das ich Euch mehr sage, wird mir mehr Trost und Zuversicht. So hört denn! – Vom ersten Blick an gehörte Euch mein Herz in reinster Jugendliebe, und Euer Bild schwebte fortan vor meiner Seele. Ich war glücklich, lange Zeit! Denn unbekannt mit allem in der Welt, träumte ich von der Möglichkeit, Euch zu gehören, träumte, daß Ihr eines Tages sicher kämet, um meine Hand zu werben. Ihr kamt nicht. Die Zeit entschwand, und mit ihr verblaßte mein Traum. Ich sah klarer, die Hindernisse erkannte ich allmählich, ja, die Unmöglichkeit, daß Ihr, an Gütern dieser Welt so wenig gesegnet, um des mächtigen Kaisers Tochter freitet. Denn wohl sah der Kaiser in Euch den trefflichsten Fürsten, den Helden, die wahre Zier der Ritterschaft in Euch – aber Ihr besaßet ja kein Land zur Herrschaft. O glaubt, da empfand ich erst ganz für Euch, und verstand, weshalb Ihr in Unmut von Eurem Recht nicht ablassen wolltet –«

Sie schwieg und einen prüfungsvollen Blick versenkte sie in Herzog Christophs Auge.

»Wer weiß,« fuhr sie weiter, »ist nun Eures Grames oder Unmutes Quelle im gleichen zu finden. Vielleicht schaut Ihr nun auf eine andere, eines Königs schönheitprangende Tochter, oder sonst eines mächtigen, reichen Fürsten Kind – und der Held Christoph soll wieder nicht freien, weil er nichts besitzt, denn ein paar Städtlein und Schlösser. Ja, das kann es sein, und ist es – Ihr habt der Herrschaft entsagt, bleibt Eurem Worte treu, verlangt nichts und sagt und kennt keinen Grund Eurer Verstimmung – aber es drückt Euch und quält Euch im Herzen. Darum flieht Ihr mich, deren Anblick Euch nun an Euer Schicksal mahnt – darum flieht Ihr Euren Bruder, der alles statt Eurer besitzt.«

Wieder schwieg sie prüfenden Blickes.

Herzog Christoph erwiderte nichts und zog vor, sie in dem Wahne zu lassen, als ihn zu zerstreuen. So verschränkte er langsam die Arme und erwartete, strenger Gebärde, Kunigundens weitere Worte:

»Was sollte ich tun? Nichts blieb mir, als meine Hand jedem zu versagen, der um sie würbe. Ich befolgte den Entschluß. Dabei dachte niemand an meinen Widerspruch, nur an des Kaisers, meines Vaters, vermeintliche Weigerung, und was wunderliche Gerüchte sich in die Welt verbreiteten, wißt Ihr selbst. Mittlerweil' alles drob staunte, ward der Kaiser über mich und meine Abneigung gegen jeden Bewerber mehr und mehr erbost. Da zog er in den Krieg. Bestimmt, streng waren seine Worte, da er von mir schied, so daß mich bedünkte, er habe irgendeine unabänderliche Wahl getroffen und wolle mir den Erkorenen nur noch verhehlen, bis er heimkehre. Da war's, wo ich Euch erst ganz entsagte. Ich kam nach Innsbruck zu Siegmund von Tirol und dort fand sich Herzog Albertus ein. Er liebte mich, und er und Siegmund wagten die arge Täuschung mit des Kaisers Willen und Befehl, indes er nimmer an Albertus gedacht hatte. Ich aber glaubte, Albertus sei der Fürst, dessen mir der Vater Erwähnung getan, und wie ich alles verglich, was er gesprochen, so traf es wohl zusammen. Mit brechendem Herzen gab ich meine Einwilligung – wähnte ich ja doch meiner stillen Leiden endloses Ziel zu erblicken. Denn vermocht' ich auch noch nicht Euren Bruder zu lieben, in vielem mußte ich ihn achten. Was Euch betrifft, Herzog Christoph, war meine Absicht die beste und, wie Ihr's nehmt, erfüllte mich schier ein freudiges Hoffen. Vor allem dacht' ich, die Pflicht gäbe mir die Kraft, die Liebe zu Euch zu vergessen, wie nah oder fern Ihr mir wär't. Dann schwebte mir noch ein anderes vor, und ich sah eine Fügung Gottes in allem. Ich hoffte Euch zum Recht zu verhelfen, das Euch der strenge Bruder, mein künftiger Gemahl, solange verweigert hatte. Ich hoffte selbdritte in traulichem Gespräche Frieden und Liebe zu Euch für immer wieder zu begründen und Euch mächtig und reich zu machen – die ich Euch nicht besitzen und meiner Liebe ganzen Reichtum nicht weihen dürfe. Ihr kamt nicht – und auch der schöne, schöne Traum zerfloß – –. Ich wurde Eurem Bruder angetraut, und schon ganz ergeben in mein Geschick, betete ich dort und betete hier zu München rastlos um Kraft und Ausdauer und um wachsende Liebe zu meinem Gemahl. Mein Gebet schien erhört zu werden. Denn von Tag zu Tag wurde mir Albertus teurer. Sprach er ja doch soviel und so viel Gutes von Euch, daß ich das beste aufs neue hoffte. Da wurdet Ihr wieder sein Gegner, bis die andere Zeit herankam, da entsagtet Ihr selbst allem – und was ich mir vorgesetzt, kam nicht in Vollführung. Drob erfüllte mich eine Art tiefen Grolles gegen meinen Gemahl Albertus, der schon früher all das schnell Lügen gestraft, was doch für sicher vorausgesehen. – Der deutsche König, mein Bruder Maximilian, geriet in Flandern in Gefangenschaft. Ihr zogt aus mit Herzog Wolfgang und befreitet ihn. An seiner Seite kehrtet Ihr zurück und kamt nach München. Nur wenige Male sah ich Euch – doch zu oft für meine Ruhe! Ihr verließt uns wieder und ich hoffte Euch aufs neue zu vergessen. Doch so ging es nicht. O nein, der Funke, so in meinem Herzen unversehens und ungeahnt entglommen war – er war ein Funke der Liebe aus früherer Zeit und all mein fester Wille vermocht ihn nicht so leicht zu verlöschen. Ich drückte mein Kind an die treue und doch wieder treulose Mutterbrust – ich betete – in eifrigem, schier gewaltsam liebevollem Gespräch verkehrte ich mit Albertus, so daß er freudig auf mich und mein Verlangen sah, ihm zu gefallen – und nimmer ahnte er, daß alles nichts sei, denn das heilige Verlangen, mich selbst zu fliehen und mit Absicht in halbem Truge dem treuen Gatten in Übermaß zu vergüten, was ich sonder Absicht, doch in Wirklichkeit zu wenig war – – sein liebend, herzergebenes Weib!«

Sie bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen, und lange vermochte sie nicht weiter zu sprechen.

»Solang' ich dann bei Albertus war und Euch wieder nicht sah – keimte neue Hoffnung auf Rettung in meiner Seele auf. Doch sobald Ihr je wieder kamt, hatte ich mich wieder verloren. Zwar mied ich Euch da, soviel ich vermochte – und oft war mir, als hieltet Ihr Euch von mir so ferne, weil Ihr ahntet, was in mir vorgehe. Doch ich verwarf das wieder und Ihr konntet es auch wohl nicht ahnen – denn ich wüßte nicht, daß ich mit einem Blicke verraten hätte, was Gott – und der Feind der Menschen allein wissen konnten. Der Funke glomm und glomm fürder, und eh ich mich's versah, loderte er auf zur wehenden Flamme. Kein Flehen, kein Entschluß bot mehr Hilfe, vergebens durchweinte ich Nächte der Verzweiflung an meines treuen Gemahles Seite, bald vermochte ich kaum mehr zu beten – und zuletzt glaubte ich mich von Gott verlassen.«

»O du armes, viel geprüftes Herz!« sagte Herzog Christoph.

»Wohl viel geprüft –« erwiderte Kunigunde, »doch schickt uns Gott harte Prüfungen zu – wer seinem Winke lauscht, der wird dennoch den Pfad zur Rettung finden. Und der Pfad zu meiner Rettung war der, den ich nun betreten. Als meine Verzweiflung auf das höchste gestiegen, durchzuckte meine Seele ein Gedanke – kühn, schreckenvoll – aber hilfreich. Euch selbst wollte ich sagen, was ich für Euch empfände und was ich verdammte, ohne mich davon befreien zu können. Gleich der Stimme eines Engels lispelte es mir zu, das allein und nichts andres vermöge die Gewalt des Bösen zu brechen, daß es für immer von mir verscheucht werde. Fest war alsbald mein Entschluß, und einen Teil meiner Kraft hatte ich bald wieder gewonnen. Denn schon sah ich im Geiste, statt der trügerisch entzückenden Hoffnung auf einen Blick der Liebe aus Eurem Auge, den des Vorwurfs, des Unmutes – wo nicht der Verachtung, so ich nicht mein ganzes Herz bekehrte. So von Tag zu Tag baute ich mehr auf Gottes Hllfe. Schon glaubte ich, des Opfers meines schweren Geständnisses wolle der Himmel mich entlassen und Ihr solltet nichts in Erfahrung bringen müssen – noch vor einer Stunde dachte ich Euch das nächste Male mit Gleichmut sehen zu können. Doch mein erster Blick auf Euch, da Ihr nahtet, gab mir den Beweis, daß ich noch nicht meiner Empfindungen Meister sei, wie ich es schon wähnte. Nun wollt ich nimmer zaudern und tat im stillen einen Schwur, auszuführen, was ich mir vorgenommen. Ich habe meinen Schwur gelöst. Möge meine Seele damit gerettet sein – mich bedünkt, es sei dem so. Denn ich Euch entsagen – doch Euere Verachtung, die noch jedem frevelhaften Gedanken folgte, und wär' er noch so geheim – werd' ich nicht ertragen wollen – das rettet mich!«

Ihr Antlitz, überhaucht von Gottesvertrauen, richtete sie empor und ein leises, heißes Gebet des Dankes für gespendeten Mut und der Hoffnung auf künftige Ruhe entschwebte ihren Lippen.

Als sie ihren Blick wieder senkte und auf Herzog Christoph richtete, glaubte sie in das verhängnisvolle Auge eines gottgesandten Cherub zu schauen, in dem Erbarmnis und Segen mit furchtbarer Drohung des Fluches wechsle, je nachdem sie für immer allem Sündigen entsagen wolle oder nicht.

»Gott hat Euch einen Wink gegeben,« sagte Christoph feierlich, »und Ihr habt ihn mit seiner Gnade befolgt. Ja, Kunigunde, glaubt, was Ihr gesprochen! Wie geheim Euch treuloses Verlangen nach mir ergriffe, und Ihr hieltet der Hölle nur einen Augenblick stand, seid versichert, daß Euch meine tiefste Verachtung träfe, wenn ich es wüßte! Aber ich weiß es, Ihr werdet von nun an ruhig werden, und mein Gebet soll Eure Schritte begleiten. Das ist ein Schild gegen den Versucher aus der Hölle und alt erprobt und bewiesen. Die Hölle glaubt den Menschen unbewacht, daß sie ihn überraschen könnte, aber sie findet einen schützenden Engel vor dem Opfer – den Engel erflehte das Gebet des christlichen Mitbruders, daß er vom Himmel stieg.«

Lange schwiegen darauf beide.

»Ihr gebt mir unaussprechlichen Trost,« sprach dann Kunigunde langsam und mit sicherer Stimme, »und nur eines möcht' ich noch von Euch wissen. Mißdeutet es nicht. Vertraut mir, wie ich Euch vertraut habe – wer weiß, kommen wir nie mehr allein zu Gespräch. Was ich wissen will, verändert meine heiligen Entschlüsse nicht. Grollt Ihr Eurem Bruder für seine größere Gewalt nicht?«

»Nein!«

»So will ich es fürerst glauben. Ihr aber sagt mir ein anderes, Herzog Christoph. Die Ungewißheit selbst über vergangene Zeiten ist eine Qual – verkennt mich nicht und vergebt mir die Frage, ich empfinde ja, daß sie mir Gott selbst vergibt –«

»Fragt nicht!« fiel Christoph ein.

»Doch, doch! Während ich Euch in der Stille ergeben war, wie ich nun entdeckte – habt Ihr nie meiner gedacht?!«

Wie ein Blitz fuhr es durch Herzog Christophs Herz.

Alle Seelengefahr Kunigundens tauchte drohender, als je vorher, empor. Schweigen war ein halbes Geständnis, Verneinung war eine Lüge – ein Ja durfte nicht von seinen Lippen – –

In dem Augenblicke half Gott.

Es erklang Hufschlag unterm Burgtore. Die Sidonia und Sibylla riefen jauchzend: »Vater Albertus komme heim« und eilten aus dem nächsten Gemache.

Rasch, wie ihrer Bitte entsagend, und in freudiger Aufregung trat Kunigunde in den Erker, öffnete das Fenster und begrüßte ihren Gemahl Albertus.

Der entgegnete den freundlich süßen Gruß, schwang sich vom Roß, vernahm, daß Herzog Christoph da sei, und nickte ungemein beifällig. Als er die zwei Stufen zum Eingange des Schlosses emporschreiten wollte, hielt er wieder an, denn es wurde ihm ein Schreiben übergeben. Dazu ließ der vor kurzem angekommene Bote etliche Worte fallen, die jenen veranlassen mochten, die Kunde sogleich zu lesen. Rasch öffnete Albertus das Schreiben und überflog es. Sichtlich freudig war er überrascht. Den offenen Brief in der Hand, trat er in das Schloß und eilte zu Kunigunde, seinen Töchterlein und zu Bruder Christoph hinauf.

»Grüß Euch Gott, Kunigunde!« rief er, ins Gemach tretend, und mit ganzer Innigkeit sah er sich von ihr umfangen. »Wohlauf und froh, Kinder –? Willkommen zu München, Herzog Christoph! Ich wollte länger von Haus bleiben, aber es litt mich nit draußen. Sieh, da haben wir's! Treff' ich meine ehliche Wirtin und Euch in trautem Gespräch – selb ist mir ja von Herzen lieb! 's ist aber noch etwas Großes und Verwunderliches eingetroffen, weiß Gott, könnt' ich nur ab von dem leidigen Regiment, ich zöge gerne mit!«

»Was nun?« fragte Christoph.

»Da lest selbst!« antwortete Albertus. »Unser Schwestersohn, Friedrich von Sachsen, hat sich's zu Sinn genommen und will ins Heilige Land eine Pilgerfahrt tun. Da soll ein jeder sich anschließen können, dem frommer Drang sein Herz erhebt, und der von Haus und Land abkommen kann. Also schreibt er da, ob Ihr keinen Beruf fühlt, mitzuziehen?«

Herzog Christoph nahm den Brief und überlas ihn, legte ihn dann wieder zusammen und sagte mild lächelnd: »Wißt Ihr noch, Albertus, wie Ihr den Wolfgang zum Bischof machen und mich zu Karolus dem Kühnen nach Burgund schicken wolltet? Diesmal setzt Ihr eine bessere Ortschaft und habt eine gute Zeit erwählt.«

»Was wollt Ihr damit sagen –?« fiel Albertus ein, der nichts Arges mehr im Sinne führte. »Gott ist mein Zeuge, daß ich Euch gerne bei mir im Lande sehe, und so wert und lieb seid Ihr mir, daß ich Euch stets um mich haben möchte! Bleibt hie, so Euch beliebt, und unternehmt später für Euch selbst einen Pilgerzug – wir wollen froh zusammenleben, und haben wir früherhin viel und hart gestritten, sind wir jetzund in Frieden beieinander – was vorüber ist, ist vorüber – und ich wüßte nichts, was unser Glück bedrohte. Also Ihr zieht nicht mit?«

»Wohl, wohl, ich zieh' mit!« sagte Christoph. »Lange dacht' ich an ein Gleiches und will Euch mein Vorhaben frei enthüllen. Aber mich verlangte nach einem Zeichen des Himmels, wie bald ich von hinnen sollte!«

»Das ist das Schreiben –?«

»Mag wohl eines sein!« entgegnete Herzog Christoph. »Daß ich entschlossen sei, will ich Euch beweisen. In dieser Stunde nimmt der Bote, so diesen Brief gebracht, einen von mir entgegen – – gestattet, daß ich bei Euch schreibe – Gott befohlen, Herzogin!«

* * *

Tags darauf machte Herzog Christoph sein Testament – darin Herzog Albertus als sein alleiniger Erbe eingesetzt – und nahm es mit nach Schongau.

Mehrfach heißt es, Christoph habe sein Testament erst kurz vor Antritt der Meerfahrt zu Venedig gemacht, von wo es dem Rat von Schongau zugekommen sei. Abgesehen von seinen früheren Bestimmungen hinsichtlich seiner Habe im allgemeinen, setzte er von Venedig aus seinen Bruder Albrecht zum alleinigen Erben seines Anteiles an Bayern an.

Für sich und ganz Haus Bayern stiftete Christoph eine »Wochenmesse« nach »heiligen Kreuz« zu Weilheim. Die Kirche 1499 neu gebaut und eingeweiht vom Augsburger Bischof Friedrich Graf von Hohenzollern; 1638 wieder neu gebaut und geweiht unter Bischof Heinrich von Knorringen von Augsburg durch den Weihbischof Seb. Müller, dabei Abt Maurus von Andechs, Abt Gregor von Wessobrunn, Propst Johannes von Bernried, Stadtpfarrer Vogl usw. Das kleine Gotteshaus 1880 zur »Wittelsbacherfeier« wieder erneuert durch Fürsorge des Stadtpfarrers C. N. Böheimb, welcher das Wappen Christophs in einem Fenster anbringen ließ.

Dahin ritt er aus um die dritte Stunde nachmittags. Als er zu Schongau ankam, ordnete er jegliches, das Testament aber stellte er dem Rat zu Handen.

Eh' drei Wochen verstrichen, war die Zeit da, sagte er dem Albertus und der Kunigunde Lebewohl und stieß zu Herzog Friedrich von Sachsen, der ihn mit der ganzen Schar, welche sich gesammelt hatte, freudig empfing.

So zogen sie aus deutschen Landen gen Welschland bis Venedig, dort bestiegen sie alle ein Schiff und fuhren fort und von dannen auf dem Meer. –


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