Karl Simrock
Die Edda
Karl Simrock

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2. Grimnismal.

Paulus Diaconus I. 8 erzählt die bekannte Sage von den Langobarden, die zuerst Winiler hießen, und ihren Kampf mit den Wandalen: »Nun traten die Wandaler vor Gwodan und flehten um Sieg über die Winiler.« Der Gott antwortete: »Denen will ich Sieg verleihen, die ich bei Sonnenaufgang zuerst sehe.« Gambara aber, eine schlaue, edle Frau der Winiler, trat vor Frea, Gwodans Gemahlin, und flehte um Sieg für ihr Volk. Da gab Frea den Rath, der Winiler Frauen sollten ihre Haare auflösen und unter das Kinn in Bartes Weise ziehen, dann aber frühmorgens mit ihren Männern sich dem Gwodan zu Gesicht stellen, vor das Fenster gegen Morgen hin, aus dem er zu schauen pflegte. Sie stellten sich also dahin, und als Gwodan ausschaute bei Sonnenausgang, rief er: »Was sind das für Langbärte?« Frea versetzte: »Wem du Namen gabst, dem must du auch Sieg geben. Auf diese Weise verlieh Gwodan den Winilern den Sieg und seit der Zeit nannten sich die Winiler Langbärte (Langobarden).« Grimm Myth. 124 hat auf die Aehnlichkeit dieser Sage mit der in der Einleitung zu Grimnismal berichteten hingewiesen. »Denn gerade wie Frea ihre Günstlinge, die Winiler, gegen Gwodans eigenen Entschluß durchsetzt, bringt Frigg den von Odhin begünstigten Geirrödr in Nachtheil,« und bestimmt Odhin, fügen wir hinzu, sich dem Agnar zuzuwenden, der zwar ein jüngerer, Geirröds Sohn ist, in dem aber ihr gleichnamiger Günstling wiedergeboren scheint. Entfernter ist die Aehnlichkeit, wenn Odhin dem Hialmgunnar nach Sigrdrifumal Sieg zugedacht hat, Sigrdrifa (Brynhild) aber ihn dem Agnar verleiht, wobei jedoch das Einstimmen des Namens Agnar in beiden Sagen auf einen bisher unbeachtet gebliebenen Zusammenhang deutet. Vgl. Zeitschr. für Myth. II 13. Mein Handb. §. 108.

Auf Grimnismal stützt sich hauptsächlich Finn Magnusens astronomische Deutung des nordischen Heidentums, welche Köppen 203 mit Recht als eine nähere Entwicklung der auch bei uns verbreiteten natursymbolischen Ansicht bezeichnet. Ihr sind die 12 Asen Monats- oder Zeitgötter und demgemäß ihre zwölf Wohnungen die Zeichen eines altnordischen Thierkreises, von dem sich aber sonst wenig Spuren erhalten haben. Auffallend bleibt es übrigens, daß die zwölf Götter, deren Wohnungen hier aufgezählt sind, mit den zwölf Asen, welche die j. Edda 20–33 aufzählt, nicht übereinstimmen. Wir setzen das Verzeichnis derselben in der Ordnung her, wie sie dort genannt werden. 1. Odhin, 2. Thor, 3. Baldur, 4. Niördr, 5. Freyr, 6. Tyr, 7. Bragi, 8. Heimdal, 9. Hödur, 10. Widar, 11. Wali, 12. Uller, 13. Forseti, 14. Loki. Da nun 20 gesagt ist, es gebe 12 Asen, so müßen wir von diesen 12 zweie ausscheiden, und da ist es wahrscheinlich, daß wir Loki und Freyr nicht hätten aufzählen sollen, Loki nicht, weil von ihm nur anhangsweise die Rede ist, Freyr nicht, weil er nur bei Gelegenheit, da von seinem Vater Niördr die Rede war, genannt wurde. Auch Bragarödur D. 55 nennt andere Asen: 1. Thor, 2. Niördr, 3. Freyr, 4. Tyr, 5. Heimdall, 6. Bragi, 7. Widar, 8. Wali, 9. Uller, 10. Hönir, 11. Forseti, 12. Loki. Baldur ist hier weggelaßen, weil die Erzählung nach seinem Tode spielt. Jene zwölf entsprechen nun den in Grimnism. genannten nicht, unter welche drei Asinnen, Saga, Skadi und Freyja Aufnahme gefunden haben. Dagegen fallen aus: Thor, Tyr, Bragi und Hödur, also viere statt dreier, was sich daraus erklärt, daß die durch den Ausfall des vierten entstehende Lücke durch Freyr, dessen Vater Niördr doch gleichfalls vorkommt, wieder ausgefüllt wird. Bragi könnte man durch Saga, die ihm unter den Göttinnen gleichsam entspricht, ersetzt glauben. Hödur wird man nicht gerade vermißen, aber Thor und Tyr hätte man erwartet, wie auch unter den Göttinnen Frigg mit Fensal, ihrem Pallaste. Thors Weglaßung ist um so auffallender, als er Str. 4 samt Thrudheim seiner Wohnung, allerdings genannt, aber nicht mitgezählt wird. Aber gerade, daß es nicht die höchsten Götter sind, welche Grimnismal mit den zwölf Götterburgen ausstattet, könnte für Finn Magnusens Meinung, daß es Monatsgottheiten seien, welche hier aufgezählt werden, zu streiten scheinen.

In der j. Edda D. 17 werden von unsern 12 göttlichen Wohnungen nur folgende genannt: 1. Alfheim, 2. Breidablick, 3. Glitnir, 4. Himinbiorg, 5. Walaskialf, aber als Odhins Wohnung nicht Walis, der freilich auch in unserm Gedicht nicht namentlich als dessen Eigner bezeichnet wird. Die übrigen bleiben hier unerwähnt, während Gimil, Andlang und Widblain, deren ferner Erwähnung geschieht, in eine andere Reihe gehören. Dagegen wird D. 14 auch Gladsheim genannt, das nach Grimnism. 8. Odhins Wohnung sein soll, dort aber als die gemeinsame Wohnung sämmtlicher Götter erscheint, gegenüber von Wingolf, das den Asinnen zugewiesen wird. Man sieht hieraus, daß dem Verfaßer der jüngern Edda, dem doch Grimnismal vorlag, die Beziehung der zwölf Himmelswohnungen auf den Thierkreiß nicht bewust war.

In der Prosaeinleitung müßen die acht Nächte, welche Odhin zwischen zwei Feuern sitzt, die acht Wintermonate des Nordens bedeuten. Sie vergleichen sich den neun Nächten, welche Odhin Runenlied Str. 1. am Weltbaume hing, den neun Nächten, welche Niördhr D. 23 in Thrymheim zubrachte, den neun Nächten, nach welchen Gerdha D. 37 sich dem Freyr zu vermählen verheißt (Skirnisf. 39. 41). So werden Thrymskw. 8 auch die acht Rasten und Oegisdr. 23 die acht Winter auf ebensoviel Wintermonate bezogen u. s. w. Hiedurch fällt ein ganz neues Licht auf Geirröd: er fließt mit jenem andern Geirröd D. 60 zusammen. Vgl. M. Handb. §§. 91. 95.

5. Ydalir erwähnt die j. Edda D. 17 nicht, noch D. 31, wo von Uller die Rede ist. Ebensowenig Skalda 14. Alfheim dagegen ist D. 17 aufgeführt, aber nicht auf Freyr, sondern auf die Lichtalfen bezogen.

Von dem altskandinavisch-finnischen Gebrauch des Zahngebindes handelt Gr. Gesch. d. deutsch. Spr. 154. Die Sitte ist in Deutschland noch nicht nachgewiesen; nur den Ammen, nicht den Kindern selbst, pflegt für den ersten Zahn ein Geschenk gemacht zu werden.

6. Walaskialf bezieht D. 17 auf Odhin. Auch unsere Stelle nennt Wali nicht. Der As, der sie schon in alter Zeit erwählt hat, darf eben wieder Odhin sein, auf den Wala schon darum bezogen werden kann, weil er auch Walvater heißt und Walhall selbst von den Erschlagenen benannt ist. Auch D. 30, wo von Wali die Rede ist, legt ihm keine der himmlischen Wohnungen bei. Aber auf Odhin kämen dann zwei dieser Himmelsburgen, da ihm Str. 8–10 auch Gladsheim zutheilen. Man wird also doch bei Wali bleiben und annehmen müßen, D. 17 sei durch den verwandten Namen Hlidskiâlf, welcher Odhins Hochsitz bezeichnet, verleitet, ihm auch Waluskiâlf zuzuweisen.

7. Söckwabeck (Sturzbach) wird D. 35 allerdings erwähnt und auf Saga bezogen, aber weiter wird hier nichts gemeldet.

8. Gladsheim kennt die jüngere Edda 14 als die gemeinschaftliche Wohnung aller Götter gegenüber den Göttinnen, die Wingolf bewohnen. Damit stimmen die Zeilen, wo es heißt: golden schimmert Walhalls weite Halle. Als Odhins besondere Wohnung schildern sie dagegen die folgenden Meldungen unseres Liedes.

10. Eine entsprechende Stelle in der j. Edda findet sich nicht. Grimm hat an verschiedenen Orten den Adler verglichen, der im Gipfel des Palastes Karl des Großen aufgestellt war: Myth. 600. 1086. Gesch. d. deutsch. Spr. 763. Uebrigens erklären sich alle in dieser und der vorgehenden Strophe angeführten Symbole aus Odhins Eigenschaft als Kriegs- und Siegsgott.

14. Dem Odhin gehören die Helden, die Knechte (Bauern) dem Thor, s. Harbardslied 24. Aber hier und D. 24 wird auch der Freyja ein Theil der Erschlagenen zugewiesen. Es sind demnach drei Gottheiten, die sich in die Todten theilen. Hängt es damit zusammen, wenn der Herodias oder Pharaildis und Abundia, in welchen eine Erinnerung geblieben sein mag, die tertia pars mundi zugeschrieben wird, Gr. Myth. 261. 263; oder wenn Holda und Berchta die ungetauft sterbenden Kinder in ihr Heer aufnehmen, Gr. M. 282; wenn endlich die Seelen der Abgeschiedenen die erste Nacht bei Gertrud herbergen und erst die dritte an ihren Bestimmungsort gelangen sollen, Myth. 54? Die Namen Volkwangr und Sessrumnir, der sitzgeräumige, scheinen diesen Bezug der Göttin auf die im Streit Erschlagenen zu bestätigen, wie auch gesagt wird, daß sie zum Kampfe ziehe, D. 24. Freyja ist hienach eine nordische Bellona und Gruntvigs Deutung auf die Liebe, die so viel Opfer fordere als der Krieg, muß beanstandet werden.

21. Thundr heißt nach der Schlußstrophe unseres Liedes und Hawam. 146 Odhin selbst. Hier bedeutet es einen donnernden Strom, der um Walhall fließt, aber sonst nicht genannt wird als in dieser rätselhaften Strophe. Unter den Flüßen, die Str. 27–9 genannt werden, kehrt sein Name nicht wieder. Wiborg meint, der Fluß in der Haddingsage bei Saxo, worin Pfeile von verschiedener Art schwammen, sei unser Thundr und Thiodwitnirs Fisch nur eine Umschreibung von Pfeil oder Spieß. Dieser Ansicht ist beizustimmen, wenn gleich der Fluß in der Haddingssage auch Slidhr, der Höllenfluß in der Wöluspa 42 sein kann, Thundr aber gleich dem Gitter in der nächsten Strophe Walhall schützt. Die Unterwelt fällt mit der Götterwelt in einer ältern Ansicht zusammen und so kann Thundr mit Slidhr, Walgrind (Str. 22) mit dem Höllengitter Eins sein. Auch was wir von dem Höllenthore wißen, daß es den Eintretenden auf die Ferse fällt (Sigurdarkw. III, 66) wird D. 2 von dem Thor der Himmelshalle berichtet. Walglaumi (tödlicher Lärm) bezeichnet den Strom, der zuerst Thundr (Donner) hieß.

23. Vergl. Liebrecht, G. G. A. 1865. St. 12. S. 449 ff.


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