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13

Die Bergbahn von Mexiko nach Oaxaca führt über die Cordilleren, dort, wo sich ihr östlicher Zug, der atlantische, mit dem westlichen, dem pazifischen, zu einem wilden Hochland vereinigt, um dann zum Isthmus von Tehuantepec abzufallen. Diese Bahn ist eine Sehenswürdigkeit mit Brücken, Viadukten, Tunnels und allem sonstigen Zubehör technischer Romantik. Allerdings eine mexikanische Sehenswürdigkeit, das heißt, für einen preußischen Oberbahnrat oder Betriebsingenieur eine aufgelegte Polizeiwidrigkeit. Etwa so wie ein tadellos geschneiderter Smoking mit zerrissenem Futter und abgeschabtem Kragen. Man durfte von Glück sagen, wenn man über all diese morschen Brücken, unterwaschenen Viadukten hinweg und durch all die Einsturzmöglichkelten von Tunnels hindurchgekommen war.

Die landschaftliche Schönheit aber läßt nichts zu wünschen übrig, und wir hatten einige Stunden, solange es hell war, nichts anderes zu tun, als in grausige Schluchten hinunterzuschauen und unwahrscheinliche Berggipfel zu bewundern, die sich plötzlich über gelbe und rotbraune Felswände erhoben.

Wir, das heißt mit Ausnahme von Paul, der bei einem Trödler einen alten spanischen Schmöker aufgegabelt hatte, in dem es offenbar Merkwürdigeres gab, als alle Hochgebirge und Klammen der Welt bieten konnten.

Auch der Mexikaner, der im letzten Augenblick vor der Abfahrt des Zuges vom Schaffner in unser Wagenabteil geschoben worden war, widmete den überwiegenden Teil seiner Aufmerksamkeit der Gegend.

Richard, der nicht allzusehr aufzufallen wünschte, hatte keinen Sonderwagen bestellt, sondern sich mit einem vorbehaltenen Abteil begnügt. Und nun bekamen wir diesen unwillkommenen Zuwachs, sehr zum Verdruß Richards, der sogleich aus allen Schlünden loszudonnern begann. Aber der Schaffner beeilte sich, die Tür zuzumachen, der Zug fuhr ab, und wir mußten uns mit dem Señor auseinandersetzen.

Er bedauerte unendlich, bat uns tausendmal um Entschuldigung, indem er einen Zettel zeigte, eine Anweisung auf eben diesen Wagenabteil, ausgestellt vom Eisenbahnministerium selbst, und war über den Irrtum so zerknirscht, daß wir es schließlich nicht übers Herz brachten, bei der sonstigen Überfüllung des Zuges auf seiner Entfernung zu bestehen.

Er störte uns auch nicht weiter, las seine Zeitungen, zumeist aber sah er aus dem Fenster und gab nur bisweilen ungefragt Bescheid, wenn wir uns über den Namen eines Berggipfels nicht einigen konnten. Da wir ihn nun einmal neben uns sitzen hatten und er ein gründlicher Kenner der Gegend schien, zogen wir ihn immer häufiger zu Rate, und endlich kam er mit Richard in ein richtiges Gespräch.

»Sie fahren nach Mitla«, sagte er, »wissen Sie, daß es dort drunter und drüber geht?«

Richard hatte die Warnungen satt, wir waren in den letzten Tagen damit überfüttert worden, und Richard schien sie auf eine vielleicht etwas leichtfertige Weise gering zu schätzen. »Lassen Sie mich in Ruhe«, sagte er ungehalten, »Ihre mexikanischen Angelegenheiten gehen uns nichts an. Übrigens ist es in der letzten Zeit über Ihren Señor Tezozomoc etwas stiller geworden.«

»Verzeihen Sie gütigst«, wich der Mexikaner beflissen zurück, »er ist ein geriebener Bursche. Man weiß nie, was er vorhat.«

Er nahm wieder seine Zeitung zur Hand.

Ich hatte mich an dem Gespräch nicht beteiligt und aus dem Fenster gesehen. Als ich mich jetzt zufällig umwandte, um Thea hoch oben in einer Felsenwand eine Anhäufung von Mauerwerk zu zeigen, die wie die Ruine einer Höhlenstadt aussah, da war es mir, als schiebe der Señor einen vorsichtigen Blick um den Rand seines Zeitungsblattes herum auf Mister Forst, der ihm schräg gegenübersaß, und balle zugleich die Linke auf besondere Weise zur Faust.

Bei Mister Forst war jedoch keinerlei Anzeichen wahrzunehmen, daß er als Empfänger einer Art optischer Gehirntelegraphie, wenn es eine war, in Betracht kam. Er saß da und schaute mit der Unbefangenheit eines völlig Unbeteiligten zum Fenster hinaus. Und ich sagte mir, daß meine mißtrauische Phantasie in bezug auf Mister Forst zu heftig arbeite, hatte ich doch auch während der drei Tage seines Aufenthalts in Mexiko meine ganze kriminalistische Begabung zusammengenommen, ohne ein Gegenstück zu jenem Sommernachtstraum in Ponta Delgada zu entdecken. Ich war ihm auf allen Wegen nachgeschlichen, aber ich hatte nichts anderes feststellen können als eine Reihe von Besuchen bei Behörden und einige Besorgungen in Kaufläden und andere durchaus unverdächtige Betätigungen. So war also wohl doch auch jener Sommernachtstraum nichts weiter als ein Stück Mondscheinromantik auf alkoholischer Grundlage gewesen und der Unfall des Flugzeuges nichts als ein gewöhnlicher Unfall. Mein Gott, der Technik war ja jede unvorhergesehene Tücke zuzutrauen.

Der Tag war glühend heiß. Die alten mexikanischen Gottheiten schienen es sich in den Kopf gesetzt zu haben, uns eine kräftige Probe von sommerlicher Leistungsfähigkeit ihrer Sonne zu geben und uns nur in gebratenem Zustand in Oaxaca ankommen zu lassen. Hinter Tehuacan waren wir mit den mitgenommenen Vorräten an Mineralwässern und Fruchtsäften fertig, und nun hingen uns die Zungen zum Hals hinaus. Die Landschaft fing an, uns herzlich gleichgültig zu werden.

Unser mexikanischer Reisegefährte war galant genug, die Señorita ungemein zu bedauern, und schien sich für ihren ungemütlichen Zustand irgendwie mitverantwortlich zu fühlen. Er zauberte aus seinem kleinen Reisekoffer einen Apparat hervor, so etwas wie einen elektrischen Taschenventilator. Es war ein Ding, das nach seiner Versicherung einen angenehm kühlenden Wind erzeugte, wenn man es in Gang setzte, und er bot es Thea an. Aber das Ding hatte die Eigenschaft aller solcher praktischen Neuerungen, nach einem vielversprechenden Anlauf seine Tätigkeit einzustellen. Es fauchte etwa zwei Minuten lang, und dann erzeugte es ebensoviel Wind wie ein Dachziegel. Wir plagten uns alle der Reihe nach, ihm wieder Atem einzuhauchen, mit keinem anderen Ergebnis, daß wir den unseren verloren und noch mehr schwitzten als zuvor.

Zuletzt nahm ich den Apparat vor in der Erwägung, daß schon oft des Lebens Unverstand gelungen sei, worüber sich die Weisen umsonst die Köpfe zerbrochen hatten. Aber ich kam zuletzt zu der Überzeugung, es sei das beste, das Ding ordentlich zu ölen, die Batterien frisch zu füllen, die Zündung zu reinigen und es dann aus dem Fenster zu werfen.

Es sei unbegreiflich, meinte der Señor, bis heute wäre es tadellos gegangen und habe sich niemals eine Gehorsamsverweigerung zuschulden kommen lassen. Er werde es mitnehmen und dem Mechaniker übergeben. Und damit entzog er seinen Äolus in Taschenformat weiteren Versuchen von Inbetriebsetzung, indem er ihn wieder in den Koffer steckte.

Unsere Hoffnungen richteten sich auf die nächste Station, Ciucatlan, wo wir abends ankommen sollten und wo es nach Mister Forsts und des Mexikaners übereinstimmenden Mitteilungen eine Bahnhofswirtschaft gab, mit so viel trinkbarer Flüssigkeit, daß wir darin baden könnten.

Diese Aussicht belebte uns wieder ein wenig, und als wir in Ciucatlan einfuhren, riß Richard die Tür auf, noch ehe der Zug hielt, und wir stürzten uns mit lechzenden Zungen auf den Erfrischungsstand. Er befand sich im Hintergrund einer Veranda, und das Gedränge davor war im Nu so arg, daß sofort einer den andern verloren hatte. Jeder war auf sich selbst angewiesen und kämpfte mit Schultern und Ellenbogen um einen Zugang zum labenden Quell. Es war keine Zeit zu verlieren, denn der Zug hielt nur einige Minuten, und es war wenig Aussicht vorhanden, daß ein paar hundert Reisende allesamt ihren Durst zur Genüge löschen könnten. Die Befürchtung, daß, wer nicht daran kam, völlig eindorren mußte, machte das Handgemenge verzweifelt. Ich warf mich ins Getümmel und rannte meine Nebenmenschen mit der Wucht eines Eisbrechers an. Aber es gelang mir erst im letzten Augenblick, als die Maschine schon den Abfahrtspfiff ausstieß, den Schanktisch zu erreichen. Ich riß irgend jemandem ein Glas aus der Hand und goß irgendein warmes, übelriechendes, nach Seife schmeckendes Zeug hinunter, ohne eine Ahnung zu haben, was es war.

Und dann lief ich, was ich konnte, zum Zug zurück und kam noch gerade zurecht, um auf das Trittbrett aufzuspringen mit ein paar anderen links und rechts von mir, die das gleiche taten.

»Wo ist Fräulein Siebertz?« fragte Richard, als ich auf meinen Sitz niederkrachte.

»Ja, wo ist Thea?« fragte Paul und schaute erst nach dem Gepäcknetz und dann unter die Bank.

»Und Mister Forst?« setzte Richard hinzu.

Ja, wir waren nur zu viert in unserem Abteil, wir drei und der Mexikaner, der als einziger an dem Sturm auf die Bahnhofswirtschaft nicht teilgenommen zu haben schien.

»Ich habe doch Thea zuletzt mit dir gesehen, Paul«, sagte ich, ein wenig beschämt, meine Ritterlichkeit so schmählich vernachlässigt zu haben.

»Mit mir?« sagte Paul und stellte sich auf die Bank, um das Gepäcknetz besser zu übersehen, »natürlich mit mir ... aber dann ... es war so ein schreckliches Gedränge ... auf einmal war sie fort ...«

»Mister Forst war dann neben ihr«, sagte Richard und zog die Augenbrauen zusammen, »ich wollte zu ihnen ... aber es war keine Möglichkeit.«

»Es scheint, daß beide zurückgeblieben sind«, äußerte ich bedauernd.

»Ja, es scheint«, schrie Richard ganz unvermutet wütend, »es scheint, so gescheit sind wir auch.«

»Vielleicht sind sie noch aufgesprungen«, ließ sich der Señor hören.

Die Möglichkeit war immerhin vorhanden, und Richard machte sich mit mir sogleich auf, um die Vermißten zu suchen. Pauls Begleitung lehnten wir dankend ab, aus der übereinstimmenden Vorstellung unausbleiblicher Verwicklungen heraus, die sich aus seinem Anschluß ergeben mußten.

Wir hatten recht daran getan. Es war nicht ganz leicht, den Zug zu durchsuchen. Er bestand aus einer Reihe von Wagen, die wohl verschiedenen Zeitaltern des mexikanischen Eisenbahnwesens entstammten. Neben den Durchgangswagen neuerer Bauart gab es andere mit Schiebetüren und Schwungtüren, die eigens dazu eingerichtet schienen, hartnäckig steckenzubleiben und dann plötzlich aufzugehen, so daß man sich unbedingt die Finger einquetschen mußte, und dann noch ganz alte, vorsintflutliche, an denen man außen an den Trittbrettern entlang klettern mußte.

Wir gingen durch alle Wagen, sahen in alle Fenster, erschreckten die Leute durch das plötzliche Auftauchen unserer Köpfe an den Scheiben und erstickten in den Tunnels, durch die wir fuhren, beinahe im Qualm der Maschine, hingen zuweilen auf den Brücken über der Finsternis donnernder Schluchten.

Wir suchten den Zug zweimal ab und kamen zurück, als wären wir hintereinander durch zwei Dutzend Fabrikschornsteine gekrochen.

»Thea ist nicht im Zug«, sagte ich.

»Ich habe keine Angst um sie«, entgegnete Paul mit schöner Zuversicht, »gar keine Angst! Thea! Was Thea! Sie ist kein kleines Kind.« Es sprach ein gewisser Stolz aus seinen Worten. »Thea wird sich zu helfen wissen. Sie wird uns nach Oaxaca Nachkommen.«

»Oder wir können von der nächsten Station telegraphieren!« stimmte ich zu, erleichtert durch seine Auffassung der Lage.

»Gewiß, Thea ist kein kleines Kind«, meinte Richard, »aber es wäre mir lieber, wenn sie nicht gerade mit Mister Forst zurückgeblieben wäre ...« Er ließ es unausgesprochen, warum er daran mit so offenkundigem Mißbehagen dachte.

Und dann saßen wir auf unseren Plätzen, stumm und verstimmt durch das Fehlen eines Mittelpunktes, dessen Notwendigkeit uns jetzt erst zum Bewußtsein kam, und vielleicht auch einigermaßen beunruhigt, wenn wir es einander auch nicht zeigen wollten.

Es war völlig Nacht geworden, wir fuhren durch eine zerklüftete Bergwelt, die sich hoch oben mit zackigen Kämmen und Türmen gegen den helleren Sternenhimmel abhob, während die Tiefen ein ununterscheidbares Stockdunkel blieben. Nur aus der Verschiedenartigkeit des Getöses der Fahrt konnte man auf eine Abwechslung von Tunnels und Brückenbauten schließen.

Für uns gab es gar nichts zu sehen, nur der Mexikaner blickte ununterbrochen aus dem Fenster, als könne er mit Katzenaugen die Nacht durchdringen. Gott allein mochte wissen, was es draußen zu sehen gab.

Eine ganze Weile waren wir schweigend gefahren, als Richard eine schläfrige Frage tat, wohl weniger aus Wißbegierde, als um überhaupt einmal wieder seine Stimme zu vernehmen: »wo sind wir hier?«

»Sie werden es gleich sehen«, antwortete der Mexikaner, indem er nach einem letzten Blick in die undurchdringliche Nacht aufstand.

»Was machen Sie denn da?« fragte Richard erstaunt.

Es war in der Tat einiger Anlaß zur Verwunderung gegeben, denn der Mexikaner hatte einen Messingring gefaßt, der aus der Decke des Wagens hervorstand und mit einer dünnen Schnur hinaufgebunden war. Unter seinem kräftigen Ruck riß die Schnur, und der Señor zog den Messingring kräftig nach unten.

»Was fällt denn Ihnen ein?« sagte Richard. »Warum ziehen Sie die Notleine?«

»Es ist Zeit dazu«, entgegnete der Señor mit einem Grinsen, das eine Maske von seinem Gesicht zu entfernen schien, »ich fürchte, Ihre Ankunft in Oaxaca wird sich etwas verzögern.«

Da ging auch schon unter unseren Füßen das betäubende Kreischen der Bremsen los. Der Zug verlangsamte seine Fahrt und stand ächzend still.

»Es tut mir aufrichtig leid«, sagte der Mexikaner, »daß Sie gerade in diesen Zug geraten sind. Sie scheinen Pech zu haben.«

Wir waren noch immer außerstande, zu irgendeinem Urteil über die Lage zu kommen, und sie wurde um nichts verständlicher, als plötzlich ein Geknatter von Schüssen losging. Holz splitterte und krachte, und Richards kurze Pfeife flog in einem Bogen aus seinem Mund. Gleich darauf klirrte das Glas der Lampe über unserem Kopf, und es wurde völlig finster.

»Himmelherrgott«, schrie Richard, »was ist denn das für eine blödsinnige Schießerei?«

»Es ist die Antwort Seiner Excelencia«, sagte der Señor, und es hörte sich an, als sei er um ein Stück in den Boden gesunken. Seine Stimme kam etwa aus der Gegend unserer Kniekehlen her. »Und wenn ich Ihnen raten darf, machen Sie es wie ich, bleiben Sie nicht auf Ihren Plätzen und stehen Sie nicht auf, und versuchen Sie auch nicht, den Zug zu verlassen. Die Aussichten sind zwar auch so nicht besonders günstig ...«

»Was denn für eine Excelencia?« sagte Richard, und ich hatte den Eindruck, als angle er irgendwo im Finstern nach dem unsichtbaren Señor.

»Seine Excelencia, der General Tezozomoc natürlich. Man hat ihm vor einigen Tagen in Ajutla etwa zwanzig seiner besten Leute weggefangen und ohne Umstände erschossen. Sie werden nicht verlangen, daß seine Antwort besonders höflich ausfällt. Und im übrigen möchte ich Ihnen etwas Vorsicht empfehlen. Mein Revolver würde losgehen, wenn Sie etwa unfreundliche Absichten gegen mich haben sollten.«

In das Jammern und Schreien der Fahrgäste krachten unablässig die Schüsse, und es war ein keineswegs angenehmes Gefühl, in der Dunkelheit dazusitzen und zu warten, bis man eine Kugel zwischen die Rippen bekam. Ich überlegte mir bereits, ob es nicht doch angebracht sei, von der Bank zu rutschen und die weitere Entwicklung der Dinge auf dem Boden abzuwarten, da wurde es hell, und wir sahen die ganze Bescherung.

Der Zug stand in einem kleinen Talkessel zwischen einer Schlucht, die er auf einer Brücke überfahren hatte, und einem Tunnel, in den er hatte einfahren wollen. Der Talkessel war gerade groß genug, um den Zug aufzunehmen, und daß man dies alles sehen konnte, verdankte man einer Reihe von mächtigen Feuern, die links und rechts neben den Schienen brannten. Dürres Strauchwerk und trockenes Gras waren zu großen Haufen zusammengetragen und vielleicht auch Harz oder Petroleum oder sonst etwas hervorragend Brennbares dazugetan, denn die Flammen fauchten, kaum entzündet, wie ein feuriger Sturmwind und züngelten nach den Wagen und entwickelten eine mörderische Glut.

In den Zwischenräumen jenseits der Scheiterhaufen sahen wir die tapferen Krieger aus dem Bauch liegen und schießen, immerfort schießen mit einem offenbar unbändigen Vergnügen an Knallen und Munitionsverbrauch.

Wir konnten nicht länger darüber im Zweifel sein, daß Seine Excelencia, der Herr General Tezozomoc damit umging, die unglücklichen Fahrgäste dieses Zuges zu rösten oder, sofern sie es vorzogen, als Scheiben für seine Schützen benützen zu lassen. Einige schienen bereits den Versuch gemacht zu haben, zwischen den Feuern zu entkommen. Wir sahen einen Mann zwei Schritte von den Schienen ausgestreckt daliegen, das Gesicht auf der Erde, sein Sombrero war zur Seite gerollt und hatte Feuer gefangen und brannte wie eine große Suppenschüssel mit Flammenpunsch. Auf dem Trittbrett des Nachbarwagens saß ein Herr in einem hellen Leinenanzug und betrachtete verwundert das Blut, das ihm aus der Schulter über den Ärmel rann.

»Señores«, sagte der Mexikaner, »es wäre nicht ganz am Platz, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen. Aber ich glaube, Sie können zufrieden sein, daß die Señorita in Ciutcatlan zurückgeblieben ist.«

Und plötzlich hatte er die Tür aufgerissen und war hinausgesprungen und lief, ein weißes Tuch schwenkend, auf die Schützenkette Seiner Excelencia zu.

»Vorwärts«, schrie Richard, »ihm nach. Du packst ihn links.«

Auf meine Geistesgegenwart habe ich mir immer schon einiges zugute getan, aber ich bekam erst jetzt eine richtige Vorstellung von ihrem Umfang. Ich hatte Richards doch nur sehr unvollständig entwickelten Kriegsplan im Nu erfaßt, sprang hinter ihm aus den Wagen, und ehe der Señor noch zwischen den beiden nächsten Flammenhaufen hindurch war, hingen wir schon links und rechts an ihm wie zwei Bullenbeißer. Er schnob und wand sich und versuchte sich loszureißen und wollte offenbar seinen Revolver frei kriegen, aber Richard bog ihm die Waffe aus den Fingern, und dann zwangen wir ihm die Arme auf den Rücken.

»Sie sind jetzt unsere Deckung, wenn geschossen wird«, sagte Richard.

»Nicht schießen! Nicht schießen!« schrie der Señor, als er erkannte, zu welchem Zweck wir uns seiner bemächtigt hatten.

Das Schießen vor uns hörte wirklich auf, und ich glaube, die Krieger Tezozomocs müssen nicht wenig erstaunt gewesen sein, als sie einen der Ihren zwischen den Feuern hervorkommen sahen, mit einem Hosenriemen um die Handgelenke und einem zweiten um den Hals, in Begleitung zweier Herren, die gar nicht die Erlaubnis hatten, den Zug zu verlassen. Ich brauchte den Riemen um den Hals nur ein wenig anzuziehen, um dem Señor die Luftzufuhr auf eine höchst peinliche Weise abzuschneiden, und Richard hielt den Revolver so, daß jeder Versuch zur Befreiung unseres Gefangenen für ihn von durchaus nicht wünschenswerten Folgen sein mußte.

»Wo ist der General?« fragte Richard, als wir die Schützenkette erreicht hatten.

Der Mann gaffte uns unentschlossen an, dann trat er zurück und deutete nach hinten.


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