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12

In den nächsten Tagen erlebten wir das Schauspiel des Werdens eines neuen mexikanischen Nationalhelden.

Die Zeitungen hatten sich auf unsere Abenteuer gestürzt, und Señor Sebastiano Quiroga, der Kapitän des »Montezuma«, gewann einen Ruhm, der mit der Geschwindigkeit von Münchhausens Bohnenranken emporwuchs. Nicht genug, daß er uns, die abgestürzten Ozeanflieger, inmitten des schwersten Seegangs mit Lebensgefahr gerettet hatte, hatte er auch die Revolte der fünfhundert Sträflinge mit einer unerhörten Geistesgegenwart, Tatkraft und Kühnheit niedergeschlagen und etwa zwei Dutzend der wütenden Aufrührer ganz allein mit seinem Revolver mehrere Stunden lang in Schach gehalten.

»Wenn es so weitergeht«, sagte ich, als wir in dem Kaffeehaus am Platz der Unabhängigkeit in Mexiko die letzten Lobgesänge der Blätter gelesen hatten, »wenn es so weitergeht, so reift Señor Quiroga langsam aber sicher einem Standbild entgegen.«

»Oder einer Präsidentschaftskandidatur«, ergänzte Richard Brög, der in den politischen Gepflogenheiten des Landes Bescheid zu wissen schien.

Bei der Erörterung der Heldentaten Señor Quirogas waren wir mit einer gewissen mitleidigen Zurückhaltung behandelt worden. Einige Zeitungen hatten durchblicken lassen, daß unser Flug nicht genügend vorbereitet gewesen sei, aber darin stimmten alle überein, daß wir uns glücklich schätzen könnten, gerade von einem mexikanischen Dampfer gerettet worden zu sein und von einem Kapitän, der unter der stolzesten Nation der Erde einer der stolzesten Gipfel war. Wie der Popocatepetl unter den Bergen, fügte eines der Blätter geschmackvoll und bescheiden hinzu. Wahrscheinlich war es nur die Ehrerbietung vor Richard Brögs Millionen, die es der öffentlichen Meinung angebracht erscheinen ließ, uns gegenüber nicht einen schärferen Ton von Geringschätzung anzuschlagen.

»Ich gelte als Amerikaner«, sagte Richard, »und sie haben in Mexiko nicht viel für Amerika übrig.«

Seit einigen Tagen befanden wir uns in der Hauptstadt, und Richard hatte mit den Behörden zu tun. Sie waren von einer ungeheuerlichen Liebenswürdigkeit, und keiner der beteiligten Minister versäumte es zu erklären, daß ganz Mexiko glücklich darüber wäre, Brög und seinen Gefährten einen unschätzbaren Dienst erwiesen zu haben. Es waren an Brögs Unternehmen so ziemlich alle Minister beteiligt, Handel und Krieg und Ackerbau mit eingeschlossen, und Richard verließ keinen von ihnen, ohne auf dem Schreibtisch einen versiegelten Briefumschlag wie zufällig liegengelassen zu haben, mit einer durchaus anständigen Empfehlung in bar für weiteres Wohlwollen und Entgegenkommen. Aber das Entgegenkommen ging nicht so weit, daß man uns hätte gleich abreisen lassen, sehr zum Verdruß Pauls, der es kaum erwarten konnte, seinem Quetzalcoatl auf den Leib zu rücken.

Richard und ich wurden sogar vom Präsidenten der Republik empfangen.

Hier änderte Richard seine Taktik insofern, als er den versiegelten Briefumschlag gleich zu Beginn der Unterredung wie zufällig auf den Schreibtisch legte, und wie zufällig nahm der Präsident ein Papiermesser, schnitt den Umschlag auf und warf einen Blick hinein.

»Ach, meine Herren«, sagte er mit verdoppelter Liebenswürdigkeit, »alles, was von mir abhängt, mit tausend Freuden. Sie finden die volle Unterstützung der Regierung. Wir stehen Ihrem Plan mit der größten Sympathie gegenüber. Aber, wissen Sie, dieser Vertrag mit England ... uns sind die Hände gebunden.«

»Es ist doch alles in Ordnung«, sagte Richard.

»Gewiß, in schönster Ordnung«, beeilte sich der Präsident zu versichern, indem er mit einer gewissen Hast Richards Briefumschlag in einer Schreibtischlade verschwinden ließ, »aber England! Sie kennen doch die Engländer. Jeder ein Shylock. Und ehe nicht Mister Forst da ist ...«

»Mister Forst kann etwa drei Tage nach uns Ponta Delgada verlassen haben. Er muß in der nächsten Zeit eintreffen. Unsere Ausrüstung liegt schon in Vera Cruz. Sie brauchen nur die Zollbehörde anzuweisen ...«

»Um so besser, um so besser, wenn Mister Forst bald eintrifft. Aber, meine Herren, warum müssen Sie gerade in Mitla graben? Wir haben doch in Mexiko eine ganze Menge der wunderbarsten Ruinen, garantiert unentdeckt, unser Unterrichtsminister wird Ihnen Namen nennen, wenn Sie es wünschen, Namen ... warum denn gerade Mitla?«

»Der Leiter unserer Ausgrabungen hat sich nun einmal Mitla in den Kopf gesetzt.«

»Mitla! Wissen Sie: Mitla! ... Es ist nur ... es ist nur, daß es gerade in den allerletzten Tagen um Mitla etwas unruhig geworden ist ... wir haben Nachrichten bekommen ... nichts Bedeutendes natürlich ... aber immerhin ... ein gewisser Tezozomoc, ein Indianer, der sich diesen berühmten uralten Namen unserer Geschichte angeeignet hat, sonst ein äußerst übelberüchtigtes Individuum ...«

»Ein gewisser Tezozomoc?« fragte Richard, wie mir schien, mit einer Art von heiterer Hinterhältigkeit.

»Ach, so ein Mensch, der nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hat ... mit einer Handvoll Unzufriedener. Und es gibt überall Unzufriedene, meine Herren! Überall! Nichts von Bedeutung, wie gesagt ... aber wir fürchten doch für Ihre Sicherheit ... nachdem Sie aus all diesen Gefahren gerettet worden sind, wozu ich uns mit Stolz beglückwünsche ... Sie sollen doch nicht dem Ozean und den ausgebrochenen Sträflingen entkommen sein, um in die Hände eines Banditen zu fallen, der ...«

»Excelencia!« unterbrach ihn Richard, indem er einen langen Blick auf die Schreibtischlade richtete, in der sein Briefumschlag verschwunden war, »Excelencia, ich bitte Sie, nicht um uns zu fürchten. Wir werden selbst für unsere Sicherheit sorgen.«

Seine Excelencia schob sich ein wenig nach links hinüber, um zwischen Richard Brög und den Schreibtisch zu kommen. »Wenn Sie meinen«, sagte er, »ich wollte Sie nur warnen. Es ist wegen der Verantwortung, die wir tragen. Und dann, vor allem muß einmal Mister Forst da sein.«

Vor dem Regierungsgebäude stand Paul Noster, die Nase in einer Zeitung. Wir vermieden es, ihn bei bedeutsamen Besuchen mitzunehmen, man konnte nie wissen, was ihm seine Ungeduld einzugeben imstande war. Er dachte an Quetzalcoatl und vielleicht noch nebenher einmal an Thea Siebertz und sonst an nichts auf der Welt. Seine Tage verbrachte er im allgemeinen im Nationalmuseum und der Bibliothek auf der Jagd nach weiteren Beweisen für seine Vermutung.

»Wißt Ihr«, sagte er, als wir ihm die Zeitung wegnahmen, »da unten um Oaxaco und Mitla gibt es eine kleine Revolution.«

»Texomotl!« sagte ich mit der Ruhe eines völlig Eingeweihten.

»Tezozomoc«, berichtigte mich Richard und schien von einem unterirdischen Lachen erschüttert, »versteht ihr, warum Seine Excelencia so um uns besorgt ist? Die Regierung hat Angst, daß wir ein Lösegeld zahlen müssen, eine Abfindung ... die den Finanzen der Revolution auf die Beine hilft.«

»Revolution hin, Revolution her!« sagte Paul Noster wütend, »ich habe keine Lust, länger zu warten. Und wenn ihr euch weiter mit dieser heillosen Regierung abgeben wollt, bitte, ich fahre morgen nach Mitla.«

»Hast du den Sonnenstich?« fragte Richard väterlich besorgt.

Aber Paul hatte keinen Sonnenstich, sondern war nur am Ende seiner Geduld und setzte uns etwas von der Regenzeit auseinander, die er weder irgendeines Präsidenten noch irgendeines Mister Forst wegen in seine Arbeit mittenhereinplatzen lassen wolle.

Als wir in unser Hotel kamen, teilte uns der Portier mit, die Dame erwarte uns in der Veranda. Im grünen Licht einer Wand von Schlingpflanzen lag Thea auf einem Strecksessel und schwenkte uns ein Papier entgegen.

»Ein Telegramm!« sagte sie, »ein Telegramm von Mister Forst aus Vera Cruz. Er ist gelandet und will morgen hier sein.«

»Na also!« sagte ich und bewunderte Thea insgeheim, wie sie es anstellte, immer irgendwie als Retterin aufzutreten.

»Ich hätte nichts dagegen«, brummte Richard, dessen Laune schon durch Mister Forsts Erscheinen am fernsten Horizont getrübt werden konnte. »Ich hätte nichts dagegen, wenn den Burschen im Golf von Mexiko die Haie aufgefressen hätten.«

»Mister Forst – das notwendige Übel!« lächelte Thea.

Darin waren wir uns alle einig, aber es hals uns nichts. Am nächsten Tag war Mister Forst da, und sein steinernes Gesicht tauchte plötzlich auf, als uns Paul an der Hand einer Karte aus dem Landesvermessungsamt auseinandersetzte, wo er mit den Grabungen zu beginnen gedenke. Forst war lautlos herangekommen, genau so wie im Britischen Museum, wenn er sich zwischen den Götzenbildern und Opfersteinen und Jaguaren angeschlichen hatte.

»Sie haben eine große Gefahr überstanden«, sagte er, indem er Thea unverwandt anschaute, oder vielmehr die Kette der Indianerin, die Thea wie immer um den Hals trug.

»Ich denke«, sagte Richard herausfordernd, »wir haben damit gewissen Leuten eine Enttäuschung bereitet.«

»Wir haben es schon an Bord durch Funkspruch erfahren«, setzte Mister Forst hinzu, mit übertrieben höflicher Nichtbeachtung einer möglichen Anspielung. »Und hier sind noch immer alle Zeitungen voll davon.«

»Ja«, sagte Thea nachdenklich, »ich meine, dieser Quetzalcoatl mußte vielleicht untergehen, damit der andere Quetzalcoatl gefunden werde.«

»Ich finde solche Opfer überflüssig«, sagte ich. Seit unserer Ankunft in Mexiko hatte ich so ein unklares Empfinden, als wären wir in eine Atmosphäre geraten, in der alle Dinge die Neigung zeigten, sich in unvorhergesehener Weise zu lockern und gegeneinander zu verschieben. Es ist vielleicht die Hitze, sagte ich mir. Oder der Ärger mit den Behörden. Oder der Dunst der uralten Götzenwelt, dieser Hauch von Blut und Habgier und Menschenopfern, der als Rückstand der Geschichte dieses Landes irgendwie sich unser bemächtigen wollte. Um so entschlossener war ich, durch verschärfte Betonung des Verstandesmäßigen dem allen entgegenzutreten.

»Wenn wir das Grab finden sollen«, sagte ich, »so war es nicht nötig, vorher ins Meer abzustürzen. Wo sind da die Zusammenhänge?«

Richard aber angelte aus meinen Ausführungen ein Wort heraus, »Überflüssig! Überflüssig! Es gibt Leute, die haben nun einmal keinen Sinn für das Überflüssige!« sagte er ziemlich unvermittelt.

»Dann können wir also morgen fahren«, entschied Paul.

»Es wird immerhin noch einiges zu ordnen sein«, lächelte Mister Forst, »drei Tage mindestens müssen Sie mir schon Zeit lassen.«

Die Entgegnung, die Forst unfehlbar zu hören bekommen hätte, unterblieb, denn Thea trat zu Paul Noster und legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter: »Du mußt Mister Forst schon diese drei Tage einräumen, Paul!« sagte sie. »Er ist sicher seit Jahren nicht in seiner Heimat gewesen. Sie sind doch in Mexiko geboren, Mister Forst?«

Paul sah an dem verwunderten Blick Forsts, daß eine Aufklärung nötig sei.

»Meine Braut!« sagte er mit der Verlegenheit, die ihn immer überfiel, wenn darauf die Sprache kam, daß neben Schlangenfrauen und Xochiquetzal, der Blumenkönigin, und Chalchiuhtlicue, der Göttin des fließenden Wassers, nun auch ein leibhaftiges Frauenzimmer namens Thea Siebertz eine nicht unbedeutende Rolle zu spielen begonnen hatte.

»Gestatten Sie mir, meinen aufrichtigen Glückwunsch auszusprechen«, sagte Mister Forst mit einer tadellos weltmännischen Verbeugung, »übrigens werde ich die drei Tage nicht in meinen Privatangelegenheiten verbummeln.«

»Haben Sie ihm die Hörner gemacht?« fragte Richard Thea, als Mister Forst gegangen war.

»Warum?«

»Wenn es einen bösen Blick gibt, so hat er ihn«, sagte Richard, »vielleicht hat er uns auch den Quetzalcoatl verhext.«

Ob er nun den bösen Blick hatte oder nicht, er wußte jedenfalls, was sich schickt. Am Abend kam ein Blumenstrauß, ein ganzes Wagenrad von üppig phantastischen Blüten, wie sie in den Gärten von Mexiko gezogen wurden, das ja seit unvordenklichen Zeiten eine Stadt der Blumen gewesen ist. Schon die alten Azteken hatten ihre Opfer mit Blumen geschmückt, wenn sie zur Schlachtbank geführt wurden.


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