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24

Vielleicht wäre ein anderer als Paul Noster nach all dem doch noch an der Schwelle des Grabes, das mit solchen Mitteln verteidigt wurde, von seinem Vorhaben abgestanden.

Wenn man eine Erklärung für diese Dinge will, so weiß ich keine andere als die, daß wir uns alle vorkommen mußten wie wehrlose, weichschalige Meeresgeschöpfe zwischen den Scheren irgendeines grausigen Ungetüms. Eines unsichtbaren Ungetüms noch dazu, denn da war irgendeine undurchdringliche, unangreifbare, unenträtselbare Macht, die uns tausendfach überlegen war und der man jede Tücke zutrauen konnte.

Ich sagte etwas dergleichen und machte ungescheut den Vorschlag, lieber zu verzichten, als uns vielleicht noch Ärgerem auszusetzen.

Aber ich sprach bei Paul gegen steinerne Wände. Er starrte mich an und murrte: »Taschenspielerkunststücke!« Ich glaube, er hätte Himmel und Hölle leibhaftig aufmarschieren sehen können und sie weggeleugnet, wenn es sich um seinen Quetzalcoatl handelte.

Und wirklich sollte der folgende Tag seiner Dickköpfigkeit den vollen Sieg bringen.

Es war der 2. Juli, und wir waren alle mit Paul gegangen, um bei der Entscheidung zugegen zu sein. Für die letzten Arbeiten standen ihm nur mehr etwa zehn Leute zur Verfügung. Die anderen waren alle durchgebrannt. Wir legten selbst mit Hand an, ich für meine Person in dem bestimmten Gefühl, unter Theas Augen nicht anders handeln zu können und auch mein Teil an dem bevorstehenden Unheil auf mich nehmen zu müssen.

Da nach den Erfahrungen im Hügel des Tlaloc Sprengungen vermieden werden sollten und die Maschinen nutzlos dalagen, war die ganze Arbeit der Erschließung Händewerk. Man hatte die steinerne Türplatte der Grabkammer angebohrt, und nun setzten wir eiserne Hebel an, um sie wegzurücken.

Meinem Tagebuch entnehme ich, daß es elf Uhr vormittags war, als wir das Grab öffneten. Noch eben hatte die ungeheure, wuchtige Platte allen unseren Angriffen widerstanden, aber auf einmal hatten wir vielleicht die geheime Vorrichtung getroffen, die sie in Bewegung setzte. Es geschah mit unvorhergesehener Plötzlichkeit. Sie neigte sich und fiel, und ich hatte gerade noch Zeit, zurückzuspringen und Thea mitzureißen, aber der Stein streifte mich und schlug mir die Azetylenlampe aus der Hand.

Dem Dröhnen des Sturzes folgte ein Stöhnen, und wir sahen, daß der ungeheure Stein einem unserer Leute so unglücklich aus das Bein gefallen war, daß er es unterhalb des Knies glatt abgequetscht hatte. Der Mensch lag jammernd und wehklagend auf dem Boden und versuchte das Blut, das aus dem Stumpf hervorquoll, mit den Zehen seiner zerrissenen Jacke zu stillen.

Noch einen andern der Arbeiter hatte die Grabplatte erwischt, gleich so gründlich, daß er über alles Jammern und Wehklagen hinaus war. Man erblickte von ihm überhaupt nichts als eine gelbe Hand und sein Blut, das unter dem Stein hervorkam wie roter Wein aus einer Weinpresse. Es war eine Kelter des Todes, hier an der Schwelle von Quetzalcoatls Grab.

Wir mußten zunächst versuchen, den Verunglückten zu retten, und es gelang uns, wenigstens das Verbluten zu verhüten. Richards sagenhafte Kenntnisse als Badergehilfe seines Korps erwiesen sich hier, wo es nicht um einen verrenkten Knöchel ging, als ganz anwendbar, wir schnürten die Adern mit einem straffen Gummiband ab, machten einen Verband und legten dann den verwundeten auf ein Lastauto, mit dem wir ihn sogleich nach Oaxaca schickten.

Sobald sein erster Schrecken vorüber war und ihm die Wahrscheinlichkeit der Erhaltung seines Lebens einleuchtete, ging sein Jammern in ein mächtiges Schimpfen über, das offensichtlich vor allem uns galt, von dem aber auch Murillo sein reichlich bemessenes Teil abbekam.

»Was sagt er?« fragte ich Mister Forst.

»Er verflucht uns alle, wünscht, er hätte uns nie gesehen, und macht Murillo Vorwürfe, daß er sich dazu hergegeben hat, die Toten zu erzürnen.«

Wir ließen ihn schimpfen. Es war ohnehin wenig genug Entschädigung dafür, daß er hier sein Bein eingebüßt hatte. Dann machten wir uns daran, den Stein aufzuheben und den Toten zu bergen, und das war, offen gestanden, eine abscheuliche Arbeit, denn der Mann, der darunter lag, sah nicht gut aus. Es blieb nichts anderes übrig, als die formlose Masse in ein Tuch zu hüllen und einstweilen draußen neben der Felswand hinzulegen.

Von all dem hatte Paul wohl kaum etwas bemerkt. Er war, unbekümmert um das, was hinter ihm geschah, in das Grab eingedrungen, und da fanden wir ihn nun, als wir nach etwa zwei Stunden mit allem fertig waren und ihm folgten.

Wir kamen zunächst durch eine Vorkammer, die vollkommen leer war, bis auf eine Steinfigur mit gespreizten Beinen, die ein großes Becken auf dem Kopf trug, in dem allerhand goldene Geräte und Schmuckstücke aufgehäuft waren. In einem zweiten Raum standen zwei andere Gestalten aus Serpentinstein einander gegenüber, nicht minder greuliche Unholde mit Trinkbechern in den Händen und Tanzrasseln am Gürtel. Im dritten Raum wuchtete ein ungeheurer Sarkophag, ganz schlicht, ohne die geringste Verzierung, und darinnen lag der, den Paul mit solcher Hartnäckigkeit bis in das heilige Schweigen seines Grabes verfolgt hatte.

Es war ein mumifizierter Leichnam, den wir vor uns sahen, nicht ganz so eingedörrt wie die ägyptischen Mumien, dem Leben noch etwas näher und stark nach irgendwelchen Spezereien duftend, die der Verwesung entgegengewirkt hatten. Das Gesicht zeigte unverkennbar europäischen Schnitt, der langgestreckte hagere Körper war nicht wie ein mexikanischer König, sondern wie ein germanischer Krieger gekleidet, er trug Ledersandalen, gekreuzte Lederriemen umwanden die Beine mit den leinenen Hosen bis zum Knie, dann kam ein Lederkoller mit aufgenähten, schuppenförmigen Bronzeplatten, und auf der nackten Brust war mit roter Farbe eine Hieroglyphe aufgemalt. Es war – so viel hatte ich mir doch schon gemerkt – die Hieroglyphe Quetzalcoatls, der gefiederten grünen Schlange, des Herrn der vier Weltgegenden.

Das einzige, was außer dieser Hieroglyphe an der Mumie vielleicht mexikanisch war, mochte die Umhüllung des Kopfes sein, eine Art Turban aus einem blauen golddurchwirkten Tuch, das um Stirn und Haar gewunden war.

Paul stand, das Notizbuch in der Hand, am Rand des Sarkophags und hatte die ganze Zeit über offenbar nichts anderes getan als den Befund ausgenommen. Er sah uns entgegen, durchstrahlt von unbändiger Genugtuung, im Siegesgefühl des Gelingens seiner Lebensaufgabe, die sich hier unten bestätigt hatte, und sagte, indem er auf den Holzschild mit dem Bronzebuckel und das Bronzeschwert deutete, die dem Toten zur Seite lagen: »Ein germanischer König! Es sind Runen!« Und nach kurzem Nachsinnen fügte er hinzu: »Sie bedeuten ungefähr: ›Sieghaft zuckt Votans Schwert!‹ und ›Schimmernd schirmt Votans Schild!‹«

Wir brachten es nicht über uns, ihm auf diesem Gipfelpunkt seines Daseins damit zu kommen, was sich draußen ereignet hatte. Und die Zeichen auf Schild und Schwert schienen ja auch in der Tat Runen zu sein.

Richard beugte sich über den Sarkophag, um der Mumie ins Gesicht zu sehen, aber er fuhr im nächsten Augenblick mit einem unterdrückten Schrei zurück. Aus den Binden, die den Schädel des Toten umwanden, war ein kleiner grüner Kopf zum Vorschein gekommen, ein wie mit Schmelzfluß überzogener Schlangenkopf mit platter Nase, auf der ein Horn saß, und spielender, gespaltener roter Zunge. Die schwarzen, spitzen, bösartigen Augen waren weiß umrandet und schienen uns mit höhnischer Überlegenheit zu betrachten.

Und während wir das scheußliche Wunder anstarrten, wickelte sich der übrige Leib der Schlange aus dem Kopftuch des Toten, ein langer, grün schillernder Leib mit grauer Zeichnung aus dem Rücken glitt über die Brust der Mumie, über ihre rechte Hand und richtete sich dann an dem Steinrand des Sarkophags auf.

»Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!« schrie Richard, indem er zitternd zurückwich.

Ich sah mich nach einer Waffe um, aber es war nichts zur Hand als das Schwert des Toten. Ehe ich aber noch mit meiner Überlegung soweit gekommen war, hatte die Schlange den Sargrand überklettert, hatte sich zu Boden fallen lassen und war spurlos verschwunden.

»Was war das?« stammelte Richard.

»Eine Grubenotter, glaube ich«, sagte Mister Forst, »wahrscheinlich eine Rautenschlange.«

Was immer sie auch gewesen sein mochte, die Frage blieb offen, wie sie in dieses Grab gekommen war. Hatte sie sich erst jetzt eingeschlichen? Oder hatte man sie zugleich mit der Leiche hier hineingetan, vielleicht als lebende Hieroglyphe der grünen Federschlange, und war sie beim Eindringen der Lust und durch die Stimmen von Menschen aus einem Schlaf von Jahrhunderten erwacht?

Es bewies jedenfalls einen nicht gewöhnlichen Mut, daß sich Paul jetzt daranmachte, die Binden vom Kopf der Leiche abzuwickeln. Es kam keine zweite Schlange hervor, und es zeigte sich, daß die Decke des Schädels abgehoben und das Gehirn ausgenommen war. Immerhin ließen die Reste des Knochengehäuses Schlüsse auf die ursprüngliche Form zu.

»Der typische germanische Langschädel!« sagte Paul.

Dann sann er eine Weile nach: »Es wird wohl am besten sein, wir lassen vorläufig alles so, wie es ist, bis wir alle Aufnahmen und die genaue Beschreibung gemacht haben. Aber wir werden Wachen aufstellen müssen.«

Mister Forst räusperte sich und sagte: »Im Namen der britischen Regierung lege ich auf alle diese Funde Beschlag.«

»Wie bitte?« fragte Paul maßlos erstaunt.

»Für das Britische Nationalmuseum in London«, ergänzte Forst gelassen.

Paul sagte gar nichts. Aber ich glaube, es war viel Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß er etwas Bedenkliches getan hätte, wenn sich Thea seiner nicht mit sanfter Gewalt bemächtigt hätte. »Die Hauptsache ist wohl, daß der Beweis erbracht ist«, sagte sie, indem sie seine Hand erfaßte.

Als wir das Grab verließen, waren unsere Leute fort. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, daß sie uns nicht gefolgt waren und sich jetzt ganz von einem Ort verzogen hatten, wo so viel Blut für einen ihnen unverständlichen und vielleicht verdammenswerten Zweck geflossen war.

Bei einem formlosen, blutgetränkten Bündel blieb Paul stehen und fragte: »Was ist das?« Wir zögerten mit der Antwort, dann sagte Mister Forst: »Sie wissen es noch nicht, Doktor, daß einer der Leute zerquetscht und einem andern das Bein abgeschlagen worden ist.«

Paul sah uns verstört und gequält an und las in unseren Gesichtern, daß Forst die Wahrheit gesprochen hatte. »Schrecklich!« sagte er, und dann gab er sich einen Ruck: »Wir werden selbstverständlich alles tun ... soweit es sich mit Geld ...«

»Gewiß!« bekräftigte Richard, und während die anderen weitergingen, flüsterte er mir zu: »Das zweite Zeichen!«

»Das zweite Zeichen?«

»Die Schlange aus dem Kopf des Toten. Und diesmal nicht nur bildlich, sondern wirklich.«

Ich widersprach nicht, ich war voll von all dem Geschehenen innerlich so zerquetscht wie der arme Teufel dort drüben in dem blutgetränkten Leintuch. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.


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