Karl Simrock
Die Edda
Karl Simrock

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3. Vafthrûdhnismâl.
Das Lied von Wafthrudnir.

Odhin.

               

Rath Du mir nun, Frigg,   da mich zu fahren lüstet
Zu Wafthrudnirs Wohnungen;
Denn groß ist mein Vorwitz   über der Vorwelt Lehren
Mit dem allwißenden Joten zu streiten.

 
Frigg.

Daheim zu bleiben, Heervater,   mahn ich dich
In der Asen Gehegen,
Da vom Stamm der Joten   ich stärker keinen
Als Wafthrudnirn weiß.

 
Odhin.

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel;
Nun will ich wißen   wie's in Wafthrudnirs
Sälen beschaffen ist.

 
Frigg.

Heil denn fahre,   heil denn kehre,
Heil dir auf deinen Wegen!
Dein Witz bewähre sich,   da du, Weltenvater,
Mit Riesen Rede tauschest. –

Fuhr da Odhin   zu erforschen die Weisheit
Des allklugen Joten.
Er kam zu der Halle,   die Ims Vater hatte;
Eintrat Yggr alsbald.

 
Odhin.

Heil dir, Wafthrudnir!   In die Halle kam ich
Dich selber zu sehen.
Zuerst will ich wißen,   ob du weise bist
Und ein allwißender Jote.

 
Wafthrudnir.

Wer ist der Mann,   der in meinem Saal
Das Wort an mich wendet?
Aus kommst du nimmer   aus unsern Hallen,
Wenn du nicht weiser bist.

 
Odhin.

Gangradr heiß ich,   die Wege ging ich
Durstig zu deinem Saal.
Bin weit gewandert,   des Wirths, o Riese,
Und deines Empfangs bedürftig.

 
Wafthrudnir.

Was hältst du und sprichst   an der Hausflur, Gangradr?
Nimm dir Sitz im Saale:
So wird erkannt   wer kundiger sei,
Der Gast oder der graue Redner.

 
Gangradr.

10 

Kehrt Armut ein   beim Ueberfluß,
Spreche sie gut oder schweige.
Uebeln Ausgang nimmt   Uebergeschwätzigkeit
Bei mürrischem Manne.

 
Wafthrudnir.

11 

Sage denn, so du   von der Flur versuchen willst,
Gangradr, dein Glück,
Wie heißt der Hengst,   der herzieht den Tag
Ueber der Menschen Menge?

 
Gangradr.

12 

Skinfaxi 10 heißt er,   der den schimmernden Tag zieht
Ueber der Menschen Menge.
Für der Füllen bestes   gilt es den Völkern,
Stäts glänzt die Mähne der Mähre.

 
Wafthrudnir.

13 

Sage denn, so du   von der Flur versuchen willst,
Gangradr, dein Glück,
Den Namen des Rosses,   das die Nacht bringt von Osten
Den waltenden Wesen?

 
Gangradr.

14 

Hrimfaxi heißt es,   das die Nacht herzieht
Den waltenden Wesen.
Mehlthau fällt ihm   am Morgen vom Gebiß
Und füllt mit Thau die Thäler.

 
Wafthrudnir.

15 

Sage denn, so du   von der Flur versuchen willst,
Gangradr, dein Glück,
Wie heißt der Strom,   der dem Stamm der Riesen
Den Grund theilt und den Göttern?

 
Gangradr.

16 

Ifing heißt der Strom,   der dem Stamm der Riesen
Den Grund theilt und den Göttern.
Durch alle Zeiten   zieht er offen,
Nie wird Eis ihn engen.

 
Wafthrudnir.

17 

Sage denn, so du   von der Flur versuchen willst,
Gangradr, dein Glück,
Wie heißt das Feld,   wo zum Kampf sich finden
Surtur und die selgen Götter?

 
Gangradr.

18 

Wigrid 51 heißt das Feld,   da zum Kampf sich finden
Surtur und die selgen Götter.
Hundert Rasten   zählt es rechts und links:
Solcher Walplatz wartet ihrer.

 
Wafthrudnir.

19 

Klug bist du, Gast:   geh zu den Riesenbänken
Und laß uns sitzend sprechen.
Das Haupt stehe hier   in der Halle zur Wette,
Wandrer, um weise Worte.

 
Gangradr.

20 

Sage zum ersten,   wenn Sinn dir ausreicht
Und du es weist, Wafthrudnir,
Erd und Ueberhimmel,   von wannen zuerst sie
Kamen? kluger Jote!

 
Wafthrudnir.

21 

Aus Ymirs Fleisch 6, 8   ward die Erde geschaffen,
Aus dem Gebein die Berge,
Der Himmel aus der Hirnschale   des eiskalten Hünen,
Aus seinem Schweiße die See.

 
Gangradr.

22 

Sag mir zum andern,   wenn der Sinn dir ausreicht
Und du es weist, Wafthrudnir,
Von wannen der Mond kommt,   der über die Menschen fährt,
Und so die Sonne?

 
Wafthrudnir.

23 

Mundilföri 11 heißt   des Mondes Vater
Und so der Sonne.
Sie halten täglich   am Himmel die Runde
Und bezeichnen die Zeiten des Jahrs.

 
Gangradr.

24 

Sag mir zum dritten,   so du weise dünkst
Und du es weist, Wafthrudnir,
Wer hat den Tag gezeugt,   der über die Völker zieht,
Und die Nacht mit dem Neumond?

 
Wafthrudnir.

25 

Dellingr 10   heißt des Tages Vater,
Die Nacht ist von Nörwi gezeugt.
Des Mondes Mindern und Schwinden   schufen milde Wesen
Die Zeiten des Jahrs zu bezeichnen.

 
Gangradr.

26 

Sag mir zum vierten,   wenn dus erforscht hast
Und du es weist, Wafthrudnir,
Wannen der Winter kam   und der warme Sommer
Zuerst den gütgen Göttern?

 
Wafthrudnir.

27 

Windswalir 19 heißt   des Winters Vater,
Und Swasudr des Sommers.
Durch alle Zeiten   ziehn sie selbander
Bis die Götter vergehen.

 
Gangradr.

28 

Sag mir zum fünften,   wenn dus erforscht hast
Und du es weist, Wafthrudnir,
Wer von den Asen der erste,   oder von Ymirs Geschlecht
Im Anfang aufwuchs?

 
Wafthrudnir.

29 

Im Urbeginn der Zeiten   vor der Erde Schöpfung
Ward Bergelmir 7 geboren.
Drudgelmir   war dessen Vater,
Oergelmir sein Ahn.

 
Gangradr.

30 

Sag mir zum sechsten,   wenn du sinnig dünkst
Und du es weist, Wafthrudnir,
Woher Oergelmir kam   den Kindern der Riesen
Zuerst? allkluger Jote.

 
Wafthrudnir.

31 

Aus den Eliwagar 5   fuhren Eitertropfen
Und wuchsen bis ein Riese ward.
Dann stoben Funken   aus der südlichen Welt
Und Lohe gab Leben dem Eis.

 
Gangradr.

32 

Sag nur zum siebenten,   wenn du sinnig dünkst
Und du es weist, Wafthrudnir,
Wie zeugte Kinder   der kühne Jötun,
Da er der Gattin irre ging?

 
Wafthrudnir.

33 

Unter des Reifriesen Arm   wuchs, rühmt die Sage 5 ,
Dem Thursen Sohn und Tochter.
Fuß mit Fuß gewann   dem furchtbaren Riesen
Sechsgehäupteten Sohn.

 
Gangradr.

34 

Sag mir zum achten,   wenn man dich weise achtet,
Daß du es weist, Wafthrudnir,
Wes gedenkt dir zuerst,   was weist du das älteste?
Du bist ein allkluger Jötun.

 
Wafthrudnir.

35 

Im Urbeginn der Zeiten,   vor der Erde Schöpfung
Ward Bergelmir 7 geboren.
Des gedenk ich zuerst,   daß der allkluge Jötun
Im Boot geborgen ward.

 
Gangradr.

36 

Sag mir zum neunten,   wenn man dich weise nennt
Und du es weist, Wafthrudnir,
Woher der Wind kommt,   der über die Waßer fährt
Unsichtbar den Erdgebornen.

 
Wafthrudnir.

37 

Hräswelg 18 heißt   der an Himmels Ende sitzt
In Adlerskleid ein Jötun.
Mit seinen Fittichen   facht er den Wind
Ueber alle Völker.

 
Gangradr.

38 

Sag mir zum zehnten,   wenn der Götter Zeugung
Du weist, Wafthrudnir,
Wie kam Niördr   aus Noatun
Unter die Asensöhne? 23
Höfen und Heiligtümern   hundert gebietet er
Und ist nicht asischen Ursprungs.

 
Wafthrudnir.

39 

In Wanaheim   schufen ihn weise Mächte
Und gaben ihn Göttern zum Geisel.
Am Ende der Zeiten   soll er aber kehren
Zu den weisen Wanen.

 
Gangradr.

40 

Sag mir zum eilften,   wenn der Asen Geschicke
Du weist, Wafthrudnir,
In Heervaters Halle   was die Helden schaffen
Bis die Götter vergehen?

 
Wafthrudnir.

41 

Die Einherier 41 alle   in Odhins Saal
Streiten Tag für Tag;
Sie kiesen den Wal   und reiten vom Kampf heim
Mit Asen Ael zu trinken,
Und Sährimnirs satt
Sitzen sie friedlich beisammen.

 
Gangradr.

42 

Sag mir zum zwölften,   wenn der Götter Zukunft
Du alle weist, Wafthrudnir,
Von der Joten und aller   Asen Geheimnissen
Sag mir das Sicherste,
Allkluger Jötun.

 
Wafthrudnir.

43 

Von der Joten und aller   Asen Geheimnissen
Kann ich Sicheres sagen,
Denn alle durchwandert   die Welten hab ich,
Neun Reiche bereist ich   bis Nifelheim nieder;
Da fahren die Helden zu Hel.

 
Gangradr.

44 

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel.
Wer lebt und leibt noch,   wenn der lang besungne
Schreckenswinter schwand?

 
Wafthrudnir.

45 

Lif und Lifthrasir   leben verborgen
In Hoddmimirs Holz. 53
Morgenthau   ist all ihr Mal:
Von ihnen stammt ein neu Geschlecht.

 
Gangradr.

46 

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel.
Wie kommt eine Sonne   an den klaren Himmel,
Wenn diese Fenrir fraß?

 
Wafthrudnir.

47 

Eine Tochter entstammt   der stralenden Göttin
Eh der Wolf sie würgt:
Glänzend fährt   nach der Götter Fall
Die Maid auf den Wegen der Mutter. 53

 
Gangradr.

48 

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel.
Wie heißen die Mädchen,   die das Meer der Zeit
Vorwißend überfahren?

 
Wafthrudnir.

49 

Drei über der Völker   Vesten schweben
Mögthrasirs Mädchen,
Die einzigen Huldinnen   der Erdenkinder,
Wenn auch bei Riesen auferzogen.

 
Gangradr.

50 

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel.
Wer waltet der Asen   des Erbes der Götter,
Wenn Surturs Lohe losch?

 
Wafthrudnir.

51 

Widar und Wali   walten des Heiligtums,
Wenn Suturs Lohe losch. 53
Modi und Magni   sollen Miölnir schwingen
Und zu Ende kämpfen den Krieg.

 
Gangradr.

52 

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel.
Was wird Odhins   Ende werden,
Wenn die Götter vergehen?

 
Wafthrudnir.

53 

Der Wolf erwürgt   den Vater der Welten:
Das wird Widar rächen.
Die kalten Kiefern   wird er klüften
Im letzten Streit dem starken. 51

 
Gangradr.

54 

Viel erfuhr ich,   viel versucht ich,
Befrug der Wesen viel:
Was sagte Odhin   ins Ohr dem Sohn
Eh er die Scheitern bestieg?

 
Wafthrudnir.

55 

Nicht Einer weiß   was in der Urzeit du
Sagtest dem Sohn ins Ohr.
Den Tod auf dem Munde   meldet' ich Schicksalsworte
Von der Asen Ausgang.
Mit Odhin kämpft ich   in klugen Reden:
Du wirst immer der Weiseste sein.


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