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Erster Teil.


I.
Die Gruft.

Wie weiland Herzog Albertus der Dritte ein gar tapferer, dabei großmütiger Herr gewesen, davon sind viele Bücher und Schriften laute Zeugen. Zum erstenmal bewährte Albrecht III. seine Kühnheit und Tapferkeit nicht zu weit ab von München in der Schlacht von Alling, welche zwischen den Herzogen Ernst und Wilhelm gegen den Herzog Ludwig den Gebarteten von Ingolstadt Anno 1422 am Sankt-Matthias-Tag stattfand. In dieser fiel er in den stärksten Haufen ein und wäre sicher erlegen, wenn nicht Vater Ernst noch rechtzeitig die Gefahr bemerkt, sich bis zu ihm durchgeschlagen und den niedergestreckt hätte, welcher seinem Sohn eben den Todesstreich versetzen wollte.

Allerorten räuchern und psalmieren sie ihn trefflich wegen seines Eifers, mit dem er die Nester der Stegreifritter niederbrannte und die bösen Gesellen zu Nutz und Frommen sämtlicher Landschaft köpfen, hängen und rädern ließ. Darob stießen sie auch in die Posaune, daß er einst Israels Söhne aus München vertreiben ließ. Was aber manche minder preiswert finden, als daß er nein sagte, da die Gesandten aus Böheim daherkamen und ihn zum Schaden des Prinzen Ladislaw zum König machen wollten. Daß er Ludwig dem Gebarteten zur goldenen Freiheit verhelfen wollte, wird auch billig gerühmt, und als der früher aus dem Leben, denn aus dem Gefängnisse ging, hat jener wieder viel Dank gewonnen, daß er mit dem Landshuter Heinrich nicht um die irdische Habe raufte.

So war denn selbiger Albertus ein recht lobesamer Fürst. Hatte aber viel zu erdulden. Und wär ihm nichts begegnet, als eines, so hätt' er von Schmerzen Erfahrung genug gehabt.

Denn wer wüßte nicht, wie sein gestrenger Vater Ernestus, mittlerweile sein Sohn gen ein anderes Land ritt, dessen Herzensfreude, die vielgeliebte Agnes Bernauer, Augsburgs schönstes Töchterlein, in großem Grimm ergreifen und zu Straubing »Anno 1436 an St. Maximilianstag ... es hatt sobald es geschach den Vater hart gereuen ... sie ward herrlich begraben mit ainem schönen grabstein als doch aine Fürstin zue Straubingen außer der statt bei St. peterskirchen ...« Ulrich Fütterers Chronik. in die Donau werfen ließ, und was große Verzweiflung über den armen Prinzen hereinbrach, so daß er schier um seinen ganzen Verstand gekommen.

Da milderte wohl die Zeit des Albertus Gram. Er bot der Braunschweigerin Anna die Hand, gelangte später selbst zum Regiment und sah dabei im Laufe der Jahre drei Töchter, die Margaret, Elisabeth und die Barbara – und fünf Söhne um sich emporblühen, die hießen Johannes, Siegmund, Albertus, Christophorus und Wolfgang. Margarete, geb. Anno 1441 – Elisabeth 1442 – Barbara 1454 – Johannes 1437 – Siegmund 1439 – Albrecht (IV.) 1447 – Christoph 1449, 5. Juni – Wolfgang 1451. Zwei andere Söhne starben in frühester Jugend.

Von diesen fünf Söhnen war jeder mit trefflichen Eigenschaften geziert. Demnach sehr klug, tugendhaft und tapfer gesinnt, wie das jungen, ritterlichen Fürsten gar wohl ziemt.

Soviel trefflich sie aber insgesamt waren – an Tiefe des Empfindens, zugleich jachem, lustigem Lebensmut, hinwieder großer Kraft und Gelenkigkeit des Leibes kam doch keiner dem Herzog Christoph gleich.

Also war es mit dem so beschaffen:

Schon in früher Jugendzeit trug er Liebe zu Gott und Milde für die Menschen in seinem Herzen. Dessen freute sich seine edle Mutter, die Anna von Braunschweig, auf das innigste. Wenn er demnach bei ihr war, erzählte sie ihm von allen heiligen Dingen, auch von Märtyrern, frommen Bischöfen, Mönchen oder Einsiedlern, und was die alles erlitten und durchgekämpft, bis sie ganz fest auf dem Pfade der Tugend im Leben und vom Leben zum Tode schritten. Wenn sie nun so erzählte und ihm zu Sinn führte, wie hold und ruhig es im Herzen dieser Männer und sonst aller Guten beschaffen sei, als daß es dieselben schier bedeuchte, sie fühlten des Himmels Fried' und Freude schon hier auf Erden – wie öd und elendiglich hingegen in gottfeindlicher Menschen Brust –, wenn die Anna von Braunschweig so erzählte, da lauschte er wohl jedem ihrer Worte auf das allertreueste. Die Wimper wurde ihm leicht von einer Zähre naß, seine Stirne umwölkte sich recht düster, wenn er von der Bösen Absicht und Tat an den Guten vernahm – und anders wieder röteten sich seine bräunlich bleichen Wangen und lag die klare Seligkeit auf seinem ganzen Antlitz ausgegossen, so er inne ward, wie die Guten gottesfreudig ausharrten und doch zum Sieg gelangten.

Da meinte die Anna oft, sie vermöchte zu vollführen, was ihr stets im Sinne lag. Das war des Knaben jachen Sinn und ungestümes Wesen zu verkehren oder zu bändigen – denn schon in frühesten Jahren unterfing er sich so kühner Dinge, daß sich manch rüstiger Jüngling wohl besonnen hätte.

Aber ihr Hoffen war doch für nichts.

Wohl sah sie, daß er schon in seinem jungen Leben überaus fromm, rein und enthaltsam sei, gar gerne mit Priestern und sonst ehrwürdigen Männern guten Verkehr hatte und gar oft wandte er sich St. Lorenzen Die »Sankt- Lorenz-Kirche« stand im Raum der von Herzog Ludwig dem Strengen erbauten Burg (jetzt »alter Hof«), gerade über dem Burgteil mit dem schönen, schlanken Erkerturme. Zuerst hieß sie » Margareten«-Kapelle, wurde aber später auch »Sankt- Lorenz-Kirche« genannt, weil Kaiser Ludwig der Bayer Anno 1324 im neuerbauten Chor der jener Heiligen geweihten Stätte einen Altar zu Ehren des heiligen Lorenz errichten ließ. Dabei verschlug es der neuen Benennung nichts, daß Kaiser Ludwig an der rechten Seitenwand des Chores unter einem großen Kruzifix einen bemalten Denkstein anbringen ließ, auf welchem er kniend dargestellt ward, desgleichen, ihm gegenüber, seine zweite Gemahlin Margarete von Holland, welche der zwischen ihnen befindlichen heiligen Jungfrau Maria das Kirchlein darbietet, dessen Chor das Jesukind segnet. Das Steindenkmal kam nach Abbruch der Lorenzkirche Anno 1815 in den damals düsteren Eingang des Pfarrhofs zu Unserer Lieben Frauen, von wo es zu unserer Zeit auf meinen Anlaß in das bayrische Nationalmuseum verbracht wurde. Das Denkmal dürfte zweifelsohne von Anton Berthold dem Schnitzer (überhaupt Bildformer, Steinmaißl) gefertigt worden sein. Dieser ward von Kaiser Ludwig viel beschäftigt und Anno 1342 »der Dienst wegen, die er dem kayser getan und noch täglich tuet« für sich und seine Ehefrau Kunigunde für sein ganzes Leben mit dem Haus beschenkt, welches vor der Burg unter dem Namen »Marstall« stand. Nach des Beschenkten Tod mußte es um 56 Pfund Münchener Pfennige abgelöst werden. Es steht vergrößert noch in der Burggasse und führt der Weg durch dasselbe zur Lederergasse. Monum. boica. zu. Das war die Hofburgkirche. Aber nicht minder sah sie ihn in des Vaters Wappensaal oder in die Rüstkammer schreiten. Dort beschaute er das Wehrzeug der fürstlichen Ahnherren, prüfte ihrer Schilde Last und ihrer Schwerter Wucht und das des Kaisers Ludwig nahm er oft zur Hand, stützte sich darauf und träumte sich hinein in Abenteuer und Schlachtennot der Vorzeit. Da vergaß er alles um sich her.


Historische Anmerkung

Mit den fürstlichen Wohnsitzen der bayrischen Herzoge zu München war es im Lauf der Zeit so beschaffen:

Die Burg » Ludwigsburg« (der jetzige » alte Hof«) war von Herzog Ludwig dem Strengen erbaut und von dessen Sohn Ludwig dem Bayer erweitert worden. Beim großen Stadtbrand Anno 1327 ging sie halbteils zugrunde, und zwar kaum sechs Wochen nach Antritt der Romfahrt Kaiser Ludwigs. Das Feuer brach in der Bäckerei des Angerklosters am 14. Februar in der Sankt-Valentins-Nacht aus. Am 16. Februar 1330 kehrte der Kaiser aus Italien zurück und hielt seinen Einzug, begleitet vom Kriegsvolk, vielen italienischen Rittern, dem Legaten des Gegenpapstes mit Gefolge und mehreren berühmten Minoriten, wie Wilhelm Occam, Jandunus und anderen. Während der früheren Abwesenheit des Kaisers war seine Burg nicht völlig hergestellt worden, so daß er sich nun noch einige Zeit in einer fürstlichen Behausung aufhielt, welche seitab von der heutigen Fürstenfeldergasse gelegen und ganz früh von seinem Vater benutzt worden war.

In jener » Ludwigsburg« residierte Herzog Albrecht III. mit Anna von Braunschweig und seinen Kindern. Indessen gab es da schon auf dem Platz hinter der heutigen Residenz herzogliche Gebäulichkeiten, welche man die » Neuveste« nannte, die schon in zweiter Hälfte des 14. Jahrhunderts zur Zeit der »Vier-Herzogs-Regierung« erwähnt wird. Diese wurde von Albrecht III. Sohn, Albrecht IV., erweitert und verschönert. In ihr residierte dann dieser mit seinen Kindern und zeitweise auch seinen Brüdern, während die »Ludwigsburg« mehr und mehr nur noch als Absteigequartier fremder, fürstlicher Gäste, Gesandten und Gelehrten und für Ämter diente.

In der » Neuveste« residierten später die Herzoge bis zur Zeit Herzog Wilhelms V. und dessen Sohnes Maximilians I. in zweiter Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Veste hatte bis dahin mehrmals durch Sturm, Blitzschlag und Feuer gelitten. So wurde oft und viel an ihr repariert, bis sich Herzog Wilhelm V. Anno 1575 und folgend eine neue, die sogenannte » Wilhelmsburg« zunächst dem heutigen Maximiliansplatz bauen ließ. Man nannte sie über nicht lange Zeit » Maxburg«, weil sich da ihres Erbauers Sohn und Regimentsnachfolger Maximilian I. nach gänzlichem Herabkommen der »Neuveste«, noch so lange aufhielt, bis seine neue, die heutige » Residenz« von Anno 1612-1619 vollendet war. Auch diese Residenz traf mehrere Male schwere Verwüstung durch Brand, nämlich Anno 1674, 1729, 1750, und ebenso die » Maxburg« Anno 1762.


Wenn es aber urplötzlich im Burghofe rauschte und es kamen die Rittersleute daher mit klirrenden Waffen oder die Jägersleute mit Weidzeug und Waldesbeute, da sah er freudig auf, hing leichter Hand des großen Kaisers Schwert an die Wand und eilte hinweg von den Waffen derer, die längst begraben lagen, und hinaus und hinab zu denen, die da lebten. Denen rief er entgegen in frohester Hast und fragte die Rittersleute, woher des Weges, was sie vollführt und was sie erlebt, und die Jägersleute, was sie erbeutet und wie sie's gehalten draußen in Forst, Schlucht und Ebene. Da wußte er Lob und Rüge für Schwerter und Armbrust, da freute er sich, beredter Lippe, des Waldgetieres. Dann eilte er hinauf mit den Grafen und Herren oder den Förstern zum Vater Albertus, da fiel die Rede auf Helden und gewaltige Jäger aus alten Tagen oder solche, die noch lebten weit weg oder näher, dort oder hier. Und wenn der Knabe das alles vernahm, da flammten seine Wangen hellauf, seine Blicke leuchteten hochauf, sein ganzes Wesen schien bewegt und erkannte jeder, wie er vorn Verlangen entbrenne, es jenen gleichzutun und wundersam kühne Tat zu vollbringen.

Wenn das die Anna von Braunschweig mit ansah oder Herzog Albertus gab ihr davon Bericht, da wurde ihr im treu mütterlichen Herzen wieder neue Sorge mit Stolz und Freude wach.

Herzog Albertus aber wußte sie stets zu trösten und sagte: »Da läßt sich nichts richten und wenden. Er ist in jungen Jahren ein jacher Gesell, das hat ihm keiner gegeben, denn Gott, und kann's ihm keiner nehmen. Das seh' und erkenn' ich alltäglich mehr und mehr. Viel wundersam Kühnes hat er schon versucht und vollbracht, und ehvor er viel weiter in die Jahre kommt, wird er manch Großes vollbringen in erstem Übermut oder rechtem Ernste. Drob laßt Euch keinen großen Gram erwachsen. Denn so wir's recht erfassen und anstellen, halten wir ihn auf gutem Pfad. Also hab' ich's im Sinn und so haltet's auch Ihr. Erfüllt sein Gemüt mehr und mehr mit Liebe zu wahrer Frömmigkeit! Ich üb' hinwieder meine Pflicht. Die ist, daß ich ihn verwarne vor Mißbrauch aller Gewalt – und ihm und allen anderen Söhnen will ich zeigen, was es um ein starkes und hinwieder gerecht und mildes Regiment sei. Da gibt uns Gott seinen Segen und erleuchtet ihre Gemüter, daß jedweder von ihnen aus Wort und Tat Nutz und Frommen schöpfe.«

In dem Sinne sprach Herzog Albertus öfters. So schwand die Zeit, ging ein Jahr um das andere dahin, und was jener vom Herzog Christoph vorausgesagt, es traf gänzlich zu. Denn wunderbar wuchs ihm Kraft, Kühnheit und Geschick seines Leibes. Ringen, Fechten und Springen, die Armbrust und den Wurfspieß zu führen, darin überbot er alle. Das wildeste Roß bändigte er, vom Schwindel wußte er so wenig, als wären die Berge seine Heimat; im Wettlauf und Schwimmen konnt' ihm niemand an, und seine Kraft in Schulter, Hand und Ferse setzte jedweden in Erstaunen.

Unweit von München heißt's »in der Hirschau«. Da jagten einmal die fünf Brüder und Herzoge, gelangten weiter und weiter, zuletzt an einen breiten Bach und dachten die mehreren nach, wie und wo sie hinüberkämen. Da rief Herzog Christoph: »Was Steg und Brücke, das Wasser soll uns nit trutzen!« Sah dann weiters nimmer um, vielmehr nahm er gleich zwei Brüder auf die Schultern, in einem Hui war er drüben, und die andern zwei durften auch nicht mehr lange warten.

Ehemaliger Burghof in München.

Eine junge Tanne bog er gar leicht oder riß mit mächtigem Griff eine junge Birke aus, und wenn's ihm zu Sinn kam, warf er sich in die reißenden Fluten der Isar und schwamm eine gute Strecke den Strom hinauf, als wär' da ein stehendes Wasser.

Wieder einmal war's zu München. Da kam ein junger Graf daher. Der war weiter her aus Land Tirol und vermaß sich ganz kühner Dingen; der Herzog Christoph aber gewann es ihm in jedem Stück ab. Drüber grollte jener innerlich, hob an von Schluchten und Abgründen zu sprechen und prahlte noch, daß er steh' und klimme, wo's keiner Gemse mehr gefalle – dabei lud er den Herzog Christoph zu sich, daß er's bezeugschafte. Da erkannte der alsbald, daß ihm der Sieg angestritten werde, und lud ihn ein ihm zu folgen und auf den einen Sankt Petersturm Die Sankt-Peters-Kirche, zuerst die einzige Pfarrkirche Münchens, ging beim Stadtbrand von Anno 1327 zugrunde. Sie wurde im Laufe vieler Jahre wiederum größer erbaut und Anno 1365 am Sankt-Georgi-Tag von Paul, Bischof von Freising, eingeweiht. Dabei waren Herzog Stephan der Ältere und die Prälaten Heinrich Eglinger von Tegernsee, Albert von Scheyern, Stephan von Ebersberg und Ulrich von Weihenstephan. Sie hatte damals zwei Türme. So zuzeiten Herzog Christophs und bis Anno 1607, da am Vorabend St. Jakobs der Blitz in den Turm gegen den Marktplatz einschlug und beim Brand auch der zweite Turm großen Schaden litt. Herzog Maximilian I. ließ nun statt der bisherigen zwei Türme, den einen, noch jetzt stehenden, aufführen. Übrigens schlug es noch öfters in die Sankt-Peters-Kirche mit mehr oder weniger Schaden ein. So besonders Anno 1619 am Christi-Himmelfahrts-Tag, Anno 1649 am Bennotag, 17. Juni 1659, 2. August 1690, 18. Juli 1725, 21. September 1727, 19. Juli 1730, 8. Mai 1752. zu steigen. Da zeigte sich, daß Herzog Christoph minder Furcht habe, denn jener. Denn der Graf aus Tirol hielt oben weislich an, der Herzog Christoph aber klomm zum Ranft an die zwo Spitzen empor und schritt frei um das Dach herum.

Nächst geht die Sage, er habe das Hufeisen eines starken Streitrosses zusammengebogen, als wär' es nur eitel Wachs, und habe einen fahrenden Junker beschämt, der sich mit seiner Hände Kraft brüstete.

Und so verlautet noch dies und jenes. All aus dem erkannte die Anna, wie wahr Albertus gesprochen, und versäumte nie die Zeit zu mütterlich mildfrommer Rede. – Da war jedes Wort ein Samenkorn, so insgesamt aufgingen im Herzen des Sohnes und emporsproßten zur herrlichen Saat der Tugend.

Herzog Albertus aber tat das Seine nicht minder und gab den Söhnen manch gutes Beispiel. Das trug auch gute Früchte.

Einst, als er aus dem Burghof trat, kam ein altes Mütterlein des Weges und sagte: »Vielmächtigster Herr Herzog, wenn ich nur auch Euere Gnad hätte!« Sagte Albertus: »Und warum denn nicht? Also, wo fehlt's denn?« Drauf sprach das Mütterlein gar geschäftig: »Ja seht, Herr Herzog, Euer Pfleger ist ein Nimmersatt und ich komm zu keinem Recht. Nun hab' ich ihm schon zwo Viertel Hafer verehrt und nächst einhundert Eier und Schmalz dazu, nun ist's wieder nichts und er will noch hundert dazu.« Wie das der Albertus hörte, wandt er sich zu Herzog Christoph und sagte: »Du, merk' dir's, Christoph, der Pfleger soll das wohl büßen.« Gab auch sogleich Befehl die Sach' zu ergründen, da zeigte sich alles, dem Mütterlein war bald geholfen – dem Pfleger aber auch. Der lag vier Wochen im festen Turm.

Nächst kam ein Bäuerlein, war auch schon alt und hatte ganz weiße Haare. Dasselbige Bäuerlein ging auf den Albertus zu, als er eben aus der Schloßkapelle trat, und zupfte ihn am Mantel. Wandte sich Herr Albertus alsogleich und sagte: »Warum ziehst und zerrst du mich an mei'm Pelzmantel?« Antwortete der andere: »Ja, allermächtig ' und gnädigster Herr, sell ist wohl fein grob, wie ich weiß – wenn ich aber eine gute Absicht hab'! Dürft' ich Euch nicht einen Gulden verehren, daß meine gerechte Sach' guten Verlauf nimmt?« Drauf sagte der Albertus: »Bist du bei Trost? Ich nehm' den Gulden keineswegs. Sei still und schau' zu, ob ihn der Richter nicht nimmt!« Da ging das Bäuerlein nicht fehl, der Richter machte kurzab und fällte das beste Urteil. Der Albertus aber ließ ihn kommen und sagte voll Unmut, daß er mit der Faust auf den Tisch einschlug: »Wart, du Schelm, nun hab' ich dich ertappt. Hätt' ich das Geld genommen, wär's dir noch baß Zeit gewesen mit Recht und Entscheid. Hätt' ich doch fast Lust, daß ich dich in die Eisen werfen ließ' bei Wasser und Brot, bis derjenige Gulden aufgespeist ist. Dankt Gott, daß Ihr nicht für Unrecht, sondern Recht zugrifft, und will hoffen, zum erstenmal. Das aber merkt Euch: wer Geld für Recht nimmt, nimmt's leicht auch für Unrecht! Damit hebt Euch weg aus meinen Augen!« Da kann sich jeder denken, wie dem Richter zumute war und wie er froh war, daß er mit soviel davonkam.

Wieder einmal lehnte Herr Albertus am Fenster, sah den Tauben des Herzogs Siegmund, seines Söhnleins, im Schloßhofe zu und hörte somit an, was ihm ein Fischer vom Würmsee erzählte. Da nun der Fischer des Bescheides harrte, währt' es immer länger, der Albertus aber sah immer hinab und sagte nichts. Drüber schritt der andere hin, schlug Herrn Albertus auf die Schulter und sagte: »Ja, hoher Herr, wann Ihr nichts mögt, denn auf die Tauben lugen, mag mir weiters wenig gefrommt sein!« Wandte sich Herzog Albertus sogleich und sagte, ganz rot im Gesicht: »Du bist aber ein kecker Gesell, das trau' dir noch einmal! Aber meiner Seel, Christophorus, recht hat er doch. Wir sind nicht da für Kurzweil dringende Klag' zu vergessen!« Ward nun dem Fischer gerechter Entscheid und kam in späterer Zeit ein oder der andere, da mochten noch so viele Tauben im Schloßhof sein, der Albertus lugte nimmer hinab.

Aus soviel und wenig erkennt ihr nun wohl, wie gut und gerecht er war. Gäb's aber noch gar manches zu melden, was Freud' er hatte an frommer Schilderei, heiligen Gesängen und Orgelspiel, was ernste Betrachtung er zur Essenszeit lesen ließ, kurz, wie er alles so tat und richtete, daß er ein erbauliches Beispiel abgab und für einen demutsvollen Christen erkannt wurde, so er doch im Weltlichen ein recht mächtiger, großer Herr war. Albrecht dem III. war, abgesehen von seinem düsteren Erlebnis, der Agnes Bernauer wegen, in älteren Tagen Kummer durch zeitweilige Uneinigkeit mit seiner ebenbürtigen Gemahlin, der Anna, erwachsen. An Podagra leidend und müde des Regierens, hatte er dieser einst die Herrschaft nahezu ganz überlassen, und sie war da mit dem Adel, welcher sich viel erlaubte, gleichwohl zu streng verfahren, so daß Albrecht Vorkehrung treffen mußte. Darüber ward Anna höchst unzufrieden und übereins wollte sie Hof und Stadt verlassen. Dies geschah zwar nicht, und sie überließ ihrem Gemahl wieder das Regiment, zu welchem derselbe nun seine zwei ältesten Söhne beizog, um sie erfahren zu machen, aber eine völlige Aussöhnung erfolgte doch erst später. (S. den »Meister von Nürnberg« in meinem Buch »Die gute, alte Zeit«, fünfte Erzählung.) Näheres des Zwistes an sich berichten Aventin, » Annales Boiorum« u. a.

Als er nun zu Glück und Segen des Landes eine gute Weile regiert hatte, ward er krank, gab sein Irdisches auf, am vorletzten Tag Taumonats war's, und zog seine Seele von hinnen, da man zählte vierzehnhundertundsechzig Jahre nach unseres Herrn Geburt.

Sein Grabgeleit gaben sie ihm gen Kloster Andechs auf dem heiligen Berg. Das hatte er groß bedacht und auserbaut – mitsamt seiner Gruft. Viel Trauer war zu München, als sie ihn fortführten, schier alles Volk zog mit, weit hinaus, aus allen Türmen läuteten sie ihm nach auf seinen letzten Weg und ringsum desgleichen, wo der Zug hindurchkam, und wie viele ihrer aus allen Dörfern nahten ihm in Wehmut letzte Ehr' zu erweisen, sie waren auch nicht zu zählen.


Historische Anmerkung

Albrechts III. Vater Ernst hatte Anno 1438 auf dem heiligen Berg Andechs eine Propstei für regulierte Chorherren St. Augustins beabsichtigt, wozu er durch das Baseler Konzil berechtigt war. Indessen war Johannes, der herzogliche Beichtvater und spätere Prälat von Undersdorf, der Sache in dieser Richtung abhold, und so blieb sie in der Schwebe. Nun kam Anno 1451 der Kardinal und päpstliche Gesandte Nikolaus von Cusa nach München, begab sich mit Albrecht nach Andechs, besah die dortigen Reliquien, stimmte der gegnerischen Ansicht des Johannes bei und berichtete, der nunmehrigen Bitte des Herzogs entsprechend, nach Rom, daß für Andechs die Errichtung eines Benediktinerkonventes das allein gültige sei. Hierauf fertigte Papst Nikolaus V. Anno 1453 eine Bulle aus und machte sich anheischig zum Klosterbau selbst 3000 fl. beizusteuern. Anno 1455 war das Gebäude in stand, am 17. März kam Albrecht III. nach Andechs, wo die Baseler Bestimmung durch die vier Benediktineräbte von Tegernsee, Ebersberg, Scheyern und Wessobrunn und durch die Pröpste von Raitenbuch, Diessen und Polling feierlich unterdrückt und als erloschen erklärt und das Kloster dem Orden St. Benedikts zugewiesen wurde. Bald darauf kamen sieben Religiose aus Kloster Tegernsee nach Andechs, die erste Klostergemeinde zu bilden.

V. Arnpeckh, Chronicon Bojoariae L. V. u. a.

Indessen kam das Kloster keineswegs genau an die Stelle des früheren Schlosses der Grafen von Andechs, welches nach der Untat Pfalzgraf Ottos von Wittelsbach an Kaiser Philipp Anno 1208 zerstört wurde, weil man Graf Heinrich von Andechs der Mitanstiftung der Tat bezichtigte, vielmehr war das Schloß weiter ab gegen das Kiental zu gelegen.


So folgte ihm Lob und Segen in die Gruft nach, darein sie ihn legten zu Andechs in der Kirche.

In der standen die Seinen alle und schluchzten bitterlich, so daß die heißen Zähren aus den Sarg hinabfielen, und wollten die Gruft nicht schließen lassen, das Auge stets neu zu weiden in schmerzlicher Sehnsucht.

So war's dem Herzog Christoph auch. Doch lenkt' er die Mutter und die Geschwister mit milder Ermahnung ab.

Weit herum im Kreise knieten sie darauf, verhüllend in namenlosem Schmerz letzter Scheidezeit ihre Antlitze. Drüber ward gar manchem Mönch das Auge feucht, gar mancher schönen Maid wollt' es das Herz abstoßen in leisem Schluchzen.

Da ermannte sich einer. Es war Herzog Christoph, der zunächst dem Steine kniete.

Viel hatte er in sich gekämpft – nun hatte er's überwunden und lispelte für sich: »Einmal muß es geschehen! So nimmt die Qual kein Ende. Gott hat es gewollt, so muß geschieden sein. Keines anderen Hand aber soll dich von uns trennen, mein Vater – ich selbst, dein Sohn, deck' dich zu!« Die später eingemeißelte Gesamtgrabschrift bewies, daß, wie Albrecht III., so auch später dessen Gemahlin Anna und die Söhne Johannes und Wolfgang ihre Ruhestätte in der Andechserkirche fanden. Weshalb die mehrfache Angabe, Anna sei in der Kirche des Frauenklosters zu St. Jakob auf dem Anger in München begraben worden, unrichtig ist. ( Falkenstein, Geschichte des Herzogtums Bayern.) Der Steinmaißel, welcher den Grabstein fertigte, hieß Hans Halde, welchem für seine Arbeit 22 Goldgulden bezahlt wurden.

Drauf lüpfte er leise empor den flachen Stein, mittlerweil er sich erhob und schritt zur Gruft mit langsam sicherem Tritte. Da fuhren sie alle auf noch einen Blick hinabzusenden – den allerletzten – – dann sank die Mutter Anna in der Kinder Arme.

Kloster Andechs in alter Zeit.

Als sie ihr Auge wieder aufschlug und alle hinsahen – war die Gruft längst verschlossen.

An der stand mannhaft der Herzog Christoph, sein Haupt tiefgebeugt, die Arme gesenkt, verschlungen die Hände zum Gebet. Bleich war sein Angesicht – seine Lippe bebte in erdrücktem Schmerz.

So sah er darnieder auf den Stein, der ihm seinen treuen Vater Albertus deckte.


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