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9

Meine stille Hoffnung, daß sich auf den Azoren kein geeigneter Platz zum Abflug finden werde, erwies sich als trügerisch. Ich hatte eine Vorstellung von steil aus dem Meer aufsteigenden Vulkankegeln gehabt, mit nicht mehr Raum als für einige Landhäuser terrassenförmig übereinander, vorne fünf Stockwerke hoch und hinten ebenerdig. Die ganzen Inseln so eine Art überaus glitschiger Rodelbahnen, oben bei einem dampfenden Krater beginnend und unten zur Abkühlung im Meer endigend. Aber ich mußte mich überzeugen, daß die Wirklichkeit nicht ganz meinen Wünschen entsprach und daß ich mich vielleicht mit dem Pik von Teneriffa oder sonst etwas Zuckerhutförmigem geirrt hatte.

Vulkanisch waren sie ja, das stand fest, aber doch nicht so sehr, daß nicht ganz in der Nähe von Ponta Delgada auf Sao Miguel, das wir angelaufen hatten, ein Stück ebenen Landes gewesen wäre, groß genug, um mit dem Quetzalcoatl aufsteigen zu können.

Richard hatte zwar erst einen kleinen Weingarten ankaufen und niederlegen lassen müssen, aber nun hatte er seinen Flugplatz, wo die Arbeiter, die er mitgebracht hatte, unter der Leitung eines Monteurs die Maschine instand sehen konnten. Die Anwohner von Ponta Delgada standen herum, die Zigaretten im Mund, die Hände in den Hosentaschen und sahen zu und tauschten ihre Meinungen mit einem Stimmaufwand aus, daß die ankommenden Schiffe schon aus zwanzig Seemeilen Entfernung hören mußten, hier sei etwas Besonderes los.

Ponta Delgada hat achtzehntausend Einwohner, und die Ausdauer unseres Publikums war so über alle sonstige menschliche Leistungsfähigkeit hinaus, daß ich glaube, sie müssen einen regelmäßigen Schichtwechsel eingeführt haben, um die Zahl immer aus der gleichen Höhe zu halten. Erst mit Einbruch der Dunkelheit verlief sich diese Festversammlung, um sich am nächsten Morgen mit unverminderter Anteilnahme einzufinden.

Ansonsten war Ponta Delgada ein portugiesisches Nest, und der Gasthof, in dem wir wohnten, zeichnete sich außer durch eine Terrasse mit dem entzückenden Ausblick auf Stadt und Meer durch eine unglaubwürdige Schmierigkeit aus. Die verzwicktesten Insektenarten hielten allnächtliche Demonstrationszüge ab, und das merkwürdigste war ein Tischtuch, das den Eindruck machte, als hätten sämtliche portugiesische Schiffskapitäne seit Vasco de Gamas Zeiten auf ihm gespeist.

Wir verbrachten darum nicht ungern den ganzen Tag draußen aus dem Flugplatz, wir, nämlich außer uns drei Ozeanfliegern auch noch Thea und Mister Forst. Nur Heinrich Schwarz, der Mann ohne Namen, der während der Fahrt wenig zu sehen gewesen war und meist neben seinem Kinderwagen im Zwischendeck saß, hatte seinen Weg um die Welt fortgesetzt.

Aber Mister Forst hatte seine Fahrt hier unterbrochen, obzwar ihn niemand dazu aufgefordert hatte, und seine Erklärung, unserem Abflug beiwohnen und dann mit Thea den nächsten Dampfer benützen zu wollen, durchaus kein Freudengeheul entfesselte.

Er zeigte sich sogar ungemein beflissen, den Mechanismus einer solchen Maschine kennenzulernen, stand unermüdlich neben den Arbeitern und sah ihnen auf die Hände und hatte mit dem Monteur, einem kleinen schwarzen Kerl mit zusammengewachsenen Augenbrauen, lange Gespräche über verwickelte Einzelfragen. Als ich mich darüber etwas verwundert zeigte, murmelte er einiges, dem ich entnahm, er sei eigentlich Techniker gewesen, Ingenieur, und habe sich erst später der Archäologie zugewandt.

Das konnte ich verstehen. Ich bin zwar auch in Archäologie nicht sonderlich bewandert, wenn es aber etwas gibt, worin man mich schwer erreichen kann, so ist es meine vollkommene Talentlosigkeit in Dingen der Technik. Ich bin darin so etwas wie ein Mondkalb an Talentlosigkeit. Ich habe mir wohl hundertmal erklären lassen, wieso die Elektrische eigentlich fährt, und weiß es bis jetzt noch nicht. Ich halte es nicht für nötig, heute, wo jeder Junge mit zehn Jahren mit Ampere und Volt nur so herumschmeißt, mich auch hineinzumischen.

Am fünften Tage nach unserer Ankunft war der Quetzalcoatl startfertig.

Richard Brög stach seinen Blick in den Himmel, wo nach dem heftigen Wolkenbruch von gestern nichts zu sehen war als ein übertriebenes Blau, in dem sich drei kleine Wölkchen von der Farbe sehr verdünnten Odols gemächlich nach Westen begaben. Dann bohrte er wieder seinen Zeigefinger in den Mund, machte ihn naß, hielt ihn empor und sagte: »Südostpassat! Bestes Wetter! Morgen fliegen wir!«

Also morgen! Morgen fliegen wir!

Abends saßen wir in unserem Gasthaus, und Richard hatte über das Tischtuch aus Vasco de Gamas Zeiten eine große Seekarte ausgebreitet, in die er die Angaben der funkentelegraphischen Wettermeldungen, die er sich hatte kommen lassen, mit geheimnisvollen Fähnchen eintrug.

Mister Forst war nicht da. Und auch mich begann der meteorologische Kriegsrat allgemach zu langweilen. Niemand nahm es mir übel, wenn ich mich entfernte, und ich meinte bei mir, es könnte angebracht sein, noch etwas von dem vortrefflichen Wein zu trinken, den ich in einer Spelunke am äußersten Rande der Stadt entdeckt hatte.

Nachdem dies geschehen war, überkam mich die Lust, mir noch einmal das Ungetüm anzusehen, diesen Quetzalcoatl, dem ich morgen oder vielmehr, da Mitternacht vorbei war, heute mein Heil anvertrauen sollte. Es leitete mich dabei eine unklare Vorstellung, es wäre vielleicht ganz gut, ihm eindringlich vorzuhalten, welche kostbare Fracht er tragen sollte, und mir von ihm gewisse Zusicherungen geben zu lassen.

Der Mond brannte wie eine zehntausendpferdige – oder sagt man -kerzige? – Bogenlampe zwischen den Steinmäuerchen des Weges und legte jeder Palme und jeder Agave einen scharfzackigen Schatten aus schwarzem Blech zu Füßen. Dann war ich auf dem Flugplatz. Der dickste Schatten lag unter dem Bauch des Quetzalcoatl, während seine Tragflächen dem Namen des weißen Gottes alle Ehre machten, in einem solchen ruhigen, reinen Leuchten von Silber lagen sie da.

Von den zwei Arbeitern, die aus Richards Anordnung nachts über bei dem Flugzeug die Wache zu halten hatten, war keine Spur zu sehen. Sie mochten sich wohl auf einer ähnlichen Unternehmung befinden wie der, von der ich eben kam. Der Quetzalcoatl lag also sich selbst überlassen da, aber das hatte wenig zu sagen, denn er war von den Leuten aus der Stadt bisher immer nur mit all der Hochachtung behandelt worden, die einem Ozeanflugzeug zukam, das Ponta Delgada in aller Menschen Mund bringen mußte.

Ich wollte eben mit meiner Ansprache beginnen, selbstverständlich einer mehr gedachten, als ein leises Geräusch meine Sammlung störte. Es war wie ein Sägen im Innern des Flugzeuges, etwas wie ein Schnarchen, und ich konnte mich für einen Augenblick des Gedankens nicht erwehren, das Flugzeug sei doch eine Art von lebendem Wesen, das schlafend dalag und seine Atemzüge hören ließ. Aber dann kam ein dumpfes Pochen hinzu, ganz wie von einem Hammer gegen etwas Metallenes, und ich begann es allmählich doch seltsam zu finden, daß da jemand nächtlicherweile im Innern des Flugzeuges herumarbeitete.

Während ich jedoch überlegte, was ich tun sollte, war es still geworden, und nun war ich beinahe wieder geneigt, zu glauben, daß ich mich getäuscht hatte. Ich sammelte mich also zum zweitenmal zu meiner Anrede, aber da öffnete sich die Tür in der Seite des Flugzeugs, ein Mensch kletterte heraus, schob zwei unglaublich lange Beine über die Brüstung und sprang dann zu Boden. Ganz deutlich war dies nicht zu sehen, denn die Seite, wo die Tür sich befand, lag im Schatten, und gleich darauf war der Mensch in der Finsternis unter dem Bauch des Quetzalcoatl verschwunden, und wenn ich ihn nicht dort hätte rumoren hören, so hätte ich abermals an eine Täuschung glauben können.

Ich war mir auf einmal der ungeheuren Wichtigkeit meiner Anwesenheit zu dieser Stunde bewußt geworden. Dieses Bewußtsein überwältigte mich so, daß ich mir nicht die Zeit nahm, zu überlegen, was ich nun zu tun hatte. Ich tat also das Dümmste, was ich tun konnte, ich brüllte: »Halt, was machen Sie da?« und lief auf das Flugzeug zu.

Wie ich bei dem Apparat ankam und unter seinen Bauch schaute, war der Mensch natürlich fort – aber da drüben auf der anderen Seite, da lief er ja querfeldein, mitten durch den Mondschein, einem Mäuerchen zu, hinter dem ein kleines Wäldchen von Ölbäumen struppige Kronen durcheinanderschob, die aussahen wie in die Luft gestrecktes Wurzelwerk. Ich rannte um das Flugzeug herum, aber damit verlor ich bei seiner Länge so viel Zeit, daß der Mann inzwischen einen tüchtigen Vorsprung gewonnen hatte. Nun war er auch schon bei dem Mäuerchen und kletterte mit einer wilden Behendigkeit hinüber und hinterließ mir nichts als den beiläufigen Eindruck, er könnte ein urplötzlich merkwürdig beweglich gewordener Mister Forst sein.

Mir wurde das Überklettern erheblich schwieriger als dem Mann, wer auch immer er gewesen sein mochte, und dann rannte ich unter den Ölbäumen herum wie ein Jagdhund, der die Spur verloren hat. Da war wieder ein Hohlweg und zähes Buschwerk, das sich ein Vergnügen daraus zu machen schien, sich mit seinen Dornen, so groß wie kleine Dolche, an meine Hosen zu heften, und ein Weingarten, alles in höhnisch blankem Mondlicht. Nur kein Mann war da. Ich verminderte meinen Eifer, schaute noch hinter einige Büsche, die verdächtige Schatten warfen, und dann überstieg ich wieder die Mauer und setzte mich an ihrem Fuß hin angesichts des Flugzeugs und begann nachzudenken.

War das Mister Forst gewesen? Und wenn er es gewesen war, was hatte er nachts an dem Quetzalcoatl herumzuarbeiten gehabt?

Als ich aus diesen langwierigen Denkoperationen wieder erwachte, war der Mondschein fort und alles lag in dem fahlen Grau, das der eigentlichen Dämmerung vorangeht, und ich fror erbärmlich.

Unweit des Flugzeugs sah ich zwei dunkle Körper lang hingestreckt im Gras, und näher kommend erkannte ich die beiden Wächter, die da den Schlaf des Gerechten schliefen.

Es dauerte eine gute Viertelstunde, ehe ich den einen wachgerüttelt hatte. Er öffnete die klebrigen, verquollenen Augenlider, setzte sich aus, starrte mich maßlos verwundert an und schien Mühe zu haben, mich zu erkennen. Dann gähnte er beträchtlich – das duftete, als ginge die Tür eines Weinkellers auf – und sagte: »Morgen, Herr!«

»Wo seid ihr denn heute nacht gewesen?« fragte ich in strengem Ton.

»Heute nacht?« besann er sich, »immer hier! Auf dem Posten.«

»Im Wirtshaus? Was?«

»Bei Gott, Herr! Nicht einen Schritt von hier fort!«

Er hatte einen biedermännischen Ton für sich, der mich irremachte. Zwei Flaschen Wein, die nebenan im Gras lagen, gewannen einige Beweiskraft. Mit dem Wein und den Menschen verhält es sich so, es kann entweder der Mensch zum Wein gehen oder der Wein kann zum Menschen kommen, und was mich anlangt, so konnte ich jetzt keineswegs eidesstättig behaupten, daß die Leute vorher ganz bestimmt nicht da gewesen seien.

Möglicherweise waren sie wirklich da gewesen, der Mondschein und der Vino d'oro in Konstellation haben schon seltsamere Dinge gezeitigt. Und dann –

»Sie haben geschlafen. Das werden Sie doch nicht leugnen wollen?« sagte ich erheblich umgänglicher.

»Eben gerade die Augen zugemacht!« antwortete der Mann treuherzig, »gerade vor fünf Minuten. Bei Gott, Herr! Nicht länger! Wenn man die ganze Nacht wachen muß. Ich kann's beschwören, Herr! He, du ...« und damit stieß er seinem Genossen die Faust in die Rippen, offenbar um seine Aussage durch einen Zeugen bestätigen zu lassen.

Ich wartete nicht ab, bis er den zweiten Biedermann zu sich gebracht hatte, sondern ging heimzu. Mein nächtliches Abenteuer war also jedenfalls nichts anderes als so eine Art nicht ganz jahreszeitgerechter Sommernachtstraum gewesen, anstatt mit Oberon und Titania und Puck mit Quetzalcoatl und Mister Forst und mir als handelnden Personen, gehüllt in einen Schleier von Mondschein und Vino d'oro.

Und ich beschloß, Richard und den anderen lieber nichts von diesem Sommernachtstraum zu sagen.


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