Karl Simrock
Die Edda
Karl Simrock

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22. Sigurdharkvidha Fafnisbana fyrsta edha Grîpisspâ.
Das erste Lied von Sigurd dem Fafnistödter

oder
Gripirs Weißagung.

Gripir hieß ein Sohn Eilimis, der Hiördis Bruder. Er beherschte die Lande und war aller Männer weisester; auch wust er die Zukunft. Sigurd ritt allein und kam zur Halle Gripirs. Sigurd war leicht erkennbar. Vor dem Thor der Halle kam er mit einem Mann ins Gespräch, der sich Geitir nannte. Da verlangte Sigurd von ihm Bescheid und sprach:

 

                       

Wie heißt, der hier   die Halle bewohnt?
Wie nennen die Leute   den König des Landes?

 
Geitir sprach:

Gripir heißt der Herscher der Männer,
Der des festen Lands und der Leute waltet.

 
Sigurd.

Ist der hehre Fürst   daheim im Land?
Kann der König mit mir   zu reden kommen?
Der Unterredung bedarf   ein Unbekannter:
Bald begehr ich   Gripirn zu finden.

 
Geitir.

Der gute König   wird Geitirn fragen
Wie der Mann genannt sei,   der nach ihm fragt.

 
Sigurd.

Sigurd heiß ich,   Sigmunds Erzeugter;
Hiördis heißt   des Helden Mutter. –

Da ging Geitir   Gripirn zu sagen:
»Ein Unbekannter   ist angekommen;
Von Antlitz edel   ist er zu schauen,
Der gern zusammen käme,   König, mit dir.«

Aus dem Gemach   ging der mächtige Fürst
Und grüßte freundlich   den fremden König:
»Sei willkommen, Sigurd;   was kamst du nicht längst?
Du geh, Geitir,   nimm den Grani ihm ab.«

Sie begannen zu sprechen,   und sagten sich Manches,
Da die rathklugen   Recken sich fanden.
»Melde mir, magst dus,   Mutterbruder,
Wie wird dem Sigurd   das Leben sich wenden?«

 
Gripir.

Du wirst der mächtigste   Mann auf Erden,
Der edelste aller   Fürsten geachtet.
Im Schenken schnell   und säumig zur Flucht,
Ein Wunder dem Anblick   und weiser Rede.

 
Sigurd.

Laß, Fürst, erfahren   genauer als ich frage,
Weiser, den Sigurd,   wähnst dus zu schauen:
Was wird mir Gutes   begegnen zuerst,
Wenn ich hinging   von deinem Hofe?

 
Gripir.

Zuvörderst erfichst du   dem Vater Rache
Und dem Eilimi Ahndung   alles Leides.
Du wirst die harten   Hundings Söhne,
Die schnellen, fällen   und den Sieg gewinnen.

 
Sigurd.

10 

Sag, edler König,   mir Anverwandter,
Gieb volle Kunde,   da wir freundlich reden.
Siehst du Sigurds   Siege voraus,
Die zuhöchst sich heben   unter des Himmels Rändern?

 
Gripir.

11 

Du fällst allein   den gefräßigen Wurm,
Der glänzend liegt   auf Gnitahaide.
Beiden Brüdern   bringst du den Tod,
Regin und Fafnirn:   vor siehts Gripir.

 
Sigurd.

12 

Schätze gewinn ich,   wenn so mir gelingt
Zu kämpfen mit Männern   wie du mir kund thust.
Im Geist erforsche   ferner und sage mir,
Wie lenkt mein Lebens-   lauf sich hernach?

 
Gripir.

13 

Finden wirst   du Fafnirs Lager,
Wirst heimführen   den glänzenden Hort,
Mit Golde beladen   Granis Rücken
Und zu Giuki reiten,   kampfrüstiger Held.

 
Sigurd.

14 

Noch sollst du dem Fürsten   in freundlicher Rede,
Weitschauender König,   Weiteres künden.
Gast war ich Giukis,   nun geh ich von dannen:
Wie lenkt meines Lebens-   lauf sich hernach?

 
Gripir.

15 

Auf dem Felsen schläft   die Fürstentochter
Hehr im Harnisch   nach Helgis Tode:
Mit scharfem Schwerte   wirst du schneiden,
Die Brünne trennen   mit Fafnirs Tödter.

 
Sigurd.

16 

Die Brünne brach,   nun redet die Braut,
Die schöne, so   vom Schlaf erweckt.
Was soll mit Sigurd   die Sinnige reden,
Das zum Heile   mir Helden werde?

 
Gripir.

17 

Sie wird dich Reichen   Runen lehren,
Alle, die Menschen   wißen möchten,
Dazu in allen   Zungen reden,
Und heilende Salben:   so Heil dir, König!

 
Sigurd.

18 

Nun laß es gelungen sein,   gelernt die Stäbe,
Von dannen zu reiten   bin ich bereit;
Im Geist erforsche   ferner und sage mir,
Wie lenkt mein Lebens-   lauf sich hernach?

 
Gripir.

19 

Du wirst zu Heimirs   Behausung kommen,
Wirst dem Volksfürsten   ein froher Gast sein.
Zu End ist, Sigurd,   was ich voraus sah:
Nicht fürder sollst du   Gripirn fragen.

 
Sigurd.

20 

Nun schafft mir Sorge   das Wort, das du sagtest,
Denn Ferneres siehst du,   Fürst, voraus.
Weist du unsägliches   Unheil dem Sigurd,
Darum du, Gripir,   nicht gerne redest?

 
Gripir.

21 

Mir lag der Lenz   deines Lebens
Hell vor Augen   anzuschauen.
Nicht mit Recht   bin ich rathklug genannt,
Noch vorwißend:   was ich wuste, sprach ich.

 
Sigurd.

22 

Auf Erden ahn ich   den Andern nicht,
Der so Vieles, Gripir,   vorschaut als du.
Nicht sollst du mir bergen   was Böses ist,
Wär es auch Meinthat,   in meinem Geschick.

 
Gripir.

23 

Nicht Laster liegen   in deinem Looße,
Halt das, herlicher   Held, im Gedächtnis.
Dieweil die Welt steht   wird erhaben,
Schlachtgebieter,   bleiben dein Name.

 
Sigurd.

24 

Trennen, seh ich,   muß sich nun trauernd
Von dem Seher Sigurd,   da es so sich fügt.
Weise den Weg   (gewiss ist doch Alles)
Mir, Mutterbruder,   vermagst du es doch.

 
Gripir.

25 

Nun will ich Sigurden   Alles sagen,
Da mich drängt   der Degen dazu.
Wiße gewiss,   die Wahrheit ist es:
Dir ist ein Tag   zum Tode bestimmt.

 
Sigurd.

26 

Nicht reizen will ich dich,   reicher König,
Deinen guten Rath nur,   Gripir, erlangen.
Wißen will ich   und sei es auch widrig,
Welch Schicksal weist du   Sigurds warten?

 
Gripir.

27 

Eine Maid ist bei Heimir,   herlich von Antlitz,
Mit Namen ist sie   Brynhild genannt,
Die Tochter Budlis;   aber der theure
Heimir erzieht   die hartgesinnte.

 
Sigurd.

28 

Was mag mir schaden,   ob schön die Maid
Von Antlitz sei,   die Heimir aufzieht?
Das sollst du mir, Gripir,   von Grunde melden,
Denn alles Schicksal   schaust du voraus.

 
Gripir.

29 

Schier alle Freude   führt dir dahin
Die schöne von Antlitz,   die Heimir aufzieht.
Schlaf wirst du nicht schlafen,   nicht schlichten und richten,
Die Männer meiden,   du sähst denn die Maid.

 
Sigurd.

30 

Was lindert das leidige   Looß dem Sigurd?
Sage mir, Gripir,   siehst dus voraus.
Mag ich die Maid   um Mahlschatz kaufen,
Des Volksgebieters   blühende Tochter?

 
Gripir.

31 

Ihr werdet euch alle   Eide leisten,
Hoch und heilig,   doch wenige halten.
Warst du Giukis   Gast eine Nacht,
So hat Heimirs Maid   dein Herz vergeßen.

 
Sigurd.

32 

Wie so denn, Gripir?   Sage mir an.
Weist du Wankelmuth   in meinem Wesen?
Werd ich mein Wort   nicht bewähren der Maid?
Ich schien sie zu lieben   aus lauterm Herzen.

 
Gripir.

33 

Das wirst du Fürst,   durch fremde Tücke;
Der Räthe Grimhilds   wirst du entgelten:
Die weißgeschleierte   wird sie dir bieten,
Die eigene Tochter:   so betriegt sie dich, König!

 
Sigurd.

34 

Schließ ich Verschwägerung   mit Giukis Geschlecht
Und gehe den Bund   mit Gudrun ein,
Wohl gefreit   hätte der Fürst,
Müst ich mich nicht   um Meineid ängstigen.

 
Gripir.

35 

Grimhild wird dich   gänzlich bethören:
Sie bringt dich dazu,   um Brynhild zu werben
Zu Handen Gunnars,   des Gotenkönigs.
Zu früh gelobst du die Fahrt   des Fürsten Mutter.

 
Sigurd.

36 

Meinthaten geschehen,   das merk ich wohl:
Uebel wankt   Sigurds Wille,
Wenn ich werben muß   um die wonnige Maid
Einem Andern zu Handen,   der ich hold bin selber.

 
Gripir.

37 

Ihr werdet euch alle   Eide leisten,
Gunnar und Högni,   und du, Held, der dritte.
Unterwegs wechselt   ihr Wuchs und Gestalt,
Du und Gunnar:   Gripir lügt nicht!

 
Sigurd.

38 

Warum thun wir das?   Warum tauschen
Wir unterwegs   Wuchs und Gestalt?
Schon fürcht ich, es folge   noch andre Falschheit,
Gar grimme:   sprich, Gripir, weiter.

 
Gripir.

39 

Du hast nun Gunnars   Gang und Gestalt;
Hast eigne Rede   und edeln Sinn.
So verlobst du   dich dem erlauchten
Hutkind Heimirs:   das verhütet Niemand!

 
Sigurd.

40 

Das Schlimmste scheint mir,   Sigurd gilt dann
Dem Volk für falsch,   fügt es sich so.
Ungern möcht ich   mit Arglist trügen
Die Heldentochter,   die ich die hehrste weiß.

 
Gripir.

41 

Liegen wirst du,   Lenker des Heers,
Keusch bei der Maid   wie bei der Mutter.
Drum wird erhaben   so lange die Welt steht,
Volksgebieter,   dein Name bleiben.

42 

Zumal werden beide   Bräute vermählt,
Sigurds und Gunnars,   in Giukis Sälen.
Wieder wechselt ihr   Wuchs und Gestalt
Daheim, nicht das Herz:   das behielt Jedweder.

 
Sigurd.

43 

Wird gute Gattin   Gunnar erwerben,
Der herliche Held?   verhehl es nicht, Gripir,
Wenn des Degens Braut   bei mir drei Nächte,
Die hochherzge, lag?   Unerhört ist Solches.

44 

Wie mag zur Freude   noch frommen darnach
Der Männer Verwandtschaft?   Melde mir, Gripir.
Wird Glück dem Gunnar   darnach noch gönnen
Solche Sippe,   oder selber mir?

 
Gripir.

45 

Dir gedenkt der Eide,   must dennoch schweigen.
Zwar Gudrunen liebst du   in guter Ehe;
Doch bös verbunden   dünkt Brynhild sich,
Die Schlaue sinnt   sich Rache zu schaffen.

 
Sigurd.

46 

Was wird zur Buße   der Brynhild genügen,
Da wir mit Tücke   betrogen die Frau?
Eide geschworen   hab ich der Edeln
Und nicht gehalten;   auch hat sie nicht Frieden.

 
Gripir.

47 

Die Grimme geht   dem Gunnar sagen,
Ihm habest du übel   die Eide gehalten,
Da dir der Herscher   von ganzem Herzen doch,
Giukis Erbe,   Vertrauen gönnte.

 
Sigurd.

48 

Wie ergeht das, Gripir?   Gieb mir Bescheid.
Werd ich schuldig sein   in dieser Sache,
Oder verlügt mich   das löbliche Weib,
Und sich auch selber?   Sage mir, Gripir.

 
Gripir.

49 

Aus Herzensharm   wird die hehre Frau
Und aus Ueberschmerz   euch Unheil fügen.
Du gabst der Guten   nicht Grund dazu
Obwohl ihr die Königin   mit Listen kränktet.

 
Sigurd.

50 

Wird ihrem Reizen   der rathkluge Gunnar,
Guthorm und Högni,   dann Folge geben?
Werden Giukis Söhne   in mir Gesipptem
Die Schwerter röthen?   Rede, Gripir.

 
Gripir.

51 

Der Gudrun vergeht   vor Grimm das Herz,
Wenn Dir ihre Brüder   Verderben rathen.
Ledig lebt   aller Lust
Das weise Weib:   das wirkte Grimhild.

52 

Dir bleibt der Trost,   Gebieter der Heerschar,
Die Fügung fiel   aus des Fürsten Leben:
So edeln Mann   wird die Erde nicht mehr
Noch die Sonne schauen,   Sigurd, als dich.

 
Sigurd.

53 

Heil uns beim Scheiden!   Das Geschick bezwingt man nicht.
Mir ward der Wunsch hier,   Gripir, gewährt.
Du hättest gerne   mehr Glück verheißen
Meinem Lebenslauf,   lag es an dir.


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