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XVI.
Herzog Christophs Gefangenschaft und Befreiung.

Also war Herzog Christoph in Gefangenschaft. Und die währte schon an ein Jahr.

Mittlerweil' er nun im Turm am Tiergarten saß, gab's viel Streit um ihn. Der Herzog Wolfgang bemühte sich aufs eindringlichste, der Albertus aber ließ sich auf nichts ein und sagte nichts. Sagte er aber etwas, hieß es immer: »Nur Geduld, die Zeit wird schon kommen.«

Der hatte gut Geduld predigen. Er war frei.

Item– die Angelegenheit zog sich immer mehr in die Länge und wollte kein Ende hersehen. Da wurde Herzog Wolfgang bitterbös und zornig, ritt gen Regensburg auf den Reichstag und hielt vor Kaiser Friederikus eine mächtige Rede, so daß jeder meinte, der Albertus sei gänzlich aufs Haupt geschlagen, und begierig war, was der nun erwidern werde.

Drauf waren aber alle getäuscht. Denn wie der Albertus hörte, was der Bruder Wolfgang alles vorbrachte, dachte er: Da ist's besser, du schweigst, denn recht hat er, und sprichst so weit und viel du magst, ist's doch nichts.

Wie nun jeder horchte, was da kommen werde, fing der Albertus von ganz was anderem an und sagte: »Er habe Nachricht bekommen, sein Bruder Siegmund sei zu München plötzlich erkrankt, so daß es schier auf eine Stunde Zeit ankäme. Ging auch sogleich von Kaiser und Kurfürsten weg, ließ sein Roß satteln und ritt heim gen München.

Über dies geriet Kaiser Friedrich in großen Unmut und schickte ihm ihrer drei nach. Die waren der Herzog Albert von Sachsen, Wilhelm, der Fürstbischof von Eichstätt, und Otto, Pfalzgraf von Neumarkt. Selbe leisteten schleunigst Folge, machten sich auf den Weg, und da sie zu München ankamen, hinterbrachten sie dem Albertus des Kaisers Zorn und drohten ihm mit Acht und Bann, so er den Herzog Christoph nicht in Bälde freilasse. Kaiser Friedrich schickte noch eine zweite Gesandtschaft nach München, an deren Spitze Hugo Graf von Montfort stand. Auch sie hatte keinen günstigen Erfolg. Dann berief Kaiser Friedrich den Herzog Albrecht zu einer persönlichen Zusammenkunft nach Kloster Prüfening nächst Regensburg. Bei dieser wußte letzterer den Schritt gegen Christoph tunlichst zu rechtfertigen, und es blieb bei der Gefangenschaft. Gleichwohl beauftragte Kaiser Friedrich über eine Weile den Herzog Ludwig von Niederbayern, die Befreiungssache mit etlichen Fürsten und der Landschaft von Ober- und Niederbayern zu traktieren. –
Archiv-Nachrichten.

Herzog Albertus aber sagte dies und das, und aus allem sahen jene, daß er einen guten Mut habe, selbst des Kaisers Majestät und gedrohter Strafe zu trotzen. Reisten demnach die drei Herren wieder fort, der Herzog Christoph blieb gefangen und verging drauf wieder Mond um Mond.

Weil aber keinem einleuchten wollte, daß Herzog Christoph eingesperrt bliebe, wenn er seine Freiheit wollte, blieb nur eines zu denken übrig. Das kam im ganzen Land herum und glaubten alle, selbig seine erstaunliche Kraft und Gewalt sei gebrochen und vernichtet.

Das verhielt sich aber keineswegs so.

* * *

Es war eines Abends.

Herzog Christoph lehnte eben am Gitterfenster, dran zwo mächtige Eisenstangen waren, sah so hinaus und dachte an die Margret.

Da knarrte das Schloß der äußeren Türe. Dann öffnete sich die innere. Jener aber wandte sich nicht, denn er meinte, sie brächten ihm sein Abendessen.

Mit einemmal legte ihm einer die Hand auf die Schulter und sagte: »In Gott gegrüßt, hoher Herr!«

Nun sah Herzog Christoph um und sagte, wehmütig und freudig zugleich: »Ihr seid's, Hartlieb von Sigenheim – wie konntet Ihr zu mir gelangen?«

»Ja, was wagt Lieb und des Herzens Bewunderung nicht!« entgegnete Hartlieb. »Laßt darum gnädigst all weiteres Fragen, denn wir haben von anderen Dingen zu sprechen und meine Zeit ist kurz gemessen.«

»Wie geht's daheim, teurer Freund?« fragte Christoph.

»Die alle lassen Euch in Lieb' und Ehrfurcht besten Gruß entbieten. Mich seht Ihr frisch auf und wohl bei Handen – so ist's mit der Edika auch beschaffen und dem Parzival von Puchberg fehlt auch nichts. Nur daß eben die Margret nimmer recht werden will. Die siecht ganz dahin, 's ist schon etliche Zeit her und will nichts frommen und anschlagen. Vielleicht, daß es doch wieder besser wird.«

»Das wünsch' ich von ganzem Herzen«, sagte Herzog Christoph, scheinbar ruhig, aber innerlich war ihm ganz anders. »Also besten Gruß und Dank hinwieder, und daß es sich mit der Margret von Sigenheim zum Bessern wende – – – und was nun weiter?«

»Könnt Ihr fragen, hoher Herr? Euch mit einer guten List befreien. Ich werde Euch keinen nennen, aber etliche der Wächter sind gewonnen. Glaubt mir, nicht um Geld – sie treibt die reine Lieb' und innerlicher Unmut, daß Ihr da herin seid. Noch in dieser Nacht könnt Ihr entrinnen. Für einen Klosterhabit hab' ich gesorgt, da seh'n Euch die anderen für den Pater Theobert an. Den Schlüssel zum oberen Törlein haben wir auch. Ein weniges überm Graben drüben findet Ihr unserer zehn und ein gesattelt flüchtiges Pferd. Also jagt Ihr mit uns von dannen und hat der ganze Jammer ein Ende.«

»Davon jagen, meint Ihr, soll ich mit Euch? Das geht nicht so wohl, als Ihr denkt«, sagte Christoph kopfschüttelnd.

»Ei, wär's so weit mit Euch gekommen?« fiel jener ein. »Hoher Herr, Ihr werdet doch nicht verlernt haben ein mutiges Roß zu hetzen, so Euch auch viel an sonstiger Kraft vergangen ist.«

»So sagt Ihr – meine Kraft ist vergangen? Woher habt Ihr denn das?«

»Das sagt ganz Land Bayern«, war die Antwort. »Denn wärt Ihr wieder hergestellt und in jeder Art beschaffen, wie früher, bleibt Ihr nun und nimmer im Gefängnis und könnte Euch keine Gewalt darin zurückhalten.«

»Also das sagen die Leute?« entgegnete Herzog Christoph. »Herr Hartlieb von Sigenheim, da seid Ihr und alle Welt ganz falsch berichtet.«

Er tat etliche Schritte, dann fuhr er fort: »Viel Dank Euch und den anderen treuen Rittern, daß sie mich befreien wollen. Ich werd' es ihnen nimmer vergessen. Im anderen aber sag' ich so. In einer Kutte davonzueilen, steht mir keineswegs an – recht oder gar nicht!

»Was meint Ihr damit, Herr Herzog?«

»Damit mein' ich nichts, denn dies. Wie ein Fuchs, der nachts daher schleicht und dem Bauern sein bestes Huhn im Maul davonträgt, mach' ich mich nicht von dannen. Des würd' ich mich mein Leben lang zu Tod' schämen. Wollt Ihr Euch aber weiter verbünden und Rücksprache halten, daß Ihr bei einer Zeit und aus freiem Willen den Turm anstürmt und ich merk' das, lass' ich mir's wohl gefallen. Denn das ist von Euch eine Rittertat, und was mich betrifft, werd' ich so lang' nicht auf mich warten lassen. Geht's dann, wie es will, und ob auch des Bruders Scharen gegen Euch und mich anrücken. Je mehr Gedresch, desto besser und lieber, habt Ihr mir nur ein Schwert zu Handen gestellt. Kommt es so, ist's gut, wo nicht, ist's auch gut. Ritterlicher Tat und zahlreicher Freunde Gefahr, aus Liebe zu mir, weiß ich wohl zu schätzen. Sonst aber halt' ich es so: Besinnt sich Albertus selbst und spricht das rechte Wort, lass' ich, wer weiß, vom Verlangen nach der Herrschaft im ein und anderen ab, dabei Euerer eine Zahl für mich bürgen könnte. Trifft dies mit dem Albertus nicht zu – wohlan, kann's auch anders gelingen. Kaiser und Fürsten nennen mich die Zier der Ritterschaft, so werden sie wohl noch das Unrecht erkennen, in dem ich da gefangen sitze, und mich bei guter Zeit frei machen. Ist's aber nur eitle Redeweis', und dulden sie's, daß der Albertus Acht und Bann verlache, so mach' ich's, wie der gebartete Ludwig. Mit jedem Mond geb' ich weniger nach und bleib' zu ewiger Schande und zu Spott des Kaisers Majestät, des ganzen Reiches und meines Herrn Bruders da herin im Turm am Tiergarten.«

»Ist das Euer letztes Wort, hoher Herr?« sagte Hartlieb von Sigenheim ganz bestürzt.

»Ja, selb ist mein letztes Wort,« gab Christoph rasch zurück, »würd' ich drüber auch zum Greis und müßt ich mich dürr verzehrt und mit grauen Haaren ins Grab legen. Mir alles eins. So wird's gehalten. Ihr geht und ich geh' nicht, und dabei hat's sein Verbleiben.«

Dann trat er gegen das Fenster und fuhr fort: »Daß Ihr alle mich in Kraft und Gelenkheit verdorben denkt, möchte ich meinesteils wohl tragen, denn käme die Zeit, würdet Ihr bald eines Bessern belehrt. Nun aber handelt es sich um des Doktors Martein Ehre. Da ich jünger war, hab' ich ihm einst in lustigem Frevel mitgespielt. Er hat sich aber großmütig an mir gerächt und wohl bewiesen, daß es um der Arzneiwissenschaft was Höheres sei, denn ich glaubte. Nun weiß er es zwar selbst nicht, daß ich meine ganze Kraft und schier mehr derselben wieder gewonnen habe – solche wirksame Tränklein gab er mir. Ihr mögt den Beweis sehen und demnach verkünden, ich hätte wohl die Kraft mich zu befreien, so 's mir gefiele.«

Er erhob den Arm und griff in die Eisenstäbe. Da war's, als ob das Eisen zum Wachs würde, solcherart bog er jene um und zur Seite. Dann erfaßte er den einen Stab mit Gewalt, riß ihn heraus und tat einen Stoß gegen die Mauer am Fenster.

Aus der Mauer polterten alsbald etliche Steine darnieder.

»Das könnt und vermögt Ihr, hoher Herr?!« Mit unterdrückter Stimme, doch voll Jubels, rief es Hartlieb von Sigenheim. »Weil es nur so mit Euch beschaffen ist! Nun hab' ich neue Hoffnung, und an Getreuen soll's, bedünkt es mich, nicht fehlen. Des seid versichert, und ging' jedweder in den Tod, das ficht keinen an. Denn für Euch schlagen alle Herzen und Euer Unglück läßt die Lieb' noch stündlich wachsen. Glück auf, Herr Herzog, und sollte einer anrücken mit den Seinigen, dabei fehlt der Hartlieb von Sigenheim nicht!«

»Behüt' Euch Gott!« sagte Christoph, ihm die Hand bietend.

»Und Euch, hoher Herr und fürstlicher Freund!« Einschlug Hartlieb von Sigenheim – dann eilte er zur Türe.

Fort war er.

* * *

Wieder verfloß etliche Zeit.

Mittlerweil' aber, wie auch schon früher, gefiel es Herzog Christoph öfters, in den Graben hinabzuschauen und die Schwäne zu füttern.

Das merkten sich dieselben und kam aus den anderen Wassergräben eine stets größere Anzahl herbei. Also hielten sie sich dann im Wasser, schwammen hin und wieder, die Flügel blähend und streckten die Hälse und Köpfe aufwärts, ob der Herzog nichts herabwerfe. So dann die Sonne schön warm schien, stiegen ihrer etliche an den Hügelrain und ließen sich den Flaum wärmen, und so es recht heiß war oder wieder kühl zur Nachtszeit, machten sie sich unter das Gebüsch und die Schilfdächer hinein und schliefen.

Selbige Schwäne hatten alle auch ihre Namen und die schönsten und größten waren mit trefflichen Halsbändern versehen. Die waren von Messing, und wer immer den Schwan eingesetzt hatte, dessen Name war auf das Halsband gegraben. Gab's also einen Schwan Albertus, einen Johannes, Siegmund, einen Christoph gab's auch, und so mehr – alle von Patriziern, und wer sonst Geld hatte einen Schwan zu kaufen und Lust dem Herzog Albert und der Stadt München eine Ehre anzutun, in den Stadtgraben gestiftet.

Wie nun bekannt geworden war, daß Herzog Christoph zuzeiten die Schwäne füttere, wußten es die Münchener bald zu nutzen. An Sonn- und Feiertagen, sonderlich wenn der Albertus nicht in der Stadt war, lustwandelten sie, anscheinend ganz gleichgültig, zu unseres »Herren«- oder »Schwabingertor« hinaus und wie in den Tiergarten oder weiter. Wandten sich aber bei guter Gelegenheit wieder zurück und rechts herüber gegen den bewußten Turm und sahen hinauf, ob der Christoph nicht herabschaue.

Sah er dann zufällig herab, grüßten sie ihn gar freundlich und ehrerbietig. Dafür dankte er auch stets mit freundlichem Kopfnicken, tat aber weiter nicht Verkehr, sondern ließ sodann und wann etliche Brosamen hinabfallen und zog sich stets bald zurück und in seinen Turm hinein.

Als nun Herzog Christoph eines Tages wieder ans Fenster trat – es war aber ein gewöhnlicher Wochentag – und eben Futter hinabwerfen wollte, hielt er damit ein und summte: »Da steht wieder die Jungfrau am grünen Busch!« Die hatte er schon ein paarmal bemerkt. Er wußte aber nicht, wer sie sei, und nach ihr fragen wollte er auch nicht.

Selbige Jungfrau stand nun wieder unten am Graben und warf den Schwanen ein Stücklein Brots um das andere zu. Mit ihren Gedanken war sie aber sichtlich wo anders und oft setzte sie lange mit dem Brotwerfen aus, ging etliche Schritte sinnend auf und ab, just als ob sie etwas recht eifrig überlege. Und da sie drauf immer wieder zu füttern begann, sah's just aus, als dächte sie: »Jetzt machst dir halt nacheinander fort mit den Schwanen zu schaffen, nachher wird sich schon was fügen und zutreffen!« Früher hatte sie wohl schon hinaufgeschaut, und es war Herzog Christoph nicht entgangen. Diesmal aber war's noch nicht geschehen. Dachte nun jener das abzuwarten und der Jungfrau Gelegenheit zu geben, falls sie was auf dem Herzen habe. Denn in der Welt kommt allerlei vor.

Richtig, wie er noch eine Weile hinabschaute, schaute die drunten mit einemmal herauf, und als sie ihn sah, gab's ihr schier einen kleinen Riß vor sichtlicher Freude. Dabei flog ein ganz glückliches Lächeln über ihren schön roten Mund und in ihrem Blicke lag etwas dergleichen, wie: »Mit Euch hätt' ich halt was recht Wichtiges zu sprechen!«

Der Blick währte aber gar nicht lange, vielmehr schlug sie ihn rasch zu Boden und stand wieder sinnend da, als setzte sie zum anderen bei: »Aber wie machst, daß d' mit ihm zu reden kommst? Es wird halt nichts werden.« Warf zugleich mehre Stücklein Brot, ohne auf die Schwäne zu schauen, in den Bach, zuletzt alle miteinander, die noch übrig waren – zugleich wandte sie sich und schritt langsam rechts um den Turm herum und da verschwand sie.

Auf dies alles hin hätte Herzog Christoph gerne gewußt, was es mit der Jungfrau sei. Daß sie nicht in die Stadt, sondern in die Feste gehöre, glaubte er ganz wohl ergründet zu haben, denn sie war herüben und nicht drüben gewesen – und guter Leute Kind mußte sie auch sein, denn sie war ganz sittig, unschuldig, unbefangen und ihr Gewand zierlich, doch sonder Übermaß. Aber so er das wußte, mehr wußte er doch nicht, und selb war nicht genug. –

Nächsten Tags kam die Maid nicht und die andern zwei Tage wieder nicht.

Speiste nun Christoph am selben dritten Tag just zu Abend, als Herr Häckenast Häckenast kömmt in alten Rechnungen vor., der Turmvogt, früher als gewöhnlich eintrat, um, wie Christoph dachte, abzuräumen.

Sagte Herzog Christoph: »Ich verwöhn' Euch noch ganz, Häckenast. Weil ich stets wenig zu mir nehm', meint Ihr wohl, ich könnte von der Luft leben. Just habt Ihr die Speisen gebracht und nun wollt Ihr sie wieder von dannen tragen. Zuletzt bringt Ihr mir gar nichts mehr.«

»O was Glück wird mir Unwürdigem zuteil, daß Ihr, hoher Herr, Kurzweil mit mir treibt!« entgegnete Herr Häckenast. Er war ein gar bieder hersehender, ganz wohlbeleibter Mann in guten Jahren, nur daß die Haare schon ins Graue spielten – dabei sah er aber ganz jugendkühn drein mit seinem gesund roten Gesicht und seinem großmächtigen Schnurr- und Knebelbart, und wann er sprach oder gar lachte, konnte ihn so leicht keiner überhören. Bei Herzog Christoph nahm er sich aber stets zusammen, und so beteuerte er untertänig und mit möglichst milder Stimme, daß er nicht gekommen sei, den Tisch abzuräumen.

»Und warum sonst?« fragte Herzog Christoph.

»So Ihr befehlt, hoher Herr,« erwiderte jener, »es ist nichts anderes als dies. Unser allergnädigster Herr, der Herzog Albertus ist, wie ich Euch ehegestern schon meldete, über Land. Nun ist mir heute ein Befehl zugekommen, da muß ich auch auf etliche Tage fort. 's ist da von wegen etlicher Türm' und Gefängnisse. Die soll ich in Augenschein nehmen – also kann ich Euch wohl die Zeit über nicht bedienen.«

»Sicher nicht. Was weiter?«

»Was weiter, hoher Herr –? Ja, das ist eine eigene Angelegenheit. Wenn ich Euch eben untertänigst bitten dürfte, daß Euch während der Zeit meine Tochter Gerberga die Speisen brächte.«

»Ei was denkt Ihr, Euere Tochter! Ich bin sicher ein frommer Fürst, und die Maid möchte sein wie sie wollte, nicht eines Blickes Gefahr hätte sie. Aber es geht gleichwohl nicht – oder liegt Euch so fast viel daran?«

»Alleruntertänigst zu dienen, Herr Herzog,« sagte jener, »mir liegt unglaublich viel daran, und so Ihr es in Gnaden zugäbt, könnt' ich vielleicht von großen Sorgen befreit werden.«

»Und wie das?«

»Ja seht, hoher Herr, es ist. ganz sonderlich beschaffen. Wenn ich's nur recht fürzubringen wüßte! In kurzem gesagt, mir scheint's, als ob's – als ob's mit der Maid nicht recht richtig sei. Vor zwei Jahren, seht, hoher Herr, vor zwei Jahren hab' ich sie dem Dürniß versprochen. Der ist ein fast tüchtiger Waffenschmied.«

»Kenn' ihn selbst«, sagte Herzog Christoph.

»Wie nun diese Versprechung vor sich ging, sagt die Maid mit Freuden ja. Nächst war's aber noch weit bis zur Hochzeit. Denn der Dürniß mußte fort ins Böhmische, da hatte er guten Auftrag. Nun kommt der Dürniß zurück, bringt eine hübsche Summe Erworbenes mit heim, geht alsogleich zu mir und denkt, jetzt sollte demnächst Hochzeit sein. Was trifft ein? Die Jungfrau ist im ganzen Sinn wie verkehrt, kommt mir zu öftest mit dem Kloster daher und ist doch ganz frisch froh. Da weiß ich nicht, was schuld ist.«

»Ich auch nicht,« sagte Christoph; »was soll ich bei der Sache tun? Soll ich sie fragen?«

»Ja, wenn Ihr allergnädigst soviel Huld spenden wolltet. Wer weiß, läßt sie doch ab von den Gedanken.«

»So ihr aber die Welt zuwider ist? Gar manche Jungfrau ist heiter gemutet und dennoch zieht sie die Klosterzelle dem Ehstand vor.«

»Die Welt wär' ihr zuwider?« entgegnete Herr Häckenast ziemlich rasch. »Vergebt, hoher Herr, daß ich Euch widerspreche. Sicher nicht!«

»Oder liegt Ihr heimlich ein anderer im Sinn und Ihr wollt Eueren Erlaub nicht geben?«

»Wieder nicht, hoher Herr! Das ist's ja eben. Die Maid macht mich zuletzt noch selber verwirrt. Hört nur in Gnaden! Frag' ich: ›Gefällt dir der Dürniß nimmer?‹ Sagt sie: ›O wohl, ist ja ein hübsch trefflicher Mann.‹ Frag' ich dann: ›Wenn er dir gefällt, warum nimmst du ihn nicht?‹ Drauf sagt sie: ›Weil ich meinen Sinn auf was anderes hab'.‹ Sag' ich dann: ›Ist mir auch recht, will's dem Dürniß beibringen und du nimmst den anderen – wird wohl ein ehrlicher Mann sein –‹ alsogleich werden ihr die Augen feucht und erwidert sie: ›Von allen möcht' ich den Dürniß am liebsten, wenn ich nicht ins Kloster müßt'!‹ ›Ja wer sagt denn, daß du ins Kloster mußt?‹ sag' ich dann. Drauf kommt sie und antwortet: ›Ja, das weiß ich nicht.‹ ›Also freut dich die Welt nimmer?‹ ›Ja die Welt freut mich und da ist gar nichts Gut's und Schön's, das mich nicht freut.‹ ›Ja, aber was soll denn das alles bedeuten?‹ Sagt sie: ›Das kann ich nicht sagen.‹ Nun frag' ich in tiefster Untertänigkeit, Herr Herzog, ob ich da nicht selber zum Narren werden könnt'?«

»Das ist schier eine sonderliche Angelegenheit. Habt Ihr denn niemand, dem sie sich leichter entdecken möchte?«

»Ei, sicher, hoher Herr! Mein Vater war ein weitschichtiger Vetter vom hochwürdigen Pfarrherrn zu Sankt Peter, dem hochgelahrten Doktor Ersinger. Zu dem hab' ich sie geschickt.«

»Nun und was hat sie denn gesagt?«

»Ja, hoher Herr, ich glaub', dem hat sie alles gesagt, ich weiß aber doch nichts, denn sie hat's ihm gebeichtet. Da konnt' ich freilich nicht in ihn dringen. Wie ich aber sonst weiter bei ihm anfragte, meinte er: Es sei in der Sache nichts zu tun. Wäre zu helfen, wär' er der erste. Ich sollte mich nur mit dem einen trösten. Nach der Beichte hab' er ihr kräftig abgeraten, ins Kloster zu gehen, weil sich dieselbige Sach', um die sich's handelt, doch noch verändern müsse. Aber was das für eine Sach' ist, hat er mir nicht gesagt.«

»Demnach seid Ihr noch stets im ungewissen.«

»Und werd' alle Tage unruhiger, hoher Herr! Denn die Maid wird Tag für Tag schweigsamer und betet stets mehr und mehr. Da hätt' ich nichts einzuwenden, aber zu viel ist zu viel. Nächst geht sie wieder davon wie im Traum und füttert die Schwanen mit ihrem Brot – und sie leid't Hunger. Habt Ihr sie nie gesehen, zu Gnaden, hoher Herr?«

»So, die Schwanen füttert sie«, sagte Herzog Christoph. »Dann hab' ich sie gesehen.« Er erhob sich und ging etliche Schritte. »Es mag so sein, wie Ihr bittet,« setzte er bei, »sie kann mir die Speisen bringen.«

»Gotts tausend Dank, hoher Herr, für die Huld und Gnade!« entgegnete jener voll Freuden. »Sprecht nur ein stark mächtig Wort mir ihr – vielleicht, daß sie eingesteht, dann habt Ihr wohl die Gnade und sagt mir's wieder!«

»Sagt sie was, so ist's mir nicht gebeichtet,« gab Herzog Christoph zurück, »und glaub' wohl, daß ich Euch was mitteilen dürfte. Es wäre denn, daß es auch sonder Beichte ein Geheimnis bleiben müßte.«

»Ei so, hoher Herr – daß es doch ein Geheimnis bleiben müßte –?«

»Sicher! – Nehmt das Getafel mit!«

»Nehm's schon, nehm's schon, Herr Herzog – –«

»Und damit Gott befohlen, Ihr seid entlassen.«

»Euer alleruntertänigster Knecht, Herr Herzog – in drei Tagen bin ich wieder hier und hab' die hohe Ehr', Euch selbst zu bedienen –«

Tief verbeugte sich Herr Häckenast mit dem Tafelbrett – und verließ das Gefängnis.

 

Ein paar Stunden früher saß Herzog Albertus zu Isareck, hatte etliche Freunde um sich, und mit einem spielte er Schach.

»Gilt der Zug, Öttingen –?«

»Warum nicht, Herr Herzog?«

»So seid Ihr Schach und matt!« sagte Albertus.

»Fürwahr so ist's – das Rößl hab' ich übersehen. Verloren! Ich hätt' gemeint, das Spiel müßte mein sein. Nun kommt das Rößl daher.«

»So geht's zuzeiten,« erwiderte Albertus, »drum soll einer die Augen überall haben.«

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein Bote den Burgweg heraufgesprengt kam. Der saß rasch im Hof ab und eilte herauf und ließ sich dringend melden.

»Was gibt es?« fragte Albertus. »Gehört Ihr nicht zum Grafen von Abensberg?«

»Euch zu dienen, hoher Herr!« war die Antwort. »Dies Schreiben wird alles genau melden.«

Der Herzog nahm ihm den Brief ab, trat zum Fenster – es dämmerte schon – öffnete und las. Im Brief aber stand geschrieben:

»Hoher Herr, Ir habt mir zwar wenig dank gewußt, daß ich Euch Hand bot, dem getümmel im landt ein End zu machen, als daß Ir dann nämlich den brueder Christoph zu Vängknuß brachtet. Weil mich aber bedünkt, Ir hättet Euch gegen mich besseren besonnen, den Nutzen der angelegenheit erkannt vnd wärt gesonnen selben Schritt keineswegs zu bereuen, vielmehr den herzog Christoph fortan vnd noch weiters gefangen zu halten, vnd in fürstlichem trutz die Brüh' auszuessen, so Ir Euch eingebrockt habet, also vnd dessenthalben will ich die Zeit wahrnehmen vnd Euch dienen. Meld' Euch demnach, was im werk ist.

Pfalzgraf Otto von Neumarkt, mit Irer hundert, die han sich auf heut Nacht ir ziel gen München vnd auf den thurm im Thiergarten gesetzt. Davon führt einen Theil er, den andern zu Hälften Hartlieb von Sigenheim vnd halb ritter Parcival von Puchberg. Hundert vnd der Pfalzgraf sind's. Wie viel sonst nachrucken vnd sich versprochen haben, ist mir fremd geblieben. Mehr auch, ob zu München einverständnuß ist, oder anders. Wenn aber so, könnt's wol sein, daß dann die Zeiten des barteten Ludwig wieder kämen, so dem Johann und Ernestus die Stadt verhetzte, daß sie ire eigen gehörige Statt nimmer einließ. Vnd mußten sie mit gewalt wieder erobern. Das war dazumal so. Wann aber der Christoph frei würd, wärt Ir wohl sobald der Statt nimmer Meister – denn er hat unglaublichen Anhang. Also wißt Ir's, Herr Herzog. Verlang' da auch weiters kein Dank vnd freu' mich alleinig meiner guten Gelegenheit, Euch einen dienst zu tun. Mehr hätt' ich doch nit zu hoffen. Denn so Ihr allerwegen für wie weise, so sonderlich auch für dankbar gelt, an mir habt Ihr wohl viel Weisheit bewiesen – vom dank aber hab' ich soviel minderverspürt!«

Als Albertus diesen Brief gelesen hatte, legte er ihn sichtlich erzürnt zusammen und war daran ihn zu zerknittern. Er faßte sich aber sogleich wieder und sagte zum Boten: »Ihr bekommt ein Schreiben mit.«

Trat darauf zum Tisch und schrieb:

»Ewerem brief vnd getaner Mahnung will ich sicher Folge geben. Was die Brüh' anbelangt, will ich sie wol ausessen. Seht Euch aber vor, Herr Graf, daß Ir nit zu übermütig werdet. Ansonst Euch auch eine eingebrockt werden möcht. Die wär' Euch schier härter auszuspeisen, denn mir, dem Herrn vnd Herzog, die meine.«

Er schloß und siegelte das Schreiben und übergab es dem Boten. Zugleich gab er Befehl, demselben Herberge für die Nacht zu gewähren und ihm einen Gulden Reiterlohn zu verabreichen.

Tief beugte sich der Bote und verließ das Gemach.

Noch in derselben Stunde ritt Herzog Albertus zu Schloß Isareck mit seinen Freunden und fünfzig Soldknechten aus. So ging's die Straße gen München. Es war ein scharfer Ritt.

* * *

Mittlerweil' Albertus von allem Bericht hatte, ahnten die, so Herzog Christoph befreien wollten, nicht das mindeste, daß ihr Geheimnis verraten sei.

Gegen die Hälfte Nacht langten sie unfern von München an und hielten beim Siechhaus Das Siechhaus steht seit einigen Jahrzehnten nicht mehr, wohl aber an der Schwabingerlandstraße das früher dazu gehörige Kirchlein. nächst Schwabing auf den Äckern stille. Nach einiger Verabredung ritt Pfalzgraf Otto von Neumarkt mit ihrer zwanzig und einem ledigen Roß voraus. Die anderen folgten in zwei Zügen hintereinander, an der Spitze des einen Parzival von Puchberg, an der des anderen Hartlieb von Sigenheim.

Aller Absicht war diese: Pfalzgraf Otto von Neumarkt sollte sich an den Turm am Tiergarten machen, eine Brücke über den Graben legen, das eiserne Türlein zur Seite erbrechen und die ersten Wenigen, so herbeieilten, niederschlagen, hinaufdringen und Herzog Christoph ein Schwert geben. Denn aber, so etwa aus der Stadt drängten, sollten die Nachziehenden den Weg abschneiden und vereint kämpfen, bis Herzog Christoph mit den Seinen nach Wahl fortsprenge oder die Städtischen zuerst wieder hineintriebe und sich erst dann entferne.

Während dies alles in Absicht stand und ins Werk gesetzt wurde, schlief Herzog Christoph. Aber nicht allzufest.

Nächst richtete er sich auf und horchte, denn er meinte etwas Besonderes zu vernehmen. Und wie er seinen Pfühl verließ, zum Fenster trat und hinabsah, blieb ihm kein Zweifel über das, was vorgehe. Er konnte aber doch nichts erkennen, als daß eine gute Zahl über den Graben käme und sich an der eisernen Türe zu schaffen mache.

Die Nacht war gar finster – und nur hie und da schwamm der Mond hinterm dunklen Gewölk hervor.

Schon nun Herzog Christoph nichts genau sah, dachte er doch an niemand als den Pfalzgraf Otto von Neumarkt und beschloß, seine Zeichen zu geben.

Das war ein alter, ritterlich erlaubter Brauch. Der erste Stein hieß, der Gefangene oder sonst Gefährdete wisse, daß Hilfe nah' sei. Der zweite sagte: Macht, daß ihr insgesamt eindringt. Der dritte aber bedeutete, daß der ganze Anschlag verraten sei.

Als nun Herzog Christoph ein Stück von der Mauer brach und es hinabfallen ließ, traf es just den Pfalzgrafen Otto von Neumarkt.

Der raunte sogleich hinauf: »Wohl und verstanden hab' ich's!«

Herzog Christoph aber sagte: »Nur zu!«

Da er bald darauf nichts mehr hörte und es ihm zu lange anwährte, beschloß er ein zweites Stücklein hinabfallen zu lassen, keineswegs daran denkend, daß er sich dadurch aufs neue um die Freiheit bringe und seine Sache selbst verrate.

Das hatte aber guten Grund.

Herzog Christoph konnte nichts hören, weil Pfalzgraf Otto mit den Seinen ganz odemlos an der Mauer lehnte. Denn just hatte der bemerkt, daß im Gebüsch zwo Schwäne aufgewacht seien. Da wollte er abwarten, bis sie wieder schliefen.

Hievon wußte hinwieder Herzog Christoph nichts, sondern dachte an alles, nur nicht an die Schwäne.

Weil er nun, wie gesagt, nichts mehr hörte, ließ er das zweite Zeichen fallen.

Das Steinlein hätte aber nicht schlimmer treffen können. Denn es traf den Schwan Albertus auf den Hals.

Alsbald erhob der ein großes Geschrei und Geschnatter. Drüben erwachten die übrigen Schwäne und stimmten ein, so daß es einen ungemeinen Lärmen gab.

»Das habt Ihr fein gutgemacht!« rief Pfalzgraf Otto halblaut. »Die Schreihälse können uns das ganze Spiel vernichten. Haut sie nieder, die verwünschten Gesellen!«

»Haltet ein und tut meinen Schwänen nichts zuleid!« ließ Herzog Christoph ergehen.

Der Pfalzgraf kehrte sich nicht daran und rannte auf das Gebüsch los, um aufzuräumen. Hieb auch gleich etlichen Schwänen die Hälse ab. Er konnte aber nicht allen beikommen. Und so viele den Soldknechten zum Opfer fielen, ein Teil sauste doch davon nach links und rechts. Die schrien vor Angst und Zorn unglaublich, so daß man es allerorten weitaus hörte und nächst schlugen auch die großen Hunde in der Burg drüben an.

»Verteufelte Brut!« rief Pfalzgraf Otto. »Nun ist der Streit schon los und ist nichts mehr zu verderben. Wohlan, geht's nicht still, geht's laut!« Und schlug mit dem Streitkolben aufs Schloß. Aber es wollte nicht weichen.

Über dem Getöse kam in der Feste alles in Aufruhr.

»Haltet aus!« rief Christoph. »Sobald die Pforte weicht, will ich's gelten lassen und hol' mein Schwert selbst. Tut doch einen richtigen Schlag, habt Ihr denn gar keine Kraft?

»Meint Ihr, ich hätt' Eueren Arm, harttrotziger Herzog?« gab der Pfalzgraf zurück. »Und nun erst – wohl auf! Ich hör' gewaltiges Geschrei von dort drüben, da mag eine ganze Schar Knechte aus der Stadt dringen – die mögen mich etwan über dem Grabe halten. Da muß Verrat walten! Droben nächst Euch schießen sie auch schon wie die Teufel herab – hui sa, da hat schon einer getroffen – he da, blas', Fritz, daß die Unseren kommen und den Rücken decken!«

Der lange Fritz blies aus Leibesgewalt, mittlerweile Pfalzgraf Otto wieder etliche gewaltige Schläge auf das Schloß tat. Es war vergebens. Auch von denen drüben ließ sich keiner sehen. Die waren schon im heftigsten Kampfe mit den Städtischen, und deren war eine mächtige Zahl.

Just stürzten wieder zwei Knechte zu des Pfalzgrafen Seite darnieder und über dem Graben drüben einer, der auf die Mauer hinaufgeschossen hatte.

»Was kommt da her! Das sind Städtische – das Schloß ist wie verzaubert – mir nach, der Streich ist mißlungen!«

Aber doch noch einen Schlag auf die Türe und wieder vergeblich.

Drauf über die zwo Balken über den Bach und die Seinen, so noch am Leben waren, ihm nach.

Der Städtischen ein Dutzend kam schon dahergesprengt.

»Nun geht's frisch!' Drauf und dran!«

Und saßen alle rasch auf.

Mittlerweile schossen die Knechte mit großem Geschrei herab und traf ein Pfeil des Pfalzgrafen Arm. Dran blieb er in der Armschiene stecken.

Er riß ihn heraus.

»Wie mir, so dir!« rief er, lüpfte die Armbrust und schoß auf die Mauer nächst dem Turm unter die meisten hinein. Da sah er einen umfallen.

Gleich im nächsten Augenblick wetterten die Städtischen über ihn und die Seinen her. Sie gewannen ihm aber nichts ab. Er und die Knechte schlugen gewaltig um sich, brachen mitten durch jene und gewannen das Weite links hinüber, wo Parzival und Hartlieb mit den andern im Kampf lagen und den Weg herüber zum Turm nicht erzwingen konnten.

Im harten Gedränge waren die zwei Ritter und stets neue Scharen kamen aus der Stadt nach. Es blieb kein Ausweg, als das Feld zu räumen. Wäre nur Pfalzgraf Otto in Sicherheit gewesen.

Als der heransprengte, ging's mit der Flucht nicht so leicht. Denn ein Teil der Städtischen umritt ihn sogleich und dachte ihn gefangen zu nehmen.

Drüber blieb er keinen Augenblick im Zweifel und donnerte: »Nur her, wer mir anwill, da ist der Otto!«

Alsbald drängle sich ein Ritter auf ihn zu und ließ vernehmen: »Ich will Euch an! Kennt Ihr mich?«

»Wohl an der bellenden Stimm' kenn' ich dich!« höhnte Pfalzgraf Otto. »Nun weiß ich, warum Ihr so wohl achtsam und gerüstet seid. Ihr habt's dem Abensberger verraten, statt daß Ihr zu uns hieltet! Das ist demnach Euer vorgeblich Siechtum! Ich will Euch eine Arznei verabreichen, Herr auf und zu Scherneck

Mitten unter diesen Worten waren sie im heftigsten Gefecht. Etliche Knechte auf beiden Seiten krachten mit den Rossen zusammen. Ein vierter hieb auf Pfalzgraf Otto wie toll ein. Dem gab der Pfalzgraf einen Streich, daß er vom Pferde stürzte, und da sich der von Scherneck wieder herandrängte und mächtig ausholte, kam ihm Pfalzgraf Otto zuvor und rannte ihn mit einem Stoß darnieder.

Drauf rief er in lautester Drohung: »Weg da, wer seines Todes nicht sein will – ein andermal kommen unserer mehr!«

Dabei schlug er nach links und rechts und sprengte fort, dem Parzival und Hartlieb nach. Die waren bei bestem Willen zurück, zur Flucht gegen Schwabing gedrängt worden, und ein Zug Städtischer war ihnen gefolgt.

Die zu München machten sich dran, den Schernecker in die Stadt zu tragen, ob ihm geholfen werden könnte. Aber sie hatten ihn nicht halbwegs zum Tor gebracht, so war er schon tot.

Inmitten des Getümmels war's kund geworden, daß dem Parzival und Hartlieb nachgesetzt werde und glaubte jeder, es sei eine große Zahl. Da sich's nun herausstellte, daß die Zahl gering sei, fand es ein Teil der Städtischen gleichwohl zu spät, ein weiteres zu tun, der andere wollte nach. Da kamen die anderen schon wieder zurück und hinterbrachten, sie hätten den zwei Rittern nicht stand gehalten. Die hätten dann das Weite gewonnen all mit der geretteten Schar, und als sie herwegs auf den Pfalzgraf und die Seinen gestoßen, sei ihnen auch nichts geblieben, denn über die Felder links und dann gen die Stadt Reißaus zu nehmen, denn der Pfalzgraf und seine Knechte hätten wie das Wetter dreingeschlagen.

Mittlerweile die Städtischen rumorten, grollten und groß taten, die Verwundeten und Toten in die Stadt trugen, andere zum Turm im Tiergarten ritten oder schritten und dort Geschehenes in Augenschein nahmen, tat Pfalzgraf Otto von Neumarkt seinen Ritt auf der Landstraße entlang. Hinter ihm die Seinen.

Da hielt er plötzlich an und sagte: »Was ist das? Ich hör' was in der Ferne. Das sind die Unseren nicht allein. Selb ist kein Pferdegetrab und wie die Schwertscheiden beim Reiten klirren« – er horchte ein wenig – »heisa, auf, mir nach – da ist neuer Strauß los – zuletzt wär' uns ein Hinterhalt gelegt!«

Und spornstreichs ging's an Schwabing links vorüber und noch zwohundert Schritt Wegs entlang.

Und kamen just ins rechte Treffen.

Der zwei Ritter und des Herzogs Albertus Scharen hieben scharf aufeinander ein, dabei ein Teil der ersteren beiseite gedrängt wurde. Unterdessen aber die Herzoglichen in blinder Begier dreinschlugen, übersahen sie, daß sich an die zwanzig um Herzog Albertus drängten und der in Gefahr der Gefangenschaft geriet.

Und wie's so stand, kam just der Pfalzgraf daher.

Er aber das sehen, rief er gleich mit mächtiger Stimme zu den Seinen: »Halt auf und da! Das ist der Herzog Albertus! He da, all' ihr dort, Streit ab, kennt ihr ihn denn nit?!«

Und rief dem langen Fritz, er sollt' trumpeten und das Sistierzeichen geben.

Der blies auch fest. Und ließen sämtlich und allerorten vom Gefecht und Dareinschlagen ab. Als sie haufenweise zueinander ritten, sahen die einen zornig auf, die anderen verlegen, weil sie merkten, daß sie es mit dem Landesherrn selbst gehabt hatten.

Wie nun das so war, ritt Albertus ein weniges vor, auf den Pfalzgrafen und die zwo Ritter Parzival und Hartlieb zu. Da ward hin und her traktiert und fehlte es ninderst an argem Wort und Vorwurf und wenig, daß der Strauß aufs neue begonnen hätte.

Und sagte der Pfalzgraf auf des Herzogs Albertus bittere Klage über Verrat: »Da sei von Verrat keine Red'! Und wären hie und zu München an Tor oder Turm noch so viele erlegen, sei's beiden Seiten ganz gleich beschieden. Wären die Städtischen nicht herausgekommen, wären sie bei heiler Haut geblieben, und nun wär' der Christoph frei. Dagegen sollte sich kein gemeiner Mann oder hoher Herr setzen in bayrischen Landen, und wenn das Verrat wär', jenen frei zu wollen, wär' halb Reich und der Kaiser selbst ein Verräter. Auch sei hie diese ihre List und geschehener Anzug gen den Turm im Tiergarten listiger nicht, denn sein, des Herzogs Alberti, Davongehen vom Reichstag zu Regensburg.« Und hackte auch sonst ohne viel Scheu auf den Albertus ein, daß der innerlich scharf bewegt ward und ihn gern Lügen gestraft hätte. Er konnte aber nicht recht. Denn die Krankheit des Siegmund war so arg nicht gewesen und wär's zu Regensburg auf eine Stund Red' und Widerred' nicht angekommen.

Er sagte deshalb nur, fürstlichen Stolzes, doch besonnen: »Es sei des Pfalzgrafen nicht und minder irgendeines anderen, ihm nachzurechnen. Dem sei aber nicht so mit dem Siegmund. Mit der Krankheit sei's allerdings nicht viel gewesen. Das hab' sich erzeigt. Aber allererst hab's so geschienen und verlautet. Und so einer nicht schon die Glieder streckt, als daß die Geistlichkeit mit der Letzten Ölung daherkäm', selb' wär's noch nicht unterschrieben, daß er nicht doch gefährlich dran sein könnt'. Item, er wisse wohl, was er vor Gott und Kaiser verantworten könne und lasse sich in nichts einreden und Böses nicht im geringsten antun von Herren im großen Regiment – viel minder von seinen oder des Herzogs zu Niederbayern Vasallen und Rittern oder wem sonst.« _

Sagte Pfalzgraf Otto: »Davon sei die Sprach' nicht. Das sei keine Gewalt an ihm, so sie den Christoph befreien wollten, den der Kaiser frei befohlen und dazu ihm, Albertus, mit Acht und Bann gedroht habe.«

Darüber Herzog Albertus schier zornig auffuhr, konnte aber nichts widerlegen.

Auf dies sagte der Pfalzgraf: »Daß ich Euch nicht anwollte, wird jeder bezeugen, denn ich gab das Sistierzeichen und machte Euch, als meinen Herzog in Bayern, Angriffs und aller Gefahr der Gefangenschaft ledig.«

Sagte Herzog Albertus: »Anders nach Pflicht hab' er nicht tun können.« Jener aber: »Also hab' er an ihm nichts verbrochen.«

Wie nun weiter traktiert ward, fragte der Herzog, ob sie Einverständnis mit Christoph hätten.

Der Pfalzgraf aber ließ sich auf nichts ein und brachte vor: »Aus der geschehenen Tat möchte Albertus der Ritterschaft Lieb' zu Herzog Christoph erkennen. Die würde durch längere Haft und Kränkung nicht geringer, eh' größer. Daß er sich demnach auf den mißlungenen Handstreich nicht verlassen sollte. Denn wär's einmal nicht, wär's das andere Mal. Es wär' aber dies gegen ihn selbst keine Drohung, vielmehr offenes Bekenntnis, was jedweder wolle und für Pflicht halte, weil der Kaiser selbst den Christoph frei haben wolle – und es sei die Tat mehr eine Befreiung seiner selbst, des Albertus, aus verwirrter Angelegenheit mit Weltlich und Geistlich, auch böser Einblasung des Grafen von Abensberg.«

Nächst Albertus solchen Dienst vor sich wies und den Abensberger nicht verunglimpfen lassen wollte, versetzte der von Neumarkt in ehrfürchtigem Worte: »Es sei ihm, dem Herzog, des Christoph Haft angestanden, vorgebend, damit Strauß, Spän' und Fehde im Land ein Ziel zu setzen. So ihm nun in der Sache Ernst sei, müss' er sich zur Befreiung wenden, weil sonst die Spän' aufs dreifache kämen. Denn wollte er, der von Neumarkt, und etliche ablassen, fingen dafür also viel und mehr andere an. Wollten aber ganz billig sein und ihn, den Albertus, ins sichere setzen, so er einen günstigen Entschluß fasse.«

Fragte Herzog Albertus, was damit gemeint sei.

Darauf Pfalzgraf Otto sagte: »Seines Wissens wär' Christoph in jetziger Zeit vom Gedanken ans Regiment abgekommen und stehe sein Sinn mehr auf frei ritterliche Tat, daß er vielleicht eine Zeitlang aus Land Bayern zöge. Würd' er nun frei, seien ihrer an die sechsunddreißig Ritter bereit, Bürge zu stehen und ihr Insiegel zu geben.«

Auf dies erwiderte Herzog Albertus: »Das wollte er sich überlegen. Erkenne auch sein pflichtig Handeln in einiger Weise, da er unverzüglich das Sistierzeichen gegeben habe.«

Damit nahm selbiges Traktieren ein Ende und ritt Herzog Albertus mit den Seinen gen München. Der Pfalzgraf, die zwo Ritter und Knechte zogen auf der Freisingerstraße fürder und sorgten beide Teile soviel möglich, daß ihre Verwundeten nicht zurückblieben.

Bald langte Albertus zu München an, sah große Helle von Fackelschein beim Turm am Tiergarten und bekam sogleich Bericht. Es wußte aber jeder was anderes. Er lenkte deshalb zum Turm hinüber, sich selbst zu überzeugen, was dort geschehen sei, und viel Menge Volkes zog nach. Als er hinkam, war da wieder eine Menge, die sahen alle auf den Balkensteg oder die Schwäne. Von denselben waren mehre der trefflichsten jähen Todes umgekommen, als: Der Schwan Albertus, Christoph, der Johannes, ein großer, den Herr Petrus Bart eingesetzt hatte, und ein anderer, so vom Pfarrherrn zu Sankt Peter, dem Doktor Ersinger, in den Graben gestiftet war.

Wie das alles vor Augen lag, wurde Herzog Albertus schier sehr unmutig. Sprach auch vom Herzog Christoph und ließ sich heraus: »Es gehe noch alles, weil nur der nicht frei geworden und der Handstreich mißlungen sei.«

Auf diese Worte hin erhob sich überall ein Gemurmel, das er recht wohl verstand. Wandte sich auch sogleich um und sagte halb streng: »Laßt mit dem Gesumse ab. Es bedarf keines Handstreichs, die Angelegenheit wird anders enden. Damit gebt euch zufrieden, s' wird alles recht.«

Da soll einer gesehen haben, welch' freudige Hoffnung über alle Gesichter strahlte und sich männiglich um Herzog Albertus drängte, daß er sich schier wehren mußte. Er warf einen Blick hinauf und ritt zurück an unseres Herren Tor.

Dort warteten viele Herren des Rates, ihn zu bewillkommen und bereit, ihm zu folgen, wenn er Besprechung über das Geschehene wünsche. Er dankte aber, entließ sie nach Haus und gab nur dem Doktor Ersinger einen Wink.

Der Herr Pfarrer von Sankt Peter machte sich sogleich auf nächstem Weg an das innere Burgtor, Herzog Albertus aber langte gleichfalls bald an.

»Seid Ihr schon da, hochwürdiger Herr?« Dabei schwang sich Albertus vom Pferde. – »Wißt Ihr schon, daß auch Euer schöner Schwan tot ist?«

»Weiß alles, hoher Herr«, entgegnete der Doktor Ersinger. »Es ist recht viel schad' um die Tiere – recht schad' –«

»Das sagt Ihr so wehmütig,« fiel Albertus lächelnd ein, »als wär' Euch das Geschrei und der Lärmen ungelegen gekommen.«

»Wie – wie meint Ihr das zu Gnaden, hoher Herr –?«

»Wie ich das meine –?« Schon waren sie beide auf der Treppe – »ich meine, wenn die Schwäne nicht gelärmt hätten, wären sie am Leben geblieben – und dann wär etwa mein Herr Bruder Christoph frei geworden –«

»Aber, allergnädigster Herr Herzog« – stotterte jener.

»Laßt Euch drob kein graues Härlein wachsen« – war des Albertus Entgegnung, »'s ist einmal so, Ihr seid ihm ungemein ergeben –«

»Aber, hoher Herr – deshalb – –«

Um eine Ecke bogen sie und Albertus trat durch einen Vorplatz in sein Schreibgemach.

Scharf und straff hatten die Trabanten zu beiden Seiten der Türe die Hellebarden eingesetzt.

Leicht nickte Albertus zu. Ein Wink, und Doktor Ersinger trat möglichst rasch nach.

Also war's in der Burg.

Herzog Christoph aber, der, selbst ungesehen, vom Turmfenster aus die Freude der Menge wahrgenommen hatte, da sein Bruder ein Wort froher Hoffnung ausgesprochen, dachte so: Nun ist es Zeit ihm zu beweisen, daß du selbst etwas vermöchtest. Denn vom selben Griff in die Eisenstangen hat er nichts in Erfahrung gebracht.

So verhielt es sich auch – und was Herzog Christoph krumm gebogen, hatte er auch wieder gerade gebogen.

* * *

Nun war's um die zweite Stunde morgens und Herzog Albertus hatte noch stets mit Herrn Ersinger zu sprechen. Dabei waren sie zuletzt wieder auf Christophs Freilassung gekommen, und Herr Ersinger beschwor den Herzog, sobald es sein könnte die Sache zu schlichten, so vieler Menschen Herz zu erfreuen und des Kaisers Zorn zu tilgen. Kam auch in solches Feuer, daß er oft und immer eifriger beteuerte: »Er sei im Herzen stets gegen des Herzogs Gefangenschaft gewesen. Die Tat sei unüberlegt und rasch geschehen. Es verlange hinwieder Christen- und Bruderpflicht gleich rasche, aber segensreiche Tat – und wenn es weiters eines Grundes bedürfe – Vergebung fruchte jederzeit besser, denn Trotz. Auch sei ein so treffliches Angebot vom Pfalzgrafen von Neumarkt getan worden, das nun und nimmer außer acht bleiben könne.«

»Und wolltet Ihr,« fuhr er fort, »wolltet Ihr die Strenge noch weiter treiben, wär's meiner Seel kein Wunder, so Euer fürstlicher Bruder sein Haupt auch aufrichtete und mit Gewalt erzielte, was er Euerer besseren Erkenntnis und Milde dankte, so Ihr ihn von selbst frei tätet –«

»Was wollt Ihr mit der Gewalt?« fiel Albertus ein. »Der Turm hat keine Mauern, wie das Haus an der Burggass', dazumal mein Bruder dem Ligsalz beisprang oder beim Brand am Talbruckertor-Turm.«

»Wie schlimm seid Ihr da berichtet!« erwiderte der Doktor Ersinger. »Es geht ganz andere Sage – und ist es so, Herr Herzog, wie's verlautet – ich weiß aber nichts Näheres – – nähm' mich's nimmer Wunder, so jetzt gleich die Tür dort aufginge und Euer fürstlicher Bruder träte frei, ledig herein mit samt seiner eisernen Tür am Gefängnis –«

Er hatte die Worte kaum über die Lippen gebracht, als die Türe des Gemaches sich auftat.

Draußen aber stand einer inmitten der zwei Trabanten, die in Schlaf vertieft zu beiden Seiten nickten – und auf der Schulter hatte er eine große Last, die sah aus, wie eine eiserne Pforte.

Der Doktor Ersinger trat voll Schrecken zurück. Auf den ersten Blick hatte er jenen erkannt. Er klammerte die Hände über der Brust zusammen und stotterte, halb zu Albertus gewandt und ganz starr dastehend: » Lupus in fabula! Was sagt Ihr nun, hoher Herr?«

Herzog Albertus trat einen Schritt näher an die Türe.

»Fürwahr, da steht Herzog Christoph,« sagte er – »oder mir träumt.«

»Ihr träumt keineswegs«, kam's ihm entgegen. »Ganz mit Recht sprecht Ihr und in Wahrheit. Ich bin's und kein anderer!« Bei diesen Worten trat Herzog Christoph ein, nahm seine Last von der Schulter, stützte sich mit seinem Arm darauf und fuhr fort: »Hochwürdiger Herr und Doktor. Ich seh', Ihr seid bewegt. Ihr habt aber nichts zu fürchten und ferne von mir sei es, Euch in was anzuwollen. Wider Willen und Absicht vernahm ich Euere Worte. Traun, sie sind mir ganze Bürgschaft für Euere treffliche Gesinnung!«

»Seht Ihr sie ein, o hoher Herr?« sagte der Pfarrherr von Sankt Peter.

»Wohl, würdiger Herr! Aber nicht erst in der Stunde allein. Da Ihr zuzeiten gen den Tiergarten schrittet und ein- und das andere Mal stehen bliebt und zu mir an den Turm hinaufschautet, merkte ich gar wohl, daß in dem Blick keine Schadenfreude sei.«

»Das – das habt Ihr bemerkt, Herr Herzog –?« stotterte jener, mittlerweile sich Albertus gegen ihn wandte. »Ich ging eben so dahin und – allerdings –«

»Jawohl,« fiel Albertus ein, »Ihr gingt eben so dahin, Herr Pfarrherr, und dachtet: Ei, wenn nur der da oben frei wäre, geh's, wie immer! Hat Euch denn alle ein Taumel ergriffen?«

Der Doktor Ersinger war auf das äußerste verlegen, so daß er gar nichts erwidern konnte.

Herzog Christoph aber kam ihm zu Hilfe, indem er sich gegen seinen fürstlichen Bruder kehrte und sagte: »Ihr seid nicht minder befremdet mich hier zu sehen, hoher Herr im Regiment, den Ihr allezeit von christlicher Lieb' predigen laßt und Eueren selbsteigenen Bruder hinter Riegeln haltet.«

»Was führt Euch hieher?« fragte Albertus. »Und wie kommt Ihr aus dem Turm –?«

»Anders nicht, denn Ihr verfahren müßtet, wenn Ihr's vermöchtet«, war die Antwort.

»Demnach seid Ihr wieder ganz wohl bei Kraft und Gelenkigkeit?«

»Das wollt' ich Euch eben kundtun und deshalb komm' ich«, sagte Christoph. »Hört mich nun wohl an und merkt's Euch! Was der Pfalzgraf von Neumarkt in meiner Angelegenheit traktiert, drin laßt Euch billig und bereit finden, daß ich meiner Vängknuß in Bälde ledig werde. Dann will ich mich so verhalten: Ich hab' was in meinem Sinn und Herzen, das ist ganz rein und heilig, und sooft ich an das denke, ist's mir, als mahnte es mich, von Streit und Sucht nach dem Regiment abzulassen. Was das ist, sollt und werdet Ihr nimmer ergründen und erfahren. Solange aber das zu mir spricht und Ihr mich nicht aufs neue in billigem Ding verkürzt, lass' ich von dem Verlangen ab, so mich Euch verhaßt machte. Selbes ist ein Teil. Der andere aber lautet so: Wollt Ihr mich ferner hinhalten, so geh' ich, Herzog Christoph von Bayern, her, heb' die Türen zum andrenmal aus, wo ich nicht den halben Turm einwerfe – und erschein' zum zweitenmal bei Euch. Dann bleib' ich da in der Väter Burg – und Gott sei dem und denen gnädig, die mich vertreiben möchten!«

»Und nun –?« fragte Albertus.

»Nun trag' ich meine Tür wieder heim und setz' mich in den Käfig – drin Ihr mich so gerne sitzen seht. Damit seid Gott befohlen und Euerem gesunden Bedenken!«

Er bot dem Albertus seine Rechte.

Schweigend legte dieser die Hand ein. Christoph aber schüttelte sie ganz leise und sah ihm vielsagend und mit mildem Ernst ins Auge. Ohne zu wollen drückte er des Albertus Hand ein wenig, daß der rasch zuckte.

»Kennt Ihr den alten Druck noch –?« Lächelnd sagte Christoph die Worte. Dann nahm er die eiserne Türe auf die Schulter und tat einen Schritt zum Ausgang. Blieb dann wieder stehen und sprach, halbgewandt: »Bruder Albertus, mich hat meines Wissens nichts bezwungen, denn Zauberei. Was ist aus dem schönen Teufel geworden, der mir den Trank mischte?«

»Ihr meint die Sidona von Cleve –?« erwiderte Albertus ernst. »Sie ist verschwunden und verkommen – und eine schauerliche Sage geht von ihr –«

»Die ist –?«

Herzog Albertus sah auf den Doktor Ersinger.

Der neigte sein Haupt, wie in gottesfürchtigem Bedauern, und sagte gar ernst und feierlich, dabei er die Hände ein wenig erhob: »Wann das wilde Heer mit Geschrei, Hundegebell und Hörnerschall auszieht und all das Höllengesinde durch den nächtigen Himmel fahrt – da will sie ein oder der andere dabei gesehen haben, hinsausend auf schwarzem Roß vor den Sündern und Frevlern aus alter Zeit – und verfolgt von einem todfahlen Reiter.«

Ein großes Kreuz mit langsamer Hand schlug der würdige Pfarrherr von Sankt Peter. Herzog Albertus und Christoph folgten seinem Beispiele.

Tief sinnend stand Christoph einen Augenblick da.

Einem flehenden Blick Herrn Ersingers nachgebend, daß ein günstiges Wort falle, sagte Albertus: »Christoph – ich weiß nun anzuerkennen, wie's beschaffen ist, und mag Euerem erhaben stolzen Sinn sein Recht angedeihen lassen. Ihr wollt auf Rechtes wegen frei sein, nicht auf Weg der Gewalt. So wißt denn. Auf Sankt Dionys ist ein Tag nach Regensburg gesetzt. Da denk' ich die Sache zu schlichten.«

Herzog Christoph war halb abgewandt stehen geblieben, während Albertus sprach, und erwiderte ruhig: »Auf Sankt Dionys sagt Ihr? Wohlan, solange bleib' ich noch im Turm am Tiergarten und zwei Tage drüber. Länger nicht.« Sah dann lächelnd auf Albertus und setzte nach kleiner Unterbrechung hinzu: »Also seht zu, Herr Bruder, und sorgt, daß der Siegmund nicht zu München sei, mittlerweil' Ihr zu Regensburg tagt – Ihr könntet sonst wieder Botschaft bekommen, er liege krank –!«

Er verließ das Gemach. Bei den Trabanten, die noch stets schliefen, blieb er stehen.

»Schlaft ihr schon wieder?« herrschte er sie an.

Auffuhren sie, die Hellebarden streckend und voll Schrecken und Staunens bald auf Herzog Christoph schauend, bald zum Gemach, drin sie den Albertus und den Doktor Ersinger stehen sahen – – –

Herzog Christoph aber schritt fort und hinaus in die dämmerige Nacht.

Dröhnenden Schrittes zog eben eine Scharwache dahin. Plötzlich rief der Führer ein rauhes »Halt! Wer da?«

»Gut Freund, der Herzog Christoph!« antwortete es.

»Ha ha!« ließ es der Führer erschallen. »Greift an!« Und wollten sämtlich über ihn her.

Er aber nahm die eiserne Tür bei den Kanten und schob mit der Breite ein wenig am Führer, daß der und die vier Soldknechte übereinander fielen.

»Glaubt Ihr's nun?« Herzog Christoph sprach's, nahm seine Last wieder auf die Schulter und schritt seines Weges weiter um eine Ecke.

Führer und Knechte aber saßen voll Staunens da und sahen ihm nach, bis er verschwunden war. Dann fuhren sie auf, als könnte es zu was frommen. Die vier Knechte stürzten fort und in die Stadt, da machten sie Lärmen und riefen alles auf und verkündeten, der Herzog Christoph sei ledig und frei. Der Führer aber rannte in die Burg, um dem Herzog Albertus Kunde zu bringen.

Alsbald heulte die Sturmglocke durch die Dämmerung. Viel' hundert Frauen, ihre Eheherren und was sonst war, öffneten die Fenster, sahen herab und fragten, was es gebe. Dabei befand sich gar manche schöne Maid, die zuerst voll Freuden war, als der Ruf vom Herzog Christoph und vom frei und ledig in ihr einsames Kämmerlein drang – nun aber soviel trauriger wurde, als sie die Sturmglocke vernahm. Andere wußten gar keinen Bescheid, sondern glaubten, der Pfalzgraf von Neumarkt sei wieder da oder sonst ein Feind gegen die Stadt angerückt, denn von allen Seiten rannten die Soldknechte zusammen. Von diesen wußte auch keiner, wie, was und wohin, sondern fragten die Leute, so aus den Häusern eilten, und die wußten auch nichts und wollten von ihnen erfahren.

Zuletzt verlautete näheres, denn die Scharwachknechte trafen wieder ein. Die zogen voraus, die Weinstraße hinab und die anderen hinten drein. So rauschte ein Teil gegen die Burg, der andere zum Tore hinaus und rechts gegen den Turm am Tiergarten.

Als die ersten auf der Burgseite zum Turm kamen, waren die Wächter und sonstiges Gesinde in großer und froher Bewegtheit und vernahmen jene, Herzog Christoph sei ganz gemach in den Turm geschritten, hab' auch ganz gnädig guten Morgen gewünscht. Die anderen, welche außerhalb der Stadt beim Turm anlangten, sahen auch nichts Verdächtiges, und als sich an beiden Orten viel Volks ansammelte, mußten Soldknechte und Scharwache viel Vorwürfe hinnehmen, daß sie so wütig auf Herzog Christoph fahndeten, und Spott und lustigen Hohn ob des Schilddruckes mit der eisernen Tür, des Hilfegeschreies und Sturmläutens wegen. Kurz, es war da eben kein kleines Gehetz durcheinander. Das wollte zu mancher Zeit ernst werden – nächst aber rissen die Soldknechte lachend aus und zogen auf des Albertus Befehl in die Stadt zurück. Das Volk aber zog mit ihnen und lärmte und sang den Spruch, der weit und breit in Schwang ging:

»O Herzog Christoph lobesam,
Du Held in jedem Strauß!
La'n sitzen dich, la'n sitzen dich,
In Gottesnam, was bist so lahm,
Greif zu und kumm' heraus!
Und willt nit raus,
Und willt nit raus,
Und willt dein Turm nit la'n,
Wohl auf und an,
Zu Trotz und Hohn,
Wirf um den Turm und schlepp' und trag' –
Und lauf damit davon!«

* * *

Um gute Träume ist's etwas Schönes. Aber um böse! Eines Freundes Treulosigkeit, wilder Räuber Angriff, Sturm, Regen zum Ertrinken, dann wieder eine Feuersbrunst oder es bedünkt einem, er falle von einem hohen Turme herab – etwa gar kommt die Drud auch noch dazu, daß es einem das Herz abdrücken möchte – all das ist so fast gut nicht und schön. Vielmehr ist das beste, beim Erwachen zu finden, daß die geträumte, böse Angelegenheit nicht wahr sei.

So ging's der Gerberga, Herrn Häckenasts Töchterlein. Ihr hatte geträumt, der Dürniß sei mit Gewalt von ihr weggerissen worden und habe ihr ein schmerzliches Lebewohl zugerufen. Sie selbst aber hätten sie ins Bittrichkloster geführt. Plötzlich schien's ihr im Traum, sie sei schon die längste Zeit in demselben Kloster und habe über die Maßen lang in keinen Spiegel geschaut. Nun aber tät' sich urplötzlich die Tür an der Zelle auf und käme einer herein, der hielte einen Spiegel in der Hand. Und als sie drauf hineingesehen, sei sie an Haupten ganz eisgrau und im Antlitz ganz von Fältlein gewesen und im ganzen als ob sie schier über die achtzig Jahre zähle.

Hierüber war sie in großem Schrecken aufgewacht.

Der lichte Morgen blitzte durch die runden Scheiben des Fensters.

»Gott sei's gedankt, daß nur das nicht wahr ist!« flüsterte Gerberga, sich aufrichtend. »Achtzig Jahre alt – und die ganze Zeit über im Bittrichkloster!«

Sie faltete ihre Hände ganz froh inbrünstig zum Morgengebet. Als sie damit zu Ende war, sah sie lächelnd wieder zur hellstrahlenden Sonne hinaus.

»Was, ich glaub' gar, 's ist schon sieben Uhr!« sagte sie hold erschrocken. »Ich komm' aus dem Schrecken gar nicht raus.«

Rasch erhob sie sich. Bald im lichten Morgengewande, das wallende, braune Gelock mehrmals zur Seite streichend, machte sie sich ans Fenster und begoß ihr schönes Rosenstöcklein und den Nelkenstock. Den Lavendelstock auch. Dazu koste sie mit sich selbst dahin: »Ist schon wahr auch. Jetzt all die Zeit mein Schreck und Kummer wegen des Dürniß, nachher geht der Vater zum Pfarrer von Sankt Peter und will wissen, was ich ihm gesagt hab' – nachher der schreckbare Kampf heut' Nacht und ist der Herzog Christoph doch nicht frei.« Dabei sah sie zum braunen Käfig auf, darin sich ihr Fink gar lebendig und lau bezeigte. Den schalt sie ganz anmutig, daß er soviel Lärm mache und sein Futter nicht früh genug bekomme. Trat aber sogleich flüchtig zum Wandschrank, wo der Hanfsamen lag und wieder hin, daß der Fink nicht verhungere. Frisches Wasser in die grüne Rain gab sie ihm auch, und dabei fuhr sie in ihrem Schreckensbericht noch fort: »Und die Schwanen sind auch tot – o mein guter Gott, und erst die Ritter und Soldknecht' – wenn jetzt der Christoph nicht eing'sperrt worden wär', wär' das traurige Sach' alles nicht geschehen! Mein Gott, er hat halt mitregieren woll'n, ich weiß nicht, ob und wie's da ist« – dabei schob sie den Käfig wieder hinauf, daß er, wie vorher, über die Blumenstöcke zu hängen kam – »aber unrecht kann ich ihm g'rad auch nicht geben, daß der andere fürstliche Herr nicht alles allein haben soll.«

Nun ging es daran, das Gelocke zu flechten und die Zöpfe gehörig zu setzen. Wie dann all und jedes geschehen war, machte sie ihren Anzug bereit. Da sie ihr schwarzes Kamisol zur Hand nahm, sah sie rasch auf eine halb lose Hafte und tupfte hin, als wollte sie sagen: »Heut' muß sie's schon noch aushalten, ich hab' keine Zeit.«

In kurzem war sie bald ganz fertig und gewandet, dabei sie, Hafte um Hafte einangelnd, in abgerissenen Worten verlauten ließ, wenn der Vater nicht über Land wäre, hätt' er heut' noch keinen Morgenimbiß, weil sie vor sieben Uhr nicht aufgewacht sei.

Und nun kam ihr erst noch ein Schrecken in den Sinn. Gedankenvoll sah sie zu Boden, denn es fiel ihr ein, daß sie also den Herzog Christoph bedienen sollte. Hinwieder erwog sie, daß es ja längst ihr Wunsch gewesen sei, mit ihm zu sprechen, und daß er als mild frommer Fürst bekannt sei, obschon sie, seiner Gewalt wegen, Sturm geläutet hätten. Schlug sich nun die Sorge und Angst aus dem Sinn und warf einen Blick in den kleinen Spiegel an der Türe. Aber nur einen flüchtigen, denn sie hörte was.

»Bist schon wach?« rief sie schäkernd, zog den großen Riegel am Schloß zurück und öffnete die Türe.

Seideweichen Trittes kam das weiße Kätzlein hereingeschritten und schmeichelte um sie herum.

»Bist schon da, Rauner?« koste die Gerberga, den Schelm auf die Arme lüpfend und ihn dann auf das blühweihe Deckbett setzend. »Raun' nur recht! Ich hab' jetzt keine Zeit, muß dem Herzog Christoph seinen Frühimbiß bringen und wichtige Sachen mit ihm reden, ja.«

Sie beeilte sich, ihr Samtmützlein aufzusetzen. Herr Kater Rauner aber miaute mittlerweil' sehr oft und trat unausgesetzt mit beiden Vorderfüßen ins weiße Deckbett, und das so anmutig und vielsagend, daß die innigste Freundschaft unverkenntlich war. Also eilte die Gerberga auch zweimal hin und streichelte den Herrn Rauner rasch über den Rücken oder walzte ihn ein wenig am Nacken hin und her, worauf er sich ungemein laut vernehmen ließ und gewaltig den Schweif blähte.

Dann kehrte die Gerberga rasch zum Spiegel zurück, sah aber wieder nur zweimal hinein, wobei sie ihr schönes Antlitz seitwärts nach links oder rechts wandte, während sie die Samtmütze ordnete. Das hatte sie so im Griff. Und wie sie so beiseite sah, sagte sie ein über das andere Mal: »Wenn er nur nachgibt. Nun wer weiß, ich meinet's doch schon.«

Was süß sorgsam und schelmisch zugleich einer viel unschuldbaren Jungfrau Gemüt, das läßt sich gar nicht sagen und ergründen. Da ist alles wie wallende rote Rosenblätter und wieder weiße Blüh' und sinnig dunkelfarbige dazwischen, oder wie Wolken, die über den allerreinsten, blauen Himmel dahinziehen, bald so, bald so, daß man einmal die Sonne die längste Zeit sieht und dann wieder einen Augenblick nimmer. Oft sumst oder tönt es in Hain und Flur, man weiß aber nicht wo und wie, oder in tiefen Wassern blinkt etwas und sogleich verschwindet's wieder. Gar aus alter Zeit klingt dort und da eine Sage auf, ganz frohsam, oder eine wehmütige Kunde, und meint einer, jetzt käm' er hinter viel Geheimnisse. Da bricht Sag' und Kunde ab, und schau'st herum, wo du willst, findest und hörst du nichts mehr. Das kommt, wallt, blinkt und erklingt und vertönt und ist's dann wie ein zwiefach süßes Geheimnis.

So ist's mit einer frommreinen Jungfrau Herz beschaffen. Drin geht's hin und wieder in heller Freud', süßer Schalkheit und holdem Trutz, und gar viel Sorge und Sehnsucht wechselt um mit flüchtigem Hoffnungsstrahl. Und so einer meint, das hab' keinen heiligen Halt, ist er weit getäuscht. Denn im tiefen Seelengrund ist Gott selber zu Gast und will ihn die Maid nicht vertreiben, er selber wohnt gern im engelreinen Herzen. – –

* * *

»Nur herein«, sagte Herzog Christoph.

Es war um die achte auf die neunte Stunde morgens, als Gerberga, des Herzogs Morgenimbiß tragend, an der inneren Türe des Gefängnisses klopfte.

Schüchtern trat sie ein und wie angewurzelt blieb sie stehen in holder Verwirrung. Aller Mut war ihr entschwunden.

»Warum seid Ihr so bewegt?« fragte Christoph. »Guten Morgen, Jungfrau!«

»Untertänigsten Dank, hoher Herr – und wünsch' Euch noch soviel!«

»Mit der Ruhe war's nicht so weit her«, entgegnete jener lächelnd. Dabei lehnte er sich ganz gemütsam im Lehnstuhl zurück. Gerberga stotterte eine Entschuldigung, mit der sie ihren Fehler nicht viel besserte.

»Also Euer Vater schickt Euch?« fuhr Herzog Christoph fort. »Setzt nur die Speisen auf den Tisch.«

Fast bebend folgte Gerberga dem Geheiß. Sie breitete das damastene Tuch über den Tisch und setzte die Silberplatte nieder. »Wünsch' untertänigst, daß es – –«

»Daß es mir recht wohl bekomme!« half Christoph nach. »Ja seht, Jungfrau, wie soll mir da in dem Turme was frommen?«

»Aber, hoher Herr« – sagte Gerberga, am damastenen Tischtuch zupfend, obschon da nichts fehlte – »Ihr – sollt ja heut' Nacht draußen gewesen sein – und die Tür von Eisen dort sollt Ihr mitgenommen haben –?«

»Jawohl ist's so.«

Auf diese Worte trat Gerberga, in herzlicher Verwunderung die Hände verschlingend, einen Schritt zurück.

»Ja, warum seid Ihr denn nicht draußen geblieben? Ist's denn da herin so schön, hoher Herr?«

»Das eben nicht. Allein ich mußte wieder herein.«

»Wann Euch aber niemand zwingen kann?«

»Dennoch, ich hab' meinen guten Grund.«

Recht schalkhaft mutig sah Gerberga den Herzog an. »Seht, ich hab' einen Fink in mein'm Käfig«, sagte sie. »Der ist so zahm, es soll's kein Mensch glauben. Wenn ich aber halt 's Fenster offen ließ', oder wenn er's selber aufmachen könnt, soviel zahm er ist und mich lieb hat – er flög halt doch auf und davon. Nun erst ein Fürst und hoher Herr, und solch eine gewaltige Kraft dazu – da weiß ich nicht, was das für ein Grund sein könnt'?«

»Den will ich wohl sagen,« entgegnete jener, »so Ihr mich nur versteht und nicht verwirrt werdet. Also hört. Ich möchte wohl aus dem Turm befreit sein und war schon draußen. Das hätte mir ganz wohl gefallen und weit besser, als da herin. Aber obschon ich soviel gern draußen wär', bin ich doch wieder hereingekommen – weil ich nicht hinaus will

»Das verwirrt mir wohl schier den ganzen Sinn, hoher Herr« – sprach Gerberga – »denn es ist und soll wohl ein Geheimnis bleiben.«

»Und ist doch schier dem gleich, wie Ihrs mit Euerem Vater haltet.«

Ganz bestürzt trat die Jungfrau einen Schritt weiter zurück.

»Wie ich's mit meinem Vater halt' –?«

»Allerdings«. Und wie Herr Häckenast seines Töchterleins Widersprüche geschildert hatte, so brachte es Herzog Christoph ganz treu wieder vor und schloß: »Seht Ihr, Jungfrau, so haltet Ihr's auch. Drob verwirrt Ihr Eueres Vaters ganzen Sinn – und es ist – und soll ein Geheimnis bleiben. Seid nicht in Sorgen, ich sage nicht mehr. Wollt Ihr aber frei und herzhaft ein Geständnis ablegen, wer weiß, vermag ich Euch besseren Rat zu geben – als der hochwürdige Pfarrherr zu Sankt Peter.«

»Also – das wißt Ihr auch, hoher Herr? Ach, da könnt Ihr sehen, was Last ich auf meinem Herzen trag', daß ich's gebeichtet hab' – und hab' vorher gewußt, der Doktor Ersinger könnt' mir nicht helfen.«

»Demnach könnt Euch zuletzt niemand helfen?«

»Doch, doch!« Hochatmend und die Wangen blutübergossen sprach's Gerberga. » Ihr, hoher Herr – Ihr könnt mir helfen – das weiß ich seit heut' Nacht ganz gewiß – Ihr ganz allein! Mit Freud' und Gottergebenheit hab' ich's getragen und will's noch länger tragen – nur eins möcht' ich wissen, hoher Herr! Und das ist – ob Ihr fürwahr gar nimmer heraus wollt aus dem Gefängnis? Nur eine Zeit sagt mir in Gnaden, hoher Herr – ist's dann, wann d'r will – – und tät's noch lang' anwähren, ich trüg's mit Geduld. Und wenn ich nur das wüßt', wollt' mir's ja Gott verzeih'n und vergeben, so ich dem Dürniß zuzeiten einen guten Blick gäb', daß er auch die Geduld nicht aufgäb' und nicht ganz verzweifelt!«

»Versteh' ich Euch recht,« sagte Herzog Christoph gerührt, »Ihr hättet meinethalben ein Gelübde getan?

»Ja, sollt denn grad Ihr, o hoher Herr, nicht wissen, wie alle Herzen für Euch schlagen?« rief Gerberga mit frohselig unterdrückter Stimme. »Ja, so ist's, Herr Herzog, ich und noch zehn andere Jungfrau'n haben ein heilig, still bewahrsam Gelöbnis getan, früher nicht zum Altar zu treten, als bis Ihr Euere Freiheit gewinnt. Und wenn ich da gar nichts weiß, wie lang' noch oder ob etwan gar für immer – wie kann ich denn – dem Dürniß eine Hoffnung lassen?«

Sie schwieg eine kleine Weile und setzte dann wehmütig hinzu: »Wenn's dann nie sein sollte, müßt' ich ja wohl ins Kloster geh'n, damit ich den Dürniß vergessen müßt' – und er mich. Denn bleib' ich heraußen in der freien Welt, gönn' ich ihn keiner anderen – er laßt auch nicht ab und drüber vergeht sein junges Leben.« Bei den letzten Worten wollte sie sich auf ihre Knie niederlassen.

Herzog Christoph aber hielt sie huldvoll davon ab, und da sie sein Blick traf, sah sie überaus große Güte darin.

Er aber sagte: »O fromm' und treue Maid, an der Gott und Menschen ihr Wohlgefallen haben müssen, habt Mut und Trost und wartet bis Sankt Dionys und um die Zeit. Da mag ich etwan frei werden.«

»O mein Gott, was glückseliger Ausspruch ist das!« sagte Gerberga. »Also hab' ich meinen Trost doch hie gefunden, wie ich mir's wünscht' und hoffte. Ach, hoher Herr, wie oft trieb's mich an den Bach da hinab, die Schwanen zu füttern und sah so oft herauf, ob ich denn kein' Weg und Steg fänd', Euch dieselbe Frag' zu tun. Vergebt Ihr mir wohl, daß ich soviel zu Euch sprech' – aber 's ist zu viel Glück auf einmal – und wie hart es ist, das Herz voll zu haben und Mund und Aug' soll nichts verkünden, das wißt Ihr kaum, o hoher Herr Herzog!«

Drauf schwieg Christoph und ruhig erhob er sich.

»Nun habt Ihr Bescheid, Jungfrau«, sagte er dann. »Behüt' Euch Gott – was wollt Ihr noch –?«

Gerberga trat an die Türe. Da stand sie halb willenlos still und in wunderbarer Ahnung warf sie einen süß schüchternen Blick zurück.

»Was ist Euch –?« fragte Christoph. »Sprecht!«

Gerberga schüttelte wehmütig das Haupt, verschlang die Hände und sagte: »Ihr befehlt's, hoher Herr! So will ich's sagen. Ich mein' oft, meine ganze Seel' wär' ein Spiegel und drin spiegelt sich Gutes und Böses und Froh und Trauriges ab, wenn mich ein sterblicher Mensch anschaut. Da habt Ihr mich auf meine Worte auch angeschaut sonder ein Wort, und da überkam's mich, als hätt' ich recht töricht gesprochen und als wüßtet Ihr auch, was es heißt – das Herz voll haben und Mund und Aug' darf's nicht verkünden –! O vergebt mir, hoher Herr – Ihr habt mir's geboten, ich sollte sprechen.«

»Wohl, ich hab's Euch geboten«, entgegnete Herzog Christoph sanft lächelnd. Und einen huldvollen Wink gab er ihr, sich zu entfernen.

Gerberga folgte dem Wink. »Aber Ihr sagt dem Vater von nichts, Herr Herzog – so ist mein Gelübde. Nur Euch durft' ich's anvertrauen –«

»Seid ohne Sorgen«, erwiderte Christoph. »Ich weiß ihn dennoch zu trösten.«

* * *

Desselben Jahres 1472, zwei Tage nach Sankt Dionys und am 10. Oktober war's, gingen die Leute zu München just zu Sankt Peter aus der Vesper.

Wie nun die einen dem Rindermarkt, die andern über den Marktplatz auf die Wein- oder Dienersgasse zuschritten, hinwieder andere links in die Kaufingerstraße oder rechts hin gegen das Tal zu, war die Gerberga auch dabei.

Just wollte sie am Fischbrunnen in die Dienersgasse einbiegen, als von der Weinstraße her lauter Freudenruf erklang. Währte auch nicht lange, so kam ein reitender Bote daher und hinter ihm drein jung und alt. Die wollten nichts als fragen, und hätte er nicht genug antworten können. Item, er seinem Klepper den Sporn in die Seite und sprengte über den Platz gen Sankt Peter und links herauf zur Rathaustreppe nächst dem Löffelwirt, da rasch aus den Bügeln und hinauf zum Bürgermeister Herrn Franz Ridler. Etliche des Rates waren schon da. Die anderen kamen bald nach, denn der Lärm war allerorten groß genug. Sah man demnach einen um den anderen je nach seines Leibes Beschaffenheit rascher oder langsamer vom Rindermarkt oder durchs Bogentörlein einherschreiten, alle mit freudigem Antlitz, und waren da zu sehen der Herr Martin Katzmayr, Wilhelmus Astaller und Siegmund Pötschner, Herr Bartholome Schrenk, Thomas Rudolf nebst mehr weiteren Ratsverwandten. Der Doktor Ersinger ward auch schleunigst zugeladen und die Stadt-, Ober- und Unterrichter, Herr Wilhelm von Maxlrain und Herr Wilhelm Gollnhütter, fanden sich desgleichen ein. Dem Doktor Ersinger sah jeder die ganze Glückseligkeit an. Die letzten zwei zeigten aber nicht so überaus freudige Gesichter, zumal Herr Wilhelm von Maxlrain, denn er war von je der Ansicht, es sei dem Herzog Christoph so fast unrecht nicht geschehen.

Wie nun sämtlich Pflichtige und Geladene beisammen waren, übergab der Bote seine zwei Schreiben. Die waren vom Herzog Albertus und Wolfgang und war das erste an den Rat gerichtet, das zweite an den Herzog Christoph.

Ward sofort das erste Schreiben geöffnet und fand sich darin die Botschaft der Befreiung nebst Aufzählung der Hauptpunkte. Und da hieß es: »Herzog Christoph habe ehrbare Urfehde zu geben; die vier Brüder und Herzoge sollten künftig, wie sich's ziemt, in ganz freundlichem Einvernehmen leben und sollte einer dem andern verschreiben, daß keiner den anderen fangen, verwunden oder töten wolle, bei Verlust des väterlichen Erbteils und bei sechzigtausend Gulden Strafe. Sollte auch sonst keiner den anderen befehden bei fünfzigtausend Gulden Straf' und sei geordnet worden, daß der vor dem römischen König oder Kaiser allein zu rechten habe.«

Von der Bürgschaft war auch bester Bericht gegeben. Wer aber den Spruch gefällt, fand sich nicht minder. Und waren dabei: Der Herzog Ludwig von Niederbayern, Herr Konrad von Helmstadt, Ritter Erhard von Norstetten, Kaspar von Schönberg und Herr Tessel von Tettau. Und mit diesen allen vereint, mehr' gelahrte Herren und Verordnete des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, des Ernestus, Kurfürsten von Sachsen, und seines Bruders Albrecht. Von Geistlichen siegelten für die »obere Landschaft«: Abt Konrad von Tegernsee, Paulus von Wessobrunn und Ulrich, Propst von Undersdorf – für die »niedere Landschaft«: Benedikt, Abt von Niederaltaich, Johannes, Abt zu Prüfening, Christoph, Abt zu Pruel. Städteverordnete waren da für Straubing, Deggendorf und Kelheim. Die Urkunde ist gegeben »zue Regensburg an sand Dionisentag des heyligen Marterers Anno 1472.«
Reichsarchiv-Nachrichten.

Also war in keiner Sache ein Zweifel, des Boten mündlicher Auftrag aber lautete: »Morgen um die neunte Stunde kämen die Herzoge eingeritten.«

Von dem allen erwuchs jedem die größte Freude und selbst Herrn Wilhelm von Maxlrain. Der Allerglückseligste aber war Herr Doktor Ersinger. Der bat sich des Herzog Wolfgangs Brief aus, um ihn dem Christoph selbst zu bringen, und Herr Franz Ridler hielt es nicht minder für Pflicht, sich in den Turm am Tiergarten zu begeben. Schloß sich demzufolge an Sankt Peters ehrwürdigen Pfarrherrn an. Als sie aber beide die Stufen nächst dem Löffelwirt-Brünnlein herabschritten, war da ein freudiges Gewühl und Drängen, daß sie kaum darnieder konnten, und konnten nicht genug ja ja sagen, denn so sicher es alle wußten, Herzog Christoph werde frei, sie wollten es aus der höheren Herren Mund vernehmen.

Als sie vom Rathaus hinüber in die Burggasse bogen, sah der Doktor Ersinger links unter dem Eingang der Bögen die Gerberga stehen.

Sogleich grüßte er freundlich mit dem Kopf, als wollte er sagen: »Jetzund ist's recht geworden und aus mit allem Sorgen!«

Die Burggasse im alten München.

Das hätte freilich kaum einer bemerkt, aber die Gerberga wohl. Vor Freuden schwindelte ihr nahezu und sie lispelte vor sich hin: »Gott sei's gedankt, o du armes Herz, was hast du für den Herzog dulden müssen!«

Dann aber rasch um, durch die Bögen hindurch in holdester Eile, um durch die Dienersgasse heimzukehren zum Vater – der sollte nun alles wissen – und sonst gab's auch noch viel zu tun bis morgen.

Als sie zu den Bögen hinaus wollte, wollte der Dürniß gerade hinein und hinüber in die Burggasse.

»Gerberga, Ihr seid's!« rief er.

»Ja, ich bin's« – antwortete sie, einen Blick vollster Liebe entsendend – »nur noch bis morgen bleibt mir treu – und sobald der Herzog im Freien ist – kommt zum Vater!«

Fort eilte sie.

* * *

Frühmorgens des nächsten Tages war die ganz lobesame Stadt München in Bewegung. Nichts als freudige Gesichter allerorten sah man, und wann etwa ein alter Herr den Kopf schüttelte und fallen ließ, es könnte später wieder zum Streit kommen, fand sich sogleich einer oder ein paar, die das verneinten und nur das Beste gelten ließen. Darauf zeigte sich der andere auch bald beruhigt und einverstanden und mischte sich ganz vergnügt unter die Menge. In der wiegte und wogte es von grünen Zweigen auf Schlapphüten, Baretten und den aufgestülpten Mützen, das Frauenvolk aber, hoch und nieder, hatte rote und weiße Blumen auf dem Brustlatz oder in den Händen. Und von all der Menge gingen die einen zur Peters-, zur Heilig-Geist-Kirche oder in eine kleinere Kapelle, um ein freudiges Dankgebet zu tun; die anderen kamen schon vom Gebet und zogen gegen unseres Herren Tor, durch welches die Herzoge einreiten sollten; ein großer Teil hinwieder machte sich zum Turm am Tiergarten, pflog da frohlautes Gespräch und neckte dort oder da einen Soldknecht. Ein solcher wehrte sich dann immer gegen den schalkhaften Angriff mit seiner Pflicht für den regierenden Herzog Albertus, beteuerte aber seine große Verehrung für den Christoph und pries ihn mit lautester Stimme.

Dabei sahen die guten Leute von München viel und oft an den Turm hinauf und meinten, Herzog Christoph sollte herausschauen.

Er sah aber nicht heraus. –

Im Gefängnis schritt er langsam auf und nieder, oft stehen bleibend und in tiefes Denken versunken, und einmal sagte er, in Gedanken an die Margret, vor sich hin: »Sie wollte beten, daß der Bruderzwist ein Ende nehm'. Sollt' ich da nicht endlich nachgeben –?«

So unbewußt sagte er dieses, daß er von seiner eigenen Stimme überrascht ward und erschrocken einhielt, als könnten die stummen Mauern sein tiefes Geheimnis verraten.

Wer rein und innig unglückselig geliebt hat, der versteht's. Wer aber nicht, dem könnten's viel tausend Worte nicht erklären und deuten.

Bald darauf kam Herr Häckenast mit dem Morgenimbiß. Selbiger Herr Häckenast war ganz glückselig. Denn er wußte seit gestern der Gerberga Geheimnis. Da ihn nun Christoph seiner Fürsprache versicherte und ein huldvolles Wort des Dankes sprach, weil er ihm so treu gedient habe in seiner langen Gefangenschaft, überkam's den alten, bärtigen Gesellen in lauter wonniger Wehmut und strich er sich ein übers andere Mal die grauen Wimpern, daß ihm die hellen Tränen nicht auf die Wangen schössen.

Um die neunte Stunde vernahm Herzog Christoph, wie die Menge am Graben unten urplötzlich überlaut wurde, und da er zur Seite ans Fenster trat, sah er die Menschen vom Turm weg und gegen unseres Herren Tor eilen.

Dort ritten die fürstlichen Brüder unter freudigem Getümmel ein. Eine ganze Schar Ritter zog hinter den Fürsten her. Das strahlte hell auf im Sonnenglast der blanken Harnische, und wehten die Büsche und grünen Eichenzweige lustig von den Helmen. Die voraus ritten, die Trompeter hatten desgleichen Zweige auf den Hüten, von den Trompeten hingen ganze Ketten Laub und Blumen herab und geblasen haben die Trompeter, als wär' das jüngste Gericht da und als wollten sie den Herzog mit freudigem Ruf von den Toten erwecken.

So ritten also die Trompeter daher, dann die Herzoge und die Ritter. Ratsherren und mehr fremde, gelahrte Herren und Abgesandte folgten. Davon saß mancher ganz ordentlich zu Roß. Drauf die von München, so den Herzogen bis weithin zu Gruß und Empfang entgegengekommen waren; zuletzt vierzig Soldknechte, dazu von allen Seiten das Volk. Es war ein erhebender Anblick.

Nicht eine Viertelstunde währte es, so kamen die Fürsten schon an den Turm, die Treppe herauf und an die Türe des Gefängnisses.

Die öffnete sich alsbald.

Da standen die herzoglichen Brüder, inmitten Herzog Albertus. Nächst ihnen Pfalzgraf Otto von Neumarkt. Der Bürgermeister Herr Franz Ridler mit zwo Herren des Rats und der Doktor Ersinger. Und um einen Schritt weiter die Gerberga mit noch zwei annehmlich geschmückten Jungfrauen lobesamer Stadt München.

Mild sah Herzog Albertus auf den Bruder im Gefängnisse.

Herzog Wolfgang aber wollte da kein langes Schweigen, trat rasch ein und rief: »Gott zum Gruß und alles, was dein frummes Herz erfreut, gib deine Hand her, vielliebster Bruder – nun bist frei und alles Grames ledig!«

Herzog Christophs Schwert.

Christoph bot ihm froh seine Rechte und sagte: »Gott zum Gruße hinwieder, redlich vielbesorgter Herr Bruder! Habt Euch schier geplagt, viel Redens und Hin- und Wiederreitens im Land für mich gepflogen. Und der Pfalzgraf fast noch soviel. Guten Morgen, Otto, treuer Freund – guten Morgen, Bruder Siegmund, was meint Ihr? Daherin ist's so gar fast anmutig nit, denn außen zu Menzing bei hübschen Frauen und Cantoribus.« Gnädiges Wort spendete er auch den anderen. Zuletzt wandte er sich an Herzog Albertus, der schier verlegen dastand. Auf den ging er einen Schritt zu und sprach: »Seid mir in Gott gegrüßt, hoher Herr und vielliebster Bruder, Ihr bringt mir mein Schwert –?«

»Hier ist Euer Schwert«, entgegnete Herzog Albertus.

Trat ein und gab es ihm.

Rasch nahm es Herzog Christoph. Seine Augen funkelten vor Lust und Freude. Zog's auch aus der Scheide und besah es. Dann ließ er es wieder einfallen, gürtete es um und stützte sich fest auf den Knauf, die Rechte aber bot er dem Albertus.

»Heute sind's neunzehn Monde, Herr Bruder, minder zwei Tage. Das ist fein lange Frist. Nun aber ist's vorbei und im Herzen bin ich Euch ganz versöhnt und ergeben.«

Dabei umarmten sich die zwei Brüder und küßten sich.

Wandte sich Christoph hierauf zum Siegmund und fragte, wie's mit Unserer Lieben Frauen Dom voranschreite, dann wieder zu den alten Herren, die näher getreten waren, und sagte lächelnd: »Also haben wir uns fast abgehetzt und die alte Erfahrung gemacht: Jeder meint, das Seinige träf' ins Ziel und dann ist's und kömmt's dennoch anders. Der Wolfgang ist nicht zum Bischof worden und ich bin nicht von Land Bayern gezogen. Hinwieder ist's mir mit der Herrschaft fehlgeschlagen und dem Herzog Albertus mit meiner weiteren Haft. Dabei war mein eigen freier Wille tätig, ich hab' da meinen Grund, daß ich nachgab. Abgezwungen hätt' mir's aber keiner und hält mich all mein Leben lang kein Zwang, alleinig nur meine Einsicht und eigener Entschluß.«

»Das will ich Euch zu Ehren wohl anerkennen,« erwiderte Albertus – »so ich auch keine Bürgen hätte. Denn sicher ist Euere Absicht die beste und Ihr haltet am Wort und Entschluß, des Landes Ruhe und Einheit nimmer zu stören.«

Entgegnete Christoph lächelnd: »Wann das ist und Ihr mir allein vertraut, warum habt Ihr denn die sechsunddreißig zu Bürgschaft genommen?«

»Das ist so gang und traktierweis',« war die Antwort, »all die haben sich auch freudig selbst erboten –«

»Laßt, laßt!« fiel Herzog Wolfgang ein, und Herzog Siegmund mahnte auch freundlich ab.

Sagte Christoph: »Ihr meint etwan, ich finge Händel an und wär' noch im Turm? Mit nichten! So ist's und wird nicht anders. Ich stör' Euch nimmer, Bruder Albertus, stört mich nur hinwieder in meinem Zugesagten nicht – und laßt vom Abensberger Niklas! Ich aber reit' seinerzeit von dannen zum König Matthias in Ungarland. Da will ich gute Kriegstaten verrichten. Und nun bin ich demnach frei und ledig –?«

»Wie der Vogel in der Luft« – gab Albertus zurück – »laßt uns gehen!«

Herzog Christoph wandte sich, als wollt er seinem Gefängnis fahrwohl sagen und wollte dann den Brüdern folgen. Blieb aber doch noch einmal stehen, sah auf die drei Jungfrauen draußen, denen die Tränen süßer Rührung über die blühenden Wangen rannen und sagte: »Guten Morgen, Gerberga, und ihr anderen zwo. Versteh' euch ganz wohl. Viel Dank für eueren großheiligen Entschluß – will's nie vergessen und seid nur recht glücklich und gesegnet!«

Sagte Herzog Albertus: »Daß Ihr mich erinnert, vielliebster Herr Bruder. Die Jungfrauen flehten mich an, die ersten sein zu dürfen, Euch in Freiheit zu sehen. Außen sind ihrer noch mehr, all denen ist was Besonderes an Euch gelegen. Aber ich weiß nichts von allem. So legt mir's aus, damit ich sie belohnen mag, denn mich bedünkt, sie könnten's verdienen!«

»Wohl verdienen sie's!« erwiderte Herzog Christoph und machte das Geheimnis in wenigen Worten kund.

Auf dies wandten sich alle anerkennenden Blickes zu den drei Jungfrauen, die hoch errötend dastanden. Herzog Albertus aber fragte, welche nun zuerst zum Altare trete und wie der Bräutigam heiße.

Weil nun die Gerberga ganz bewegt schien, wußte er sofort, daß es keine andere sei, als eben sie, und wiederholte seine Frage um den Namen, und als sie flüsterte, er sei der Waffenschmied Dürniß, war Albertus wohl einverstanden und sagte:

»Der hat mir jüngst ein trefflich Rüstzeug gemacht und steht schon in besten Gnaden. Der soll ganz zu mir, und weil mir jüngst mein Hofwaffenschmied starb, soll es nun er sein!«

Ermißt jeder, wie da der Maid wurde. Herzog Albertus aber ließ sich nicht auf viele Danksagung ein und machten sich sämtlich zum Aufbruch bereit.

Die drei Jungfrauen waren schon an der Treppe, und während Herr Häckenast, der in der Ecke gestanden war, durchs Gitter mit einem Tuch zum Zeichen hinauswehte, die Herzoge aber daherkamen, streuten die Jungfrauen aus vollen Schürzen Blumen und duftiges Laub von Stufe zu Stufe, daß jene wie über einen Blumenteppich darniederschritten.

Als aber Herzog Christoph aus dem Turm Der efeuumwachsene Turm ragte bis in neuerer Zeit aus der Tiefe empor. Als man beim Neubau des Residenzteiles, dem heutigen Hofgarten gegenüber, den Bach, an welchem der Turm stand, überwölbte und alles einebnete, wurde der untere Teil desselben zugedeckt, der obere Teil jedoch im Residenzbau zur Erinnerung eingebaut. Sogleich nach dem Eintritt in die rechte Hofecke, unweit des Torganges, welcher vom Reitschulplatz (auf welchem früher die herzogliche Neuveste) herführt, sieht man das Äußere des betreffenden Turmteiles und befindet sich sodann alsbald in demselben Raum, in welchem Christoph in Gefangenschaft war. trat, hinaus unter Gottes blauen, lichtsonnigen Himmel, mit einemmal das Geläute aller Glocken vernahm und der abertausend Menschen freudigen Ruf zu seinem Heil, als er sah, wie sie sich stritten ihm nah' zu kommen, sein Kleid zu berühren oder einen Blick seines Auges zu erhaschen – da schwoll auch ihm sein ganzes Herz in Lieb' und Wonne und Dankbarkeit. Gern bot er dem und jenem die Hand, Bürgern, Gesellen und manch wohlbekanntem Kriegsknecht, Frauen und Jungfrauen auch – Meister Jörgen von Halsbach und den Heimeran traf er gleichfalls – und wußte jedem und allen ein Wort des Dankes, das ihnen für zeitlebens erinnerlich und ihr schönster Stolz blieb.

So schritt Herzog Christoph dahin im selben Freudengetümmel. Ihm zur Seite ging Herzog Albertus, hinter ihnen schritten Herzog Siegmund, Wolfgang und der Pfalzgraf Otto, drauf die anderen, so in den Turm gekommen waren – denen wurde auch aller Lieb' und besten Dankes Bezeignis – weiters dann der Rat lobesamer Stadt München, Ritter und Kriegshauptleute, der Stadt Ober- und Unterrichter und wer sonst dazu gehörte. Und Schritt für Schritt wandelten die alle dahin über Blumen und Laub, so die elf Jungfrauen voraus zu Füßen Herzog Christophs streuten und viele hundert und hundert duftende Sträuße fielen aus den Lüften dazu nieder, entsendet von den anderen, nah und weit.

Als der Zug zum Burgtor gelangte, war dort eine Schar Ritter, hoch zu Roß. Die jauchzten alle laut auf und klirrten mit den Schwertern.

Der Erste aber sprang aus dem Sattel, griff nach einem großen, güldenen Becher, der ward vollgegossen mit Bacharacher Feuermost, alldamit schritt er dem Christoph entgegen und rief: »Hie bring' ich Euch den Gruß in Gott und aller tapferen und redlichen Mannen! All soviel Glück und Freud' es gibt, werd' Euch zuteil, Herr Herzog, so Ihr an Frömmigkeit, Sitte und Mut für jede gute Tat erkoren und bewährt seid und der Stolz der Ritterschaft all in deutschen Landen. Das laßt Euch durch mich, Hartlieb von Sigenheim, jedwedem von denen und von allen entbieten, und keiner ist, dem sein Herz nit in Freuden schlüg. Also netz' ich mein' Lippe zum Willkomm – und ruf' Euch zu: Hoch sollt Ihr leben zu all unser bestem Stolz und Ruhmwürdigkeit!«

Bot drauf Herzog Christoph den güldenen Becher.

Der nahm ihn und sagte: »Viel Dank, Ritter Hartlieb! Was ich vermag, ist von Gott gegeben, was Ihr aber Gutes vermeint, dem werd' ich nimmer zu Unehren sein. Hoch lebe die Ritterschaft!«

Trank dann aus dem Becher und gab ihn zurück.

Ritter Hartlieb aber sagte: »Der Becher sei des Herzogs eigen und er bitte ihn von der Ritterschaft anzunehmen.«

Dafür dankte Herzog Christoph, bezeigte sich ganz froh und besah die vielen Wappen und sonstige Zier. Grüßte auch mit der Hand und kannte jeden Ritter.

Parzival von Puchberg fehlte.

»Warum ist er nicht dabei?« fragte Christoph. Aber Hartlieb von Sigenheim schlug es ihm rasch aus dem Sinn. Drauf schritt Herzog Christoph, den Münchnern noch einen Gruß entsendend, in die Burg, hinter ihm der ganze Zug bis an die Treppe.

Als die alle längst verschwunden waren, hallte draußen noch Jubel auf. Und den ganzen Tag über war zu München eine Freud' und ein Leben, daß sich die ärgsten Feinde versöhnten.


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