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VI.
Lindwurmeck.

Fromm waren die Münchner zu jeder Zeit. Besuchten demnach, wie heute, so dazumal ihren Gottesdienst, und was die Frühmesse betrifft, mochte das Wetter noch so schlimm sein – durch Nebel, Wind, Regen und Schneegestöber ließ sich keiner abhalten, sondern schritt in Dämmerung oder Dunkel in sein Kirchlein, wo er eben am eifrigsten beten konnte.

Nun zählte man nach Christus das vierzehnhundertdreiundsechzigste Jahr. Und die Nacht des ersten Tags Novembris war es.

Selbige Nacht nun war wundersam schaurig, und obschon es gen Winter ging, hauchte die Luft doch so schwül und Bangen erregend, als wollte ein arges Gewitter heranziehen. Die Leute, so schliefen, hatten entsetzliche Träume. Die aber wachten, mußten nicht mindere Angst ertragen. Denn es war ein Geklapper und Getu' in der Luft, wie früher noch nie, und von denen, so auf dem Marktplatze wohnten, glaubten die meisten, zu einer Zeit hätten sie was hoch oben rauschen hören.

Die hatten sich auch nicht getäuscht und der Türmer von Sankt Peter konnte es am besten bezeugen, denn er wäre schier vor Schrecken gestorben.

Das war so.

Als er um Mitternacht die Runde um die Fenster machte, brauste etwas auf ungeheueren Flügeln vom Schwabingertor herüber, kam schier bis zur Kirche, fuhr dann rechts hinüber gegen die Sendlingergasse, kehrte aber bald zurück, stieß mehrmals grimmig an den rechten Petersturm und schoß in weiten Kreisen gegen den Marktplatz. Dort flatterte es erst rechts um die Gollierkapelle und dann saust' es nach links über den Holzesel hinweg. Wo es weiter hinkam, vermochte der Türmer nicht zu sehen. Fast schien's ihm aber, es habe sich unweit vom Marktplatz niedergelassen.

War demnach wohl mit Recht erschrocken, darauf aber in tausend Zweifeln, ob er Lärmen machen sollte. Zuletzt beschloß er den anderen Türmer abzuwarten, dann auf das Rathaus zu eilen und Bericht zu erstatten.

* * *

Alsbald der Morgen graute, machte sich zu München der und jener mit oder ohne Laterne auf, um zur Frühmesse in die Gollierkapelle zu gehen. Die war auf der Sankt Peters Seite, wo die finsteren Bögen sind, und das Glöcklein läutete recht hell durch die Luft.

Mit zu frühest unter allen war ein gar frommes Weiblein auf dem Weg, das Monika hieß. Selbe kam immer aus dem Gruftgässel in die Weinstraße herfür, dann ging sie über den Marktplatz.

Wie nun die Monika selben Morgen aus dem Gruftgässel bog, fuhr sie vor Schrecken zusammen, denn sie stieß an etwas. Als sie aber näher zusah, war's der Nachtwächter Klaus, so tot da lag, als hätte ihn beim Gehen der Schlag gerührt. In großer Verwirrung und nicht wissend, was tun, schritt sie fest eilend weiter. Da lag, weit auseinander, die ganze Scharwache tot umher. Dabei schien es, als hätten die meisten fliehen wollen, hätt' ihnen aber keine Flucht gefrommt. Denn ihrer viere lagen auf dem Gesichte gegen das Gruftgässel zu.

Da brach die Monika in großes Jammern aus und gedachte laut um Hilfe zu rufen, weil etwa doch noch einer am Leben wäre. Sie wußte aber selbst nicht recht, was sie wollte, ward ganz sonderlich betäubt, und so kam sie wieder weiter bis an die Ecke der Weinstraße.

Dort wär' sie vor Entsetzen schier umgesunken.

Denn sie erblickte ein gewaltiges, finsteres Ungetüm mit wild gerolltem Schweife, mit ungeheueren, scharfgezahnten Flügeln und einem mächtigen Kopfe. Selbes Ungeheuer schlief. Wie's aber Odem schöpfte, so schnaubte, zischt' und kollerte es unheimlich, als ob da viel Schlangen und anderes Gezüchte in Heide oder Sümpfen im Streit lägen – und so oft ein Odemzug geschah, war's, als ob dafür ein Giftstrom aus des Ungetüms Nüstern schösse und die ganze Luft verpeste.

Drei große Kreuze schlug Frau Monika. Wohl fühlte sie, daß es ihr ans Leben gehe, wie dem Nachtwächter und der Scharwache, und stammelte: »O Herr, o Herr, jetzt ist mein letztes End' kommen – das ist mein letzter Gang!«

Drauf wankte sie betäubt, daß sie sich allerorten festhalten mußte, bis zum Gruftgäßlein zurück, da hindurch gelangte sie weiters schräg durch die Dienersgasse und sofort bis zu der Herzoge Hofburg. Dort meldete sie der Wache in schwank verwirrten Worten all ihre grause Mär. Die wollte der Soldknecht nicht glauben, hielt die Monika für verrückt und wollte sie davonjagen. Sie aber schwor bei allem, was heilig, und plötzlich sank sie vor ihm nieder.

Da ward's dem Soldknecht nimmer geheuer, kamen auch bald mehr' andere voll Angst und Schrecken dahergewankt, bezeugten, was die Monika gesagt, denn sie hatten ein Gleiches von weiter gesehen und gehört – drauf taumelten sie fort und nach Hause.

Nächst kam der Türmer von Sankt Peter daher. Der hatte auf dem Rathaus schon Meldung getan, selbst mehre auf der Flucht getroffen und mit eigenen Augen in der Ferne was Schreckbares gesehen.

Da blieb dem Soldknecht kein Bedenken. Er riß an der Lärmglocke, daß es schauerlich durch die ganze Burg gellte; alle Reisigen fuhren auf, griffen zu den Waffen und zogen das Tor auf zu fragen, was es gebe.

Alsbald erzählte die Wache, was sie wußte. Alle sahen die Monika vor ihnen liegen und eilten sofort zwo hinauf, den Herzogen Johannes und dem Siegmund die Botschaft zu bringen.

Die wollten ihnen erst nicht glauben, es kam aber stets neue Bestätigung und darauf rüsteten sich beide.

Die Herzoge Christoph und Wolfgang waren aber zu Grünwald. Der Albertus war gar außer Landes.

Ward nun befohlen, Mann um Mann sollte ausrücken und den Platz in der Ferne absperren, bis Rat gehalten wäre, was zu tun sei. Zugleich ward einer mit dem besten Renner ausgesandt, den Brüdern zu Grünwald zu melden, wie's in München stehe. Der sprengte sofort durch das Tal und fort und dann rechts die Höhen entlang. Dabei rief er allerorten den Bauern zu: »Den Schweinspieß zur Hand und gen München! Ein Drach, ein Drach!« Und sauste wieder weiter.

Mittlerweil' war ganz München in Aufruhr gekommen. Die Sturmglocken heulten, wiewohl's verboten wurde; was Waffen und Mut hatte, rannte herfür und postierte sich hinter die Soldknechte, so die Schwerter oder Speere weit vorgestreckt hielten. Wieder andere hatten tüchtige Hämmer oder Kolben, und von der Isar durchs Tal herauf stürzten ihrer bald viele mit Spießen, Sensen, Hacken und Knütteln. Alle die dachten, schösse der Lindwurm daher, sollt' er sich an den einen spießen, die andern aber gäben ihm mit Hack' und Knüttel seinen Teil, bis er vollends tot wäre.

War's demnach mit mutiger Absicht ganz wohl beschaffen. Indessen, so sich das Ungeheuer im Schlaf ein wenig rührte, bewährte sich dennoch des Schreckens Macht, nahm sogleich eine Zahl Bürger und Bauern Reißaus, und währte es stets eine gute Zeit, bis sie aufs neue hintraten und die Hellebarden oder Schweinspieße ausstreckten, gleichwie die Soldknechte.

Was nun die Frauen und Jungfrauen all in der Nachbarschaft betraf, war's, wie jeder begreift, mit dem Mute nicht gar weit her. Die jammerten und bebten vielmehr ungemein und beteten aus voller Seele um Hilfe. So die eine ans Fenster huschte, zog eine andere sie sogleich zurück und konnten's dann beide wieder nicht ertragen, sondern schlichen hin und sahen zur Seite oder gerade hinüber. Wie sie dann das Ungetüm liegen sahen, schrien sie laut auf vor Entsetzen, flüchteten sich in Speisekammer oder Holzlege und beteten inbrünstig im Finstern, bis sie die Neugierde wieder zum Fenster trieb.

* * *

Erging es bei alledem mancher schönen Jungfrau sehr schlimm.

Am schlimmsten jedoch einer minder Schönen. Die weilte schon in den ehrwürdigeren Jahren, hieß Jungfrau Petronella – und war des Herrn Adam Barth Haushälterin.

Selbiger Herr Adam Barth war ehrsamer Witwer, wohnte gerade an dem Eck, daran sich der Lindwurm niedergelassen, und hätte der alte Herr wohl keinen solchen Schrecken verschuldet – denn er war die gute Stunde selbst – vielmehr was Besseres verdient, weil er ohnehin viel zu leiden hatte. Die Jungfrau Petronella führte nämlich ein starkes Pantoffelregiment, und wer sie nur immer kannte, der beneidete Herrn Barth zu keiner Zeit. Er aber, weil er ein so böses Leben um sich hatte, brauste wohl auch hie und da auf, donnerte die Petronella an und schalt sie mit Drohung göttlicher Strafe. Dafür trotzte sie aber nur desto mehr.

Nun hatte sich Herr Barth gestern abend schon zum Schlafengehn gerüstet, als die Petronella noch ein arges Ungewitter aufregte, so daß Herr Adam ganz verzweifelt ausrief: »Jetzt hab' ich's endlich satt! Euch treibt der helle Teufel, und wär's kein Wunder, käm' er einst daher und fräß' Euch auf bei lebendigem Leibe. Kreuz Blitz, ich sag' Euch demnach nur eines. Ich lasse Euch's wohl verwarnt sein. Nichts wird mehr hingenommen von all Euerem Gezank und Getu', so wahr ich in meinem Losament ein freier Mann bin und Herr Adam Barth heiße!«

Über diese Worte ward die Petronella so empört, daß sie vorerst schier die Sprache verlor. Dann aber brach sie in eine Flut böser Reden aus. Es half ihr gleichwohl nichts. Herr Barth war einmal bei Heldenmut, ließ sie toben und drängte sie geschickt in ihr Schlafgemach. Dann schob er den Riegel vor und legte sich siegreich zu Bett.

Weil sie aber beide sehr zornig waren, so konnten sie beide nicht einschlafen. Vielmehr ballte Herr Barth zu wiederholten Malen beide Hände und bildete sich im Dunkeln ein, er habe die Petronella und könne sie tüchtig zerzausen.

Dafür setzte sich wieder diese ein über das andere Mal auf und sagte: »Nein, nein, nein, und er soll mir nicht Herr werden!« Dabei fuhr sie mehrmals auf ihr würdiges Haupt, daß die Nachthaube ganz schief droben saß.

Mittlerweil' nun jedes dem anderen Schlimmes zudachte, war's Mitternacht geworden. Allgemach verspürten sie beide große Schwüle, hörten in der Ferne ein sonderliches Geräusch – mit einemmal rauschte und schnaubte etwas über den Markt und ließ sich hart am Eck des Hauses nieder.

Ist nun wohl begreiflich, wie Herr Barth und die Petronella emporfuhren, wie versteinert dasaßen und horchten. Weil sie nun zuerst nichts hörten, so hielten sie alles für Täuschung, ermannte sich jedwedes, hüllte sich aufs beste ein und sah zum Fenster hinaus – links auf den Platz zu Herr Barth und rechts in die Weinstraße hinab die Petronella.

Im nämlichen Augenblick vernahmen sie aber das bewußte Gerassel und Kollern, denn der Lindwurm begann zu schnarchen, und trotz der Finsternis erkannten Herr Adam und die Petronella des Ungetümes schreckbare Gestalt. Wie im Blitz flogen die zwei Fenster zu, sprangen der alte Herr und die ehrwürdige Jungfrau auf ihre verschiedenen Pfühle, deckten sich bis über die Ohren zu und lagen da wie tot.

Was nun die zwo Sorg und Angst erduldeten, das könnte niemand beschreiben. Als es aber Tag war, die Sturmglocken längst durch die Luft heulten und über den Marktplatz drüben alles ein Surren, Murren und Rumoren war, da lagen Herr Barth und die Petronella noch auf derselben Stelle und wagten kaum zu atmen.

* * *

Es war um die zehnte Stunde.

Herzog Christoph und Wolfgang sprengten schon halbwegs von Grünwald einher. Zu München aber waren die Menschen stets noch ratlos, wie der Lindwurm getötet oder vertrieben würde. Der schlief und schnarchte immerfort, angreifen wollte ihn keiner – und von selber wachte er nicht auf, daß er etwa von dannen geflogen wäre.

Wiewohl ihm's nun jedermann widerriet, nahm sich zuletzt Herzog Johannes der Sache an und beschloß die Tat zu wagen, denn er war ein sehr mutiger Herr.

Befahl demnach das Allerheiligste aus der Gollierkapelle zu tragen, beichtete und nahm das heilige Abendmahl, drauf sagte er: »Gebt mir etliche Speere, ich will sehen, wo das Ungetüm verwundbar ist und ihm die drei Speere hineinrennen.« Als er das gesprochen und die Speere ergriffen hatte, blieb Herzog Siegmund mit seinem Gefolge gegen die Rosengasse zu und ein weniges vor allen Reisigen stehen, der Johannes aber schritt sofort leise über den Platz und stand bald auf zehn Schritte beim Lindwurm.

Scharf spähte sein Auge und just wollt' er ganz nahe rücken, dem Ungeheuer einen Stoß zu versetzen, als es im Schlafe seinen riesigen Kopf herüberlegte, den Rachen gähnend weit aufsperrte und dann wieder fest einschlief. Dabei war ihm aber ein schwarzer Hauch aus dem Rachen gequollen und gerade auf den Herzog Johannes zu, so daß der ganz betäubt wurde, schon im nächsten Augenblick zu Boden sank und sich nimmer zu erheben vermochte.

Als das der Herzog Siegmund mit ansah, eilte er mit etlichen der Mutigsten hinüber. Die lüpften den Schwachen auf ihre Arme und trugen ihn hinweg.

Der Johannes aber lallte: »Gott sei mir gnädig, ich glaub', mein letztes Stündlein ist da!«

Ließ sich sofort nicht in die Hofburg tragen, sondern verlangte nach freier Luft und weg zur Stadt hinaus. Also ward er durchs Tal hinab und weiter gebracht. Dort verfiel er in tiefen Schlaf im Schlößlein zu Haidhausen.

Die auf dem Marktplatz aber stunden in größter Betrübnis und Bestürzung.

Mit einemmal entstand ein frohes Gemurmel. Denn vom Tal herauf vernahmen sie lauthallenden Hufschlag und haufenweise strömten die Leute in die Gegend.

Richtig war es Herzog Christoph. Hinter ihm kam Herzog Wolfgang.

Die ritten bis durch den Ratturmbogen, da stiegen sie ab und ließen die müden Rosse zur Burg hinüberführen, und während die Herzoge über den Platz schritten, wollte ihnen ein jeder genauer denn der andere melden, wie alles gekommen sei und sich bisher zugetragen habe.

Drauf sagte Herzog Christoph: »Das ist schier übermäßiges Unglück, so uns betroffen hat. Ist es, was ich meine, so kommt die Stadt nicht sonder großen Schaden davon. Vorerst aber bewahrt Mut und Vertrauen zu Gott. Was ich tun kann, soll auch geschehen, und wer verzweifelt, dem wird seine Angelegenheit nicht besser.«

Gelangte darauf mit Herzog Wolfgang zu seinem Bruder Siegmund, der ihm ein wenig entgegengekommen war und ihn nun gen das Eck der Rosengasse führte, davon gerade hinüber das Ungeheuer lag. Dabei sprach er seine Besorgnis für den Johannes aus.

Da schaute Herzog Christoph eine Zeitlang hinüber und sagte dann: »Ihr habt wenig Hoffnung für unseren Bruder. So er nicht stirbt, wird er zeitlebens siech und elend. Das ist der größte Lindwurm, so seit langer Zeit in deutschen Landen getroffen ward. Ist aber auch sonst kein gewöhnlicher Drache, wie ich aus allem erseh. Ist aller solcher Ungeheuer Odem ungesund, diesem seiner bringt wilde Fieber, Pest und Tod. Wann er demnach nicht in kürzester Frist verscheucht wird oder einer hergeht und ihn rasch erlegt, sind wir vielleicht sämtlich verloren. Ohne viel Schaden und Unglück geht's ohnedem nit ab.«

Fragte nun Herzog Siegmund, was denn Christoph zu tun rate.

Drauf sagte Herzog Christoph: »Die Sache ist so beschaffen. Ich hab' in Welschland zwo Molche und einen Walddrachen getötet. Nun kann ich da wohl urteilen. Sie sind sich in vielem gleich, Molche, Wald- und Sumpf- oder Pest-Lindwürmer; die letzten aber haben einen leicht verwundbaren Fleck auf der Brust. Da muß einer scharf hinwerfen, daß der Speer mitten durchs Herz fahrt. Nun liegt dieser Pest-Lindwurm so, daß ich den Fleck nicht zu treffen vermag. Will demnach versuchen, ob ich ihn von hinten mit dem Streitkolben erschlag oder betäub, dann fahrt er etwan empor, daß ich mit dem Speer zukomme. Haucht er mich aber an, bin ich des Todes. Drauf dürft Ihr zählen.«

Forderte ihn der Herzog Siegmund auf zu beichten und das heilige Abendmahl zu nehmen.

Christoph aber erwiderte: »Gebeichtet hab' er erst gestern abend und nüchtern sei er, so bedarf er allein des heiligen Abendmahles. Schritt sofort auf den Kaplan der Gollierkapelle zu, tat ein inbrünstig Gebet und empfing in Demut den Leib des Herrn.

Drauf nahm er den mächtigsten Streitkolben, den er sah, und ein halbes Dutzend Speere. Die trug er halbwegs hinüber und da legte er sie nieder, bis auf einen. Den nahm er in die Linke, den Streitkolben hatte er in der Rechten und sein Visier schloß er.

Drauf standen alle anderen an der Rosengasse, die finsteren Bögen hinab bis gen 's Rathaus zu und schräg über den Platz, sämtlich mit gestreckter Wehre.

Herzog Christoph aber schritt langsam auf die hellen Bögen zu, schier bis an die Trinkstube. Dann kam er unter denselben Bögen herauf und immer näher zum Lindwurm. Zuletzt trat er durch die Tür an der Weinstraße heraus und stand hinter dem Ungetüm. Das hatte den Kopf abgewendet und kürzlich keinen Odem geschöpft. Gleichwohl fühlte Herzog Christoph, daß es rasche Tat gelte.

Er empfahl seine Seele Gott, tat einen Schritt vorwärts, holte aus und schlug das Ungetüm auf den gepanzerten Schädel, daß der Streich hätte tödlich sein müssen, wär' er nicht zu weit links gefallen, daß er abglitt. War also der Lindwurm nicht tot. Vielmehr fuhr er grimmig auf, erhob ein furchtbares Geschrei und da Christoph den zweiten Schlag tun wollte, reckte jener den Kopf in die Höhe, riß den Rachen weit auf und stieß einen Qualm in die Luft hinauf. Eh er aber darnieder kam, ersah Herzog Christoph seine Zeit und salvierte sich unter die Bögen. Drin tat er etliche dreißig Schritte, dann kreuzte er rasch über den Platz, bis wo die Speere lagen, vermeinend, das Ungetüm rage noch empor und er könne den Fleck auf der Brust erlugen.

Da er aber hinsah, hatte sich der Lindwurm wieder gelegt, schüttelte ein über das andere Mal den Kopf, warf ihn bald hin, bald her und schnaubte laut auf in Unmut. Dazu bewegte er von Zeit zu Zeit die stachlichten Flügel. Das rauschte und knarrte wie Erz, daß man's weitaus hörte, und durch Mark und Bein ging der Ton. Zuletzt verfiel der arge Gast wieder in Schlaf.

Wie das Herz Christoph sah, schlug er sein Visier wieder auf, griff rasch nach seinem Speer und rief Herzog Siegmund zu »unbesorgt zu sein, er sei gesund und kräftig – sie aber möchten einen schmalen, dichten Speerwald bilden, abwechselnd gerad' aus und hinwieder aufwärts, denn er wolle den Lindwurm zum zweitenmal wecken. Da könnte der über den Platz sausen oder in die Luft und sich auf sie herabstürzen.« Darauf wandte er sich, holte weit aus – und, wie gewaltig der Blitz aus den Wolken saust, also fuhr der Speer dem Lindwurm an die Seite.

Der erhob schlaftrunken ein furchtbares Geschrei, wand den Hals in wilden Ringen, rollte die Augen, sich hochaufbäumend, und scharrte und flatterte dazu mit den Flügeln, als wollt' er fliegen.

Da sauste der zweite Speer aus Christophs gewaltiger Faust. Der fuhr hart neben den Fleck auf der Brust und prallte übermächtig an, so daß er weitab zur Seite sprang. Das Scheusal aber stürzte rücklings zusammen. Alsbald rafft' es sich wieder auf, wandte sich in schrecklichem Grimm gen Herzog Christoph und schien einen Anlauf zu nehmen.

Das wartete jener nicht ab. Den dritten Speer entsandte er. Der traf den Lindwurm auf die Stirne, daß es ihm den Kopf bis in den Nacken zurückwarf – der vierte aber fuhr schräg in den Rachen, daß ein Strom kohlschwarzen Blutes herfürschoß.

Ein wütig Gebrüll und Geheul erhob das Ungetüm, entsetzlich schüttelte es sein riesiges Haupt den Speer los zu werden, dazu spreizte es mehr und mehr die Flügel und wollt' sich zur Flucht in die Luft schwingen.

»So steht's?!« rief Herzog Christoph. Der fünfte Speer sauste dahin. Der fuhr in den Fleck auf der Brust, daß ein neuer Strom Blutes entstürzte. Doch ins Herz war der Speer nicht gedrungen, denn das Eisen war zu breit. Dazu hatte sich der Lindwurm abseits gewendet. In unnennbarer Wut schüttelte er den Kopf und zog und trat mit den gewaltigen Tatzen, bis der Speer in zwo Hälften brach. Der Teil mit der Spitze aber blieb stecken.

Heulend spannte das Ungeheuer die Flügel, erhob sich urplötzlich in die Luft und tat einen Zug zur Höhe im Kreis, um mit zwiefacher Gewalt auf Herzog Christoph herabzustürzen. Der aber entsandte mit aller Macht den sechsten Speer, just als es darniederfahren wollte.

Da traf Gewalt auf Gewalt.

Der Speer fuhr zu Splittern, der Lindwum aber zurück, daß es ihn in der Luft umwandte, drauf schoß er mit grimmigem Geschrei wieder empor und hoch hinauf, Gischt, Blut und giftigen Odem, wie schwarzes Gewölk, ausspeiend. In Turmeshöhe kreiste er schnarrend über den Marktplatz, schien sich der Isar zuzuwenden, mit einemmal macht' er rechtsum, schoß über die Kaufingerstraße dahin – und in kurzem war er verschwunden.

Da erhob sich unendliches Freudengeschrei. Zu Hunderten stürzten sie allüberall vom Platz und aus den Häusern und freudig auf Herzog Christoph zu.

Der bot ihnen ab und sagte: »Dankt nicht mir, sondern Gott, daß er mich in der Nähe sein ließ, und fleht, daß unser nicht zu viele dahinsterben, wie auch für unseren Herrn Bruder und Landesherrn Johannes!«

Drauf knieten alle nieder und beteten inbrünstig.

Als sie sich aber erhoben, befahl Christoph große Feuerstöße aufzurichten von der Weinstrahe und von der Rosengasse her und an allen Orten in der Stadt, auf daß des Lindwurms giftiger Hauch von Flammen und Rauch verzehrt würde. Ward demnach in bester Weise vorgesorgt.

Beim Herzog Johannes aber verschwendeten die Ärzte alle Mühe. Der ward stets schwächer und schwächer und am dritten Tag Novembris hauchte er zu Haidhausen seine Seele aus. War ein gar mutiger, hübscher Herr gewesen. Ihm folgten gute Zeitlang mehr und mehr ins Grab, bis in die Fünfhundert, denn des Lindwurms Hauch wollte nicht so schnell weichen, und wer schwach oder sonst geneigt war, der konnte die Luft nicht überwinden und mußte sterben. War aber das Glück doch größer, denn das Unglück. Hätte Herzog Christoph den Lindwurm nicht besiegt, wär' etwan halb München ausgestorben.

* * *

Nun möchtet ihr wohl wissen, wie's weiter mit dem Regiment beschaffen war, wohin sie den Herzog Johannes führten und zu Grab legten – und wie's mit Herrn Adam Barth und der bösen Jungfrau Petronella ergangen.

Das war so.

Der Herzog Siegmund war mit einemmal alleiniger Herr geworden.

Den Herzog Johannes führten sie mit großem Geleit und viel Trauer gen Andechs zu seinem Vater Albertus. Von Herzog Johannes heißt es: »... er was ernstlich vnd warhaft vnd regieret wol ... er rennet einmal gar wol vor König Laßla zue Wien ... er starb ohn ain Waib. ...« Wieder: »... was ain ausbündiger renner vnd gueter ringer, ainer gueten stärk ... hett das wildprat vast lieb vnd sünders lust zue der Valkenbaiz vnd hett den lust, wann er auf dem jaid, er albeg mit den jüngern zue holtz was (kampierte mit ihnen).«
Ulrich Fütterer.

Mit Vetter Ludwig dem Reichen von Landshut war er in vielem Zwist wegen der nach dem Tode Ludwig des Gebarteten angefallenen Ingolstädter Erbschaft, welche sich Vater Albrecht III. hatte entgehen lassen. Da der Landshuter nicht nachgiebig war, forderte ihn Johannes eines Tages zum Zweikampf, um Krieg zu vermeiden und das Leben vieler zu schonen. Ohne Zweifel wäre es nun, der Verweigerung des Zweikampfes wegen, zur argen Fehde gekommen, hätte den Johannes nicht der Tod übereilt. Sein Begräbnis zu Andechs fand am 18. Dezember 1463 statt.

Was aber Herrn Barth und die Petronella betrifft, waren sie zwar von Anfang dem Lindwurm die nächsten gewesen, gleichwohl kamen sie beide mit Heil davon. Denn der Petronella schadete nicht leicht etwas und Herr Barth war auch nicht so fast schwach. Dazu wusch er sich des Tages dreimal mit Essig, solange die Pest währte.

Lindwurmeck im alten München.

Es erwuchs ihm sogar ein ganz neues Leben.

Denn von selbem gefährlichen Tag an war Jungfrau Petronella in ihrem ganzen Wesen wie verkehrt und verwandelt und meistens ganz nachdenklich und sanft. Vermerkte aber Herr Barth nur von ferne, es rührte sich der alte Pantoffelgeist, so fing er an, wie zufällig vom Lindwurm und Herzog Christophs Heldentat zu sprechen – und das half.

Da ihn dann später nach Verfluß aller Gefahr der Herzog Siegmund fragte, ob er den Drachen nicht an sein Haus konterfeien lassen dürfe, war jener aufs freudigste bereit und sagte: »O sicher, sicher, nichts billiger, denn Euer Verlangen, hoher Herr! Ruhm und Ehr' sei dem Herzog Christoph. Und wär's auch nit seinetwegen – 's geht aber gar manche Seel' vorüber oder aus und ein in sotanem diesem Haus – der möcht's nit so fast schaden, so sie den Lindwurm sähe!« Die Gifthauch entsendenden Ungetüme, mit deren einem, ja zweien Christoph durch die Sage in Verbindung steht, waren im Sinne des Volkes allerorten die Ursache von Seuchen. Eine viel spätere Variante im Volksmund ließ den Lindwurm zu München mit Kanonen erschießen. Wie dem sei, man sieht ihn noch heutzutage als fluchwürdigen Pestanstifter an der Ecke der Weinstraße angemalt. Das Bild stammt höchstwahrscheinlich von Christoph Kröll. Dieser zierte viele Häuser, malte Anno 1463 den Uhrkreis auf dem Kufringer Tor und war auch bei den Malereien des »schönen Turmes« mitbeschäftigt, welcher Anno 1479 an die Stelle jenes Tores erbaut und zu Ehren Kaiser Ludwigs des Bayern mit auf diesen bezüglichen Bildern versehen wurde. Auch der »schöne Turm« besteht nicht mehr. Der frühere Ort desselben ist gegen Ende der Kaufingergasse angegeben und es sind schlichte Gedenkreime von mir beigesetzt.


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