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16

Als ich am nächsten Morgen vor das Haus kam – ein verfallenes Gerümpel aus einem früheren Ansiedlungsversuch, das wir mit Dachpappe, Wellblech und Brettern wohnlich gemacht hatten –, da saß ein Indianerweib auf den Stufen, und Murillo stand neben ihr, unser Partieführer mit dem kunstgeschichtlichen Namen, und lüftete den spitzen Strohhut. Er tat es mit der Feierlichkeit eines spanischen Granden, der seinem König die Schätze beider Indien zu Füßen legt. Der Feierlichkeit tat es keinerlei Abbruch, daß Murillo, ohne sich im mindesten anzustrengen, ein ansehnliches Faß hätte zwischen die Krümmung seiner Beine nehmen können. Ich finde – bei aller Hochachtung für Don Bartolomè Esteban –, Murillo ist ein überaus passender Name für O-beinige!

Der Schatz, den er überbrachte, sah nicht ganz so schmutzig aus wie die Wirtin der Arbeiterkantine drüben und war vielleicht um eine Kleinigkeit jünger. Ich hätte sie trotzdem mit einem Wiener Veilchenmädchen nicht zum Wettbewerb antreten lassen mögen.

»Vermute, die neue Köchin!« sagte ich mit dem mir eigenen Scharfsinn.

Ja, die Señora war die neue Köchin, zu dienen, und der Señora Luisa würde es eine Ehre sein, für die Excelencias zu sorgen. Die Excelencias, das waren wir, zu diesem Rang waren wir bei unseren Arbeitern aufgerückt, und es war offenbar nicht schwer, es in diesem Land zu Würden oder wenigstens Titeln zu bringen.

»Fräulein Thea«, rief ich zurück, »kommen Sie ... Ihre Nachfolgerin ist eingerückt.«

Nach einigen Minuten trat Thea aus dem Hause, und hinter ihr Richard und Paul, und so wurden auch sie Zeugen dessen, was sich begab.

Die Indianerin hatte nämlich Thea kaum erblickt, als sie aufsprang und mit weit aufgerissenen Augen einige Schritte zurückwich. Und auch Señor Murillo riß die Augen auf und den Strohhut herunter, und beide starrten Thea an wie eine Erscheinung. Und dann begannen sie sich zu verneigen und führten die rechten Hände an die Augen und den Mund und verharrten zuletzt in einer so demütigen Haltung, als stünde eine Königin vor ihren.

Wir sahen uns an und wußten keine Erklärung für diese Ehrfurchtsbezeugungen. Aber dann bemerkte ich, daß Thea ihren Halsschmuck angelegt hatte, zum erstenmal seit wir in Mitla waren. Sie hatte ihn bisher, wohl aus einem übertriebenen Stilgefühl, nicht getragen. Sie mochte vielleicht meinen, daß er zu ihrer Standesherabsetzung als Köchin nicht ganz passe, und hatte ihn heute genommen, um ihre Befreiung vom Joch auch äußerlich zu bekunden.

Jedenfalls war es dieser Halsschmuck, den Señor Murillo und die Señora anstarrten, und ich konnte zugleich feststellen, daß, während sich Murillo einem ehrfürchtigen Staunen hingab, bei seiner Frau der Ehrerbietung unzweifelhaft eine Art weiblicher Gier beigemengt war. Ihre Augen funkelten, und die Finger krümmten sich wie zu einem Griff, den ein jähes, nur durch gewichtige Bedenken zurückgehaltenes Begehren gebietet.

Thea tat, als sähe sie nichts davon, sie hatte Übung darin, über solche Bewunderung ihrer Person hinwegzuschauen. Die jungen Studenten in Paul Nosters Seminar hatten ihr zu dieser Übung verholfen. Sie richtete einige gewinnende Worte an die Señora und erreichte es, daß es möglich war, jene Dinge zu besprechen, die mit der Übergabe einer Küchenregentschaft nun einmal notwendig verbunden sind.

Also Señora Luisa wollte für uns kochen, sie kam zu sich und verschwand mit Thea im Haus, um den Ortsaugenschein vorzunehmen.

»Habt ihr das gesehen?« fragte ich überflüssigerweise, denn ich wußte, daß sie es natürlich gesehen hatten, sogar Paul hatte es gesehen, denn er sagte: »Es war, als ob sie plötzlich geblendet gewesen wären.«

»Das Ding muß eine besondere Bedeutung für die Leute hier haben«, vermutete ich.

»Übrigens«, setzte ich dann hinzu, »hat auch Mister Forst diese alte Kette so merkwürdig angeschaut. Ich habe freilich geglaubt, daß es ... hm, daß es etwas Persönliches bei ihm ist ... so eine wehmütige Erinnerung vielleicht an die frühere Besitzerin. Er mag zu ihr in Beziehungen gestanden haben, Landsleute, halbe wenigstens. Vielleicht auch? ... wer kann's wissen. Aber jetzt will mir scheinen, als müßte doch noch etwas anderes dahinterstecken.«

Eigentlich hatte ich nach diesen Aufmunterungen erwartet, daß nun Richard etwas Aufklärendes sagen würde. Er mußte den Schmuck der Indianerin kennen, deren Freund er eine Zeitlang gewesen war, und die sich vor seinen Augen zu Tode getanzt hatte. Aber er gehörte nun einmal nicht zu den Leuten, die zum Reden zu bringen sind, wenn sie nicht wollen. Er schwieg hartnäckig, wie immer, wenn man an diesen Punkt heranschleichen wollte. Aber er schien unangenehm berührt, so viel konnte mir nicht verborgen bleiben, klopfte mürrisch mit seiner Reitgerte den Staub von seinen Ledergamaschen und ging dann mit Paul davon zu den Löchern, in denen unsere Arbeiter ohne Erfolg herumschaufelten.

Aber mittags sollten wir erst so ganz dahinterkommen, in welchem Umfang die Gemüter unserer Leute in Aufruhr versetzt waren. Wir waren eben dabei, unsere Meinungen über die erste Leistung unserer Señora auszutauschen – sehr widerstreitende Meinungen übrigens –, da sah ich sie kommen, etwa zehn oder zwölf Mann, Murillo unter ihnen. Sie rotteten sich zu einem unschlüssigen Häuflein unten vor der Veranda zusammen, trödelten erst eine Weile herum, und dann gab sich Murillo einen Schwung und führte sie die Treppe hinauf. Er schien der Ansicht zu sein, daß man ihn aus einem Haus, in dem seine Frau kochte, nicht gut hinauswerfen könne.

Aber dann wurde er doch wieder zaghaft, und es bedurfte der Einladung Richards, ehe er mit dem Anliegen der Abordnung herausrückte.

Sie seien geschickt worden, um sich den Schmuck genauer zu betrachten, den die Señorita um den Hals trage.

Ich hatte nicht übel Lust, sie die Treppe hinunterzubefördern, und auch Richard schien eine ähnliche Antwort zu erwägen, aber Thea stand auf und trat auf sie zu. Die Mehrzahl der Leute wich in ehrerbietiger Scheu bis an die Brüstung der Veranda zurück, nur Murillo und zwei andere wagten es, stehenzubleiben und die Kette aus der Nähe zu besehen. Dann quatschten sie in ihrem unverständlichen Indianisch aufgeregt durcheinander.

Als jedoch Thea Anstalten traf, die Kette abzunehmen und ihnen in die Hände zu legen, wehrten sie es ihr mit erschrockenen Gebärden. Sie bedeckten die Augen mit der Hand, führten die Finger dann zum Mund und zogen sich zu dem Haupttrupp zurück, der nun die Handbewegungen seiner Anführer mit Eifer nachahmte.

Richard trommelte ungeduldig mit der Gabel auf dem Teller. »Wollt ihr mir nicht sagen, was das alles vorstellen soll?«

»Oh«, sagte Murillo mit einem verlegenen Grinsen, »die Señorita ... die Señorita hat über uns zu befehlen.«

Und ehe man sie hatte weiter ins Verhör nehmen können, schoben sie sich rücklings die Verandastufen hinab und trabten davon.

»Was sagen Sie dazu?« wandte sich Richard an Mister Forst, »was wollen diese Leute?«

»Es muß eine besondere Bewandtnis haben mit meiner Kette«, meinte Thea, »es wird mir schon ganz unheimlich. Auch die Señora Luisa sieht mich immer so eigentümlich an.«

»Darf ich Sie vielleicht höflichst um Aufklärung bitten, Mister Forst«, sagte Richard in seinem unangenehmsten Befehlston. »Sie sind doch der einzige, der diese Gaunersprache versteht.«

»Nun, es handelt sich darum«, entgegnete Mister Forst, ohne von der Feige abzulassen, die er zu essen begonnen hatte, »daß die Leute glauben, ein altes Heiligtum erkannt zu haben. Sie haben hierherum eine Überlieferung von einer Kette, die von den Königinnen der Zapoteken getragen worden ist. Sie nennen sie die Kette der Königin Tamara, und sie behaupten, daß sie Jugend und Schönheit verleiht ...«

»Ein höchst überflüssiges Schmuckstück für Fräulein Siebertz«, glaubte ich einwerfen zu sollen, aber ich hatte wenig Erfolg mit meiner Bemerkung.

»Es sind so allerhand Sagen damit verbunden. Ein altes Volk, diese Zapoteken, mit verschiedenen Resten von Heidentum unter der christlichen Tünche. Wer diese Kette trägt, gehört gewissermaßen zu ihrem Stamm. Jedenfalls – ist es nicht von Nachteil für eine Frau, diese Kette zu besitzen. Man bringt ihr unbegrenzte Verehrung und Ergebenheit entgegen, sie gibt eine gewisse Sicherheit.«

»Ich werde die Kette nicht mehr tragen«, sagte Thea, wie komme ich dazu? Diese Miß Anita hätte sie mitnehmen sollen.«

»Und Sie«, fragte ich Mister Forst, »was halten Sie davon? Sie haben doch die frühere Besitzerin gekannt. War das vielleicht so was wie eine letzte zapotekische Prinzessin?«

Mister Forst zuckte die Achsel und gab keine Antwort.

»Ich gehe jetzt«, sagte Richard und nahm sein Gewehr, das in einer Ecke stand, »will mal sehen, ob ich das Mistvieh schießen kann, den Mico, der da in der Nacht immer herumheult, daß man nicht schlafen kann.«

»Mister Brög«, rief ihm Forst nach, »einen Augenblick ... ich habe Ihnen etwas zu sagen. Ich habe mit Domingo gesprochen ... in Ihrem Sinn, so wie Sie es gestern angedeutet haben ... und ich habe ihn bewogen ... es war keine leichte Aufgabe. Aber schließlich ist es doch gelungen. Er weiß es wirklich selbst nicht ... es hat hier eine Menge Erdbeben gegeben, die alles durcheinandergebracht haben. Er weiß es nicht, aber er will Ihnen die Möglichkeit geben, es zu erfahren. Heute abend!«

Paul griff über den Tisch hinüber und faßte Forsts Hand: »Wirklich! Gott sei's gedankt!«

»Es ist gut!« sagte Richard über die Schulter zurück, »heute abend!«

Er ging, und wir hörten ihn den ganzen Nachmittag in der Nähe herumknallen. Aber die einzige Jagdbeute, die er heimbrachte. war ein Gürteltier, und Señor Luisa briet es auf mexikanische Weise, in einer Grube zwischen heißen Steinen. Wir aßen es, mehr der Merkwürdigkeit wegen als aus Überzeugung von seiner Vortrefflichkeit, aber es hätte auch ruhig anders schmecken können als ein gebratener Wollstrumpf, und wir hätten doch nicht das rechte Verständnis dafür gehabt.

Wir standen vor einer wichtigen Entscheidung, das wußten wir alle, wenn wir uns auch zusammennahmen und unsere Unruhe unterdrückten, bis auf Paul, der dazu außerstande war und wildverworrene Geschichten aus der mexikanischen Vorzeit erzählte.

Als es ganz dunkel geworden war, gingen wir das kurze Stück zu dem alten zapotekischen Königspalast hinüber, zu den paar Mauern, die von der einstigen Herrlichkeit übriggeblieben waren. Mauern, die mit einem langweilig sich wiederholenden geometrischen Ornament bedeckt waren, über das Paul immer wieder in Verzückung geriet. »Merkst du was?« fragte er und stieß jedem, den er erreichen konnte, den Ellenbogen in die Seite, »merkst du die Verwandtschaft? Mit der altgermanischen Ornamentik? Mit den Felsbildern? Mit den Schiffen und Schildern der Wikinger?«

Domingos Hütte klebte an der Außenmauer des Palastes, eine Art Schwalbennest aus Lehm und Schilf, nur nicht so sorgfältig gebaut. Sie schien sich in ihrer fragwürdigen Existenz nur durch die Anlehnung an die Mauer des alten Königsschlosses zu behaupten, eine architektonische Eintagsfliege, die für einen so sagenhaft alten Bewohner einen merkwürdigen Eindruck von Vergänglichkeit und Beiläufigkeit machte.

Übrigens erweckte auch Domingo selbst nicht den Gedanken, daß man es mit einem alten Mann zu tun hatte. Er stand in seinem weißen baumwollenen Hemd und der gleichen Hose noch ungebeugt vor uns, und nur auf seinen straffen Haaren lag der Schnee der Jahre.

Ich sah mich in dem Raum, den ich zum erstenmal betrat, neugierig um: der Tisch mit der muldenförmigen Vertiefung war mir als ein verflossener Opferstein verdächtig, aber die strohgeflochtenen Sessel vertraten die neue Zeit, symbolisch durch ihre Zerrissenheit. In einer Ecke lag die Kochgrube, in der anderen stand ein kleiner Käfig, und darin rührte sich etwas Weißes. Es war ein weißer Hund in einem beklagenswerten Zustand äußerster Verfettung. Er glich einer übertrieben angestopften, kurzatmigen Schlummerrolle auf vier Beinen und konnte sich in seinem Käfig auch mit äußerster Anstrengung nicht mehr umdrehen. Sein rosiges Fell war bis zum Platzen angespannt, aber es lebte in ihm ein Stück einer ehrlichen, biederen Hundeseele, die aus dem treuen, kläglichen Blick seiner nußbraunen Augen sprach und sich darüber zu beschweren schien, daß sein schöner Appetit so schmählich zu seinem Verderben mißbraucht werde.

Domingo hielt offenbar an den guten alten Sitten der Väter auch in diesem Punkte fest, daß er nach ihrer Gepflogenheit Hunde mästete, um sie gelegentlich eines hohen Feiertages seiner Götter als Festbraten aufzufressen.

Er führte zwar den christlichen Namen Domingo, obgleich er gewiß in Wirklichkeit irgendeinen ellenlangen indianischen Namen hatte. Und vom Christentum wußte er sicher nicht mehr als der Mico draußen, der mit ihm nächtlicherweile im Geheul wetteiferte.

Diese Überzeugung kam mir beim Anblick des Masthundes, und ich sagte mir, daß wir ebensowenig wie dieser auf Gnade und Barmherzigkeit zu rechnen hätten, wenn wir irgendwie in Domingos Gewalt gerieten.

Er hatte uns in dem Halbdunkel der nur von einer Ölfunzel erhellten Hütte ohne Gruß empfangen. Schon diese Ölfunzel war eine feindselige Kundgebung gegen uns, denn er hätte seiner Hütte ohne weiteres wie alle anderen Bewohner von Mitla die Wohltat elektrischen Lichtes vergönnen können, dessen Strom unsere Dynamo beim Wasserfall lieferte. Diese Ölfunzel sagte: Ich will nichts von euch, ich hasse euch. Ein unheimlicher Kerl in seiner bösartigen Verschlossenheit!

Er hatte mit Mister Forst einige Worte gewechselt, dann wandte sich dieser zu uns: »Domingo ist also bereit, Sie dahin zu führen, wo Sie erfahren können, was Sie zu wünschen wissen. Aber ...«

»Was denn noch für ein Aber?« warf Richard ein.

»Aber er läßt Sie noch einmal warnen. Er meint, Sie sollten von Ihrem Vorhaben abstehen. Mitla ist die Stadt der Toten, und ihr Zorn ist schon erweckt durch all die Unruhe und den Lärm, die Sie hierhergebracht haben. Die Toten wollen schlafen und vermerken es übel, wenn man sie stört. Es werden Kräfte entfesselt, die nicht leicht wieder zu bannen sind. Sie begeben sich in eine Gefahr, deren Größe Sie ...«

Es war genau dasselbe, was Richard vor noch nicht allzulanger Zeit Paul entgegengehalten hatte, und um so verwunderlicher war es, daß er Mister Forst jetzt sozusagen mit beiden Füßen ins Gesicht sprang: »Wollen Sie freundlichst Ihre Warnungen für sich behalten. Wir sind hier, um ein gewisses Grab zu finden, verstanden! Alles andere geht uns nichts an! Und kümmert am allerwenigsten Sie. Belieben Sie sich nur gefälligst zu erinnern, daß wir uns um ihre Begleitung hierher keineswegs beworben haben.«

Mister Forst hatte eine gewaltig großmütige Art, Richards Unhöflichkeiten zu überhören. Sie sprangen von ihm ab wie Erbsen von der Wand. Er schien völlig unempfindlich dafür, und vielleicht war es das, was Richard immer so aus dem Häuschen brachte. »Verzeihen Sie« sagte Forst, »ich habe ganz gewiß nicht Ihren Mut angezweifelt. Aber ich habe mich verpflichtet gefühlt, Ihnen das mitzuteilen, was mir Domingo gesagt hat. Wenn Sie also entschlossen sind, selbst die Verantwortung zu übernehmen, so können wir gehen.«

Ich griff durch die Stäbe des Käfigs, der unglückliche Hund drängte sich gegen meine Hand, schnaufte und machte einen jämmerlichen Versuch, zu wedeln. Er verstand sicherlich, daß es mir mehr um seine Hundeseele zu tun war als um seine Eignung zum Braten.

Dann hob Domingo eine Strohmatte auf, und wir sähen, daß sich dahinter in der Umfassungsmauer des Palastes eine Tür befand, durch die wir unmittelbar in den ersten Hof treten konnten. Wir folgten dem Indianer durch eine Reihe verfallener Gemächer und über den zweiten Hof, kamen durch die Säulengalerie, nach der dieser Palast den unrichtigen Namen Säulentempel erhalten hat, und standen dann vor einer dreieckigen Türöffnung von doppelter Mannshöhe. Sie war uns natürlich bekannt, und wir hatten auch schon untersucht, was dahinter lag, hatten aber nichts als eine Art Nische gefunden, unverdächtiges Mauerwerk und Schutt mit einer Menge von Schlupflöchern, in denen Gilas hausten, kleine eidechsenartige Scheusale von furchteinflößender Häßlichkeit.

Wie es Domingo machte, weiß ich eigentlich gar nicht zu sagen, er tappte irgendwo im Finstern herum, und dann war auf einmal ein viereckiges Stück noch schwärzerer Finsternis da, die Mündung eines Ganges. Der alte Gauner kannte seine Ruinen besser als wir, und es war begreiflich, daß er lachte, wenn er uns an den unmöglichsten Stellen fruchtlos herumkratzen sah.

Wir leuchteten mit unseren elektrischen Lampen hinein und sahen, daß Stufen in die Tiefe führten. Domingo machte eine einladende Handbewegung, die sagen sollte, hier ist es, und stieg dann voran. Es ging steil etwa zwanzig Stufen hinab, dann kam ein Gang und wieder eine Stiege und wieder ein Gang, und auf einmal standen wir ziemlich unerwartet in einem Raum, dessen Wände mit einer Unmenge mexikanischer Ornamente bemalt waren, sehr geeignet, Paul Noster in einen Veitstanz von Entzifferungsbedürfnis zu versetzen.

Aber es war noch etwas da, das dieses Verlangen vorläufig in den Hintergrund drängte. Und das war eine Reihe von etwa zehn oder zwölf Menschenköpfen, die auf einem Steinsockel längs der einen Wand nebeneinanderlagen. Eingetrocknete, vertrocknete, uralte Mumienköpfe mit Federschmuck und Stirnbinden und Nackenschleifen und Ohrgehängen, strenge, hochmütige, unerbittliche Gesichter mit geschlossenen Augen, und ich vermutete, es möchte wohl eine Versammlung ehemaliger Hausherren dieses Palastes oder einstiger Hohepriester oder sonst verdienter Würdenträger sein. Die dünnen Mumienlippen hatten sich von den gelben Gebissen zurückgezogen, und so hatten die Köpfe allesamt ein überhebliches, zähnefletschendes Grinsen, als ob sie sich heimlich über uns lustig machten. Ich konnte mir ganz gut vorstellen, daß Domingos abgeschnittener und gedörrter Kopf, wenn man ihn in diese Gesellschaft brächte, denselben Ausdruck zeigen würde. Es war eine gespenstige Lustigkeit, die von diesen Köpfen ausging.

Domingo wies auf einen von ihnen und begann auf Indianisch ein längeres Palaver mit Mister Forst.

»Was sagt er?« drängte Paul, der ungeduldig von einem Fuß auf den andern trat.

Mister Forst schien Domingos Mitteilung zu verarbeiten und sagte nach einigem Nachdenken: »Er meint, wenn es einer weiß, wo das Grab ist, das Sie suchen, so ist es dieser Kopf.«

»Schön!« sagte Richard. »Und wenn Sie und Domingo glauben, daß wir uns von euch zum Narren halten lassen, so werden Sie Dinge erleben, die Ihnen nicht ganz angenehm sind.«

Mister Forst blieb ruhig wie immer: »Ich mute Ihnen nicht zu, Domingo Glauben zu schenken. Aber Sie sind nun einmal hier, um den Versuch zu machen, etwas zu erfahren, nicht wahr? Es steht Ihnen auch frei, auf den Versuch zu verzichten. Wenn Sie es aber doch wagen wollen, dann brauchen Sie nur den Ellenbogen Ihres linken Armes auf den Schädel da zu stützen und Ihr eigenes Kinn mit der Hand zu fassen.«

»Was soll das bezwecken?«

»Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als mir Domingo sagt. Er meint, es entsteht auf diese Weise eine Verbindung zwischen dem Scheitel dieses Kopfes durch Ihren Ellenbogen und Ihr Kinn mit Ihrem eigenen Scheitel. Und wenn Sie sich ganz fest mit geschlossenen Augen darauf sammeln, was Sie wissen wollen, dann erfahren Sie so, was der Kopf darüber weiß.«

Das war natürlich ein blühender Unsinn, eine blödsinnige Zauberei, und ich war drauf und dran, das zu sagen und irgend etwas zu tun, was diesen ganzen Hokuspokus durchbrach, irgend etwas Gewaltsames, und es schwebte mir undeutlich die Notwendigkeit von Rippenstößen oder von Ohrfeigen vor für Domingo, für Mister Forst, für diesen vertrockneten Zapotekenschädel. Und ich hatte eine plötzliche Erleuchtung einer niederträchtigen Verschwörung gegen uns zwischen Domingo und Mister Forst und den Mumienköpfen da unten, aufgebaut auf irgendeine geheime Bundesgenossenschaft in uns selbst. Aber was ich auch planen mochte, ich war außerstande, etwas zu unternehmen oder ein Wort zu sagen.

So war ein kurzes Zögern entstanden, dann trat Paul vor und sagte: »Ich will es versuchen«, aber Thea faßte seinen Arm: »Tu's nicht!«

»Ich will es tun«, sagte da Richard mit einem Blick auf Thea.

Dieser Blick enthüllte mir eine ganze Menge. Er gab mir den Schlüssel für Richards verändertes Wesen. Es war weder die Hitze, die ihn so gewandelt hatte, noch der Verdruß über die Erfolglosigkeit unserer Arbeiten, noch der Ärger über Mister Forst, das notwendige Übel. Es war ganz einfach eine unglückliche Leidenschaft, die sich seiner bemächtigt hatte, eine wilde, hoffnungslose Liebe zu Thea, genährt durch das tägliche Beisammensein mit ihr und täglich vernichtet durch ihre offenkundige Aussichtslosigkeit. Es war ein Blick, der sagte: Es gibt keinen Abgrund, in den ich nicht für dich spränge.

Und dann stellte sich Richard Brög neben den Kopf und stützte laut Domingos Gebrauchsanweisung den Arm auf seinen Scheitel, so daß der magische Strom durch Ellenbogen und Kinn in sein eigenes Hirn ging.

Er hatte die Augen geschlossen, und wir waren alle ganz still, und die Mumienköpfe grinsten. Man sah, daß Richard alle seine Gedanken auf einen Punkt richtete und sein ganzes inneres Leben an eine Antwort setzte. Sein Jungengesicht war ganz alt und verfallen.

Es dauerte eine Weile, dann sagte Richard langsam: »Bei Parzelle fünf.«

»Was sehen Sie?« fragte Mister Forst, als spräche er mit einem Hypnotisierten.

»Es ist der Hügel mit dem Tlaloc. Westnordwest ... in fünf Meter Tiefe ...«

»Der Hügel mit dem Tlaloc«, stammelte Paul Röster neben mir. »Ich Esel! Und ich gehe zehnmal am Tag daran vorüber ... habe ihn für natürlich gehalten.«

Richard Brög machte die Augen auf, und sein erster Blick suchte wieder Thea.

»Es ist seltsam«, sagte er, »ich habe wirklich ein ganz deutliches Bild gehabt.«


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