Karl Simrock
Die Edda
Karl Simrock

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46. Thor fuhr nun weiter mit seinen Gefährten und ging fort bis Mittag: da sah er auf einem Felde eine Burg stehen, und muste den Nacken zurückbiegen, um über sie hinwegzusehen. Sie gingen hinzu, da war an dem Burgthor ein verschlossenes Gitter. Thor ging an das Gitter und konnt es nicht öffnen, und damit sie in die Burg gelangen mochten, schmiegten sie sich zwischen den Stäben hindurch und kamen so hinein. Da sahen sie eine große Halle und gingen hinzu. Die Thüre war offen, sie gingen hinein und sahen da viele Männer auf zwei Bänken, die meisten sehr groß. Darnach kamen sie vor den König Utgardloki und grüßten ihn. Er aber sah säumig nach ihnen, bleckte die Zähne und sprach lächelnd: Selten hört man von langer Reise Wahres berichten; aber verhält es sich anders denn ich denke: daß dieser kleine Bursch da Oekuthor sei? Du magst aber wohl mehr sein als du scheinst. Aber welche Fertigkeiten sind es, deren ihr Gesellen euch dünkt kundig zu sein? Niemand darf hier unter uns sein, der sich nicht durch irgend eine Kunst oder Geschicklichkeit vor Andern auszeichnete. Da sprach Loki, welcher der hinterste war: Eine Kunst versteh ich, die ich bereit bin zu zeigen: Keiner soll hier innen sein, der seine Speise hurtiger aufeßen möge als ich. Da versetzte Utgardloki: Das ist wohl eine Kunst, wenn du sie verstehst, und das wollen wir nun versuchen. Da rief er nach den Bänken hin, daß Einer, Logi geheißen, auf den Estrich vortrete, sich gegen Loki zu versuchen. Da ward ein Trog genommen und auf den Boden der Halle gesetzt und mit Fleisch gefüllt: Loki setzte sich an das eine Ende und Logi an das andere, und aß Jedweder aufs Hurtigste bis sie sich in der Mitte des Trogs begegneten. Da hatte Loki alles Fleisch von den Knochen abgegeßen, aber Logi hatte alles Fleisch mitsamt den Knochen verzehrt und den Trog dazu. Alle bedaucht es nun, daß Loki das Spiel verloren habe. Da fragte Utgardloki, auf welche Kunst jener junge Mann sich verstände. Da sagte Thialfi, er wolle versuchen, mit einem Jeden um die Wette zu laufen, den Utgardloki dazu ausersehe. Utgardloki sagte, das sei eine gute Kunst; er müße aber sehr geübt zu sein glauben in der Hurtigkeit, wenn er in dieser Kunst zu siegen hoffe, und der Versuch sollte nun sogleich vor sich gehen. Da stand Utgardloki auf und ging hinaus, und war eine gute Rennbahn auf ebenem Felde. Utgardloki rief nun einen jungen Burschen herbei, der sich Hugi nannte, und gebot ihm, mit Thialfi um die Wette zu laufen. Da begannen sie den ersten Lauf und war Hugi so weit voraus, daß er am Ende der Bahn sich umwandte dem Thialfi entgegen. Da sagte Utgardloki: Du must dich beßer ausstrecken, Thialfi, wenn du das Spiel gewinnen willst; aber doch ist es wahr, daß noch Keiner hieher gekommen ist, der mich fußfertiger dauchte. Sie begannen nun den zweiten Lauf, und als Hugi ans Ende der Bahn kam und sich umwandte, war Thialfi noch einen guten Pfeilschuß zurück. Da sagte Utgardloki: Das dünkt mich gut gelaufen; aber ich glaube nun kaum mehr, daß er das Spiel gewinnen wird; das wird sich nun zeigen, wenn sie den dritten Lauf rennen. Da nahmen sie nochmals ein Ziel und als Hugi ans Ende der Bahn gekommen war und sich umkehrte, war Thialfi noch nicht in die Mitte der Bahn gekommen. Da sagten Alle, sie hätten sich in diesem Spiele nun genug versucht. Da fragte Utgardloki den Thor, welche Kunst das sei, worin er sich vor ihnen hervorthun wolle, nachdem die Leute von seinen Großthaten so viel Rühmens gemacht hätten. Da antwortete Thor, am Liebsten wolle er sich im Trinken meßen mit wem es auch sei. Utgardloki sagte, das möge wohl geschehen. Er ging in die Halle, rief seinen Schenken und befahl ihm, das Horn zu bringen, woraus seine Hofleute zu trinken pflegten. Bald darauf kam der Mundschenk mit dem Horn und gab es dem Thor in die Hand. Da sprach Utgardloki: Aus diesem Horn scheint uns wohl getrunken, wenn es auf Einen Trunk leer wird; Einige trinken es auf den zweiten aus, aber Keiner ist ein so schlechter Trinker, der es nicht in dreien leerte. Thor sah sich das Horn an: es schien ihm nicht zu groß, obwohl ziemlich lang; er war aber auch sehr durstig. Er fing an zu trinken und schlang gewaltig und glaubte nicht nöthig zu haben, öfter abzusetzen und ins Horn zu sehen. Als ihm aber der Athem ausging, setzte er das Horn ab und sah zu, wie viel Trank noch übrig sei. Da schien es ihm ein sehr kleiner Betrag, um den das Horn jetzt leerer sei denn zuvor. Da sprach Utgardloki: Es ist wohl getrunken; aber doch nicht gar viel: ich hätte es nicht geglaubt, wenn mir gesagt worden wäre, daß Asathor nicht beßer trinken könne. Ich weiß aber, du wirst es beim zweiten Zug austrinken. Thor antwortete nichts, sondern setzte das Horn an den Mund und dachte nun einen größern Trank zu thun, und bemühte sich zu trinken so lang ihm der Athem vorhielt, sah aber doch, daß das Ende des Horns nicht so hoch hinaus wollte als er gewünscht hätte, und als er das Horn vom Munde nahm, schien es ihm als wenn nun noch weniger abgegangen wär als das erste Mal; doch konnte man das Horn nun tragen ohne zu verschütten. Da sprach Utgardloki: Wie nun, Thor? Willst du dich immer sparen, einen Trunk mehr zu thun als dir gut ist? Nun scheint mir, wenn du mit dem dritten Trunk das Horn leeren willst, so muß dieser Zug der gröste sein. Du wirst aber hier bei uns kein so großer Mann heißen können als wofür du bei den Asen giltst, wenn du in andern Spielen nicht mehr leistest als du mir in diesem zu vermögen scheinst. Da ward Thor zornig, setzte das Horn an den Mund und trank aus allen Kräften und so lang er trinken mochte und als er ins Horn sah, war doch nur mehr als zuvor ein Abgang bemerklich. Da gab er das Horn zurück und wollte nicht mehr trinken. Da sprach Utgardloki: Es ist nun offenbar, daß deine Macht nicht so groß ist als wir dachten. Denn man sieht nun, daß du hierin nichts vermagst. Thor antwortete: Ich will mich noch in andern Spielen versuchen; aber wunderlich würd es mich dünken, wenn ich daheim bei den Asen wäre und solche Trünke würden für klein geachtet. Doch welches Spiel wollt ihr mir nun anbieten? Da sprach Utgardloki: Junge Bursche pflegen hier, was wenig zu bedeuten scheint, meine Katze dort von der Erde aufzuheben, und nicht würd ich gedenken, solches dem Asathor anzumuthen, wenn ich nicht zuvor gesehen hätte, daß du viel weniger vermagst als ich dachte. Alsbald lief eine graue, ziemlich große Katze über den Estrich der Halle, Thor ging hinzu, faßte sie mit der Hand mitten unterm Bauche und lupfte an ihr, und die Katze krümmte den Rücken, indem Thor an ihr hob, und als Thor sie so hoch emporzog als er immer vermochte, ließ die Katze mit dem einen Fuß von der Erde: weiter brachte es Thor nicht in diesem Spiel. Da sprach Utgardloki: Es ging mit diesem Spiel wie ich erwartete: die Katze ist ziemlich groß und Thor klein und kurz neben den großen Männern, die hier bei uns sind. Da sprach Thor: So klein ihr mich nennt, so komme nun her wer da wolle und ringe mit mir: nun bin ich zornig. Da antwortete Utgardloki, indem er nach den Bänken sah, und sprach: Mit Nichten seh ich den Mann hier innen, den es nicht ein Kinderspiel dünken würde mit dir zu ringen. Aber laßt sehen, fuhr er fort, die alte Frau ruft mir herbei, meine Amme Elli: mit der mag Thor ringen wenn er will. Sie hat schon Männer niedergeworfen, die mir nicht schwächer schienen als Thor ist. Alsbald kam eine alte Frau in die Halle: zu der sprach Utgardloki, sie solle sich mit Asathor meßen. Wir wollen den Bericht nicht längen; der Kampf lief so ab: je stärker sich Thor anstrengte, je fester stand sie. Nun fing die Frau an, ihm ein Bein zu stellen, Thor ward mit einem Fuße los und ein harter Kampf folgte; aber nicht lange währte es, so war Thor auf ein Knie gefallen. Da ging Utgardloki hinzu und gebot ihnen, den Kampf einzustellen. Er fügte hinzu: Thor habe nun nicht nöthig, noch andere an seinem Hof zum Kampf zu fordern. Es war auch bald Nacht. Da wies Utgardloki den Thor und seine Gefährten zu den Sitzen, und brachten sie da die Nacht bei guter Aufnahme zu.


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