Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10

Etwa vier Stunden später waren wir zum Abflug bereit.

Der Morgen konnte nicht strahlender sein, ganz Ponta Delgada war ausgerückt – sämtliche Schichten auf einmal – und umstand uns in einem weiten, von einem Aufgebot freiwilliger Helfer abgesteckten Kreis, in dessen Mittelpunkt der Quetzalcoatl sich befand und neben ihm wir, die Flieger und Thea mit Mister Forst, der im hellen Tageslicht gar nicht so aussah, als hätte er jemals handelnde Person in einem Sommernachtstraum sein können.

»Alles in Ordnung?« fragte Richard.

Der kleine schwarze Monteur nickte wie ein römischer Cäsar – ich glaube, er muß ein Stück von einem Italiener gewesen sein –, der das Zeichen zum Beginn der Zirkusspiele gibt, und Richard Brög zog die Uhr.

»Wie lange wird es dauern?« fragte ich so obenhin als möglich.

»Vierundzwanzig Stunden etwa«, sagte Richard, und dann setzte er mit einer unbegreiflichen Vergnügtheit hinzu: »Also einsteigen, Männer von Athen!«

Paul Noster war der erste, der über die kleine Leiter durch die enge Tür kroch, durch die nachts mein Phantom geklettert war. Er schien diesem Quetzalcoatl ein unbegreifliches Vertrauen entgegenzubringen, wie angesteckt von Richards Zuversicht, und er trat den Ozeanflug mit einem beneidenswerten Gleichmut an, als sei er nichts anderes denn eine Straßenbahnfahrt in irgendein Museum.

Nun war die Reihe an mir. Aber eben als ich mich anschickte einzusteigen, kam mir Thea zuvor und setzte den einen ihrer kleinen Füße auf die Leiter.

»Fräulein Siebertz«, sagte Richard und riß die Augen in einer Weise auf, wie sie diesem den Verstand völlig überwältigenden Ereignis entsprach, »ja, was ist denn? ... Haben Sie etwa die Absicht?«

Thea wandte sich mit einem beinahe übermütigen Lächeln zurück: »Sie haben doch Platz für drei Begleiter?«

»Aber ... es war doch bisher nicht die Rede davon ...«

»Wozu vorher darüber reden? Ich bin keine Freundin davon! Und vielleicht habe ich es mir erst im letzten Augenblick überlegt ...«

Ich merkte, es war ihr darum zu tun gewesen, Bedenklichkeiten und Einwänden zu entgehen und vielleicht auch dem einen oder anderen oder uns allen dreien zusammen eine Überraschung zu bereiten. Wenn das ihre Absicht gewesen war, so mußte man zugeben, daß sie ihr vollkommen gelungen war.

»Nun«, sagte Brög, noch immer ein wenig außer Form, »wenn Sie es durchaus wünschen ... aber ich möchte Ihnen doch zu bedenken geben ... es ist immerhin: ein Ozeanflug, wissen Sie ... obzwar ich natürlich vollkommen überzeugt bin ... für unsereinen bedeutet das ja schließlich nichts weiter ... aber eine junge Dame ...«

Thea warf den Kopf zurück und sagte in einem hinreißenden Selbstgefühl: »Ich glaube, ich habe Ihnen noch keinen Grund gegeben, mich für eine junge Dame in diesem Sinn zu halten.«

Nein, das hatte sie nicht. So viel war sicher. Und außerdem war den Umständen einwandfrei zu entnehmen, daß diese junge Dame während der letzten Zeit offenbar keine Gelegenheit versäumt hatte, ihre Stellung als Assistentin zu einem Waffenplatz ersten Ranges auszubauen und zu verstärken.

Ehe Richard eine passende Antwort gebraucht hatte, schaute Paul aus der Tür der Flugzeugkabine und warf zwei scharffunkelnde Brillengläserblitze in die dramatische Hochspannung: »Was gibt's denn!« fragte er ein wenig ungeduldig. Er wollte seinen Quetzalcoatl jedenfalls nicht länger als nötig warten lassen.

»Denke dir«, sagte Richard zwischen Stolz und Bedenken herumgerissen, »Fräulein Siebertz will durchaus mit uns fliegen.«

»So laß sie doch«, meinte Paul mit der schönen Ahnungslosigkeit eines von keiner Sachkenntnis im Flugwesen Verwirrten und ohne Verwunderung zu zeigen. »Laß sie doch ... wir werden es uns schon einrichten.«

Für Thea war die Sache offenbar mit dieser Meinungsäußerung Nosters endgültig entschieden, und sie stieg ohne weiteres Zögern die kurze Leiter hinan.

Plötzlich stand Mister Forst neben der Leiter und legte die Hand auf deren oberste Stufe, so daß Thea über seine Finger hätte hinwegsteigen müssen.

»Warum wollen Sie durchaus fliegen, Fräulein Siebertz?« fragte er, und mir schien, als komme seine Stimme aus einer rauheren und engeren Kehle als sonst. Es schwang sogar irgend etwas mit, irgend etwas, ich wußte nicht was, aber es war sonst ganz bestimmt nicht in dieser kalt geölten Stimme gewesen.

»Warum?« staunte Thea über Mister Forsts plötzliche Anwandlung von Teilnahme. »Warum? Ich möchte mir dieses Erlebnis nicht entgehen lassen.«

»Sie hören doch, daß sogar Herr Brög nicht ohne Bedenken ist.«

»Erlauben Sie«, fuhr Richard mit einer nicht ganz gerechtfertigten Schärfe dazwischen, »haben Sie einen besonderen Grund, Fräulein Siebertz an dieser Fahrt verhindern zu wollen?«

»Keinen besonderen, als den, daß ich meine ...«

»Oder halten Sie mich für einen so schlechten Piloten, daß man mir Menschenleben nicht anvertrauen kann?«

»Nein!« zwang Mister Forst aus gepreßtem Hals heraus. Er stand da, offensichtlich in peinlichster Verlegenheit und starrte immerfort Theas Halsschmuck an, wie gebannt von dem Stein mit der Eidechse, der auf ihrer Brust baumelte. Ach, mir dämmerte es, daß auch diesem Menschen aus Blech und Leder Theas Leben teurer war als das irgendeines von uns drei anderen.

»Oder gehört es auch zu Ihren Instruktionen, uns an unseren persönlichen Entschließungen hindern zu wollen?« fuhr Richard erbarmungslos fort, seinen Widersacher unter Wasser zu tauchen.

»Es ist natürlich nichts als eine Besorgnis aus begreiflichen allgemeinen Gründen«, sagte Mister Forst und riß seinen Blick von der Halskette Theas los. Dann war sein Gesicht aus einmal wieder steinern und regungslos, ohne eine Spur von Gemütsbewegung. Es war vielleicht mit Bezug aus Richard höchste Zeit, daß er aufhörte, uns im Weg herumzustehen. Richard sah genau so aus, als ob er es eben ausgegeben hätte, noch weiter mit Ironie zu arbeiten.

Mister Forst trat zurück, und Thea stieg ein, dann kletterte ich nach, und als letzter schob sich Richard in das Flugzeug und setzte sich auf den Führersitz, der von unserer Kabine durch eine Glaswand geschieden war.

Gleich darauf begann er Hebel herumzuwerfen, Hähne zu öffnen und zu schließen und an Rädern zu drehen, die Maschine begann zu zittern und lief wie ein Untier aus der Drachenzeit der Erde ein Stück über den Rasen. Und dann hob sie sich mit einem fürchterlichen Getöse vom Boden und stieg in die Luft, daß wir sanft gegen die Rückwände unserer Sitze gedrängt wurden. Ein weniges später war die Bevölkerung von Ponta Delgada ein ununterscheidbares Häuflein auf einem Untergrund von Gelb und Grün und die Stadt der Inhalt einer Spielzeugschachtel mit Häusern, und noch ein weniges später die Insel Sao Miguel ein Teller mit einer kegelförmigen Torte darauf und einem gekrausten weißen Saum rundum, und das war die Brandung des Meeres.

Wir waren ein wenig eng zusammengedrängt, gerade so viel, um einander nicht lästig zu fallen, ja, und was mich betrifft, die enge Nachbarschaft mit Wohlbehagen zu empfinden. Paul saß an dem einen Fenster, ich an dem anderen, Thea zwischen uns, und jeder hatte an seinem Stuhl eine Art Spucknapf wie am Operationsstuhl eines Zahnarztes, und überdies war ein Schränkchen in Reichweite, in dem Lebensmittel und sonstige Bedürfnisse für vierundzwanzig Stunden reichlich genug vorhanden waren.

Von Richard sahen wir den Rücken und den runden Lederkopf seiner Fliegerkappe und ab und zu eine seiner Hände, wenn sie nach einem abseits gelegenen Hebel griffen, in ganz seltenen Fällen sogar sein Profil, wenn er sich umdrehte und uns vergnügt zunickte. Miteinander zu sprechen, war bei diesem Höllenlärm natürlich unmöglich, aber das war auch nicht nötig, jetzt war das Schauen die Hauptsache, obzwar eigentlich nichts zu sehen war als Himmel und Meer und bisweilen irgendwo in der Unendlichkeit verloren ein schwimmendes Gewürm von Dampfer und, wenn wir tiefer gingen, unter uns der Schatten eines Riesenvogels aus dem Wasser, der mit unbegreiflicher Schnelligkeit vorwärts schoß.

Ich war von all dem so hingenommen, daß ich mich eine ganze Weile nicht um meine Gefährten kümmerte. Ein scharfer Geruch, der meine Nase zu beschäftigen begann, ließ mich endlich nach meinen Nachbarn schauen, und da sah ich, daß Paul Noster keineswegs imstande war, die erhabenen Eindrücke dieses Fluges nach Gebühr zu würdigen. Er lag in seinem Stuhl zurückgelehnt, sein Gesicht war grau, schlaff und faltig wie die Haut einer ausgequetschten Leberwurst, und sein Mund stand offen. Es mochte ihm ein Stöhnen entquellen oder die Anrufung seiner besonderen Nothelfer und der Barmherzigkeit des Himmels. Davon war in diesem schrecklichen Getrommel und Schnattern des Propellers nichts zu hören, hingegen waren die Schweißtropfen der Angst auf seiner Stirn zu sehen, und nur einem sehr oberflächlichen Beobachter hätte es entgehen können, daß der Spucknapf an feinem Stuhl bereits einen Teil von Pauls Innerem in sich ausgenommen hatte.

Was aber seinen Zustand trotzdem beneidenswert machte, war, daß sich Thea über Paul beugte und ihre ganze weibliche Hilfsbereitschaft für ihn entfesselte. Sie wischte ihm die triefende Stirn mit einem Taschentuch und rieb ihn mit dem Inhalt eines Fläschchens, das sie ihm dann wieder an die Nase hielt – es hatte eine durchdringende Art von Geruch, der eine zweitausend Jahre alte Mumie hätte wiederbeleben müssen –, und ich verstand auf einmal, daß die Voraussicht solcher Verwicklungen mit unter den Gründen gewesen war, die Thea bestimmt hatten, mitzufliegen.

Für meine sportliche Unentwegtheit hatte Thea keinen Blick übrig, aber dies gehört schon einmal zu den Unbegreiflichkeiten der Liebe, daß sie nicht nach Verdienst wählt, sondern ganz ohne Rücksicht auf die Logik der Tatsachen.

Paul und Thea waren so mit sich selbst beschäftigt, daß sie mir die ganze Unendlichkeit von Himmel und Meer ungeschmälert übrigließen. Mir und Richard, aber der sah sie natürlich auch nur vom Standpunkt des Piloten, das heißt, vom Standpunkt der Zerkleinerung und Überwindung.

Eine Weile versuchte ich mich in seinen Hantierungen zurechtzufinden und ihm etwas abzulernen. Aber als der geborene technische Idiot, der ich bin, verstand ich davon ebensoviel wie ein Papua von Goethes Faust, zweiter Teil.

Ich wandte mich also wieder dem Meere zu, aus dem jetzt nicht das mindeste zu sehen war, nichts als eine unbegründete Abwechslung von blauen und grünen Streifen und Flecken und manchmal ein Glanz wie der einer aufgebrochenen Muschelschale und dann, als die Sonne unterging, ein gewaltiges Erröten, in dem alle andern Farben sich verloren.

Ich habe mir vorgenommen, ehrlich zu sein, und so will ich gestehen, daß eine konsequent fortdauernde Ewigkeitssymphonie auf die Dauer langweilig wird und daß auch ein noch so romantischer Mondaufgang daran für mich nichts ändern kann.

Eigentlich hatte ich beabsichtigt, die ganzen vierundzwanzig Stunden wach zu bleiben, aber nun, etwa gegen Mitternacht, fielen mir doch die Augen zu, und ich wehrte ihnen nicht weiter und ging, grausam genug, Paul neben mir seiner Auflösung zu überlassen, in eine dunkle Raumlosigkeit ein.

Richard mochte indessen ruhig durch die Nacht weiterfliegen, es war keine Gefahr vorhanden, daß wir mit jemandem zusammenstießen oder in einen Straßengraben fuhren.

Das letzte Bewußtsein meiner selbst war mit der Genugtuung verbunden, daß ich ein überaus kühner ... überaus ... kühner ... Ozeanflieger ... sei.

Dann fuhren wir doch auf einmal gegen einen Baumstamm oder einen Prellstein. Es gab einen Stoß, der mich fast vom Sitz schleuderte, und dann kam in das regelmäßige Poltern des Motors ein Ton ... tack ... tacktack ... tacktacktack – tack – tack – eine Unregelmäßigkeit, ein widerwärtig anzuhörender Taktwechsel, der etwas Bedrohliches hatte.

Ich machte die Augen auf und bemerkte, daß ich in den Gurten, mit denen ich an meinem Sitz festgeschnallt war, nach vorn hing. Neben mir hing Thea nach vorn und ebenso drüben Paul, der inzwischen vollständig ausgeronnen zu sein schien und einer ausgequetschten Leberwurst schon so sehr glich, wie dies einem Menschen nur möglich ist. Gleich darauf entdeckte ich auch die Ursache dieses Überhängens. Unser Flugzeug stand nahezu auf dem Kopf und schoß mit schwindelerregender Schnelligkeit der Tiefe zu, und der anbrechende Tag zeigte mir eine graue, weißgesprenkelte Wassermasse unter uns, an den Rändern erhöht, in der Mitte vertieft, nur ganz weit weg schwamm etwas wie ein schmutziger Lappen, irgendeine Kiste vielleicht oder eine Insel, jedenfalls ein Stück Land, das für uns derzeit kaum in Betracht kam. Trotz meiner völligen technischen Talentlosigkeit war ich mir doch sofort klar, daß diese ungemütliche Überraschung keineswegs von Richard als besonders kühnes asiatisches Kunststück veranstaltet war, sondern daß wir uns in regelrechtem Absturz befanden.

Ich erblickte unseren Piloten durch die Glasscheibe in einem wütenden Handgemenge mit seinen Hebeln und Rädern. Er schien mindestens sechs Hände zu haben wie eine bessere indische Gottheit, aber sie genügten offenbar nicht, um das wild gewordene Ungetüm zu bändigen. Der Motor beharrte eigensinnig auf seinem Taktwechsel, setzte manchmal völlig aus und pochte dann wie irrsinnig mit teuflischem Geknatter, in das sich ab und zu Entladungen mischten, die wie Schüsse anzuhören waren.

Richard wandte sich nach uns um. Ich sah, daß sein glattes Jungengesicht von Entsetzen verzerrt war, und plötzlich fiel mir ein, daß dieser Unfall, dem mit dem Erblasser zugleich auch der Universalerbe zum Opfer fallen mußte, bei einem gewissen Mister Breadsley wahrscheinlich ein wohlbehagliches Schmunzeln hervorrufen würde. Vielleicht war es diese Vorstellung, die mir in Erinnerung brachte, daß ja Richard davon gesprochen hatte, sein Flugzeug sei mit Einrichtungen versehen, um sich im Fall eines Niedergehens auf dem Meer längere Zeit über Wasser halten zu können. Überdies war an jedem Sitzplatz ein Rettungsring befestigt, der –

Aber eben da bemerkte ich, daß eine kleine blaue Flamme aus einem Kolben der Maschine ausbrach, verschwand, wieder aufzuckte und dann wie eine Schlange in irgendeine Öffnung schlüpfte.

Gleich darauf hämmerte Richard aus Leibeskräften gegen die Glasscheibe, die ihn von unserer Kabine trennte. Er hatte versucht, den Schuber zurückzustoßen, aber der war irgendwie festgeklemmt, nun bearbeitete er die gläserne Wand mit den Fäusten. Es war vergeblich: die dicke Scheibe widerstand seiner unbewehrten Kraft. Dann hatte er plötzlich ein Werkzeug in der Hand, irgendein Eisenstück, und schlug verzweifelt gegen das Glas.

Es splitterte entzwei, und Richard steckte den Oberkörper zu uns hinein.

»Die Rettungsringe!« brüllte er. »Hinaus! hinaus!«

Es war keine Zeit zu verlieren, die blaue Flamme war wieder da, vergrößert und sehr zuversichtlich, und tanzte gutgelaunt über die Maschine hin. Ich riß den Rettungsring los, aber es war nicht ganz leicht, ihn sich in dieser Lage, den Kopf unten und die Beine oben, über den Leib zu stülpen, und noch schwerer war es, die Tür nach außen zu öffnen, durch die wir einzig entkommen konnten.

Da ich versprochen habe, ehrlich zu sein, muß ich gestehen, daß mir erst jetzt einfiel, mich nach Thea umzusehen. Aber die war behender gewesen als ich, sie stak schon im Ring und hatte es sogar fertiggebracht, auch Paul in den seinen zu zwängen.

»Springen Sie«, rief sie, »springen Sie!«

Inzwischen war das Meer mit rasender Eile zu uns hinaufgestiegen, aber gerade in diesem Augenblick richtete sich das Flugzeug ein wenig auf. Ich weiß nicht, ob es Richard gelungen war, den Sturz abzuschwächen, oder ob die Maschine selbst diesen Einfall hatte, jedenfalls zog sie jetzt eine Art schiefer Schleife in etwa zehn Meter Höhe über dem Wasser, und ich sprang.

Als ich wieder auftauchte, hörte ich gerade noch einen betäubenden Krach, und dann flog mir etwas gegen den Kopf, das mir für eine Weile fast die Besinnung nahm, zum Glück nicht so ganz, daß ich aufs Schwimmen vergessen hätte.

Etwas trieb an mir vorüber, Thea und neben ihr, von ihrem rechten Arm und dem Ring über Wasser gehalten, Paul Noster.

Ich schwamm hin, um zu helfen.

»Lassen Sie nur«, sagte sie, »kümmern Sie sich um sich selber.« Sie machte den Eindruck einer Nereide oder sonst einer meerbeherrschenden Gottheit, nur nicht so unbekleidet, und schien den Ehrgeiz zu haben, daß Pauls Rettung, wenn es eine gab, durch sie allein ohne fremdes Zutun bewerkstelligt würde. Paul, ohne Brille, aber wieder bei Bewußtsein und beinahe lebensfähiger als im Flugzeuge, überließ sich neben ihr dem Spiel der Wellen, das uns hob und senkte und einander bald näherte, bald entfernte.

Wie lange Zeit verflossen sein mag, bis wir auf die Trümmer des Flugzeuges stießen, weiß ich nicht. Die Sonne war schon ein gutes Stück über dem Horizont, da rief jemand »Hallo!« Und gleich darauf sah ich ein großes Ding auf mich zukommen, etwas wie eine schwimmende Insel, und auf der hockte Richard und brüllte hallo!, um uns, die er im Wasser erblickt hatte, aus sich aufmerksam zu machen.

Wir schoben uns vorsichtig hinauf, und dann saßen wir alle miteinander aus den Tragflächen unseres Riesenvogels, dessen Kopf und Rumpf von der Explosion zertrümmert und weggesunken waren.

Es war ein etwas schwankender Aufenthaltsort, diese beiden Flügeldecken, die zum Glück unversehrt geblieben und durch Luftpolster über Wasser gehalten wurden. Ein geschwärztes, verbeultes und verbogenes Stück Blech, ein Überrest des Rückens, verband sie miteinander, und wir bildeten, um das Gewicht gleichmäßig zu verteilen, zwei Paare. Richard und ich saßen hüben, Thea und Noster drüben, aber wir konnten, wenn wir bis an den Rand krochen und die Arme ausstreckten, die Kognakflasche, die Richard aus dem Zusammenbruch gerettet hatte, einander zureichen. Ich würde, wenn ich etwas zu sagen hätte, den drei Sternen, die ein anständiger Kognak von Haus aus hat, einen vierten beifügen, als Rettungsmedaille für Lebensbewahrung in Seenot.

»Wo sind wir hier?« fragte ich, als mich der Kognak wieder einigermaßen zurecht gebracht hatte.

»Wir sind im Golf von Mexiko, so beiläufig bei den Triangelinseln. Etwa in zwei Stunden wären wir drüben gewesen. Wenn nicht dieses Biest ...«

»Was ist denn eigentlich geschehen?«

»Was soll ich dir erklären«, knurrte Richard grimmig, der genau wußte, welches Anti-Talent in der Technik ich war. »Übrigens weiß ich es selber nicht«, setzte er umgänglicher hinzu, »zuerst ist es tadellos gegangen wie immer. Dann, etwa von Mitternacht ab, fing es an widerspenstig zu werden. Und das ist dann immer ärger geworden. Über Kuba habe ich schon daran gedacht, niederzugehen, aber das ist eine dumme Geschichte, so in der Nacht, in unbekanntem Land. Und dann wollte ich es erzwingen. Aber bald darauf war der Teufel los. Ich habe Aluminiumsplitter im Öldruckventil gefunden. Es war ganz so, als hätte mir jemand eine Handvoll Aluminiumstücke in den Entlüftungsstutzen geworfen. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.«

Ich schwieg schuldbewußt. Ich hätte ihm vielleicht einen Reim darauf machen können, einen Reim mit Sommernachtstraum. Aber ich zog es vor zu schweigen und beschloß nur, künftighin selber die Augen um so besser aufzumachen, wenn ich noch weiter dazu Gelegenheit haben sollte.

»Und jetzt?« fragte ich.

»Was jetzt?« schnob Richard. »Warten natürlich, bis ein Schiss kommt. Ich habe selbstverständlich gefunkt, Lage und so. Aber Gott weiß, ob es jemand gehört hat. Ich habe keine Ahnung, welche Linien hier auf diesem Teich in Betracht kommen. Also Geduld, mein Lieber. Geduld und Kognak! Hol mir die Flasche von drüben.«

Von Thea und Paul ist wenig zu erzählen; sie saßen auf ihrer Tragflächenhälfte nebeneinander und waren in überaus eifrigen und umständlichen Gesprächen begriffen, und wenn man Paul die Kognakflasche mit Lebensgefahr hinübergereicht hatte, so hielt er sie unverantwortlich lange in der Hand, ohne zu trinken. Aus dem metallenen Flügel, den Thea und Paul besetzt hatten, stand der Name unseres verunglückten Riesenvogels: Quetzalcoatl, und die Buchstaben waren groß genug, daß Thea auf dem T Platz hatte und Paul auf dem Z. Und ich glaubte auch, ein Gespräch, das Paul so in den Bann schlug, könne kein anderes sein als eines über Quetzalcoatl und steinerne Jaguare und über den Unterschied zwischen olmekischem und totonakischem Stil. Aber das war ein Irrtum, wie sich später herausstellen sollte.

Jedenfalls saßen sie drüben, wie mir schien, allzu vertrauensvoll dafür, daß wir uns nicht auf einer Insel der Seligen befanden, sondern auf den Trümmern eines Flugzeuges, inmitten des Ozeans, dessen Launen wir ausgeliefert waren, und so unbekümmert um alles ringsum, daß man die Kognakflasche jedesmal erst eigens wieder zurückverlangen mußte.

Am Nachmittag kam eine Rauchfahne in Sicht.

»Entschuldigen Sie!« rief Richard nach der anderen Tragflächenhälfte hinüber und zog das Hemd aus und begann damit nach dem Zeremoniell für Schiffbrüchige in der Luft herumzuwirtschaften.

Zwei Stunden später nahm uns ein Dampfer an Bord.


 << zurück weiter >>