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31

Man gestattete uns nach einer Weile, zu unseren Freunden in Theas Zimmer zu gehen. Paul war in seinen Kummer versunken und den Vorgängen um ihn herum noch immer entrückt, und auch Enrico saß in einer Ecke und war sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, denn man sah, wie es unter der dünnen Haut seiner Narbe arbeitete.

Thea aber war gespannt und wach und schien die Lage zu überblicken: »Was haben sie mit uns vor?« fragte sie.

»Ich glaube, sie beabsichtigen, uns eine kleine Komödie vorzuspielen«, meinte Richard obenhin.

Es war wirklich eine Art Komödie, zu der wir etwa eine Stunde später abgeholt wurden, aber eine für uns sehr fragwürdige, wie sich bald herausstellen sollte.

Man führte uns inmitten eines beträchtlichen Aufgebots von Tezozomocs Streitmacht zu der größeren der beiden Stufenpyramiden, und auf dem Weg dahin sahen wir in den Straßen von Mitla die Spuren des vorangegangenen Kampfes. Die Toten lagen noch herum, und auch um die Verwundeten sich zu kümmern, schien noch niemand Zeit gehabt zu haben. Als wir an der Kaktushecke vorbeikamen, wo Richard damals den Einfall gehabt hatte, es könnte eine ausgiebige, bisher übersehene Höllenstrafe abgeben, Kakteen rasieren zu müssen, sahen wir Antonio Maderos Leiche in den Stacheln hängen. Er hatte offenbar den verzweifelten Versuch gemacht, sich in das Gestrüpp zu retten, aber dabei hatte ihn eine Kugel ereilt, und nun hielten die Dornen seinen Oberkörper fest, während die Beine unter ihm weggeknickt waren und die Arme, vornüber baumelnd, sich vergeblich auf die Erde stützen zu wollen schienen.

Ich gab mir Mühe, Theas Aufmerksamkeit abzulenken, aber sie hatte ihn schon gesehen und wurde sehr ernst, als sei dieser Anblick eine üble Vorbedeutung für das, was uns bevorstand.

Der Kriegsgerichtshof hatte sich bereits versammelt und auf den Trümmern der untersten Stufen Platz genommen, und ich muß sagen, die Aufmachung war nicht ohne Geschick für malerische Wirkungen. Der mächtige Bau der Pyramide gab einen großartigen Hintergrund ab, so, als ob die Vergangenheit des Landes selbst zur Zeugenschaft für dieses Schauspiel aufgerufen werden sollte.

Die Herren Kriegsrichter saßen auf Steintrümmern, über die man bunte Decken geworfen hatte, und Tezozomoc selbst thronte als Oberster Kriegsherr auf dem höchsten Stein und der buntesten Decke. Seine Galgenvögel machten Mienen, die zeigten, daß sie von ihrer Bedeutung ungemein durchdrungen waren, und etwas abseits vom hohen Gerichtshof saß kein anderer als unser braver Mister Forst mit dem unbewegtesten Gesicht, dessen er fähig war.

Außer uns war noch eine zweite Gruppe von Gefangenen vorhanden. Etwa zehn oder zwölf Offiziere aus Quirogas Generalstab, und die befanden sich sichtlich in der denkbar schlechtesten Gemütsverfassung. Sie standen auf einem Häuflein beisammen, in gedrückter Stimmung, und ihre scheuen Blicke ließen erkennen, daß sie die Veranstaltung im Gegensatz zu uns nicht ohne Bedenken ansahen.

»Ich bin neugierig, wie sie die Sache deichseln werden«, flüsterte mir Richard zu.

Wir hatten nicht lange zu warten, denn wir standen kaum auf unserem Platz, da erklärte Tezozomoc die Verhandlung für eröffnet und erteilte dem Ankläger das Wort.

Ja, sie hatten auch einen Ankläger, wie ein richtiggehender Gerichtshof, und es war niemand anderes als Señor Herrera, der sich nun erhob und unter Verbreitung durchdringenden Wohlgeruchs zu sprechen begann.

Es war zuerst viel von der Freiheit des Vaterlandes die Rede und von den glorreichen Siegen Seiner Excelencia, des Generals Tezozomoc und den beglückenden Aussichten, die sich für das Vaterland durch seine Regierung eröffnen würden. Diese Ausführungen begleitete Señor Herrera mit unzähligen Verneigungen gegen die Excelencia, und Tezozomoc nahm sie stumm und steif entgegen wie eines der Götzenbilder seiner Heimat die gebührenden Opferdüfte.

Dann runzelte Señor Herrera die Stirn, zog die Augenbrauen zusammen und wandte sich zu uns. Um so verwerflicher sei es, daß sich Fremde gefunden hätten, die sich dem Feind des Vaterlandes angeschlossen hätten, die gemeinsame Sache mit dem Verräter Quiroga zu machen so unverschämt gewesen wären und also gleich ihm auf Gnade und Barmherzigkeit keinen Anspruch hätten. Señor Herrera spielte seine Rolle mit großem Feuer innerer Überzeugung, und je schärfer er gegen uns losdonnerte und mit den Armen herumfocht, desto eindringlicher duftete er bis zu uns herüber.

Richard hatte ihm eine Weile lächelnd zugehört, als er es aber gar zu arg trieb, hob Richard die Hand: »Ich habe Sie bisher reden lassen«, sagte er, »um endlich zu erfahren, was Sie eigentlich von uns wollen. Aber ich muß sagen, ich bin mir immer noch nicht darüber im klaren.«

»Schweigen Sie«, brüllte Tezozomoc plötzlich mit verzerrtem Gesicht, »Sie haben Quiroga Geld gegeben. Sie haben dem Feind des Vaterlandes Vorschub geleistet!«

Das war es also, wir hatten Quiroga Geld gegeben, und das mußte allerdings in Tezozomocs Augen ein geradezu todeswürdiges Verbrechen sein. Ich begann den Ernst dieser Komödie zu ahnen, und auch Richard schien setzt die Sache aus einmal minder vergnüglich zu nehmen.

»Ich sehe dort Mister Forst«, sagte er, und seine Worte faßten wie Zangen zu. »Sie waren es doch, der uns geraten hat, Quiroga Geld zu geben, und Sie wissen, warum es geschehen ist. Wir haben ihm einfach die Leute bezahlt, die er uns mitgegeben hat, und die Maultiere. Glauben Sie, es fällt uns ein, uns in Ihre blödsinnigen Balgereien um die Freiheit des Vaterlandes zu mischen?«

Mister Forst gab keine Antwort und zuckte nur die Achseln, durch den Kreis der Richter ging ein Murren, und ich sah ein, daß Richard einen Fehler gemacht hatte, von der Freiheit des Vaterlandes in solchem Ton zu sprechen.

Tezozomoc grinste böse und schlug mit den Händen auf die Knie: »Geben Sie zu, daß Quiroga von Ihnen Geld bekommen hat? Ja oder nein?«

»Natürlich hat er von mir Geld bekommen«, entgegnete Richard. »Sie haben ja auch von mir Geld bekommen.«

»Schluß! Schluß!« schrie Tezozomoc, »das Beweisverfahren ist geschlossen. Wir schreiten zur Urteilsfassung.«

Richard trat einen Schritt vor und sagte drohend: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich Bürger der Vereinigten Staaten bin und daß diese meine Freunde unter amerikanischem Schutz stehen. Ich verwahre mich gegen diese Faschingskomödie ...«

»Verwahren Sie sich soviel Sie wollen«, schnob Tezozomoc, »die Vereinigten Staaten werden zu spät kommen, wenn Sie erst einmal verscharrt sind.« Er erhob sich feierlich: »Ich frage den hohen Gerichtshof, ob diese Feinde des Vaterlandes des Todes schuldig sind?«

Sämtliche Beisitzer des hohen Gerichtshofes von Galgenvögeln reckten die Hände hoch.

Wir waren zum Tode verurteilt.

Richard schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Sie können natürlich mit uns machen, was Ihnen beliebt. Sie haben die Macht in Händen. Was die Vereinigten Staaten dazu sagen werden, das werden Sie ja sehen. Aber es ist doch selbstverständlich, daß diese Señorita hier von Ihrem Urteil ausgenommen ist.«

Tezozomoc kostete mit einem tückischen Lächeln seinen Triumph aus. Dann schmatzte er mit den Lippen und sagte: »Die Señorita ist selbstverständlich von unserem Urteil nicht ausgenommen. Wenn es sich um Feinde des Vaterlandes handelt, macht das Geschlecht keinen Unterschied.«

»Ich beschwöre Sie als Cabarellos«, sagte Richard bebend, und ich sah, was es ihn kostete, sich zu solcher Zuckerbäckerei für Tezozomocs Gesindel herabzulassen, »bedenken Sie die Pflichten der Ritterlichkeit, die Ihnen gebieten, eine Dame ...«

»Ach was!« rülpste Tezozomoc, »Dame hin, Dame her! Hier wird Krieg geführt!«

Da fauchte die Wut aus Richard hervor. »Krieg geführt!« schrie er, »Sie idiotischer Hanswurst, Sie!«

Tezozomoc duckte sich ein wenig, dann kroch ein bösartiges Gewürm von Lächeln um sein Gesicht. »Ein Verräter der Freiheit kann mich nicht beleidigen!« sagte er und klatschte in die Hände: »Die anderen!«

Die anderen, das war das zerquetschte Häuflein von Quirogas Offizieren, und mit ihnen machte das Kriegsgericht womöglich noch weniger Umstände. Sie waren mit den Waffen in der Hand ergriffen worden, was bedurfte es noch weiterer Beweise, um ein Todesurteil zu rechtfertigen.

Und als alles derart bestens in Ordnung gebracht war, verkündete der Oberste Kriegsherr, daß die Hinrichtung morgen früh vollzogen werden würde.


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