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14

Seine Excelencia stand auf einer Schutthalde, die sich von der benachbarten Felswand herabzog und in der Schlucht verlor; da stand er, umgeben von einem Stab auserlesener Galgengesichter, und war der Lage nicht gewachsener als seine Leute.

Er war ein kleiner, dicker Mann mit wulstigen Lippen, Negerhaar, einer langen Nase und einem fliehenden Kinn, ein schwitzender Mensch von der unwahrscheinlichen Zusammensetzung der Rassen, die man bei Hunden als Promenadenmischung bezeichnet. Er trug eine phantastische Uniform, die vorne aufgeknöpft war und ein Hemd von der Färbung eines Maisfeldes sehen ließ.

Mit zwinkernden Augen sah er unserem Aufzug entgegen, wie ein aus dem Schlaf Erwachender, der wüste Traumbilder leibhaftig einherwandeln sieht.

»Señor Hernandez?« schnaufte er, »was ist denn los?«

Aber Richard überhob den Señor Hernandez der Verlegenheit, Aufklärung geben zu müssen.

»Sind Sie der General Tezozomoc?« fragte er, indem er Seine Excelencia bei dem roten Aufschlag seiner Uniform packte.

Das war etwas so Unerhörtes, daß der Stab in eine wirre Bewegung geriet.

»Wie kommen Sie hierher?« raffte sich Seine Excelencia zu feldherrnmäßigerem Auftreten zusammen. »Was wollen Sie?«

Aber Richard zog ihn mit einem Ruck zu sich heran. »Sind Sie verrückt geworden?« brüllte er los. »Ist das eine Art, Revolution zu machen und Krieg zu führen? Wie kommen die Leute dort drüben dazu, geröstet zu werden. Lassen Sie sofort die Feuer auseinanderreißen und die verdammte Schießerei einstellen, oder Sie kriegen nicht einen einzigen Dollar mehr von mir zu sehen.«

»Ja, wer sind Sie denn?« stammelte der General, während sich die Gesichter der Galgenvögel um ihn plötzlich in erstaunlicher Weise verlängerten.

»Wer ich bin?« donnerte Richard, »ich bin Brög! Richard Brög! Damit Sie's wissen. Und ich sage Ihnen, daß Sie sehen können, wer Ihnen Geld für Ihre Revolution gibt, wenn Sie sich wie eine Bestie benehmen.«

Ich war mir über die Zusammenhänge von allem keineswegs im klaren, aber daß sie für seine Excelencia von der größten Bedeutsamkeit sein mußten, war daraus zu ersehen, daß er zusammenknickte und ganz klein und häßlich wurde.

»Señor ... Señor Brög«, keuchte er atemlos, »bei der Mutter Gottes von Assuncion ... keine Ahnung gehabt, daß gerade Sie ... man hat mir kein Wort davon gesagt ... unsere Nachrichten ... ich schwöre Ihnen ...«

Für einen General und Präsidentschaftskandidaten von Mexiko nahm sich Señor Tezozomoc reichlich kläglich aus. Er stak in seiner Verlegenheit wie in einem grundlosen Sumpf, sank nur immer tiefer, je mehr er strampelte, und schließlich gewann man den Eindruck, daß ihn Richard nur deshalb beim Kragen hatte, um ihn vor dem völligen Untergang zu bewahren.

»Reden Sie nicht herum«, unterbrach ihn Richard, »lassen Sie das Schießen sofort einstellen.«

Der General gab einen Wink, und eines der Galgengesichter setzte sich in Trab. Gleich darauf trillerten Signalpfeifen längs der Schützenketten, und das Schießen hörte auf.

»Verzeihen Sie, Señor Brög«, nahm Tezozomoc wieder seine Entschuldigungen auf, »ein unbegreifliches Versehen.« Und dann besann er sich offenbar, daß augenblicklich nichts dringender erforderlich sei als ein Sündenbock. »Und du Schwein, du räudiger Hundesohn«, warf er sich mit der ganzen Wucht seines Zornes auf den unglückseligen Señor Hernandez, »du hast uns in eine schöne Patsche hineingeritten.«

Richard hatte den roten Aufschlag der phantastischen Uniform freigegeben, und ich löste die Hosenriemen von den Händen und dem Hals unseres Gefangenen.

Señor Hernandez war von den Vorgängen so überwältigt, daß seine Vernunft zu völligem Stillstand gekommen zu sein schien. Jetzt kehrte ihm die Sprache langsam zurück. »Excelencia«, stammelte er zerknirscht, »unser Gewährsmann ... Sie wissen doch ... Man hat uns gesagt, dieser Zug, nicht wahr ... und wir würden eine ausgezeichnete Beute machen.«

»Schweig«, fuhr ihn die Excelencia an, »ich habe Lust, dich an einen Baum zu binden und Riemen aus deiner Haut zu schneiden.«

»Können Sie nach Ciutcatlan telegraphieren?« mischte sich Richard in den Gang des kriegerischen Verfahrens.

»Gewiß«, beeilte sich Tezozomoc, seine Beflissenheit zu zeigen, »hinter dem Tunnel ist ein Wächterhaus.«

»Lassen Sie sofort nach Ciutcatlan telegraphieren, man soll eine Maschine schicken, die den Zug zurückbringt.«

Man hatte die Feuer auseinandergerissen und erstickte auch die Flammen der zwei oder drei Wagen, die bereits zu brennen begonnen hatten. Die Fahrgäste hatten sich zum Teil wieder hervorgewagt und standen in Gruppen neben dem Zug, an den Fenstern klebten ganze Klumpen angstblasser Gesichter. Sie waren noch immer nicht soweit, sich in der Geschichte zurechtfinden zu können, aber sie schienen begriffen zu haben, daß die unmittelbare Gefahr beseitigt sei.

Als sie uns kommen sahen, Richard, mich und den schweifwedelnden General neben uns, inmitten eines Ehrengeleits von Galgenvögeln, zogen sie sich vorsichtshalber ein wenig zurück.

»Sie werden uns diesen Zwischenfall nicht nachtragen, Señor Brög«, bat Tezozomoc so untertänig, wie es sich dem Geldgeber einer nationalen Erhebung gegenüber gebührte, »ich werde die Schuldigen zur Verantwortung ziehen. Aber ich bitte Sie, uns Ihre Anteilnahme auch weiterhin ...«

»Ich werde sehen«, antwortete Richard dunkel verhängt, »Sie werden von mir hören.«

Der General fühlte sich verabschiedet und verschwand mit beklommenen Versicherungen seiner Ergebenheit. Wir bestiegen unseren Wagen wieder und fanden Paul Noster, einen zweiten Archimedes, die Karte von Mitla über den Knien und mit einer elektrischen Taschenlampe bemüht, irgendeinen plötzlichen archäologischen Einfall auf seine topographischen Möglichkeiten zu untersuchen.

Die Aufklärungen, die wir uns verpflichtet hielten, ihm zu geben, betrachtete er offenbar als eine unwillkommene Störung seiner Gedankengänge und bestätigte sie nur mit einigen knurrenden Baßtönen. »Ich glaube«, sagte er von weither, »wir werden zwischen der großen und der kleinen Stufenpyramide in der Richtung gegen diesen Teich hin zu graben beginnen. Er macht mir einen ganz merkwürdigen Eindruck, dieser Teich!«

»Du bist also der Finanzmann dieses Señor Tezozomoc?« sagte ich zu Richard, als wir einsahen, daß ein Eisenbahnüberfall nicht zu den Dingen gehörte, die bis in Pauls Überzeugungen von den europäischen Anfängen der mexikanischen Kultur einzudringen vermochten.

»Ach, weißt du«, meinte Richard ein wenig gedämpft, »eine der kapitalen Dummheiten, die mir früher einiges Vergnügen gemacht haben. Aus Mangel an besserem Zeitvertreib. Dieses Pack ein bißchen durcheinanderbringen, nicht wahr? Revolutionen, na ja, und wenn sie gesiegt haben, ist es dasselbe wie früher, mit anderen Leuten und unter anderem Namen. Was zu beweisen war.«

»Übrigens«, sagte er nach einer Weile, indem er beim Schein von Pauls Taschenlampe seine Pfeife betrachtete, die er auf dem Boden gefunden hatte«, »übrigens sieht man, daß auch die kapitalsten Dummheiten unter Umständen ihr Gutes haben.«

»Ohne Zweifel«, gab ich zu, »wir lägen sonst wahrscheinlich als Thüringer Rostbratwürste oder mit einem schönen runden Loch im Kopf auf diesem idyllischen Fleck Erde.«

Gegen Morgen dampfte die Maschine, von Ciutcatlan rückfahrend, herbei, setzte sich an das Ende des Zuges und brachte uns zurück.

Bei Tagesanbruch kamen wir an, und es waren eine Menge Menschen auf dem Bahnhof, die uns erwarteten und wissen wollten, was geschehen sei. indessen hatte unter den Festgästen ein beiläufiges Gerücht dem Abenteuer dieser Nacht eine Deutung gegeben und den Namen Richard Brögs mit einem Glorienschein verziert. Als wir den Zug verließen, scharrten sie sich in dichten Haufen um uns und zeigten nicht übel Lust, uns mit dankbarer Begeisterung zu überschwemmen.

Besonders der Herr im hellen Leinenanzug, der mit dem Schulterschuß, schien das dringende Bedürfnis zu haben, eine Ansprache zu halten.

Aber Richard hatte nicht das mindeste Talent zu einem Señor Quiroga, er schob den Festredner beiseite und wandte sich an einen Mann, der durch die Entfaltung eines schrecklichen Amtseifers ungemein viel zu der Verwirrung beitrug: »Wo ist die Dame, die heute nacht hier zurückgeblieben ist?«

Es war aber kein weiteres Suchen nötig, im Kielwasser des Amtsorgans erblickten wir Mister Forst, und dann stand Thea vor uns und reichte Paul die Hände und sagte: »Ach, wie gut, Paul, daß du wieder da bist.«

Und dann reichte sie auch uns die Hände, ganz fest und sportlich und sagte: »Ich danke Ihnen ... ach Gott, wenn Paul allein gewesen wäre! Ein Glück, daß er Sie mithatte. Man hätte ihn sicher in die Berge verschleppt, und ich könnte Sie nun alle suchen.«

Weder ich noch Richard hielten es für nötig, Thea darüber aufzuklären, daß wohl voraussichtlich von uns nicht viel zu verschleppen gewesen wäre.

»Und Sie?« fragte Richard, »was war das mit Ihnen? Warum sind Sie zurückgeblieben?«

»Ja, das ... ist ganz sonderbar«, sagte Thea, »kommt doch aus diesem Wirbel fort, ich erzähle euch das drüben in der Bahnkanzlei.«

Thea hatte ihr Hauptquartier in der Bahnkanzlei aufgeschlagen, und die befugten Ureinwohner dieses Raumes, ein quittengelber, hagerer Mensch mit einem langen Schafsgesicht und ein dem Kindesalter noch nicht völlig entwachsener Jüngling mit einer über ihre Tonlage etwas unschlüssigen Stimme, schienen ihr willig den Oberbefehl abgetreten zu haben. Später kam der Herr Bahnhofsvorsteher selbst und entwickelte auch hier seinen Amtseifer, indem er nach allen Himmelsrichtungen Telegramme vom Stapel ließ und dazwischen aus Wandschränken allerlei furchteinflößende Dinge herbeischleppte, die er für eßbar und trinkbar hielt.

»Ja, ich ...«, sagte Thea, »also, es war ein solches Gedränge, daß man nicht durchkommen konnte. Und ich wollte zur rechten Zeit wieder in unserem Abteil sein, damit ihr keine Sorge um mich zu haben brauchtet, da ich doch Paul verloren hatte. Aber auf einmal war ich in einen Winkel gedrängt und konnte mich nicht rühren, keine Rede davon, mich durchzuschlagen. Da war Mister Forst neben mir, der sagte, wir kämen nicht durch, und er wollte es versuchen, mich hintenherum durch das Lampistenzimmer und den Gepäckraum, und ich weiß nicht, was noch für Zimmer, auf den Bahnsteig und zum Zug bringen. Wir liefen auch durch zwei oder drei Räume; auf einmal waren wir in einer Kammer, da ging's nicht weiter, die andere Tür war versperrt. Mister Forst sagte, ich solle warten, er werde den Schlüssel holen. Und nachdem er eine ganze Weile weggeblieben war, hörte ich den Zug das Abfahrtssignal geben und bekam Angst und wollte zurück. Aber die Tür, durch die wir gekommen waren, hatte die niederträchtige Einrichtung, auf der Innenseite keine Klinke zu haben. Da saß ich nun ...«

»Wie in einer Falle«, sagte Richard.

»Ja, wie in einer Falle und konnte nicht heraus. Ich schrie und klopfte, aber es kam niemand, und dann hörte ich den Zug wegfahren. Sie können sich vorstellen, daß ich nicht schlecht getobt habe. Und kaum war der Zug fort, so kam Mister Forst und sagte, er habe den Mann mit dem Schlüssel nicht finden können, darüber hätten wir nun beide den Zug verpaßt und könnten erst am andern Morgen weiterfahren.«

Wir sahen beide Mister Forst an, und Mister Forst sagte seelenruhig: »Ja, ich habe den Mann mit dem Schlüssel nicht finden können. Und darüber haben wir beide den Zug verpaßt. Sie haben keine Ordnung in diesem Land.«

»Es ist seltsam ...«, erwog Richard langsam.

»Ja, es ist merkwürdig«, bekräftigte ich.

»Es ist seltsam ... wenn ... gesetzt den Fall, daß unserem Zug etwas Ernstliches zugestoßen wäre – Sie und Mister Forst wären die einzigen Geretteten gewesen.«

»War es so schlimm heute nacht?« fragte Thea mit einem leisen Zittern in der Stimme.

»Schlimm?« sagte Mister Forst ganz gelassen, »dieser Tezozomoc ist ein gefährlicher Kerl. Ein Stück mexikanische Urnatur, die Grausamkeit, die Götter dieses Landes und seiner vulkanischen Gewalten! Schlummernd, aber manchmal ...«

Paul Noster hatte die Stirn in nachdenkliche Falten gezogen.

»Ja, was war denn das eigentlich für eine Geschichte heute nacht?« fragte er. – –


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