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29

Am sechsten Abend nach unserem Abmarsch aus Mitla waren wir wieder zurück.

Ehe wir noch unser Eintreffen meldeten, suchten wir natürlich das Grab des weißen Königs auf. Drei Mann saßen davor und spielten Karten, mit Blättern, deren Bedeutung unter der Schmutzschicht dem Uneingeweihten einer mexikanischen Bilderhandschrift an Schwierigkeit nichts nachgab.

Paul kroch unverweilt zu einem Antrittsbesuch bei seinem Quetzalcoatl in den Stollen, und ich fragte die Leute, ob alles in Ordnung sei und sie nichts Verdächtiges bemerkt hätten.

Es war gar nichts geschehen, gar nichts, alles in bester Ordnung.

Einer der Cabarellos blinzelte von seinen Blättern auf. Gestern nacht hatte sich der Jaguar wieder Horen lassen, er war einige Nächte fortgeblieben, aber gestern hatte er sich wieder in der Nähe herumgetrieben.

Ich glaubte zu bemerken, daß dieser Jaguar ihren Heldenmut aus eine nicht unbedenkliche Probe stellte, »wenn der Jaguar heute wiederkommen sollte«, sagte ich, »so lassen Sie mich sofort holen.«

Es bereitete ihnen offenbar eine große Erleichterung, daß sie auf eine Verstärkung rechnen konnten, und dann kam Paul aus dem Grab zurück und glänzte über das ganze Gesicht vor Glück: alles war da, unangetastet. Wenn England schon seine Hand nach den Funden ausstreckte, so mußte man zugeben, daß es auch sein Gutes hatte.

Von der anderen Seite aber kam der General heran, begleitet vom Obersten Aguayo und noch einigen anderen Herren in herrlichen roten Hosen und einem Wirrsal phantastischer Goldschnüre um die grünen Jacken. Man hatte ihm gemeldet, daß wir eingerückt waren, und er kam, um uns zu begrüßen, insbesondere die Señorita, jawohl, die Señorita, wer hätte das gedacht, damals auf dem »Montezuma«, daß er noch ein drittes Mal den Vorzug haben werde, sie aus einer Gefahr zu retten, noch dazu einer solchen, ganz gräßlichen.

»Hoffentlich haben Sie Gefangene mitgebracht!« wandte er sich an uns.

»Nein, darauf wäre es nicht abgesehen gewesen, wir hätten sie alle laufen lassen.«

»Schade«, bedauerte die Excelencia, »ich hätte sie gern zum warnenden Beispiel gehängt. Wie den da!« Und er wies mit der Hand nach einem Eisenholzbaum, an dessen unterstem Ast ein Mann baumelte, so lang ausgestreckt, wie es nur dann möglich ist, wenn das ganze Gewicht des Körpers an einer Schlinge um den Hals hängt.

»Mit Plünderern und solchem Gesindel – kurzer Prozeß!« setzte er finster hinzu.

Er hatte einen furchtbaren Zorn auf Plünderer, und ich nahm an, deshalb, weil er das Plündern für einen unverschämten Eingriff in seine eigenen heiligsten Rechte hielt.

»Leider haben wir auch einen Verlust zu beklagen«, sagte Richard, »ein Mann und ein Maultier sind abgestürzt.«

Das Gesicht des Generals umdüsterte sich noch mehr: »Oh! Oh! Peinlich! Sehr peinlich! Ich brauche jedes Maultier und jeden Mann.«

»Wir werden selbstverständlich eine Summe für die Hinterbliebenen des Mannes zu Ihren Händen erlegen. Und was das Maultier anlangt, es soll Ihnen kein Schaden daraus erwachsen.«

Die Mienen Señor Quirogas hellten sich merklich auf: »Die Hauptsache ist, daß die Señorita wieder in unserer Mitte weilt. Dafür ist kein Opfer zu groß. Aber ich danke Ihnen im Namen der Freiheit des Vaterlandes, deren Sachwalter ich bin.«

Die Freiheit des Vaterlandes wurde eben aufs eindringlichste durch einen Trupp Reiter erläutert, der einen Rekrutentransport einbrachte. Jeder der berittenen Krieger hatte einen Mann zu Fuß neben sich, der mit einem Lasso an den Sattel gebunden war, was man hierzulande Leva nannte, und das war nach mexikanischen Begriffen eine Aushebung, die offenbar darin bestand, daß man sich jene holte, die nicht von selber kamen. Es waren neue Kämpfer für das Vaterland, die man irgendwo eingefangen hatte, sie hatten wohl schon ein tüchtiges Stück Weges neben den Pferden laufen müssen, und der Seelenzustand, in dem sie sich befanden, sah eher nach allem andern aus als nach Begeisterung. Auch drei oder vier unserer vor einigen Tagen entlaufenen Arbeiter waren darunter, und ich war roh genug, das unerwartete Wiedersehen als eine Art Vergeltung anzusehen.

Zur Feier unserer Rückkehr hatte Quiroga ein festliches Mahl anrichten lassen, und es zeigte sich, daß dem Obersten Aguapo, seiner rechten Hand, die inzwischen erworbene Sachkenntnis vom Bestand unserer Vorräte dabei trefflich zustatten kam. Als die Champagnerkorke Salut geschossen hatten, erhob sich der General, um einen seiner berühmten Toaste zu halten, in dem er offenbar die Befreiung Theas mit der des Vaterlandes in einen herzerquickenden Zusammenhang zu bringen gedachte.

Aber es hatte den Anschein, daß seinen Tafelreden vom Schicksal kein besonderes Glück beschicken sein sollte, denn eben, als er im besten Zug war, wurde die Tür aufgerissen, und einer von Quirogas Caballeros, die bei dem Grab die Wache hatten, ließ sein gänzlich verdonnertes Gesicht sehen. Es gibt in diesem gesegneten Land eine Art von Heuschrecken, die, wenn man sie berührt, ein Stück ihres Körpers einfach im Stich lassen und sich mit dem Rest davonmachen. Der Caballero, der Quirogas Festrede unterbrach, focht dermaßen mit den Armen in der Luft, daß ich befürchtete, es werde mir im nächsten Augenblick einer von ihnen an den Kopf fliegen. Er telegraphierte äußerste Gefahr und höchste Eile.

Ich war auch schon aufgesprungen und lief zu ihm: »Was wollen Sie?«

»Der Jaguar!« schnaufte der Mann, »der Jaguar ist wieder da!«

Gegen diesen Jaguar hatte ich eine ausgesprochene Voreingenommenheit, und ich glaube, wenn an Stelle Quirogas Julius Cäsar oder Demosthenes selbst über die Freiheit des Vaterlandes gesprochen hätte, so hätte ich nicht abgewartet, bis er zu Ende war.

Draußen stand meine Büchse, ich nahm sie auf und rannte dem Grab zu, ohne mich um den Tumult zu kümmern, der durch meinen plötzlichen Aufbruch entstanden war.

Bei dem Grab war es stockfinster, denn der abnehmende Mond stak hinter einem dicken Gewölk, und von den drei Helden, die es bewachen sollten, war keiner zu sehen. Den, der mich geholt hatte, mußte ich auf dem Weg verloren haben, und von den anderen antwortete mir erst nach längerem Rufen und gotteslästerlichem Fluchen einer von der Höhe des Baumes, auf dem er saß.

»Der Jaguar ist da gewesen«, stotterte er.

»Ja, in drei Teufels Namen – habt ihr geschossen?«

»Gott soll uns behüten. Es ist ein Menschenfresser.«

»Schade, daß er euch nicht gefressen hat. Nun und ...«

»Er ist im Grab gewesen ... und ich glaube, er hat etwas geholt ... den Leichnam, der drinnen war.«

Es mußte gewiß eine merkwürdige Art von Jaguar sein, der nachts darauf aus war, Mumien zu stehlen.

»Wo steckt er?« fragte ich.

»Er ist dort drüben über den Bach in den Wald gelaufen ...«

»Gehen Sie nicht, Señor«, schrie er, als ich mich anschickte, in der angegebenen Richtung vorzudringen, »es ist ein Menschenfresser.«

Ich hörte nicht auf ihn, ich wartete nicht einmal, bis die Fackeln da waren, deren Schein ich hinter mir rasch herankommen sah. Um die Wahrheit zu gestehen, ich hatte meine eigenen Ansichten über diesen Jaguar, etwas verschrobene Ansichten, und ich meinte eine Rechnung mit ihm zu haben, auf der mein armer kleiner Hund Tlaloc obenan stand.

Stolpernd drang ich über das Bachbett und durch das Wasser, und dann schlug ich mich in das Gebüsch, und das war gewiß eine große Unvorsichtigkeit, denn in dieser Finsternis konnte mich das Vieh ohne viel Umstände von seitwärts oder hinten anspringen. Aber an das alles dachte ich nicht und überlegte auch nicht, daß ich wenig Aussicht hatte, im stockdunklen Wald einen Jaguar zu stellen, der alle Ursache hatte, mir auszuweichen. Vielleicht war ein Schimmer von Hoffnung dabei, daß er mit einem Menschenkörper im Maul, wenn es auch die dürre Mumie eines alten Königs war, nicht so schnell laufen könne, vielleicht vermutete ich auch, er werde ebenso den Wunsch haben, mit mir anzubinden wie ich mit ihm. Jedenfalls machte ich mir nichts von allem völlig klar und drang zuerst blindlings ins Gestrüpp.

Dann blieb ich stehen und horchte, ob mir nicht ein Laut die Nähe des Tieres verriet. Ich hörte aber nichts als die Stimmen von Menschen, die mit ihren Fackeln hinter mir einhertobten, und ich hatte eine schreckliche Angst, daß sie mir meinen Jaguar verscheuchen könnten. Ich beeilte mich also noch mehr, lief einen Abhang hinan, und plötzlich fiel ich über eine Wurzel, so lang ich war, auf den Boden.

Es muß mein guter Engel gewesen sein, der mich über diese Wurzel fallen ließ, denn im selben Augenblick schoß ein gestreckter schwarzer Körper aus der Dunkelheit auf mich zu und über mich hinweg. Es war der Jaguar, der mich hatte anspringen wollen und mich unfehlbar niedergerissen hätte, wenn die gebenedeite Wurzel nicht gewesen wäre.

Ich warf mich auf den Knien herum, da hockte der Jaguar einige Schritte vor nur, zu neuem Sprung geduckt, ein dunkler Klumpen mit zwei grünen Flammen von Augen. Ohne mich zu besinnen, riß ich die Büchse hoch und schoß mitten zwischen die zwei grünen Leuchtfeuer hinein.

Das Tier stieß einen Schrei aus, einen seltsamen Schrei, und dann waren die Flammen fort.

»Hallo!« brüllte es links und rechts von mir im Wald.

»Hallo!« brüllte ich zurück.

Der erste, der zu mir drang, war Richard. »Getroffen?« fragte er.

»Dort liegt er.«

Richard stieß die Fackel hoch und beleuchtete den Kampfplatz.

Ein Körper lag da, der Körper eines Menschen.

Es war Domingo, und er war so tot, wie man mit einem Kugelloch mitten in der Stirn, gerade zwischen den Augen, nur sein kann.


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