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22

Das erste, was wir nach der Freilegung des Ganges fanden, war ein Jaguar aus Andesit, ein Kollege des Jaguars im Britischen Museum, und die brüderliche Ähnlichkeit erstreckte sich bis auf die gleiche Hieroglyphe auf dem Bauch.

Aber ihre Deutung machte Paul keine Schwierigkeiten mehr. Es war irgendeine Geschichte mit dem Widersacher Quetzalcoatls, Tezcatlipoca, der einst selbst Sonne gewesen war, ehe es Quetzalcoatl wurde. Soviel ich davon behalten habe, verabfolgte Quetzalcoatl dem Tezcatlipoca mit einem Knüttel eine Tracht Prügel und schmiß ihn ins Wasser, woraus Tezcatlipoca zum Jaguar wurde und Menschen fraß. Die Hieroglyphe auf seinem Bauch war Quetzalcoatls Siegeszeichen.

Getreu seiner Rolle als Widersacher, hockte der Jaguar mitten im Weg und fletschte die Zähne, und die Arbeiter gingen nur höchst ungern daran, ihn ans Licht zu schaffen.

Dann kamen die Palmas, steinerne Grabbeigaben in Gestalt von stilisierten Vögeln, seitlich zusammengedrückten Menschenschädeln mit allerhand Auswüchsen und ein Geopferter mit grausam auf dem Rücken gebundenen Händen und einem Schnitt quer durch die Brust, über den Paul den Kopf schüttelte. Wie kam die Steinfigur dieses Geopferten in das Grab Quetzalcoatls, da er doch der Gott war, der die Menschenopfer verwarf?

Und dann kamen die Hindernisse, tiefe Schluchten, die überbrückt werden mußten, neue glatte, scheinbar undurchdringliche Felswände. Paul, der mit Fortgang der Arbeiten wieder kühler und überlegter geworden war, ließ sich durch keine Schwierigkeiten abschrecken. Schlimmer war es, daß unsere Hidalgos, je weiter wir kamen, immer widerhaariger wurden. Und als Thea ihre Macht über ihre Gemüter aufbot, verschwanden sie einzeln oder gruppenweise ganz aus Mitla.

Murillo klärte uns auf, Tezozomoc habe die Regierungstruppen geschlagen und stehe setzt wieder in der Nähe, und da er unter unseren Leuten viele Anhänger hatte, so liefen sie ihm zu. Das war möglich, aber wahrscheinlicher war mir, daß sie ausrissen, weil sie mit einer Arbeit nichts zu tun haben wollten, die irgendwelche abgründigen religiösen Gefühle zu verletzten schien.

Daß Tezozomoc wirklich siegreich heranzog, sollte sich kurz nachher bestätigen. Als ich von einem Spaziergang mit Enrico und Tlaloc zurückkam, quoll mir beim Betreten unseres Hauses ein solcher Duft entgegen, als habe sich während meiner Abwesenheit die ganze mexikanische Archäologie in Wohlgerüche aufgelöst. Es war ein so betäubender Dunstkreis, daß mir sogleich Señor Herrera einfiel, und als ich in das Wohnzimmer eintrat, sah ich, daß meine Vermutung richtig gewesen war.

Da saß Richard mit Señor Herrera, und das wohlriechende Männlein sprang auf und schüttelte mir lange und herzlich die Hände. »Ich höre von dem schönen Erfolg, den Sie haben. Herzlichen Glückwunsch! Die Welt wird aufhorchen, und es ist eine große Sache für Mexiko, ein neuer Ruhm unseres Vaterlandes. Seine Excelencia Tezozomoc interessiert sich ungemein für Ihre Ausgrabungen, ungemein.«

Ich nahm an, daß Herrera nicht hier sei, um sich nach dem Fortschreiten unserer Arbeiten zu erkundigen, und es überfiel mich plötzlich eine hochnotpeinliche Ahnung, er könne am Ende beabsichtigen, ein Gastspiel Martha Mirars in Mitla zu vermitteln. Ich sollte indessen bald innewerden, daß es sich um andere Dinge handelte.

Richard ging auf Señor Herreras Freudenbezeigungen gar nicht ein und überhob mich einer Antwort, indem er zum Gegenstand seiner Unterredung mit Herrera zurückkehrte. »Ich glaube«, sagte er ungeduldig, »wir sind mit unseren Verhandlungen zu Ende, und Sie wissen, was Sie Señor Tezozomoc mitzuteilen haben.«

Señor Herrera zog die Augenbrauen hoch und winkte mit deutlicher Beziehung auf mich ab.

»Ach was«, beschied ihn Richard in grimmiger Laune, »da gibt es keine Geheimnisse. Herr Schoop weist von allem.«

Herrera neigte das Haupt zu betrübtem Nachdenken: »Die Excelencia wird sehr enttäuscht sein. Sehr enttäuscht. Er hat auf Ihre Unterstützung gerechnet.«

»Ich sagte Ihnen doch schon, daß es mir sehr gleichgültig ist, worauf Tezozomoc rechnet. Ich glaube deutlich genug gewesen zu sein; nicht einen Peso, nicht einen Peso mehr! Er soll sich seine Revolution selber machen.« Und Richard wandte sich erklärend zu mir: »Señor Herrera ist nämlich Tezozomocs Agent.«

»Und wir sind doch bisher immer gut miteinander ausgekommen«, flötete Herrera, »Sie haben uns so viel Anteilnahme entgegengebracht. Sie können doch unmöglich jenen Mißgriff damals so lange nachtragen.«

»Ich sagte Ihnen doch, ich habe genug davon.«

»Die Einstellung Ihrer Unterstützung hat uns in arge Verlegenheit gebracht. Bedenken Sie doch, ich komme zur Bank, um das Geld zu beheben. Oh – Señor Brög hat den Auftrag zurückgezogen. Ich warte, ich schreibe, die Excelencia läßt schreiben. Keine Antwort.«

Das waren also die Briefe gewesen, die unsere Wochenboten aus Oaxaca gebracht hatten und die Richard immer mit so ingrimmigem Behagen ungelesen verbrannt hatte.

»Ich denke, das war Antwort genug«, sagte Richard.

»Und gerade jetzt«, säuselte Herrera in Wehmut zerfließend, »wo wir von Sieg zu Sieg fortschreiten. Die Regierungstruppen sind geworfen, und mit diesem Quiroga werden wir im Handumdrehen fertig sein. Gerade jetzt ... wir holen zum entscheidenden Schlag aus, und Sie lassen uns im Stich. Sie verweigern uns das Geld, jetzt, wo wir es am dringendsten brauchen. Die Excelencia wird das als Unfreundlichkeit empfinden.«

Richard grinste bedrohlich: »Die Unfreundlichkeit der Excelencia liegt mir stagelgrün auf.«

»Und Martha Mirar!« sang Herrera hingebungsvoll, »sie befindet sich bei uns. Um an unserem Siegeszug teilzunehmen. Sie macht unsere Sache zu ihrer persönlichen Angelegenheit und vereinigt ihre Bitte mit der unseren, Sie werden den Wunsch der großen Künstlerin nicht abschlagen.«

»Lassen Sie mich aus mit Ihrer Martha Mirar! Ich kenne sie nicht.« Señor Herrera schloß ein Auge und zwinkerte mit dem anderen Richard in geradezu unanständiger Vergnügtheit an, als wolle er sagen: Kleiner Schäker! Dann verschluckte er etwas, räusperte sich auffällig lange und nahm dann seine Bittstellermiene wieder an: »Nein, Señor Brög, das kann nicht Ihr letztes Wort sein ... der Ruhm des Generals, das Wohl des ganzen Landes steht auf dem Spiel. Sie wissen, daß Tezozomoc der einzige Mann ist, der das Vaterland retten kann. Hätten Sie uns sonst bisher unterstützt? Warum ziehen Sie Ihre Hand von uns? Sie dürfen das einfach nicht tun. Die Weltgeschichte verlangt das von Ihnen.«

»Es wird Ihrer Weltgeschichte nichts anderes übrigbleiben, als sich damit abzufinden, daß Sie für Ihren Schwindel nicht einen Peso mehr bekommen.« Und Richard unterstrich die Endgültigkeit seiner Willensmeinung, indem er aufstand und einen Schritt zur Tür hin machte.

»Ihre Gründe!« klammerte sich Herrera mit der Saugkraft eines Polypen an, »Ihre Gründe? Was soll ich denn der Excelencia sagen?«

»Meine Gründe? Erstens bis zwölftens: es macht mir keinen Spaß mehr.«

Herrera war ganz fassungslos vor gekränkter Freundschaft: »Ich halte mich durch unsere alten Beziehungen für verpflichtet, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Weigerung für Sie unter Umständen gewiß – hm – unangenehme Folgen haben könnte.«

»Señor Herrera«, sagte Richard, indem er seinen Weg zur Tür vollendete und sie öffnete, »ich habe bereits seit geraumer Zeit die Empfindung, daß unsere Unterredung viel zu lange gedauert hat. Jetzt, da Sie mir drohen, verstärkt sich diese Empfindung in bedenklichster Weise.«

Es war ein Hinauswurf in aller Form, und das war selbst für einen Señor Herrera zu arg. Er erblaßte und sagte stotternd: »Ich stamme aus einem der edelsten Geschlechter dieses Landes ... und Sie setzen mich vor die Tür?«

»Nein«, antwortete Richard mit unsäglichem Hochmut, »ich öffne sie Ihnen bloß.«

Herrera schnappte eine Weile nach Luft. Dann schoß er einen grünlichen Strahl wütendsten Hasses auf Richard ab: »Sie werden Ihren Verrat noch bitter zu bereuen haben.«

Und entschwebte, ein parfümierter Zeus, auf einer Wolke von Duft. Richard ging mit starken Schritten im Zimmer auf und ab.

»Ich finde«, sagte ich, »daß es doch etwas unvorsichtig war, dich mit diesen Leuten gänzlich zu Überwerfen. Dieser Tezozomoc kann in kurzer Zeit hier wirklich der Herr sein.«

Richard blieb aus seiner Wanderung plötzlich vor mir stehen. Da ich sein Gesicht unmittelbar vor mir hatte, sah ich deutlich, wie unterwühlt und verwüstet es war. »Diese Banditen«, sagte er erbittert, »nein, um keinen Preis der Welt. Und sie werden sich auch schwer hüten ... und übrigens ist doch alles gleichgültig.«

Er nahm seinen Löwengang wieder auf und ließ sich dann am äußersten Rande des Zimmers, fern von mir, abgewandten Gesichts, in einen knarrenden Korbstuhl nieder. »Weißt du, daß sie sich wieder gezeigt hat? ... Sie kommt fast jeden Tag ...«

Ich war noch immer damit beschäftigt, die Folgen von Richards Zerwürfnis mit Señor Tezozomoc zu erwägen, so daß ich seinem Gedankenumschwung nicht gleich folgen konnte.

»Jeden Tag«, fuhr er leise fort, ohne sich umzuwenden, »in der Dämmerung! Sie steht irgendwo in einem Winkel, vor dem Haus, unter den Bäumen, an der Treppe und schaut mich an, mit großen, vorwurfsvollen Augen ... erst war es nur wie ein Schatten, aber jetzt ist kein Zweifel mehr möglich ... sie wird immer deutlicher ... es ist Anita.«

Nun verstand ich ihn, er meinte die Indianerin, das Geschöpf seiner Einbildungskraft, die Verkörperung seiner lange machtlos gewesenen und nun auf geheimnisvolle Weise erwachten Gewissensbisse.

»Richard«, sagte ich, »ich war früher immer für Kognak, aber jetzt bin ich für kaltes Wasser, womöglichst Eispackungen, und da das hier nicht zu haben ist, so bin ich dafür ...«

Aber da stürzte Paul Noster herein, gefolgt von Thea. Er schleuderte seinen Strohhut in eine Ecke und schrie: »Kinder! Wir stehen vor der Grabkammer. In ein paar Tagen sind wir am Ziel.«

»Und dann«, setzte Thea hinzu, mit einem Blick des Einverständnisses auf mich, »ist unsere Aufgabe hier vollendet, und wir bringen unsere Beute in Sicherheit.«


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