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11

Es war der Dampfer »Montezuma« der mexikanischen Linie Progreso–Tampico, angeblich ein Salondampfer, der für das vornehme Publikum zwischen den mexikanischen Häfen und der Halbinsel Yucatan, wo die besseren Leute Seebäder besuchten und Landgüter hatten, den Verkehr vermittelte.

Für diese Leute bedeutete der Absturz eines Ozeanfliegers und unsere Rettung durch den Dampfer eine unvorhergesehene Bereicherung ihres Reiseprogramms und überdies eine Heldentat, an der sich jeder einzelne seinen nicht unbeträchtlichen Anteil zuschrieb. Sie hielten sich dadurch für berechtigt, uns mit liebenswürdiger Neugier zuzusehen und mit Fragen zu bestürmen, auf die ich für meine Person keine Antwort gewußt hätte, auch wenn mir das Spanische geläufiger gewesen wäre, als es einem auf einer spanischen Frühlingsreise von vier Wochen werden kann.

Mein Gott, was geschehen war? Irgend etwas, das unser Flugzeug plötzlich ermuntert hatte, sich auf den Kopf zu stellen und ein Bad nehmen zu wollen, und dann waren wir ein paar Stunden im Golf von Mexiko herumgeschwommen. Sehr warmes Wasser übrigens, der Golfstrom, nicht wahr, hier wird er ja sozusagen erzeugt und macht dann das europäische Klima, man kann das in jeder Geographiestunde hören. Und die Kleider waren auch schon wieder trocken geworden; im nördlichen Eismeer wäre der Absturz unangenehmer gewesen, ganz gewiß. Alles übrige sollten sie sich von Richard Brög erklären lassen.

Richard Brög aber war vom Kapitän in ein Gespräch verwickelt worden, und Paul und Thea bildeten anderswo den Mittelpunkt einer Windhose von Begeisterung, und ich mußte für mich allein dem Andrang standhalten. Er war zum nicht geringsten Teil auf die heftige Bewunderung der Señoras und Señoritas zurückzuführen, die einem Schiffbrüchigen gegenüber ihre sonstige Zurückhaltung außer acht ließen.

Plötzlich sah ich inmitten der freudig erregten Menge ein Gesicht, das mir nicht unbekannt vorkam, und eine Hand ergriff die meine und schüttelte sie lang und innig. Aber weder dieses Händeschütteln, noch das verzückte Lächeln, noch auch vielleicht das schwarze gestutzte Schnurrbärtchen hätten mich auf die richtige Spur gebracht, wenn nicht der Duft gewesen wäre, der mich bei dem Händeschütteln überströmte.

So nachdrücklich duftete auf der ganzen Welt nur Señor Ramon Herrera, der kleine Mexikaner, den ich bei Martha Mirar kennengelernt hatte.

Seine Freude über das Wiedersehen schien grenzenlos und wurde nur noch durch seine Genugtuung übertroffen, daß gerade er es gewesen war, der mich gerettet hatte.

Es versteht sich, daß meine erste Frage Martha Mirar galt.

»Martha Mirar, o nein!« und dann erzählte er mir eine lange Geschichte. Man erinnert sich, daß er weder Englisch noch Deutsch verstand, und mein Spanisch wiederum war so mangelhaft, daß ich nur so viel begriff, Martha Mirar sei nicht auf dem Schiff, aber ihr Stern werde demnächst, sehr bald schon, über Mexiko aufgehen.

Sein Ansehen unter seinen Landsleuten schien durch seine Bekanntschaft mit mir einen solchen Umfang angenommen zu haben, daß man uns, als der Gong zum Abendessen hörbar wurde, eine Gasse freigab, durch die mich Señor Herrera mit sieghaftem Lächeln geleitete, indem er seinen Arm unter den meinen schob.

Auf einmal kam aus einer Seitengasse, die in unsere mündete, ein anderes Paar hervor, Paul Noster und Thea, und Thea hatte gleichfalls ihren Arm unter den Paul Nosters geschoben.

Ich vergaß Señor Ramon Herrera und die mexikanische Gastfreundschaft und mochte wohl in ein lebendiges Fragezeichen verwandelt sein, das dringend Aufschluß forderte.

»Ja«, sagte Paul, mit den brillenlosen Augen zwinkernd und, wie mir schien, etwas beklommen vor Glück, »weißt du, wir haben uns nämlich verlobt.«

Einer Bestätigung durch Thea bedurfte es nicht. Die Art, wie sie neben Paul stand, drückte die innigsten seelischen Beziehungen und die beglückteste körperliche Annäherung aus, und offenbar war weder die Aussicht, eine Leuchte der Archäologie zu werden, noch die, im nächsten Winter bei der Skisprungkonkurrenz auf dem Semmering den ersten Preis zu machen, stark genug, die einfache Tatsache, verlobt zu sein, in ihrer Bedeutung zu beeinträchtigen.

Dies war für mich der zweite Absturz innerhalb eines Tages, und das Bad, das ich dabei nahm, wesentlich kälter als das im mexikanischen Golf.

»Ich verdanke doch Thea meine Rettung«, sagte Paul, der irgendwie das Bedürfnis zu haben schien, sein Abschwenken von der geraden Linie der Altertumskunde auf ein damit nicht unmittelbar zusammenhängendes Gebiet zu rechtfertigen. Vielleicht auch glaubte er aus meinem Schweigen etwas herauszulesen, das mit dunklen Regungen seines archäologischen Gewissens übereinstimmte.

»Wir haben uns nämlich –«, fuhr er fort, »wir sind uns darüber klargeworden, daß es ganz gut geht ... und warum auch nicht ... zu gemeinsamer Arbeit, dieselben Ziele, nicht wahr?«

Das war also der Inhalt jenes so ungemein fesselnden Gesprächs gewesen, das Paul und Thea miteinander geführt hatten, als sie auf den Trümmern des Quetzalcoatl saßen, auf den Buchstaben seines Namens, Thea auf dem T und Paul auf dem Z.

»Meinen Glückwunsch! Meinen herzlichen Glückwunsch!« sagte ich, »übrigens habe ich das schon lange gewußt.«

»Was hast du gewußt?« staunte Paul, während Thea anzusehen war, daß sie für ihren Teil sehr genau wußte, was ich gemeint hatte.

Zum Glück für Paul mußte meine Antwort unterbleiben, denn nun schob uns die ungeduldig gewordene mexikanische Gastfreundschaft mit sanfter Gewalt in die Kajüte.

Dieses Verlöbnis sollte aber nicht die einzige Überraschung bleiben, die mir auf dem »Montezuma« zuteil wurde. Eine andere, obwohl für den Augenblick weit belanglosere, kam hinzu, als ich Señor Herrera mit Richard Brög bekannt machen wollte.

Sie kannten einander bereits, sie begrüßten einander, Richard etwas von obenher mit einer gönnerhaften Gelassenheit und Herrera mit einer eigentümlich geduckten Vertrautheit. Und dann ließ Herrera meinen Arm los und zog Richard in einen Winkel, und sie sprachen dort miteinander, so lange, bis die Suppe aufgetragen wurde, eine dicke Suppe mit einem verdächtigen Inhalt, als stammte er aus der Konkursmasse eines pleite gegangenen Seewasseraquariums.

Wir, die Geretteten, saßen natürlich auf den Ehrenplätzen neben dem Kapitän Quiroga in derselben Verteilung wie auf den Flügeln des weiland Quetzalcoatl, also ich mit Richard auf der einen Seite und das ... na also, das Brautpaar auf der andern.

»Wer ist denn eigentlich dieser Señor Herrera?« fragte ich, als ich den Kampf gegen eine Schnitte schwärzlichen Fleisches vorübergehend wegen Ermüdung der Kinnbacken einstellen mußte. Es war sicher ein Lendenstück von Don Quixotes Rosinante, und selbst meinem gesunden Hunger wurde es schwer, Wesentliches dagegen auszurichten.

»Wer dieser Herrera ist?« meinte Richard, der nicht sonderlich gesprächig zu sein schien. »Frag mich lieber, was er nicht ist. Die Leute sind in Mexiko immer eine ganze Menge. Wie es sich trifft. Soviel ich weiß, ist er Direktor der Strafanstalt in Tamiahua. Das liegt in den Lagunen von Tamiahua auf einer Insel. Ein fürchterlicher Aufenthalt, das greulichste Gefängnis der Welt. Alle Sorten von Krankheiten gedeihen dort wie sonst nirgends. Das gelbe Fieber ist noch eine Volksbelustigung darunter. Wer dort hinkommt, der kann das Kreuz über sich machen. Dort ist Herrera Direktor. Aber er sieht sich, glaube ich, die Geschichte zumeist mehr aus der Entfernung an. In der Hauptsache ist er was anderes, was ihm ein besseres Geschäft bringt ...«

Es schien mir, damit könnte vielleicht Herreras Begabung gemeint sein, dem Aufgang neuer Sterne in Lateinisch-Amerika ein wenig nachzuhelfen.

»Kennst du Martha Mirar?« fragte ich. Sie war so weit entfernt, daß ich diese Frage wagen konnte, ohne nach okkulten Gesehen ihr unmittelbares Erscheinen heraufzubeschwören.

»Warum?« fragte Richard zurück. »Wer ist das?«

»Eine Sängerin!«

»Kenne ich nicht!«

Es fiel mir plötzlich ein, daß sich Martha Mirar ja gar nicht um meine Vermittlung hätte zu bemühen brauchen, da sie ja in Señor Ramon Herrera eine durchaus gangbare Brücke zu Richard Brög besaß, und vielleicht hätte ich nun doch etwas mehr über sie und unsere Londoner Unterredung gesagt, aber da klopfte der Kapitän Quiroga an das Glas und erhob sich zu einer Rede, die natürlich uns galt, den Geretteten.

Es war eine überaus prächtige Ansprache mit einem fabelhaften Rankenwerk von Großmut, Heldentum und Opfermut verziert und in einem schwungvollen, vollklingenden Spanisch, wie es der menschlichen und sittlichen Größe des Ereignisses angemessen war.

»Weißt du, was er für unsere Rettung verlangt?« flüsterte mir Richard zu. »Tausend Pfund pro Person.«

Der Kapitän sprach lang, und sein Stil wurde immer edler und üppiger, und es wirkte nur einigermaßen störend, daß von draußen ein Getöse hereindrang, das sich immer mehr steigerte und die mit den Schüsseln des nächsten Ganges an der Tür bereitstehenden Aufwärter bereits in Unruhe versetzte.

Der Kapitän schien dadurch ein wenig aus dem Text gebracht zu werden. Er horchte mit einem Ohr auf den Lärm, runzelte die Stirn, verlor den Faden, an dem er die Perlen seiner Rede aufreihte, und zuletzt verschlang er sich ihm zu einem heillosen Knoten.

Er unterbrach sich. Irgendwo gerade unter uns, wahrscheinlich im Zwischendeck unter dem Speisesaal, war ein derartiges Trampeln und Brüllen losgebrochen, als würde da unten alles kurz und klein geschlagen.

Wir sahen einander an und wußten für diesen Höllenspektakel keine Deutung, außer vielleicht der Kapitän, der offensichtlich alle Anstrengungen machte, sich die Herrschaft über die Ereignisse nicht entgleiten zu lassen. Und noch einer, Señor Herrera, der aufgesprungen war, ein Messer in der einen Hand, das Mundtuch über den Arm geworfen, in der Haltung eines Stierkämpfers, der dem wutschnaubenden Toro zu Leibe gehen will.

Und da kam schon ein geschwärzter Mensch hereingestürzt, ein Maschinist oder Ingenieur, und schrie etwas in den Speisesaal, das einen unbeschreiblichen Tumult hervorrief.

»Was sagte er?« fragte ich Richard.

»Die Verbrecher sind losgebrochen!«

»Sind denn Verbrecher an Bord?«

Richard Brög griff über mich hinüber und packte Herrera an dem Arm mit dem Messer. »Haben Sie Verbrecher an Bord gebracht?«

Herrera hatte seine kriegerische Haltung bereits aufgegeben, er sank zusammen und schlotterte. »Ja, Señor.«

»Sind Sie denn des Teufels?«

»Ich habe sie aus der Sammelstation Merida abgeholt und soll sie nach Tamiahua bringen.«

»Wie viele?«

»Etwa hundertfünfzig.«

»Und Wächter?«

Herrera senkte die Stimme noch mehr und flüsterte schuldbewußt: »Drei!«

»Ich wette, Sie haben dreißig verrechnet und den Rest eingesteckt.«

Damit hatte Richard wohl das Richtige getroffen, denn Herrera hob den Blick zum Himmel, als wolle er ihn zum Zeugen anrufen, daß er nur die landesübliche Mathematik angewendet habe.

Indessen hatte das Toben unter uns an Umfang nur noch zugenommen, und jetzt kam ein zweiter Unglücksbote und brüllte, die Verbrecher hätten sich über die Vorratskammern hergemacht, und an der offengebliebenen Tür drängte sich ein Haufen Mannschaft, offenbar weniger zu unserem Schutz, als um hier Schutz zu suchen.

»Alles bewaffnen!« brüllte der Kapitän Quiroga zurück. »Alles niederschießen! Funkspruch nach Tampico! Ein Kriegsschiff! Zwei Kriegsschiffe!«

Sein Heldenmut war sichtlich zusammengebrochen. Und es war freilich etwas viel für einen und denselben Tag, nach der erhabenen Leistung einer Rettung aus Seenot nun selbst in eine noch viel ärgere Not geraten zu sein. Und vielleicht waren auch gar nicht genug Waffen an Bord, um hundertfünfzig ausgebrochenen Verbrechern entgegenzutreten. Vielleicht auch wäre schon eine Waffe zuviel gewesen und ein losgegangener Schuß hätte das Unheil noch weit ärger machen können.

Das schienen wenigstens die Gedanken Richards gewesen zu sein. Denn er bemächtigte sich jetzt ohne weiteres des Kommandos, und indem er den Kapitän beiseiteschob, rief er über die Tafel: »Nicht bewaffnen! Niemand verläßt die Kajüte! Die Mannschaft zieht sich zurück, die Vorratskammern werden preisgegeben.«

Der Kapitän widersprach nicht. Er hatte sich dem stärkeren Willen unterworfen und sank auf seinen Stuhl zurück.

»Sie werden uns die Hälse abschneiden«, sagte ich zu Richard, »wenn sie mit den Vorratskammern fertig sind.«

»Ich hoffe, daß sie es nicht tun werden. Unsere Waffen liegen in den Vorratskammern.«

»Es wäre zu dumm, wenn sie auf diesen abgedroschenen Trick hereinfielen.«

»Was ist abgedroschen? Abgedroschen ist das, was auf grundlegende menschliche Eigenschaften zurückgeht. Diese Verbrecher kommen aus den Gefängnissen Yucatans und wissen, daß sie nach Tamiahua gebracht werden. Und sie können vorläufig nichts anderes denken, als daß sie vielleicht ihr ganzes Leben lang keinen Wein und keinen Schnaps mehr trinken sollen!«

Wir hatten nun einige Stunden Zeit, die Wirkung von Richard Brögs abgedroschenem Mittel abzuwarten. Es war nicht sonderlich schön anzuhören, was da unter uns im Zwischendeck vorging, und ich glaube kaum, daß dieses Grölen und Krachen, Poltern und Toben unter irgendwelchen Umständen noch wesentlich zu steigern gewesen wäre. Schließlich konnte es doch einigen von diesen Herrschaften einfallen, daß es angezeigt sein mochte, sich des Schiffes zu versichern und alles aus dem Weg zu räumen, was sie daran hätte hindern können. Aber vielleicht hatten sie eine übertriebene Vorstellung von unserer Widerstandskraft und waren ebenso froh, daß man sie in Ruhe ließ, wie wir es waren. Es ist auch möglich, daß sie keine Ahnung hatten, wo sich das Schiff befand, und meinten, wir seien noch weit auf offener See und sie hätten genügend Zeit zu allem übrigen, wenn sie erst einmal die Vorratskammern ausgeräumt hätten.

Richard nahm sich indessen Herrera vor, und es stellte sich heraus, daß außer ihm nur der Kapitän und zwei oder drei Offiziere etwas von dieser merkwürdigen Art von Fahrgästen wußten. Herrera hatte sie einzeln und in Gruppen an Bord geschafft, in durchaus unauffälliger Kleidung und ohne Ketten, ohne aufdringliche Bewachung. Und ich vermute, daß er den »Montezuma« für die Beförderung seiner schweren Jungen deshalb vorgezogen hatte, weil ihm der Kapitän einen billigeren Preis machte als die gewissenhaftere Konkurrenz. Übrigens erhob kein Mensch einen Vorwurf gegen Señor Herrera, und jeder schien es selbstverständlich zu finden, wenn ein Gefängnisdirektor seine Pflegebefohlenen so billig als möglich an Ort und Stelle zu bringen versuchte.

Als der Lärm unter uns erheblich nachgelassen hatte und die weinenden und betenden Señoras und Señoritas schon die Möglichkeit einer Rettung begriffen zu haben schienen, nahm mich Richard am Arm.

»Komm!« sagte er.

»Wohin?«

»Wir wollen den Schauplatz der Ereignisse besichtigen.«

Wir stiegen an Deck, und als wir uns umwandten, sahen wir Thea und Paul Noster hinter uns. Sie hatte weder geweint noch gebetet, sondern mit Paul Noster in einer Ecke des Salons gesessen, wo sie ihr Gespräch vom Quetzalcoatl fortzuführen schienen. Dorthin hatte Thea ihren Verlobten in Sicherheit gebracht, und ich hatte den Eindruck gehabt, als würde jemand, der etwa diesen Schatz anzutasten wagte, wirklich nichts zu lachen haben. Ihrer starkgemuten Seele mochte aber dieses Verkriechen vor dem Feind auf die Dauer unwürdig erscheinen, vielleicht gehörte es geradezu zu den Grundsätzen der Erziehung, deren Leitung sie übernommen hatte, Paul Noster gegen alle Gefahren abzuhärten, und sie machte einen Anfang damit, indem sie uns auf Deck folgte.

»Wollen Sie nicht lieber oben bleiben?« fragte Richard, als er ihrer ansichtig wurde.

»Ich glaube, die Leute sind erledigt«, erwiderte Thea, »hören Sie nur.«

Es hatte in der Tat den Anschein, als sei Richards Rettungsplan dem Gelingen nahe, denn das wüste Getöse im Zwischendeck war zu einem Lallen und Röcheln geworden, aus dem sich nur ab und zu Bruchstücke eines Gesanges losmachten, um gleich wieder in sich zusammenzusinken. Auf der Kommandobrücke erblickten wir die Offiziere der Wache, sonst war kein Mensch zu sehen, und niemand schien daran zu denken, einen andern Kurs zu erzwingen als den, der uns in voller Fahrt während der nächsten Stunden nach Tampico bringen mußte.

Wir gingen ein wenig auf dem Deck herum, Richard stieg ein Stück auf der Treppe zum Mannschaftslogis hinab, dann kletterte er auf die Kommandobrücke, und das Ergebnis von alledem war, daß er mit einem Händereiben zurückkam:

»Alles geht gut, zu neun Zehntel sind sie bereits hinüber, und in zwei, längstens drei Stunden sind wir im Hafen.«

Die Sonne ging unter und beleuchtete das Gesicht des Kapitäns, das sich vorsichtig über den Rand der Kajütentreppe schob. Dann, als er den Weg frei gefunden hatte, folgte das übrige von Quirogas heldenmütiger Erscheinung, und mit einem Kopfnicken, das unseren Beifall zu solch heroischem Unterfangen herauszufordern schien, lief er zur Kommandobrücke hinauf, wo wir ihn seinen Posten einnehmen sahen, jeder Zoll eine Verkörperung entschlossenster Pflichterfüllung. Er stand da, ein Kapitän, der sein Schiff auf dem Kurs hält, trotz einer tobenden Hölle unter sich, ungeachtet einer Ladung von menschlichem Ekrasit, das jeden Augenblick in die Luft gehen kann. Und er verschwand fast in der strahlenden Herrlichkeit, die von der untergehenden Sonne auf der vorderen Glaswand der Kommandobrücke entzündet wurde, er wurde von dem Gefunkel kleiner Blitze und roter bengalischer Flammen wie auf einer Himmelfahrt ins Überirdische entrückt.

Und dann traf die Sonne noch einen Mann, der aus der Luke des Vorderschiffes kam und auf uns zutorkelte. Obzwar wir durch eine See liefen, die glatt war wie Öl, wurde der Mann herumgeschleudert, als werfe ein wütender Sturm den Dampfer von einer Woge zur andern. Auf dem ganzen Deck gab es kein Ding, das ihm nicht in den Weg kam, und es war ein helles Wunder, daß die Flasche und das Wasserglas unzerschlagen blieben, die er in den Händen trug. Nachdem er das Deck von einer Bordwand zur anderen ein reichliches dutzendmal durchmessen hatte, landete er auf seiner Kreuzfahrt am Fuße der Treppe, die zum Oberdeck führte. Im nüchternen Zustand gehörte er möglicherweise zu den Menschen, die sich eigensinnig darauf versteifen, Dinge zu unternehmen, denen sie nicht gewachsen sind, und auch jetzt noch war der Rest seines Starrsinns groß genug, daß er die Treppe hinaufzuklettern begann. Seine ersten Bemühungen endeten sämtlich damit, daß er immer wieder unten auf seiner Sitzfläche landete. Aber endlich gelang es seiner Beharrlichkeit und dem Schutzengel, der allen Betrunkenen kraft besonderer Einrichtung des Schöpfungsplanes beigegeben ist, auf allen vieren die Treppe hinaufzukommen, sich zu erheben und die Flasche und das Glas, die als Krönung des Wunders noch immer nicht zerschlagen waren, uns entgegenzuhalten. Der Anzug, ein ganz anständiger Anzug, dank der besonderen Vorsicht Señor Herreras, sah aus, als habe sich der Mann, ehe er seinen Morgenspaziergang angetreten hatte, in dem Inhalt sämtlicher Konservenbüchsen des Proviantmagazines gewälzt. Und auch der gründlichste Kenner wäre außerstande gewesen, in dem Geruch, der von ihm ausging, die Arten des Fusels zu unterscheiden, aus denen er sich zusammensetzte.

Die Flasche, die er uns entgegenhielt, war jedenfalls eine Brandyflasche und das Glas ein Wasserglas, und als er nun eingoß, lief weit mehr über seine Hände und auf Deck als in das Glas.

»Señores ...«, sagte er, indem er seine Beine spreizte, um sein Gleichgewicht zu bewahren, »Señores ... jetzt sind wir ... wir ... die Herren.«

»Es hat ganz den Anschein«, entgegnete Richard höflich.

»Und ich ... ich kann Ihnen ... sagen ... sie wollen nachher abrechnen. Es wird Ihnen an den ... jawohl ... an den Kragen gehen ...«

»Es wird uns nichts übrigbleiben, als uns in Ihre Beschlüsse zu fügen.«

»Aber vorher ... wir Spanier ... die Schönheit und die Liebe ... hoch die Schönheit und die Liebe! Auf Ihr Wohl, Señorita!«

Das Wasserglas schwankte vor Theas Gesicht hin und her und sandte kleine Spritzer über seinen Rand, und schließlich nahm es Thea und tat so, als nippe sie daran. Das begeisterte den Mann ganz unbändig, er nahm das Glas und wollte es so drehen, daß er die Stelle berühren könnte, wo Thea getrunken hatte. Als ihm das nicht gelang, begnügte er sich mit einer andern und goß den Brandy auf einen Zug hinunter.

Gleich darauf fielen ihm Glas und Flasche aus der Hand, und dann legte sich der begeisterte Señor daneben auf die Planken und war mit einem Lächeln seliger Zufriedenheit mit dem Stand seiner Angelegenheiten entschlafen.

Eine Weile später kamen zwei Matrosen, die der Kapitän mit dem Sprachrohr aus ihrem Versteck herbeigerufen hatte, packten den Schläfer beim Kopf und den Beinen und schleppten ihn ins Zwischendeck zu den anderen. Hierauf wurde das Zwischendeck abgeschlossen und vernagelt.

Als wir im Hafen von Tampico einliefen, standen zwei Regimenter Infanterie auf den Steinmauern, und ich glaube nicht, daß das Erwachen von Señor Herreras Pflegebefohlenen aus ihrem Siegestaumel sonderlich glorreich und erhebend gewesen ist.


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