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XXIX.
Der Achentaler Ur.

1.

Nun ergeht eine grause Kunde von Herzog Christoph und dem Achentaler Ur. Sie geht aber gut aus.

So einer isaraufwärts von München aus seinen Pfad verfolgt, kömmt er an den »Fall«, drauf in manch' Talschlucht und so weiter fort bis an einen Berg. Und ist er über den Berg drüben und unten angelangt, so ist er soweit nimmer vom Achentaler See.

An dem See lebte vor undenklichen Zeiten ein stolzer Dynast, des Namens Seyfried von Rottenburg. Der hatte schon viele Jungfrau'n und Frauen mit List oder kecker Gewalt entführt, an hoch und nieder, als Fürsten, Rittersleuten, Kaufherren, so Bauern viel Unheil und Raub verübt, auch manches Kloster und Gotteshaus verbrannt oder sonst zerstört. Zuletzt überfiel er gar seinen eigenen Bruder und ermordete ihn in der Blüte seines Lebens. Dafür traf ihn, wie billig, aller Christen und der Kirche Fluch. Er tat aber keine Buße und das geraubte Gut gab er auch nicht heraus. Vielmehr ging er eines Tages, als er erfuhr, seines Bruders Freunde kämen mit großer Macht angerückt, her, vergrub all Kostbares unter einer uralten mächtigen Tanne, fast weit oben am Bergesabhang und warf sich schadenfroh in den Kampf.

Drin fand er seinen Tod und starb sein ganzer Stamm mit ihm aus.

Weil er nun sonder Reu' und Buße gestorben war, fand er keine Ruhe im Grab, des Himmels Fluch oder der Hölle Macht kam grauenvoll über ihn und in schreckbarer Gestalt erschien er von Zeit zu Zeit.

Da brauste er dahin als brennender Ur. Entsetzlich war sein Brüllen, die Gebüsche und Bäume gerieten in Flammen, die Hütten und Scheunen desgleichen, so er anstreifte oder mitten hindurch schoß – kam er aber in unsinniger Wut gegen die Kirche oder ein Kloster, nah' oder weiter vom See, spie er ganze Ströme Feuer aus und stiftete das größte Verderben.

Dabei ging von je die Rede, so müsse er dulden und zugleich Schrecken verbreiten, bis ihrer zwei daherkämen, beide ganz reinen Herzens und keiner den anderen kennend. Der eine aber dürfte nicht in irdischer Liebe Banden, der andere aber müsse heißester Liebe voll sein. Und träf' all dies zu und trüg' der eine ein geweihtes Schwert, so vermöchte dieser den Ur in den See zu stürzen, daß er nimmer erschiene – der andere aber fände Seyfried des Rottenburgers Schatz.

Die Sage war gekommen, es wußte aber niemand, wie und von wem. Weil sie aber so wundersam klang, glaubte jeder, der Seyfried von Rottenburg müsse fort und fort dulden, und die im Achental würden des Schreckens und der Gefahr nimmer frei und ledig.

Es war aber anders bestimmt, denn die zwei kamen doch zusammen.

Es stand dazumal, nicht allzufern vom See eine Mühle, und der Müller Grons, dem dieselbe Mühle gehörte, war ein reicher, stolzer Mann. Zumal hielt er seine Tochter so hoch, daß er schon mehr denn einen abgewiesen hatte, weil er ihm zu gering erschien an Stand oder Hab und Gut.

Damit war die Anna nicht wohl gar zufrieden, meinte aber, das sollte nur lange so währen, bis der Vater älter und milder würde. Oder wie sonst. Kurz, sie hoffte eben, der Himmel werde noch alles fügen und wenden, so daß sie an ihr Ziel gelangte.

Es war aber dieses. Sie wollte den Bertram gewinnen. Der nannte den Forst seine Heimat, von Gestalt und Antlitz war er wohl männlich und handsam und an Sitten war er auch makellos. Aber arm war er auch dabei.

Begreift nun jeder, was stille Sorgen der Bertram und die Anna im Herzen trugen, so der Müller etwa doch hinter das Geheimnis käme. Aber wie nah' das oft lag, voneinander hätten sie nicht gelassen und um keinen Preis der Welt.

Mit einemmal fand sich einer beim Müller ein, der ihm in aller Art anstand. Zumal war er ein reicher Mann. Und obschon er deshalb nicht weniger Mitgift verlangte, eh' mehr denn alle, die sich früher angefragt – dem Müller war er gleichwohl recht und gerecht, weil die Anna doch eines reichen Mannes Hausfrau würde. Bevor nun die nur gefragt ward, hatten Müller und Brautwerber schon alles besprochen und geschlichtet und auf etliche Wochen hinaus war gar die Hochzeit schon festgesetzt.

Da nun des Müllers Töchterlein hörte, was Handel mit ihrem Herzen getrieben werde, geriet es in größte Verzweiflung. Der Bertram erfuhr in kurzem die traurige Kunde, wußt' sich nimmer anders zu helfen und zu raten, und, ohne daß er die Anna vorher gesprochen, eilte er zum stolzen Müller in die Mühle und bekannte ihm seine und der Anna lang verborgene Minne.

Als der Müller vernahm, was hinter seinem Rücken geschehen war, sah er über die Maßen höhnend auf den Bertram und sprach: »Ihr frecher Gesell! Wie konntet Ihr's wagen, Euer Aug' zu meiner Tochter zu erheben, der Ihr nichts seid, als ein niedriger Weidmann und arm und hungrig, wie die niedrigste Kirchenmaus? Packt Euch zum Henker und wagt es nimmer ein Wort mit der Dirne zu sprechen! Wär' ich ein Bettler, wärt Ihr mir etwan gut genug – so aber bin ich weitaus der reichste Mann und Ihr seid der ärmste Gauch! Und damit schert Euch von hinnen – in sechs Tagen ist die Hochzeit!«

Auf diese schnöden Worte rief Bertram der Anna ein Lebewohl zu, eilte fort und irrte auf Bergen und in Wäldern herum.

2.

Nun kam es Herzog Christoph um dieselbe Zeit in den Sinn auf Gemsen zu jagen.

Ritt demnach mit mehr Freunden im Gebirg dahin und dorthin, gewann gute Beute im Gejaid und zuletzt kam er ins Achental. Er wußte aber nichts vom Bertram und der Anna. Die beiden kannten ihn auch nicht und wär's so gewesen, der Bertram hätte sicher alles mehr gedacht, als daß er und Herzog Christoph just die zwei seien, bei welchen die alte Weissagung zutreffe.

Wie nun Herzog Christoph am zweiten Tag abends von den Bergen in die Schenke zurückkam, sagte er: »Ich weiß nicht, was da ist. Ich hab' da ein wildes Surren und Brausen vernommen und in der Ferne Rauch und Feuer flackern gesehen, bald dort, bald da. Was kann's zu bedeuten haben?«

Drauf wurden die, so es hörten, ganz bewegt und antwortete einer: »So Ihr das höret und saht, hoher Herr, bringt Ihr uns just nit die beste Kunde. Wißt Ihr denn nichts vom Achentaler Ur?«

»Ei wohl hab' ich davon gehört!« entgegnete Herzog Christoph. Die anderen aber erzählten ihm alles weitere aufs genaueste und wußte jedweder was Schreckbares.

Als die Kunde von Herzog Christophs Worten herumkam, gerieten alle Leute weitaus in Angst und Sorgen: taten Beichte und Buße, brachten ihr Bestes in Sicherheit und ließen Schwelle und Feldmark weihen, damit der Achentaler Ur weniger schaden möge. Dies hatte auch früher gar manchem gute Dienste getan.

Der Müller Grons aber lachte über das alles und verließ sich auf sein Glück. Denn so oft der Achentaler Ur erschienen war, die Mühle war stets ungefährdet geblieben. Zudem verlautete etliche Tage weiter nichts und weder Herzog Christoph, noch sonst einer brachte weitere Kunde. Faßte sofort der Müller Grons ganz besten Mut, empfing mittlerweil' den Bräutigam mit offenen Armen und verhöhnte den Bertram, der in den Wäldern hause. Der andere tat desgleichen. Des Müllers Töchterlein, der Anna, hätte aber das Herz vor Jammer brechen mögen und Tag und Nacht betete sie um Rettung und für den Erwählten ihres Herzens.

Wie nun alle schier wieder ganz sicher waren, brach der Schrecken erst los.

Es war um die halbe Nacht. Hochauf loderten urplötzlich hier und dort die Bäume, unheimlich ging's durch die Luft, die Wasser traten im See zurück und weit oben sah jeder deutlich den brennenden Ur dahinrennen, hin und her und auf und ab in wilden Sätzen und zuzeiten brüllt' und heulte er greulich. War er dann auf kurze Zeit verschwunden, kam er bald wieder zum Vorschein, stets tiefer und tiefer gegen den See herab. Und als es dämmerte, brauste er schon daher oder dorthin an den Länden und dann rasch wieder um und fuhr in die Talgründe hinein, nah', wie ferne.

Alsbald wußte keiner mehr, wo aus und an. Denn flieh'n oder bleiben, war eins, weil der Achentaler Ur überall herkam, wo ihn niemand vermutete. War's demnach ein Irren oder zaghaftes Zusammenstehen durcheinander. Rauschte das Ungetüm vorüber, fielen die Menschen, Gott dankend, auf die Knie, glaubten sich aber damit nicht gerettet. Sie wußten das wohl von früheren Malen. Denn so der brennende Ur davon jagte und gelangte an eine Felsenwand, die ihn aufhielt, tobte und heulte er entsetzlich und wandte sich in zwiefacher Wut, wetzte den ungeheueren Kopf an den Bäumen rings, daß alsogleich ein Glutstrom in die Luft fuhr, und sah er es erst wieder recht hellauf brennen und prasseln, war's, als ob die ganze Hölle in ihm säße. Geradeaus zurück rannte, saust' und hauste er, da war alles der Vernichtung preisgegeben, was ihm in den Weg kam – und was er bisher verschont hatte, war nun meist das erste am Verderben.

Keine zwei Stunden waren verflossen, so loderte es auf in unzähligen Feuern um den See herum in Niederung und auf den Bergen wieder, unten, zu mittst oder öberst.

Das alles sah der Müller Grons bei kaltem Blute mit an, denn wie früher, schien's auch diesmal zu werden. Überallhin wandte sich der Achentaler Ur, nur nicht auf die Mühle zu.

Mit einemmal ward die Angelegenheit anders.

Weit drüben bei einer Kuppe tat das Ungetüm einen Satz, fuhr links ab und darnieder, wie der Blitz. Dann sauste es in ungeheueren Ringen herum und die wurden immer enger, bis es zuletzt auf die Mühle zuging.

Nächst fuhr in den Müller Grons ein großer Schrecken. Soviel er nur vermochte, bereute er Hohn und Frevel. Der Bräutigam zitterte nicht minder und machten es alsbald die beiden, wie alle anderen. Sie fielen auf die Knie nieder und fingen an inbrünstig zu beten.

Die Anna aber vermochte nimmer zu bleiben. Die rechnete so: »Wenn der Achentaler Ur durch die Mühle saust, muß er auf die hintere Felswand stoßen. Da kehrt er sicher um und stürzt gerade auf den Berg hinan, wo sich Bertram in den letzten Tagen aufhält.« Das hatte sie kaum ermessen, als sie sich in ihres Herzens Angst für den Geliebten aufraffte und dem Müller Grons zurief: »Gott erhalt' Euch, Vater, ich kann Euch nicht helfen! Leben kann und soll ich nicht mit dem Bertram, wohlan, wenn's sein will, sterb' ich mit ihm!« Drauf eilte sie, des Müllers Flehen von sich weisend, hinaus und fort und fort zur Höhe. Da klomm sie weiter und weiter und rief ein übers andere Mal: »Bertram! Bertram! wo bist?« So ließ sie nimmer ab, bis ihr's entgegenkam: »Da bin ich! da ist der Bertram – o heiliger Gott, das ist die Anna!«

So war's. Gott selber hatte der fromm ergebenen Maid Schritte gelenkt. Nur noch ein jäher Hang – und unfern einer gewaltig thronenden Tanne, gleich über einem Hohlweg traf sie auf Bertram. Mit schauerlichem Entzücken zog er sie an seine Brust, wohl erkennend ihrer Liebe Übermaß. Sonst bedurft' es keiner Worte und Deutung. Denn weit hinaus und hinab war von der Stelle zu sehen, und gar wohl hatte Bertram erkannt, wie der Mühle Verderben drohe. Und so mit jedem Augenblick mehr. Denn kurz vorher hatte der Ur zwar wieder weitere Kreise gezogen, nun aber macht' er allerlei wilde Sätze, als wollte er wieder näher und zwar grad' aus.

Das traf in kurzem zu.

Brust an Brust gelehnt, schauten Bertram und die Anna eben wieder hinaus und hinab, sprachlos vor banger Erwartung, da riefen sie beide vor Schauder auf, denn urplötzlich hatte sich das brennende Ungeheuer gewandt und pfeilgerade schoß es fort auf die Mühle zu und mitten hinein, daß sie lichterloh emporprasselte. Furchtbar mocht' es darin toben, denn all Denkbares flog und sauste durch Feuer und Qualm hoch in die Luft weit aus nach allen Seiten und bis in den See hinüber. Drauf schoß der Ur drüben hinaus auf blutrotflammender Spur bis an die Felsenwand. An der stieß er, entsetzlich heulend und brüllend, den riesigen Schädel an, ganze Güsse Feuer spie das Scheusal aus, dann tat's einen wütigen Satz herum, rannte zurück, woher es gekommen und fuhr hart an der brennenden Mühle vorbei.

Drauf weiter und weiter und wieder den Berg hinan.

Wie Herzog Christoph all früheres und dies mitansah, kam's über ihn, als wie in heiliger Sendung, und rief er: »Her da mit meinem Roß, Gott steh' mir bei, ich wag' die Tat! Mein Schwert ist geweiht, mein Herz ist rein, was sonst zutrifft, weiß ich nicht – ich tu' das Meinige!« Verlor auch weiter keine Zeit, nahm in der Schenke das Kruzifix von der Wand, das küßte er zu etlichen frommen Worten, schwang sich alsbald auf sein Roß und sprengte fort, dem brennenden Ur nach. Auf der Brust trug er das Bild des Heilandes, mit der Rechten zückt' er sein kampflustiges Schwert.

Die hinter ihm zurückblieben, riefen alle voll Entsetzen auf und sicher glaubten sie, er reite in den Tod. Ergriff sie auch sonst größere Angst, als bisher. Denn kaum war Herzog Christoph von hinnen, ward's überall stets schauerlicher. Ein grauser Wind erhob sich und durch die sturmgepeitschte Luft zog ein wildes Gewitter heran. Das brach mit Macht herein, wie's noch keiner erlebt hatte, und tobte herunter all in Donnergebrüll, Blitz und Hagelschlag. Der Achentaler See kochte und wirbelte und durch Dampf und Rauch war's, als ob schreckbare Gestalten sich aus der Erde Schoß erhöben und dem Herzog Christoph entgegen- oder nachstürmten.

Das verhielt sich auch so. Denn die ganze Hölle war in Aufruhr und wollte den frommen Helden zurückhalten.

Herzog Christoph aber ließ sich auf seinem Pfade nicht hemmen. Das heilige Kreuz riß er oft von der Brust und streckte es drohend aus. Da wich das finstere Gesinde stets zurück – er aber jagte dem Achentaler Ur nach.

Der fuhr umher in unsinnigster Wut. Mit einemmal wandt' er sich in der Ferne und stürzte gerade auf Herzog Christoph zu, daß sich sein Roß aufschauernd bäumte und zur Flucht wandte, wie früher nie.

Aber Herzog Christoph setzte die Sporen ein und gab ihm dazu einen flachen Streich mit dem Schwerte, daß es wieder gehorchte und weiter sprengte. Jener aber rief mit donnernder Stimme und fest heiligem Mute dem Ungeheuer entgegen: »Weich' von hinnen in die Wellen, du unglückselig, verwünschtes Gespenst!«

Kaum hatte er das gerufen, stürzte der Ur ganz nahe daher. Die Augen rollten ihm, wie zwo Schweifsterne, aus dem Rachen brach ein ganzes Feuermeer, die Erde krachte und donnerte unter seinen mächtigen Sätzen – und hinter ihm tauchte es Satz für Satz auf – wild schwankend in glimmenden und finsteren Schreckgestalten der Hölle. Die trieben ihn an zur höchsten Wut und wollten Herzog Christoph verscheuchen.

Der aber achtete auf nichts, hielt mit der einen Hand das Kruzifix, die andere schwang das Schwert und hieb urmächtig auf das Ungetüm ein, als es etliche Schritte zurückwich. Entsetzlich brüllt', schrie und heulte es dazu, dann rannte es wieder vorwärts. Aber es konnte dem Herzog Christoph nicht an. Umwandte es in verzweifelter Hast und mitten hindurch das Höllengesipp' stürmte es in der Flucht. Jener aber ihm nach und verfolgte es bis auf einen Felsen, der weit vorsprang. Da war kein Ausweg mehr. Ihre letzte Wut schnaubte die Hölle in das Ungetüm, aber Herzog Christoph wich nicht ab und rief, daß es weitaus hallte: »Gottes Wille ist's, das erkenn' ich! Frei soll das Tal sein und besiegt durch deinen Untergang die Höll' – das löst deine verdammte Seel'!«

Zugleich drang er ein – hoch bäumte sich sein Roß – und mitten hinein in die Brust stieß er dem Ungetüm der Hölle sein glühheißes Schwert, daß der Ur mit schaudervollem Gebrüll zusammenkrachte. Dann sogleich raffte sich der Ur mit unsäglichem Schmerzensruf wieder auf, fuhr weit hinaus vom Felsen – und stürzte sich in den See – daß der Gischt hoch auf gegen Himmel schoß.

Kaum war der Ur versunken, war's, als ob alle Stürme und Gewitter der Welt zugleich losbrächen. Der ganze Himmel schien in Brand zu stehen, grauenvoll rollten die Donner, daß Berg und Talgrund erbebten und, wie Tausende von Schwertern sich kreuzen, schossen auf, nieder und gerade hin die Blitze. Davon knäuelte sich eine ganze Schar in einen zusammen, weit drüben. In dem einen sauste es über den ganzen See – und zerschmetterte die älteste Tanne auf der nächsten Höhe, daß sie in unzählbare Splitter zerfuhr – und in den Boden fuhr der riesige Wetterstrahl, daß die Erde aufklaffte bis zu den tiefsten Wurzeln.

Unfern von der Tanne waren zwo betäubt darniedergesunken, dennoch unverletzt – die waren Bertram und des Müllers Töchterlein.

Herzog Christoph hatte sich zu heißem Gebet auf die Knie geworfen und sagte dann in heiligster Demut: »O Gott, mein Herz hast du rein befunden – du wirst das zweite kennen.«

Als er wieder aufsah, war der Himmel blau und sonnig hell, die Wasser weithin licht und ruhig, überall, wo noch vor kurzem die Lohe aufschlug oder dichter Qualm sich dahinwälzte, war's, wie in einem Zauberstreiche verlöscht und verwischt – und nur an einem Orte stieg ein leiser Rauch empor. Das war da, wo der grause Blitz eingeschlagen hatte.

Als Herzog Christoph das sah, bedünkte ihn, es gelte als ein höheres Zeichen. So ritt er den Felsen hernieder, stieg vom Roß und folgte dem Zeichen wieder aufwärts – bis er an den rechten Ort kam.

Und fand Bertram und Anna, unweit eins vom anderen – und jedes in Gebet versunken.

Da trat er auf sie zu und sagte zum Bertram: »Also wärst du's vielleicht?«

»Was meint Ihr?« fragte Bertram, erstaunt aufschauend. »Was wollt Ihr da sagen, wer immer Ihr seid, hoher Herr – und wundersamer Held?«

Sagte jener: »Ich bin Herzog Christoph. Den Achentaler Ur hab' ich in den See gejagt und mit Gottes Hilfe das Reich der Hölle überwunden. Gott hat mein Herz für rein erkannt und mein Herz ist von irdischer Liebe frei. Bist etwa du der andere, so des Rottenburgers Schatz finden soll? Wer ist die Maid, und was hat sich mit euch zugetragen?«

Da erhoben sich die zwei ganz betroffen und erzählte Bertram all' und jedes in kurzem – vom Sonnenblicke der Liebe bis zu seiner Flucht und alsofort bis zum letzten Augenblick, da der Blitz den alten Tannenbaum zerschmettert habe.

Mittlerweil' er sprach, war Herzog Christoph dahingetreten, wo vorher die Tanne stand, und als des Bertrams Kunde zu Ende war, winkte jener ihm und der Anna und sagte: »Da schaut hinab!«

Das taten sie beide – und da lag hart an den Wurzeln ein flacher Stein, der war sichtlich von Menschenhand gelegt.

»Steig hinab und sieh zu, was da ist!« befahl Herzog Christoph.

Drauf stieg der Bertram hinab und lüpfte den flachen Stein hinweg. Da standen zwo Kästlein vor Augen, jedwedes von Eisen und vor jedem hing ein festes Schlößlein. Schier bebend trug sie der Bertram herauf und gab sie dem Herzog Christoph in die Hände. Der griff zum Schwerte, nahm eins ums andere vor, mit dem Schwertknauf schlug er Schlößlein um Schlößlein weg, und als sich die Deckel auftaten, waren im einen Kästlein mehr tausend Goldstücke – im anderen aber überaus viel kostbares Geschmeide, voll des edelsten Gesteins.

Das funkelte und strahlte in allen Farben.

»O, mein heiliger Gott,« lallte die Anna, »wär's möglich, das ist – des Rottenburgers Schatz?!«

»Der ist's!« lallte Bertram.

»Wohl ist er's!« sagte Herzog Christoph. »Nun seh' ich wohl ein, daß Euch geholfen wäre. Euch aber gebührt der Schatz nicht, denn ich hab' ihn zuerst entdeckt und also ist er mein eigen. Und hättet Ihr ihn auch zuerst gesehen, der alte Spruch lautet nicht, daß er Euch zukomme.«

»So mag's wohl sein, hoher Herr!« entgegnete Bertram. »Ihr habt das ganze Tal von Jammer und Angst befreit, dafür gebührt Euch allein der Lohn. Ich bin deshalb nicht schlimmer dran. Hinunter steig' ich sonder allen Gram und Groll zu der Anna Vater. Der ist übereins nimmer reich und fürnehm und den will ich an sein Wort mahnen. Will er's einlösen, was er im Übermute gesprochen, dann ist mir für mein Glück nicht bang'! Die Maid da, Herr Herzog, verlangte nichts von aller Welt, denn mich, und ich nichts, denn sie, nit aber ihr Hab' und Gut!«

»So geh' hinab und versuch' dein Glück,« sagte Herzog Christoph, »ich folge«.

Da säumten Bertram und die Anna keinen Augenblick.

Als sie zur Mühle kamen, sahen sie, wie der reiche Freier just von dannen ritt. Der Müller Grons aber saß verzweifelt auf den verkohlten Trümmern seiner Mühle, rang die Hände und sagte eben laut vor sich hin: »Gott hat meinen Frevel gestraft, meine Mühl' ist hin, mein Geld und Hab und Gut ist hin und mein armes Kind wohl auch – ich seh's nimmer wieder!«

»Das seht Ihr dennoch wieder!« kam's ihm entgegen, und da der Müller aufsah, stand sein Töchterlein vor ihm. Das konnt' er schier nicht glauben – aber die Anna eilte auf ihn zu und fiel ihm weinend um den Hals. Da legt' er ihr die Hände auf das Haupt und rief: »So hat mir Gott doch eins gelassen! All anderes ist zerstoben und zerbrannt – der Freier ist davongezogen, weil ich nichts mehr hab' – ach, wir sind zu Bettlern geworden!«

»Dann mag ich wohl vor Euch hintreten dürfen!« sagte Bertram, der hinter einem Felsblock am Wasser gestanden war. »Ihr sagtet mir, wärt Ihr ein Bettler, möcht' ich um Euere Tochter werben dürfen. Nun ist's so gekommen. Wollt Ihr mir nun die Maid geben? Gott wird mir helfen, daß wir alle drei nicht verhungern – und was Ihr mir Hartes gesagt habt, es ist verzieh'n und vergessen!«

Da bedeckte der Müller Grons sein Gesicht und nickte langsam. »Sie ist Euer, Bertram –« sagte er – »hätt' ich was, nun gab' ich's Euch mit – so nehmt sie sonder Brautschatz!«

Da vernahm er lauten Hufschlag und Herzog Christoph kam dahergeritten.

»Nun, wie weit seid Ihr?« fragte er. Und da der Müller seinen guten Willen kundgab, fuhr Herzog Christoph fort: »So Armut Euer größter Kummer ist, mag Euch wohl geholfen werden!«

Dann beugte er sich vom Roß, stellte die zwo Kästlein gerad' über vom Müller Grons, zog dann sein Schwert und schlug mit der Spitze beide Deckel zurück.

»Was seh' ich?!« rief der Müller voll Erstaunens. »Und was soll's mit all dem Reichtum, hoher Herr?«

»Das ist des Rottenburgers Schatz«, sagte Christoph. »Ich hab' den Ur verscheucht – und der da ist des Schatzes wahrer Finder. Dem gebt immerhin Eure Tochter, einen besseren Mann könnt Ihr nimmer finden – ihm hat Gott selber sein Zeugnis gestellt!«

Als der Bertram das hörte, rief er freudig aus: »Ihr habt mich hart versucht, hoher Herr, und wer weiß, schier jeder hätt' Euch den Schatz angestritten. Ich aber nicht, und was ich allererst dachte, war: Dazumal hätt' sie zuviel gehabt, nun hättst es wieder du, – wozu da all das Gold und Kleinod? Gleich und gleich gesellt sich gern und soviel sie hätt' oder du – die Lieb' könnt doch nimmer größer werden!« Dann warf er einen Blick auf seine mächtige Habe und fuhr fort: »Weil aber das alles mein ist, wie Ihr sagt, so soll's bei mir nicht liegen wie unterm alten Tannenbaum – Freud', Glück und Segen soll draus erwachsen. Mir ist alles Glück zu Paß gekommen – und vielen anderen ist's vergangen – so ist mein Wort dies – und die Anna sagt sicher: so sei's! Was hie zu Achental Unheil und Schaden eintraf, das wird mit dem Gold und Kleinod ersetzt, des Müllers Grons Mühl' wird wieder erbaut und bleibt dann noch was – nun meinetwegen, so nehm' ich's dann und schau' mir um ein Besitztum und leb', Gott's Dank im Herzen, mit der Anna, so lang's der Himmel nur haben will – soll's so geschehen, Anna?«

Da mag jeder ermessen, wie frohselig die Anna dem Bertram an den Hals flog – und wie dem Müller Grons zumute war, daß ihn der errette, den er so hart von sich gewiesen.

Gar viele, unter ihnen Herzog Christophs Freunde, waren mittlerweil' gekommen, eilten freudig auf Christoph zu und wollten alles aus seinem Mund erfahren.

Er aber sagte: »Was habt ihr da viel Wesens mit mir? Gott gab mir Mut und Kraft, so ist das alles nur sein Werk. Ich trug keine Schuld auf dem Herzen – das war das einzige – der dort aber auch nit – so tut's uns jeder darin gleich – dann folgt ihm auch Gottes Segen!«

Auf die Worte nickte er dem Bertram und der Anna gnädig zu, dem Müller auch, doch mit ernsterem Blick – dann gab er seinem Rosse die Sporen – und fort war er. –

Also hat sich's dazumal zugetragen, geht die Sage. Sorglos lebten fortan die Achentaler. Bertram und die Anna lebten lange glücklich, der Müller Grons ward noch ein frommer Christ – der brennende Ur aber war vertilgt – und nimmer wieder ist er erschienen.

* * *

Aber es geht noch eine Sage von einem Sieg Christophs über ein Ungetüm.

Die ist nicht so fest klar erhalten worden, vielmehr ist dieselbe, wie gar manch anderes aus alten Zeiten, mehr undeutlich, gleichwie durch ein Schleiergewebe zu erkennen und nur soviel erhellt, daß es sich dazumal nicht um einen brennenden Ur handelte, vielmehr wieder um einen grausen Lindwurm, einen schier noch ärgeren, als den aus früherer Zeit zu München.

Wo er nun gehaust habe, ist wieder nicht ganz sicher.

Soviel aber wohl, daß es gegen die Berge zu war.

Wie dem gewesen sei, das Untier verheerte und verpestete weitaus alles und viele Menschen gingen zugrunde, so daß nur mehr wenige der wilden Pest entrannen.

Unter denen war, heißt es, eine fromme Maid mit ihrem Vater ganz verzweifelt, daß ihr Bruder, wie sie meinte, dem Lindwurm erlegen sei, weil er nimmer heimkomme.

So sei sie weinend am Brunnen gesessen, ihr Hündlein zur Seite.

Da habe sich gezeigt, daß ihr Bruder keineswegs tot, sondern nur fortgeeilt sei zum Christoph, den er in der Gegend wußte, um ihn zu bitten, daß er seine Heldenkraft beweise, wie sovieler Orte.

Das erfuhr sie, heißt es, von Christoph selbst, der sie weinend am Brunnen fand, ihr Trost einsprach und überbald die Tat vollzog, also daß sie und ihr alter Vater von all Kummer und Gram befreit wurden und die anderen weitaus desgleichen.

Da mochten sie Herzog Christoph wohl heißen Dank wissen, dem Bruder der Jungfrau aber auch – denn der habe ihn um Hilfe angefleht.


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