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IV.
Zwei Finger.

So dem Herzog Christoph an Geld gebrach, trug kein Mensch mehr die Schuld – als der Herr Ignatius Matthias Prätzl. Prätzl wird in alten Kammerrechnungen oft genannt, dergleichen der demnächst vorkommende Dr. Martin, von dem es handschriftlich heißt »was ganz gach, hett's allbod gern aufs Blut vnd mit strk. Medizin ...«

Derselbige Herr Prätzl war der Herzoge Johannes und Siegmund Kammerschreiber und Kassierer, in aller Art ein rechter Ehrenmann, aber jederzeit untröstlich, wenn es ans Auszahlen ging, just als müßte es sein eigener Säckel büßen. Dem Christoph ließ er zwar das wenigste merken, denn er fürchtete ihn ungemein. Desto besser wußte er sich bei den regierenden Herren anzuschicken, und so oft die in einer oder der anderen Geldangelegenheit zur Sprache kamen, faltete Herr Prätzl gleich die Hände und war so keck zu sagen: »Ja, Ihr habt leicht sprechen, allergnädigste Herren, und heißt's da nur immer: Zahlt aus, Herr Prätzl! O wie leicht fahrt das Geld von dannen und wie schwer kommt's herein!«

Weil nun die regierenden Herren solches oft hören mußten, gewöhnten sie sich an den Spruch, und wenn der Christoph daherkam und etwas verlangte, kamen sie hinwieder mit ihrem Prätzlspruch daher und gaben ihm nichts oder recht wenig. Sie selbst aber ließen sich nichts ermangeln, da mochten sie gesund oder krank sein.

Weil nun Herzog Christoph den Spruch so oft hörte, ward er aufmerksam, vernahm den und jenen darüber, bis er darauf kam, er schreibe sich vom Herrn Prätzl her und und nahm sich vor, schwere Rache zu üben.

Einstmals lag Herzog Siegmund zu Bett, war sehr unpaß und schwach und mochte schon etliche Zeit nichts essen und trinken. Das währte schon an die zwölf Tage.

Nun kam Herzog Christoph eben von über Land, vernahm, daß es seinem Bruder noch immer fehle, schritt alsbald zu ihm hinauf, und kaum war er in seinem Gemach, so kam der Doktor Martein auch daher. Der war der Herzoge Leibarzt.

»Also wie steht's?« fragte Herzog Christoph. »Ihr zeigt weiters nicht gar viel Kunst, weil Ihr die Schwachheit nicht vertreibt!«

»Da seid Ihr zu rasch beschieden!« antwortete jener. »Wär't Ihr ein Arzneidoktor statt weitberühmten Ringers, und was es sonst gibt, alsdann möchtet Ihr wohl ganz anders sprechen, allergnädigster, junger Herr!«

»Das bedeucht mich so ganz nicht«, entgegnete Christoph. »Wann ich ringe, ring' ich den Gegner darnieder und bedarf der kürzesten Zeit. Nun seid Ihr ein Arzneidoktor und sollt die Krankheit darniederringen, dazu wären zwölf Tage schier genug.«

»Aber sell ist ja eine ganz andere Angelegenheit!« Sehr höhnisch warf der Doktor Martein diese Worte hin. »Ihr, hoher Herr, seht selbigen Eueren Feind zur Stelle. Hier aber muß derselbe erst erfunden werden, auf daß man den Angriff tun könne!«

»Wohl, nun versteh' ich Euch«, sagte Herzog Christoph. »Ihr wißt also noch keineswegs, was «meinem vielliebsten Herrn Bruder fehlt.«

»Wer sagt denn, daß ich es nicht weiß?!« fiel Doktor Martein ungemein gereizt ein. »Es hat aber jedwedes Ding Verlauf, Sach' und Gestalt. Da liegt nun wohl oft dies oder jenes ohne weiters vor Augen. Zuzeiten aber liegt das Übel tief verborgen, allsomit auch das anzuwendende Remedium. Versteht Ihr? Will somit keineswegs leugnen, daß ich an die neun Tage in ansehnlichen Zweifeln versierte: seit drei Tagen aber ist alles auf das tiefste durchschaut, ergründet und das Geheimste ans Tageslicht gekommen!«

»Ist mir lieb und wert! Also wo fehlt's dem Herzog Siegmund?« Dazu legte Herzog Christoph die Hände auf den Rücken, tat ein paar Schritte und sah den Doktor Martein lächelnd an.

»Ihr scheint meiner zu spotten und anmit sotan meiner Kunst und Wissenschaft!« Dazu legte der Doktor Martein gleichfalls die Hände auf den Rücken, trat fest auf Herzog Christoph zu und sah ihm sehr siegreich ins Angesicht. Darauf erhob er langsam den Arm und deutete auf Herzog Siegmund. »So will ich es Euch sagen, was ihm fehlt! Diesern Euerem Bruder und allergnädigsten Herrn Herzog fehlt es nirgends, denn im Blut!«

»Also wollt Ihr ihm zur Ader lassen?«

»Was sagt Ihr? Blut heraus? Nimmermehr! Ich wollt', ich könnt' ihm etliche Nößel hineinlassen! Es handelt sich allhier alleinig darum, dem Herrn Herzog sein selbsteigen weniges und zu fast frostiges Blut zu erwärmen, durcheinander zu bringen und hiedurch dynamiter zu vermehren!«

»Vom Dynamiter versteh' ich nichts,« entgegnete Christoph, »aber das Durcheinanderbringen mag so schwer nicht halten.«

»Das soll nicht schwer halten?« Einen Augenblick hielt der Doktor Martein ein. »Nein, nunmehr sicher nicht! Solches hat aber ernsthaftestes Nachdenken erfordert.«

»Also reicht mir nur selbes Remedium«, sagte Herzog Siegmund ungeduldig. »Wozu soll das Reden?«

»Sogleich, allergnädigster Herr Herzog«, tröstete Doktor Martein. »Könnt mir aber nicht verargen, daß ich mich defendier' und salvier', wenn es hoch Euerem Herrn Bruder beliebt meine Kunst herabzusetzen!« Er zog ein großes Glas aus der Manteltasche und wies es dem Herrn Christoph.

»Hier seht Ihr das Remedium! Darin sind, außer mehr ganz geheimen Specificis, nicht nur Bezoar, Zimt, Moschus und Rabenaugen, sondern auch etliche feurige Edelgesteine aufgelöst und durcheinander gemischt, so eine wunderbare Kraft enthalten. Durch diese wunderbare Kraft werde ich sonder einige Molestierung des Herrn Herzogs gehörige Zirkulation der Wärme erzwecken, respektive das Blut in best kürzest und möglichste Bewegung vel motuni regularem zurückführen, das heißt: durcheinanderrütteln. Kostet herohingegen auch diese einzige Portion drei Goldgulden!«

»Das ist viel Geld«, sagte Herzog Christoph.

»Das ist freilich viel Geld,« entgegnete der Doktor Martein, »aber was liegt am Geld, wo es dem höchsten Gut, der Gesundheit, gilt? Ist es nicht so, allergnädigster Herr Herzog Sigismund?«

»Wer zweifelt denn daran?!« grollte dieser. »Nur her damit – wenn's hilft, kost's, was es wolle!«

»Sogleich!«

Der Doktor Martein hob das Glas vor Herzog Siegmund hoch in die Luft und sprach feierlichst:

»Dieses ist die weltberühmte tinctura antistagnatoria. Dieselbe schreibt sich her aus den Zeiten der Kreuzzüge, respektive stammt sie ab von dem verflucht ungläubigen, aber in Angelegenheit der Arzenei hochzelebrierten Abud Bei Scheiern Medavared, weiland des türkischen Kaisers Saladini belobten Hofarzt. Ist gleichwohl an die zweihundert Jahre gänzlich verloren und vergessen worden, quo ad scripta – von mir aber modo traditionis, das heißt, auf dem Wege der mündlichen Überlieferung wieder erfaßt, in Versuch gebracht und gänzlich aufs neue erfunden worden! Diese Tinktura hat solch wundersame und gewaltige Kraft, als ob an die tausend Lebensgeister eingesperrt wären. Das könnt Ihr leicht ersehen. Denn so ich nur ein wenig schüttle, vermerkt Ihr alsogleich ein großes Gebraust und weiteren Aufruhr in der rotfeurigen Flüssigkeit, also daß der Pfropf sicher wie ein Bolz hinausführe, wann ich ihn nicht mit meinem Daumen festhielte. Seht Ihr?«

»Ich seh' schon« – sagte Herzog Siegmund. »Gebt sie mir doch!«

»Sogleich!« war Doktor Marteins Antwort. »Haltet Euch im übrigen ruhig, Herr Herzog, ansonst möchte Euch die sehr kostspielige Medizina nicht hinlänglich sanft und allgemach angreifen!«

»Mich bedingt gleichfalls, es sei Vorsicht vonnöten«, setzte Herzog Christoph hinzu. »Wie viele Tropfen soll denn der Herr Bruder verschlucken?«

»Tropfen?!« rief der Doktor Martein. »Wie könnt Ihr, junger, hoher Herr, von Tropfen sprechen, wo es sich um die erklecklichsten Quanta handelt?! Eh der allergnädigste Herr Herzog nicht vier solcher Gläser geleert hat, ist an keine gänzliche Besserung zu denken. Das geht alles seinen Gang. So oft der Herzog ein Glas im Leibe hat, wird es ihn eben mehr und mehr schütteln und rütteln. Dieses Schütteln und Rütteln ist es aber, was das besagte arg frostige und halsstarrige Blut durcheinanderbringt. Trinkt nunmehr, Herr Herzog, und drückt die Augen zu – die Tinktura ist gallbitter – aber das muß sein! Nur Mut und fest darauflos – eh ich ein halb Hundert zähle, habt Ihr's das erstemal überwunden. Es ist nicht mehr, denn ein guter Handhumpen voll.«

Rasch trat er auf Siegmund zu und setzte ihm das Glas an den Mund.

»Da sei Gott vor!« rief Herzog Christoph, nahm ihm das Glas aus der Hand und warf es durch das offene Fenster in den Schloßhof. »Da weiß ich ein besseres Remedium und spart der Herr Bruder seine andern neun Goldgulden.«

»Was wollt Ihr tun?!« fiel ihm der Doktor Martein in die Rede. »Ich bin der Arzeneidoktor und verbiete kraft meines inhabenden Amtes jedwedes Remedium, ehvor ich es nicht selbst untersucht und auf das genaueste erprobt habe!«

»Das mögt Ihr!« erwiderte Herzog Christoph lächelnd. Zugleich nahm er ihn mit zwo Fingern ganz leicht am obersten Knopf des Brustlatzes und schüttelte ihn ein wenig. Der Doktor Martein empfand es aber hinlänglich, wurde ganz rot im Gesicht und sank taumelnd in den nächsten Lehnstuhl, als jener abließ.

»Habt Ihr's nun erprobt? Her da, Herr Bruder, Euch soll bald geholfen sein!«

Bei diesen Worten trat Christoph auf Herzog Siegmund zu. Der erkannte gar wohl, wo er hinaus wolle, und wehrte er sich aufs beste. Es war aber vergebens. Herzog Christoph hielt ihn alsbald, so sanft er vermochte, an beiden Schultern, schüttelte ihn aber gleichwohl, daß ihm alle Sehnen und Nerven bebten. Als er es für genug erachtete, hielt er ein – Herzog Siegmund aber sank zurück, lag da, brennend rot im Angesicht, und atmete, als wär' er drei Stunden weit gelaufen.

Sprachlos faß der Doktor Martein, beide Hände auf den Stuhllehnen. Dann erhob er sich verzweifelt und fuhr sich in die Haare. » Apoplexia ist unausbleiblich!« stammelte er nach einer Weile. »Wenn Gott kein Wunder schickt, habt Ihr Eueren höchsteigenen Bruder und Landesherrn ermordet!«

»Das wird sich zeigen,« sagte Christoph.

»Das wird sich freilich zeigen!« rief der Doktor Martein. » Venaesectio! Man muß auf der Stelle zur Ader lassen!«

»Nimmermehr!« fiel Christoph ein. »Wißt Ihr nicht, was Ihr gesagt habt?«

»Das ist jetzt ganz anders«, gab Doktor Martein zurück. »Dynamiter war das Blut zu schwach, nun ist es zu gewaltig!«

»Also hab' ich mehr, als geholfen!« sagte jener. »Tröstet Euch, Herr Doktor, ich verseh' mich des besten.«

»Ich mich aber nicht!« rief Doktor Martein. »Ich fordere Euch auf nachzugeben. Venaesectio, sag' ich, sonst heißt es Apoplexia! Zugleich riß er den Verband heraus und wollte Herzog Siegmunds Arm entblößen.

Im selben Augenblick aber richtete sich der von seinem Lager auf, wickelte das rote Band zusammen und warf es kräftig zum Fenster hinaus, wie Herzog Christoph ehvor das Medizinglas. Sah dann vergnügt drein und sagte: »Nichts Apoplexia und nichts Venaesectio. Mir ist weiters ganz wohl zumute und bin, bedeucht mich, aufs beste genesen. Diesmal hat wieder der Christoph gesiegt, und wozu Ihr etwan drei Tage bedurftet, das hat er in drei Minuten vollzogen.«

»Aber Ihr täuscht Euch, hoher Herr«, flehte der Doktor Martein. »Wer sagt, daß Ihr genesen seid? Ihr seid in höchster Gefahr!«

»Das seh' ich nicht ein«, entgegnete Herzog Siegmund. »Frisch und gesund fühl' ich mich und Hunger hab' ich für unser drei. Macht, daß ich ein gebratenes Huhn seh, sonst beiß' ich in rnein Kissen, und zwo Gläser Rheinfall will ich, die sollen mir trefflich munden und gesunden!«

Ganz verwirrt eilte der Doktor Martein auf und ab.

»Was ist Euch denn?« fragte Christoph. »Hunger, Durst und Kraft – ist's etwa kein Zeichen der Genesung?

»Nein, nein und dreimal nein!« brach der Doktor Martein los. »Das ist kein Zeichen der Genesung, vielmehr in concreto ein ganz anderes Zeichen! Das sind nichts, denn gewaltsame Reiz' und Gelüste – und kaum dieser Euer allergnädigster Bruder all das Besagte zu sich nähme, hätt' er vielleicht den letzten Bissen auf der Zunge und läge urplötzlich tot da in seinem Bett!«

»Da mag ich mich lieber erheben«, sagte Herzog Siegmund.

Verlieh dann ganz rasch das Lager, trat in seine Samtschuhe, warf den Pelz um und fuhr den Doktor Martein lustig zornig an: »Euch, Ihr Herren, kann selber der Himmel nichts zulieb' tun! Zwölf Tage war ich schwach, alles Frosts voll und sonder Neigung zu Speis' und Trank. Da war ich in Gefahr. Nun ich frisch und lebenswarm bin und Hunger und Durst verspür', meint Ihr, ich müsse sterben? Fort, wenn's beliebt, und schafft mir das Huhn. Und groß muß es sein und weidlich fett, sonst laß ich ein zweites kommen!«

»Bestellt mir auch eins,« setzte Christoph bei – »und Ihr sollt mitspeisen. Oder habt Ihr kein Verlangen? Kommt her, ich will Euch helfen!«

»Ich danke untertänigst!« stotterte der Doktor Martein. »Das ist mir noch nicht vorgekommen – Gott segne es dem Herrn Herzog, ich wasche meine Hände in Unschuld!« Damit machte er sich zur Türe hinaus.

Da die zwei Brüder allein waren, schlug Herzog Siegmund den Christoph ein wenig auf die Schultern und sagte: »Ihr habt Euch viel herausgenommen, und wär't Ihr's nicht, ließ ich Euch wohl einsperren, obschon mir geholfen ist.«

»Da müßt' ich auch dabei sein«, gab Herzog Christoph entgegen.

»Schon gut,« milderte Siegmund kurzab, »Ihr habt's gut gemacht, das Nächste ist oft das Beste. Was verlangt Ihr denn für Euere Müh'?«

»Wär't Ihr's nicht, ließ ich Euch für die Frage einsperren«, erwiderte Christoph. »Weil Ihr aber mein reicher Bruder seid, ergehe Gnade für Recht und verlang' ich einhundert Goldgulden.«

Verwundert sah ihn Herzog Siegmund an. »Einhundert Goldgulden? Ich hält' gleich tausend verlangt. Doch Ihr sollt sie haben« – etliche Zeilen schrieb Herzog Siegmund – »da nehmt den Befehl und geht zum Prätzl. Drei Goldgulden läßt Ihr ihm zurück für die Mixtura. Die habt Ihr hinausgeworfen, demnach müßt Ihr sie ersetzen.«

»Etwan das rote Band auch? Nichts wird ersetzt, und fein billig kommt Ihr davon! Denn das mögt Ihr glauben – hätt' ich Euerer stetigen Klarheit gedacht, wär't Ihr schier mehr geschüttelt worden – und meiner Seel, Ihr verdient es oft um mich!« Dazu nahm Christoph lachend den Befehl vom Tisch, warf dem Siegmund einen gewaltigen Blick zu und verließ das Gemach.

»Nichts als Geld will er«, sagte Siegmund vor sich hin. »Es ginge wohl an, aber er verschenkt es mit vollen Händen.«

Drauf setzte er sich in den Erker.

Herzog Christoph aber trat bald in die Zahlstube.

Als Herr Prätzl, der am Tische saß, den Kopf wandte und den Herzog Christoph sah, fuhr es ihm durch alle Glieder. Erhob sich aber, so rasch er konnte, rieb die Hände ungemein devot und sagte, indem er die Beine ganz eng aneinanderdrückte und unter den buschichten Augenbrauen sehr listig emporsah: »Freut mich ausnehmend, allergnädigster Herr Herzog, daß mir das Glück wird Euch zu sehen! Ihr wollt sonder Zweifel die bewußten fünfzig Goldgulden zurückerstatten, so Euch jüngst vom Herzog Siegmund vorgeschossen worden sind.«

»Keineswegs!« war Christophs Antwort. »Hier ist der Befehl. Auf und zahlt aus! Nun was lugt Ihr so lange?«

»Ich soll auszahlen –?« Zweimal überlas Herr Prätzl den Befehl. »Haltet zu Gnaden, junger, hoher Herr! Aber meine Augen – einhundert Goldgulden – ganz recht, ich – dachte, es wären etwa gar zweihundert –«

»Und wenn es so wär'?!«

Das sagte Herzog Christoph in einem Ton, daß Herr Prätzl auf das heftigste erschrak. Schnell fuhr er mit der langen Feder hinter das Ohr, eilte zum Geldkasten und beugte sich tief hinein, so daß er etliche Zeit nur mit halbem Leibe sichtbar blieb.

»Nun, wird's bald?« mahnte Herzog Christoph, trat auch zum Geldkasten und sah hinein. »Ei, da liegt ja viel schönes Gold über Gold –!«

»Hat alles schon seinen Herrn und Bestimmung« – fiel Herr Prätzl ein. »Da ist kein Gran und Heller, so nicht ausgeteilt wär'! Allhier sind die einhundert Goldgulden. O, wie leicht fahrt das Geld von dannen und wie schwer kommt's herein!«

Dazu ließ er möglichst schnell den Deckel fallen.

»Hab' ich Euch ertappt!« rief Herzog Christoph. » Ihr seid also der, so meine Brüder zur Kargheit verführt, und Euch haben sie den Spruch abgelernt?! Ihr aufrührerischer Geselle, wie könnt Ihr wagen, Bruder gegen Bruder zu hetzen, so daß ich meine milde Hand verschließen muß, mittlerweil Ihr bei vollen Säcken sitzt! Wart, wenn Euch so wohl dabei ist – Ihr sollt erfahren, wie dem Geld zumute ist, das hinaus möcht'!«

Mit der Spitze des Fußes berührte er die Kante des eisernen Deckels. Der flog auf. Herr Prätzl aber fühlte sich von zwei Fingern durch die Luft geführt und in den Geldkasten gesetzt. Drüber flog der Deckel zu.

»Hilfe!« rief er.

Herzog Christoph aber ließ ihn rufen und schritt langsam zur Türe hinaus. Auf dem Bogengang traf er den Doktor Martein, der eben aus der Küche daherkam.

Zu dem sagte er: »Ei, Herr Doktor, geht doch hinein zum Herrn Prätzl, den hat eine sonderliche Krankheit betroffen. Ihr wißt, von Neid und Geiz kömmt der Mensch herunter, so daß er oft schier zum Schatten wird. Nun mag das Neid- und Geizfieber über denselben Prätzl gekommen sein, wie's nicht leicht zutraf. Denn als ich kam, war er schon ganz dünn – und mit einemmal war er gar nimmer zu sehen.«

»Nimmer zu sehen?!« versetzte jener. – »Hoher Herr, was habt Ihr da wieder verübt – oder habt Ihr mir einen Bären aufgebunden?«

»Keineswegs«, sagte Christoph und ging seiner Wege zu Herzog Siegmund zurück.

Der Doktor Martein aber verfügte sich eilends in die Zahlstube und rief: »Wo seid Ihr, Herr Prätzl?«

»Da bin ich, beim heiligen Martinus, macht auf«, antwortete es im Kasten, dazu klopfte es heftig.

Mit vieler Mühe erhob jener den Deckel, wobei Herr Prätzl mit der rechten Schulter nachhalf.

Da der letzte sein Haupt frei hatte, das von Schloß und Schrauben weidlich zerrauft war, blieb er noch eine Weile im Kasten knien und lallte, vor Ingrimm die Faust ballend: »Kreuz Blitz, berft', Erd', Sonn' und Mond, wenn das so fortgeht, bleibt nicht ein Stein auf dem andern! Kreuz Blitz, mich in den Geldkasten stecken! Mich, den Herrn Ignatius Matthias Prätzl, fürstlich höchster Gnaden lobesamen wohlweisen Kammerschreiber und innersten Geldverwalter! So sei Gott Land Bayern in Gnaden geneigt, wann der ans Regiment kam'! Ich sag' Euch, ich bin nur so geflogen – und nur mit zwei Fingern hat er mich angefaßt – Ihr könnt's kaum glauben!«

»Ich glaub's wohl« – sagte Doktor Martein, die Hände faltend – »er hat mir's nicht viel besser gemacht!«


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