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15

»Dieses Mitla«, sagte Paul Noster, »dieses Mitla ist das zapotekische Yopaa, und das heißt: Ort der Toten. Begründet ist es aber von den Maya, und bei denen heißt es Yibalbai, und das bedeutet gleichfalls nichts anderes als Stadt der Toten. Kein Zweifel, daß es eine geheiligte Stätte war, der Begräbnisort der höchsten Würdenträger der Völker, die einander auf diesem Boden gefolgt sind. Zuerst der Maya, dann der Zapoteken, die es aus den Händen ihrer Vorgänger schon als Heiligtum empfingen. Hier war der Sitz der obersten Priester der höchsten Gottheit und die Hauptstadt der Zapoteken. Um 1484 ist Ahuitzotl, der siebente König von Tenochtitlan, in das Zapotekenland eingefallen und hat das Volk unterworfen, und damals ist auch Mitla zerstört worden. Seither liegt es in Trümmern, und es hat sich wohl kaum etwas hier verändert.«

Wir saßen auf der obersten Plattform der größeren Stufenpyramide von Mitla. Es war hier kühler als unten im sommerlichen Dunst der Ruinenstadt zwischen dem zerfallenen Mauerwerk und dem wilden Gewucher der Pflanzenwelt. Das war ein Wachstum, von dem man in unseren Glashäusern kaum eine entfernte Andeutung bekommen konnte. Ein natürliches Gewächshaus, obzwar es aus einer Stufe des Hochlandes gelegen war, mit heißem Dampf angefüllt und dem Himmel als Decke darüber. Zedern. Palmen, Ebenholzbäume, Agaven, Kakteen – jeder Direktor eines botanischen Gartens wäre auf der Stelle vor Begeisterung irrsinnig geworden. Sie hatten Bäume hier wie den Sandbüchsenbaum und den Flammenbaum, die schon mit ihren Namen die Hitze noch zu steigern schienen, und wenn jemand das Wort Wollbaum vor mir nur aussprach, so bekam ich am ganzen Körper einen Schweißausbruch, als sei ich dazu verurteilt, bei fünfzig Grad im Schatten die winterliche Normalwäsche eines pensionierten Hofrates in Kitzhübel zu tragen.

Nach der Arbeit des Tages kletterten wir auf die Stufenpyramide. Wir hatten die verfallenen Treppen durch Leitern ersetzt und uns hier oben gemütlich eingerichtet. Die Abendstunden verbrachten wir an dem kleinen Tischchen, das wir heraufgeschafft hatten, und nach dem Essen streckten wir uns aus die Liegestühle hin und rauchten Zigaretten, deren Reste im Bogen in die Nacht hinausflogen. Zur ständigen Enttäuschung der Nachteidechsen, einer Art von kleinen Basilisken, die im Schutt raschelten und auf Insekten Jagd machten. Sie mochten unsere Stummel für so etwas wie fette Glühwürmchen halten, schossen auf sie los und verbrannten sich die Schnauzen. Aber sie blieben ungewarnt und versuchten es immer wieder, ich weiß nicht, ob aus Mangel an logischer Einsicht, oder ob es immer neue Geschlechter von Eidechsen waren, die die Pyramide bestiegen, um sich hier oben die Schnauzen zu verbrennen.

»Die Azteken, wohlverstanden«, fuhr Paul fort, »die Azteken, das waren, so sehr auch Cortez über ihre Kultur gestaunt haben mag, doch nur die Barbaren unter den Völkern dieses Landes. Die Letzteingewanderten, zuletzt aufgebrochen aus dem Land der sieben Höhlen, woher alle diese Stämme gekommen sein wollen. Sie haben die anderen unterworfen, aber sie haben es nur zu gut verstanden, sich verhaßt zu machen.«

»Also sozusagen die Preußen unter den Mexikanern«, meinte Richard.

»Bis auf die Menschenopfer«, setzte Mister Forst hinzu.

Aber Paul hatte jetzt kein Verständnis für weltgeschichtliche Parallelen. Wenn er auf sein Gebiet zu sprechen kam, so war er imstande, stundenlang das Wort zu behalten und uns mit Tatsachen und Namen zu spicken, die keines Menschen Hirn zu behalten vermochte, ausgenommen das seine und vielleicht das Theas und das Mister Forsts. »Es hat auch gar nicht lange gedauert, so hatte Ahuitzotl im eroberten Zapotekenland den Aufstand; Cociyoeza, der Zapotekenkönig, erhob sich gegen ihn, die mexikanischen Besatzungen wurden niedergemacht, die Festungen belagert. Schließlich wurde Cociyoeza durch die Hand einer aztekischen Prinzessin beschwichtigt. Aber als dann die Spanier kamen, da hatten sie sofort die Tlazcalaner und die Zapoteken zu Verbündeten.«

Ich sah sehnsüchtig nach der Spitze der langen Stange empor, die von der Plattform in die Nacht emporragte. Dort oben fing ein dünner Draht Ätherwellen auf, die aus fernen Städten herkamen, von Orten, wo jetzt in hundert Theatern und Konzertsälen Kunst erzeugt wurde, wo es Licht gab und Musik und Lustspiele oder Dramen oder belehrende Vorträge, die den Vorteil hatten, daß man sie ausschalten konnte, wenn man genug hatte. Und wo die Menschen nicht über ein glaubwürdiges Ausmaß hinaus schwitzen mußten.

»Kriegerische Tüchtigkeit, Organisation«, fuhr Paul unbarmherzig fort, »all das, darin haben die Azteken ja unleugbar etwas geleistet. Aber die Kultur, die eigentliche Kultur hatten sie bezogen. Von wem? Von den Zapoteken. Und von wem hatten die Zapoteken ihre Kultur? von den Mayas. Und die Mayas? Da stehen wir vor dem Rätsel, das uns nur Kukulkan lösen kann, den die Mexikaner Quetzalcoatl nennen, die gefiederte Schlange. Der bärtige Gott, ein bärtiger Gott, wohlverstanden, in glänzendem Gewand, von Osten kommend. Er, der ihnen die Künste des Friedens bringt, Ackerbau und Webkunst, Schrift und Kalender und die Einrichtungen des Staates. Er hat noch einen anderen Namen, er heißt Votan ...«

»Der gewisse Wotan?« fragte Richard mit bewunderungswürdiger Langmut.

»Jawohl, jener Wotan«, schmetterte Paul hingerissen wie immer, wenn er an diesen Punkt kam, »kein Zweifel. Als Votan teilt Quetzalcoatl das Land und gibt den Wohnplätzen ihre Namen. Und all das weist hierher, gerade hierher, auf den Ort, der schon den Mayas heilig war, wo sie ihre Könige bestattet haben. Auf Mictlan oder Mitla, das zugleich der Name des Todesgottes ist und der seines Reiches.«

»Das ist eigentlich etwas schauerlich«, sagte Richard nachdenklich. Er war, seit wir uns hier befanden, nicht mehr ganz der Alte, schweigsamer als zuvor und weniger schneidig, schien sich einem Grübeln zu überlassen, das sein Jungengesicht in Falten legte, und das er bekämpfte, ohne seiner ganz Herr werden zu können.

Aufheiternd und erhellend wirkte auf ihn eigentlich nur Theas Nähe, und es kam mir vor, als schaue er immer irgendwo mit hungrigen Augen nach ihr aus.

Was mich betrifft, so fand ich, ich sei jetzt mit archäologischer Wissenschaft gespickt wie ein heiliger Sebastian mit Pfeilen. Vollkommen genügend, um die Pause in Pauls Rede zu einem Handstreich zu benützen. Es war ganz gewiß nur eine Pause, ein Abschnitt, aber ich tat so, als hielte ich sie für einen Abschluß, stand auf und schaltete mit einer tückischen Drehung im Dunklen den Radioapparat ein. Das Radio war meine Sache, denn das Umdrehen des Einschalthebels war so ziemlich das einzige technische Kunststück, das ich fertigbrachte, und ich war nicht wenig stolz darauf, daß ich die Verbindung mit der fernen Welt herzustellen imstande war.

Sogleich meldete sich auch diese ferne Welt im Lautsprecher mit einem musikalischen Spektakel, der die zweite Abteilung, mit der Paul eben seine Erläuterungen fortsetzen wollte, völlig unmöglich machte. Es war ein sehr starker Lautsprecher, und es war eine sehr starke Musik aus Feuerwehrhörnern, Xylophonen, Autohupen und Glasharmoniken, über die sich der dickbäuchige, verfettete Klang des Saxophons wie eine gutgelaunte Schlange aus Messing hinwälzte. Ich hatte eine Welle erwischt, auf der eine Jazzband heranschwamm, irgendwoher, aus Mexiko, aus Boston oder Washington oder sonst einem Ort, wo man bestimmt nichts mit Ahuitzotl oder anderen mexikanischen Unaussprechlichkeiten zu tun hatte.

Dieser Einbruch der Kultur in das Waldweben von Mitla brachte dasselbe sogleich zum Verstummen. Die Eidechsen raschelten bestürzt über die Stufen in ihre Löcher, und der Mico, das Faultier, das eben erst ein wehmütiges Geheul anzustimmen begonnen hatte, unterwarf sich dem stärkeren musikalischen Eindruck.

Eine Weile ließen auch wir uns die Stimme der Großstadt gefallen. Aber dann sagte Richard ärgerlich: »Hör doch auf, wenn du nichts Besseres findest.«

Ich hatte es gutgemeint und war gereizt durch den schwarzen Undank. »Diese Wunder der Neuzeit«, sagte ich, indem ich das Saxophon samt den übrigen Klangherrlichkeiten ins Nichts zurückversetzte, »diese Wunder sind eben noch sehr unvollkommen. Da gibt es jetzt Lautübertragungen, und es gibt auch schon Bildübertragungen, warum hat man nicht auch schon Geschmacksübertragungen?«

»Blödsinn!« knurrte Richard und klopfte seine Pfeife aus.

»Blödsinn?« beharrte ich, »ich hätte gar nichts dagegen, wenn ich mir jetzt ein Wiener Schnitzel mit Gurkensalat übertragen lassen könnte.«

Ich war, wie bereits erwähnt, gereizt, sonst hätte ich dies gewiß nicht gesagt. Es war ein Angriff, ein boshafter Hieb gegen jemanden, der mir selbst nahestand, gegen Thea. Unter all den vortrefflichen Eigenschaften, die sie schmückten, fehlte nur eine einzige, aber es war eine, die für uns gegenwärtig sehr von Belang war. Wir hatten uns alle der Hoffnung hingegeben, in ihr nicht bloß eine vortreffliche Kennerin der mexikanischen Archäologie zur Gefährtin zu haben, sondern auch eine sorgliche Sachwalterin im Küchenbereich. Es war ein Vorurteil gewesen, ein ihrer Tüchtigkeit entgegengebrachtes günstiges Vorurteil, ohne Bedacht darauf, daß die Erwerbung wissenschaftlicher Kenntnisse und der Meisterschaft in allerlei Arten von Sport nicht immer auf gleich große Talente für die Geheimnisse des Kochens und Bratens schließen lassen.

Thea war, mit einem Wort gesagt, nichts weniger als eine Köchin.

Sie war zwar damit einverstanden gewesen, als man ihr zaghafte Andeutungen machte, ein Amt zu übernehmen, zu dem sie kraft ihres Geschlechtes am berufensten schien. Ich zeichne als verantwortlicher Urheber dieser Anregung. Ich stellte ihr vor, daß wir sonst alle miteinander nach noch weiteren acht Tagen landesüblicher Kost sicherlich von Magenkrämpfen, Darmverschlingungen, lieblichen Unpäßlichkeiten des Unterleibes dahingerafft sein würden. Und daß man auch nicht rastlos Konserven essen könne, weil sonst der Skorbut, der gefürchtete Feind der Polarforscher, um etliche Breitegrade zu uns hinunterrutschen würde. Und Früchte? Wir waren doch keine Affen, die ausschließlich von Früchten leben.

Alles dies hatte so viel Eindruck auf Thea gemacht, daß sie sich bereit erklärt hatte – allerdings unter verschiedenen Rechtsverwahrungen. Sie hatte auch entschieden den besten Willen gehabt, aber was dabei herausgekommen war, blieb selbst hinter den bescheidensten Hoffnungen weit zurück. Wir mußten unsere ganze Ritterlichkeit aufbieten, um der Erzeugnisse von Theas Küche Herr zu werden. Wir verzogen die Gesichter zum Grinsen, und unsere Lügen stanken zum Himmel. Zum Glück hatte Paul Noster Thea nicht in ihrer Eigenschaft als Köchin zur Lebensgefährtin erwählt. Er hatte es nicht nötig, er konnte sich später Köchinnen in Massen halten, als ein Universalerbe, den Richard auch schon bei Lebzeiten nicht durch einen chronischen Magenkatarrh in seinen wissenschaftlichen Leistungen gefährden lassen würde.

Schließlich war dieser Zustand doch unhaltbar geworden, und Thea war großherzig genug, selbst einzusehen, daß er es war. Und wir gingen nun damit um, Wandel zu schaffen.

Sie war auch großherzig genug, zu meiner taktlosen Bemerkung über das Wiener Schnitzel mit Gurkensalat nur zu lächeln und zu sagen: »Sie müssen nun schon so lange Geduld mit mir haben, bis die neue Köchin kommt.«

Ja, meine Bemerkung war taktlos gewesen, sie war geradezu ein Skandal für mich, der ich selbst der Urheber jener Anregungen gewesen war. Ich schämte mich auch hinterher. Ich fand keine andere Entschuldigung als jene merkwürdige Gereiztheit, der wir alle, jeder auf seine Weise, unterlagen.

»Haben Sie sich umgesehen?« fragte Richard über die Schulter zurück nach der Richtung, wo wir Mister Forst sitzen wußten. Er hatte seinen Stuhl ganz an den Rand der Plattform gezogen, in das Dunkel hinter dem Eisschrank, und nur der flüchtige Feuerschein seiner Zigarette verriet seine Anwesenheit.

»Ich habe mich umgesehen«, sagte er langsam, »es ist nicht so einfach. Die Wirtin in der Kantine der Arbeiter ist beleidigt, daß wir ihr ausgerissen sind, und redet jedem ab, es mit uns zu versuchen.«

»So lassen Sie doch jemand aus Oaxaca kommen oder aus Mexiko meinetwegen«, sagte Richard ungehalten, »Sie sollten sich etwas darum kümmern.«

Mister Forst, das notwendige Übel, hatte in Mitla an Bedeutung gewonnen und einige Brauchbarkeit erwiesen. Er war Kenner des Landes und der Sprache unserer Arbeiter, von denen ein Teil ein dialektisch verdorbenes Spanisch und ein größerer nur ein völlig unverständliches Indianisch sprach. Er war zum Mittler zwischen uns und unsern Leuten geworden, ganz allmählich, ohne sich vorzudrängen, und nun hatte er den Austrag übernommen, eine neue Köchin zu suchen.

»Dieser Murillo hat eine Frau«, sagte Mister Forst hinter dem Eisschrank, »Sie wissen, unser Murillo, der auf Parzelle zehn arbeitet, der hat eine Frau ... sie möchte es wagen, sagt sie.«

Murillo war einer unserer Arbeiterführer, so etwas wie ein Häuptling einer der Gruppen, in die sich unsere Leute teilten. Einer von denen, die über ihren Haufen unumschränkt geboten, für ihn Verträge abschlossen und unsere Befehle empfingen.

»Eh«, knurrte Richard mißtrauisch, »so eine alte schmutzige Indianervettel!«

»Nicht ganz. Es geht an. Sie war früher Köchin in einem Hotel in Puebla.«

»Vielleicht ist uns damit geholfen«, sagte ich in meiner Zerknirschung über das Wiener Schnitzel, »jedenfalls dürfen wir Fräulein Siebertz nicht länger zumuten ... daß sie wie ... wie Pegasus im Joch. Nicht wahr? Wie?«

Ich bekam keine Antwort auf diesen Versöhnungsversuch.

Die durch die Jazzband verscheuchten Stimmen der Nacht hatten sich wieder erhoben, die Eidechsen gingen auf Leuchtkäferjagd, in der Ferne brüllte der Jaguar, der da herumstrich, und das Faultier unten in den Wollbäumen begann sein wehmütiges Geheul.

»Der Mico gibt ein Konzert«, sagte ich, bestrebt, die unerklärliche, drückende Trostlosigkeit dieser Nacht irgendwie aufzuheitern.

»Das ist nicht der Mico, gab Mister Forst zur Antwort, es ist Domingo, der singt.«

Richard stand auf und trat an den Rand der Plattform. »Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Ja. Er sagt, er wisse nichts.«

»Und ich wette, daß er weiß, wo wir zu suchen haben.«

»Mag sein.«

»Dieses fruchtlose Herumgraben im Boden bringt unsere Nerven um. Was haben wir gefunden? Graburnen, Dreifüße, ein paar Tlalocs ...«

»Oh, immerhin«, warf Paul ein, »man kann schon gewisse Schlüsse ziehen.«

»Die Leute behaupten, daß dieser Domingo von den letzten zapotekischen Königen stammt. Wie alt mag er sein?«

»Das kann niemand sagen«, meinte Mister Forst, »vielleicht er selber nicht.«

»Er hat sein ganzes Leben in diesen Ruinen zugebracht. Wenn es hier Geheimnisse gibt, so sind sie ihm bekannt. Man muß nur sein verwittertes Gesicht ansehen, er braucht bloß eine Federkrone aufzusetzen oder einen Maskenturm, und der alte Götze ist fertig. Haben Sie ihm ein Angebot gemacht?«

»Geld?« fragte Forst. »Geld? Sie könnten ihm ebensogut eine Handvoll Sand oder eine Handvoll Kiesel anbieten wie eine Handvoll Dollars.«

»Der Mensch ist mir unheimlich«, sagte Thea, »er sitzt immer vor seiner Hütte oder auf dem Hügel über dem alten Palast und hat immer das gleiche tückische Lächeln. Er sieht uns zu, wie wir graben, und lächelt, weil er weiß, daß alles umsonst ist. Ich glaube, er haßt uns so sehr, wie man einen Feind nur hassen kann.«

Mister Forst kam hinter dem Eisschrank hervor: »Sie haben Mitla, die Stadt der Toten, um ihre Ruhe gebracht. Sie reißen den Boden auf, der ihm heilig ist.«

»Und wir werden ihn aufreißen«, schrie Richard, »bis wir gefunden haben, was wir suchen. Sagen Sie ihm das.«

»Ich möchte nicht«, ließ sich Thea, etwas schüchterner als es sonst ihre Art war, hören, »daß wir seinen Zorn ... ich meine, daß wir irgendeine Art Rache auf uns herabbeschwören.« Und sie angelte nach Pauls nachbarlichem Strecksessel hinüber und ergriff seine Hand.

»Rache? Ach was!« knurrte Richard.

Mister Forst lehnte sich an den Eisschrank und zielte durch die Öffnung seiner Zigarettenspitze nach der kleinen Glühbirne über dem Tisch. »Sie haben recht, Fräulein Siebertz«, sagte er nach einer Weile, »die indianische Rache ist langsam aber zäh, und sie verfehlt ihr Ziel niemals.« Dann nahm er einen der dürren Grashalme, die auf der Plattform der Pyramide standen, und begann seine Spitze sorgsam zu reinigen.

Richard kam zum Tisch, stützte die Hände auf und schnob wutentbrannt: »Wenn wir ihm hier so im Wege sind, so sagen Sie ihm, daß wir alles umdrehen wollen, daß wir keinen Stein auf dem andern lassen, daß wir aus seiner Stadt der Toten einen Misthaufen machen, wenn wir das Grab nicht finden. Sagen Sie ihm das. Vielleicht bringt ihn das zur Vernunft.«

Das war einer jener Ausbrüche, die so jäh mit seiner sonstigen Gedrücktheit wechselten, als habe auch er etwas von der vulkanischen Natur des Landes in sich aufgenommen.

»Ich will es versuchen«, versprach Mister Ford und stieß die Luft durch das gereinigte Rohr seiner Spitze.

Dann brachen wir auf und kletterten über die Leitern hinab, um schlafen zu gehen. Als wir neben dem Wall von Opuntien unserem Hause zugingen, blieb Richard stehen. Es war eine dichte, verfilzte Hecke von Kakteen, die verrücktesten Formen, Säulenschäfte, die an den unmöglichsten Stellen Auswüchse hatten, Kandelaber mit Armen und Quasten daran, fleischige, große Kuchen, die mit den Kanten aufeinanderstanden. Und alles war mit dickem Staub bedeckt und starrte von Stacheln, weißen und rötlichen und bläulichen Stacheln, Stacheln wie Widerhaken und solchen wie Dolche oder lange Nadeln.

»Ixion!« sagte Richard, »und Tantalus und Sisyphus und die anderen ... lächerlich. Keine Phantasie, keine Erfindung! Gut für griechische Rinder! Aber: eine solche Kaktushecke rasieren, diese Opuntien einseifen und die Stacheln rasieren, das wäre eine Höllenstrafe für Erwachsene.«

Ich hielt dies damals für einen Scherz, mit dem sich Richard selbst wieder ins Gleichgewicht bringen wollte. Erst später kam ich dahinter, daß dies zu den Anzeichen jener Verwirrung gehörte, die uns bevorstand.


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