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26

Als wir vor das Haus kamen, wartete eine kleine Überraschung auf uns.

Es war ein Haufen zerlumpter Kerle da, barfüßig, mit zerfetzten Strohhüten, Patronengürtel um den Bauch, Gewehre in den Händen und Bajonette an der Seite. Obzwar sie keine Andeutung von einer Uniform an sich hatten – abgesehen vielleicht von einer grün-weiß-grünen Schleife oder Kokarde oder einem Band um den Strohdeckel –, sollten sie offenbar Soldaten vorstellen. Ein Stück weiter waren Reiter abgesessen, und dann erblickten wir sogar zwei Kanonen, Haubitzen von schreckenerregendem Aussehen, schreckenerregend für die Unglückswürmer, die sie abzufeuern hatten.

»Hallo«, jagte Richard stehenbleibend, »General Tezozomoc ist eingerückt.«

Die Armee hatte es sich gemütlich gemacht; die Leute saßen auf dem Rasen, plauderten, rauchten Zigaretten, lachten und waren in bester Stimmung, als wüßten sie sich von der mexikanischen Fortuna in eigener Person angeführt.

Es fiel mir auf, daß einer der Leute uns mit wohlwollendem Lächeln Handbewegungen machte, als begrüßte er alte Bekannte, und als ich näher kam, stand er auf und trat auf mich zu.

»Guten Tag, Señores!« sagte er, und da er meine Verwunderung bemerkte, fügte er hinzu: »Oh, wir kennen uns ... vom Bord des ›Montezuma‹.«

Jetzt kam mir das Gedächtnis zurück. Es war der Sträfling, der uns damals seine Brandyflasche angeboten hatte, und dafür, daß er unsere Bekanntschaft im Zustand hochgradiger Betrunkenheit gemacht hatte, war sein Erinnerungsvermögen merkwürdig hell.

»Sind noch mehr von Ihren Kameraden in der Armee des Generals Tezozomoc?« fragte ich.

Er lachte, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Oh ... fast alle ... aber dies ist nicht die Armee des Vaterlandsverräters Tezozomoc ... o nein, der läuft vor uns wie ein geprügelter Hund ... dies ist die Armee der Excelencia Quiroga!« Und dann schlug er sich auf die Brust. »Jawohl, Señores, die Sieger sind wir, alle laufen sie vor uns, alle.«

Unter den Sandbüchsenbäumen kam eine Gruppe von Reitern hervor, in roten Hosen, grünen Leinenjacken mit Goldschnüren, blank gewichsten Stiefeln und auf tadellosen Pferden. Es war jedenfalls der Generalstab der siegreichen Armee, und wenn Quiroga auch seine Soldaten vorläufig barfuß und zerfetzt herumlaufen ließ, für seine Person und seine nächste Umgebung verstand er sich vortrefflich auf Ausstattung. Ich glaube, jeder europäische Theaterdirektor hätte ihn auf diese Leistung hin glattweg zum Operettenspielleiter angeworben.

Er ritt denn auch nicht wenig stolz und stattlich inmitten der Offiziere, ganz der Held seines Volkes, und als er unser gewahr wurde, winkte er uns herablassend zu: »Ich habe gehört, Señores, daß Sie hier sind. Und ich freue mich, Sie zum Zeugen meines siegreichen Vordringens machen zu können. Es wird Ihnen so ein leichtes sein und ein Bedürfnis überhaupt, das europäische Zeitungspublikum über die tatsächlichen Verhältnisse aufzuklären.«

Das galt mir, und ich verneigte mich. Und dabei hörte ich, wie Mister Forst Richard zuflüsterte: »Wir sind vielleicht zu schwach, sagen sie ihm, daß er uns einige Leute mitgeben soll.«

Es hat mir ungemeinen Eindruck gemacht, wie rasch Richard damals die Gelegenheit wahrzunehmen wußte. »Ich beglückwünsche Sie zu Ihren Erfolgen, Excelencia«, sagte er, »und ich bitte Sie, unser Haus als Ihr Eigentum zu betrachten und uns die Ehre zu erweisen, darin Quartier zu nehmen. Selbstverständlich bitte ich Sie auch, über alle unsere Vorräte zu verfügen.«

Señor Quirogas Gesicht strahlte Befriedigung, und er sagte: »Ich danke Ihnen. Ich weiß Ihre loyale Haltung zu würdigen, Sie erwerben sich Verdienste um das Vaterland und die Freiheit. Nicht alle ...«

Aber Richard unterbrach den zu längerer Rede ausholenden vaterländischen Schwung: »Ich habe ein dringendes Anliegen an Sie, General, und bitte Sie um eine Minute Gehör ...«

»Es soll mir ein Vergnügen sein«, sagte Quiroga mit allem Pomp mexikanischer Höflichkeit, »ich wüßte mir nichts Lieberes, als dem Mann, den ich schon zweimal mit Lebensgefahr gerettet habe, wiederum einen Dienst erweisen zu können.«

Ich glaube, Señor Quiroga hatte in all dem Weihrauchqualm um ihn vollständig vergessen, wie sich die Dinge wirklich zugetragen hatten, und war jetzt ehrlich überzeugt, daß wir ohne seine Hilfe auf dem Grund des Golfes von Mexiko lägen oder von den ausgebrochenen Sträflingen erschlagen worden wären.

Es war aber jetzt vollkommen gleichgültig, was er von sich selber dachte, und ich hätte ihm gerne alles zugestanden, was er nur wollte, meinetwegen, daß er die Dampfmaschine erfunden oder die Schlacht bei Waterloo gewonnen habe, wenn er nur tat, was wir von ihm verlangen wollten.

Die Reiter rasselten von den Pferden und traten sporenklirrend ins Haus, und im Wohnzimmer, wo wir noch gestern abend mit Thea beisammengesessen hatten, begann Richard ohne Umschweife: »Sie erinnern sich der Dame, Excelencia, die Sie damals an Bord des ›Montezuma‹ aufgenommen haben?«

»Wie sollte ich nicht?« antwortete der General galant, »eine entzückende junge Dame. Und ich glaube, mit diesem Herrn hier verlobt.«

»Diese junge Dame ist heute nacht von hier verschwunden.«

»Nicht möglich!« sagte der General betroffen, und sein Generalstab klirrte anteilnehmend mit den Sporen.

»Sie ist entführt worden. Und wir haben allen Grund, anzunehmen, daß ihr eine schreckliche Gefahr droht. Sie sehen uns im Begriff, Excelencia, zu ihrer Rettung aufzubrechen.«

»Selbstverständlich!« ereiferte sich Quiroga, »beeilen Sie sich, tun sie alles, was Sie tun können. Es wäre doch furchtbar, wenn der Señorita etwas zustoßen sollte. Es sind wohl Räuber, die sie weggebracht haben, und man will ein Lösegeld erpressen. Dieser Tezozomoc hat ja lauter Banditen um sich versammelt. Aber nun bin ich da, und Sie sollen sehen, wie ich Ordnung mache, kurzen Prozeß mit dem ganzen Gelichter! Aber beeilen Sie sich, meine Herren, lassen Sie die arme Señorita nicht länger als nötig in den Händen dieser Schufte.«

Ich konnte Richard nicht genug bewundern, wie er seine Ungeduld zu beherrschen verstand, »wir müssen leider annehmen, daß die Leute, die Fräulein Siebertz entführt haben, uns an Zahl überlegen sind und sie nicht gutwillig ausliefern werden. Und nun meine Bitte, Excelencia, geben Sie uns einige Leute zur Verstärkung mit.«

»Hm«, meinte der General, indem er den Kopf wiegte und mit bedenklichem Blick eine stumme Rundfrage unter den Generalstäblern veranlaßte, »hm ... von Herzen gern, Señores, aber wir sind selbst nicht allzu zahlreich. Wissen Sie, unsere Kundschafter berichten, daß sich dieser Tezozomoc hier in der Nähe herumtreibt. Es kommt zwar auf den Geist an und nicht auf die Menge der Gewehre. Aber immerhin, wir brauchen jeden Mann. Es tut mir leid, Ihnen gerade in diesem Punkt nicht dienen zu können. Sonst selbstverständlich ... aber eine solche Schwächung ...«

»Bieten Sie ihm Geld!« raunte Mister Forst Richard über die Schulter zu.

»Ich sehe ein«, sagte Richard, indem er sein Scheckbuch hervorzog und langsam in der Luft schwenkte, »daß wir Ihre für das Vaterland so wichtigen Operationen nicht beeinträchtigen dürfen. Und ich hätte es nicht gewagt, Sie um Ihre Hilfe zu bitten, wenn ich nicht in gewissem Belang, auf andere Weise, nicht wahr, auf dem Weg eines friedlichen Privatmannes Ihnen sozusagen ein Äquivalent, eine Verstärkung Ihrer Strategie anzubieten beabsichtigen würde.«

Der General Quiroga machte einen langen Hals, und sein Blick hatte sich rettungslos auf dem Scheckbuch festgeklebt. »Ich freue mich«, konnte er endlich hervorbringen, »daß Sie die Sache ganz als Caballero und Freund des Vaterlandes erfassen. Wieviel Leute brauchen Sie?«

»Ich denke – zehn werden genügen. Und welchen Betrag darf ich einsetzen?«

»Ich denke, fünfzigtausend Pesos«, sagte Quiroga, ein wenig unsicher.

Es war eine unverschämte Frechheit, kaum besser als eine Erpressung, aber Richard zückte, ohne zu zögern, seine Füllfeder, schrieb den Scheck aus und überreichte ihn dem General.

Quiroga betrachtete das Papier mit unverstellter Verklärung, dann gab er Richard die Hand: »Und nun gehen Sie mit Gott, Señores! Ich will Sie nicht länger aufhalten. Der Herr Oberst Aguayo wird Ihnen die Leute mitgeben.«

Wir waren schon an der Tür, als sich Paul zum Hindernis unseres ungestörten Abgangs aufwarf, indem er stehenblieb und eine Stauung hervorrief. »Und das Grab?« sagte er und sah mich tiefbekümmert an.

Man darf es ihm nicht übelnehmen, daß er über all der Sorge um Thea doch auch die um seinen weißen König nicht gänzlich zu unterdrücken vermochte. Er war ein Gelehrter, und der Fund hier war die Krönung seines Lebenswerkes, und der Einwand hätte gewiß auch Theas Billigung gehabt.

»Sollen wir es unbewacht zurücklassen?« murmelte er ratlos.

Es war Mister Forst, der sich seiner Bedenken annahm.

»Excelencia«, sagte er, indem er einen Schritt zurückmachte, »wir haben da ein Grab entdeckt ... sehr wichtig für die Wissenschaft, weil damit gewisse Ansichten bewiesen werden ... kurz, wir müssen Sie auch bitten, dieses Grab in Ihre Obhut zu nehmen, bis wir zurückkommen.«

»Ein Grab?« fragte Quiroga aufmerksam, und man konnte ihm ansehen, daß er ein neues Geschäft witterte. Aus diesem Grab wuchs in seiner Vorstellung mit Zauberschnelle eine ganze Blütenfülle von Schätzen, an denen das Vaterland seinen Anteil fordern konnte. »Verlassen Sie sich auf mich!« sagte er treuherzig, »ich werde das Grab bewachen lassen.«

»Ich bitte Sie nur, zur Kenntnis zu nehmen«, fuhr Mister Forst ruhig fort, »daß ich namens der britischen Regierung dieses Grab und seinen Inhalt mit Beschlag belegt habe. Es ist also Eigentum der britischen Regierung.«

Quirogas Gesicht wurde bedeutend länger, als es gewesen war. »Namens der britischen Regierung?« dehnte er enttäuscht.

»Es sind auch allerhand Kostbarkeiten, Schmuckstücke und so ... und es ist von allem ein genaues Verzeichnis aufgenommen, es darf nicht ein einziges Stück abhanden kommen. Ich mache Sie persönlich dafür verantwortlich.«

Ach, es mußte wahrhaftig herzerhebend sein, wenn man eine Regierung hinter sich hatte, in deren Namen man mit allen Excelencias der Welt so sprechen konnte. Und die deutsche Armseligkeit und Machtlosigkeit fiel mir wehmütig auf den Sinn.

»Es wird nichts abhanden kommen«, versicherte Quiroga kleinlaut.

Aber Forst war unerbittlich: »Und die Kosten der Bewachung sind in den fünfzigtausend Pesos inbegriffen!« sagte er als Mann, der an alles denkt.

»Gewiß!« beeilte sich der General zuzustimmen, »gewiß!«


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