Karl Simrock
Die Edda
Karl Simrock

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Anhang.
39. Sôlarliôth, das Sonnenlied.

                         

Gut und Leben raubte lang   allen Lebenden
Jener grimme Greis:
Ueber die Wegscheide,   die er bewachte,
Konnte Keiner lebend kommen.

Einsam immer   saß er und aß,
Lud nie den Mann zum Mal
Bis müd und matt   und unvermögend
Jetzt ein Gast die Gaße   gegangen kam.

Des Tranks bedürftig   betheuerte sich der Fremdling
Und heißen Hunger zu haben;
Mit verzagtem Herzen   zeigt' er Vertrauen
Zu dem übel gearteten.

Trank und Speise   spendet' er dem Müden
Gern aus ganzem Herzen,
Gedachte Gottes   und gab dem Bedürftigen,
Weil er sich verworfen wuste.

Aufstand Jener   mit übelm Vorsatz;
Nicht bedurfte der Wandrer der Wohlthat.
Die Sünde schwoll:   im Schlaf ermordet er,
Wie weis er war, den Reuigen.

Den Gott im Himmel   um Hülfe flehte der,
Als er verwundet erwachte;
Aber der Andere nahm   seine Sünden auf sich,
Der ihn schuldlos erschlug.

Heilige Engel schwebten   vom Himmel hernieder
Und bargen seine Seele:
Ein lauteres Leben   lebt sie ewig
Bei Gott dem Allgütigen.

Besitz und Gesundheit   sind Keinem sicher
Wie gut es ihm ergehe.
Oft verderbt uns,   woran wir am Wenigsten dachten;
Niemand setzt sich selbst sein Schicksal.

Nicht versahen sichs   Säwaldi und Unnar,
Daß ihr Glück so bald zerbräche;
Doch musten sie nackt,   da nichts ihnen blieb,
Wie Wölfe fliehen zum Walde.

10 

Zum Fall hat Viele   die Liebe geführt;
Viel Schmerzen schufen die Frauen:
Mein befleckte Manche,   die der mächtige Gott
Doch so schön geschaffen.

11 

Schwertbrüder waren   Swafudr und Swarthedin,
Mochten nicht ohn einander sein.
Eines Weibes wegen   wurden sie sich feind:
Die stand ihnen zum Sturz bestimmt.

12 

Alles vergaßen sie   über dem Glanz der Schönen,
Scherz und schöne Tage,
Sie schlugen alles   sich aus dem Sinn
Bis auf der Lieben lichten Leib.

13 

Da wurden ihnen düster   die dunkeln Nächte,
Sie schliefen den süßen Schlaf nicht mehr.
Aus diesem Harme   erwuchs der Haß
Zwischen Bundesbrüdern.

14 

Allzuoft wird   Unenthaltsamkeit
Grimmig vergolten,
Den Holmgang gingen sie   um das holde Weib
Und lagen beid im Blute.

15 

Uebermuthes   soll sich keiner vermeßen:
Des ward ich wohl gewahr,
Denn abgefallen   sind allermeist
Von Gott, die sich ihm ergaben.

16 

Reich und mächtig   waren Nadey und Webogi,
Lustig zu leben allein bedacht;
Von Feuer zu Feuer   nun sieht man sie fahren,
Die schnöden Geschwüre zu bähen.

17 

Sie hofften nur auf sich   und dauchten sich hoch
Ueber alle Sterblichen;
Aber den Lauf   wies ihrem Looße
Anders der Allmächtige.

18 

Sie lebten nach Lust   und Laune dahin
Und sparten im Spiele das Gold nicht:
Das büßen nun beide,   da sie bettelnd wechseln
Zwischen Frost und Feuer.

19 

Dem Abgünstigen   traue nicht allzuviel
Wie süß er red und raune.
Heuchl ihm Freundschaft:   fremden Trug
Laßen wir weislich uns warnen.

20 

So erging es   Sörli dem guten,
Als er sich in Wigolfs Gewalt gab:
Er traut' ihm treulich;   doch Jener trog ihn,
Der seinen Bruder erschlagen.

21 

Er gewährt' ihnen Frieden   als wär es von Herzen;
Man verhieß ihm Gold dagegen.
Sie schienen versöhnt   beim süßen Meth;
Noch kam der Falsch nicht zum Vorschein.

22 

Aber darauf   am andern Tag
Als sie Rygiarthal erritten,
Mit Schwertern erschlugen sie   den Schuldlosen
Und ließen sein Leben schwinden.

23 

Die Hülle trugen sie   auf heimlichen Wegen
Und bargen im Brunnen die Stücken.
Sie wollten es hehlen;   der Herr aber sahs,
Der heilige, himmelhernieder.

24 

Die Seele lud er,   der süße Gott,
In seine Freuden zu fahren;
Doch mag er wohl säumig   die Mordgesellen
Ihres langen Leids erledigen.

25 

Die Disen bitte,   die Bräute des Himmels,
Dir holdes Herz zu hegen:
Deinen Wünschen werden sie   in kommenden Wochen
Alles zu Liebe lenken.

26 

Das Werk des Unmuths,   das auf dir lastet,
Büße nicht Böses häufend.
Liebesthat versöhne   den Schwerverletzten:
Das, sagt man, frommt der Seele.

27 

Um Gnadengaben   flehe zu Gott,
Dem mächtigen, der uns Menschen schuf;
Uebels viel   befährt der Mann,
Der seinen Vater versäumt.

28 

Mit brünstigem   Flehn erbitte dir
Wes du dich bedürftig dünkst.
Wer nichts erbittet   dem bietet man nichts:
Wer ersinnt des Schweigenden Schäden?

29 

Spät komm ich gefahren,   frühe beschieden
Vor des Fürsten Thüre.
Da erhoff ich,   was mir verheißen ist:
Kost erlangt wer verlangt.

30 

Die Sünden sind Schuld,   daß wir trauernd scheiden
Aus dieser Welt des Wehs.
Niemand fürchte sich,   der nichts verbrach:
Ein reines Herz errettet.

31 

Wolfsgestalt   gewinnen alle,
Die wandelbaren Sinnes sind.
Da erfährt wohl Jeder,   der fahren soll
Ueber feuriger Flammen Glut.

32 

Freundlichen Rath   und weise geflochtnen
Sagt' ich dir siebenfach:
Vernimm ihn wohl   und vergiß ihn nie,
Er ist wohl werth zu wißen.

33 

Erst will ich dir sagen   wie selig ich war
In dieser Welt des Wehs.
Das ist das andre:   daß alle Menschen
Wider Willen Leichen werden.

34 

Wollust und Stolz   betrügt die Sterblichen,
Daß sie nach Schätzen schielen.
Zu langem Leide   wird das lichte Gold;
Manchen bethören Thaler.

35 

Munter meist   erschien ich den Menschen,
Denn wenig wust ich voraus:
Die zeitliche Welt   hat wollustreich
Der Schöpfer geschaffen.

36 

Mit Neigen saß ich   und nickte lange;
Doch groß war die Lust zu leben.
Aber des Waltenden   Willen entschied,
Zum Tode führen Wege viel.

37 

Die Tage der Krankheit   fühlt' ich unsanft
Mir um die Hüfte geheftet;
Zerreißen wollt ich sie;   aber sie waren stärker:
Leichter geht sichs lose.

38 

Allein wust ich,   wie überall
Mir die Schmerzen schwollen.
Heim luden mich   der Hölle Töchter
Graunvoll alle Abend..

39 

Die Sonne sah ich,   das schöne Tagsgestirn,
Sinken in die Welt des Schreiens,
Und der Hölle Gitter   hört ich mir zur Linken
Schaurig erschallen.

40 

Die Sonne sah ich   blutroth scheinen,
Wie ich von der Welt mich wandte;
Doch heller schien sie mir   und herlicher
Als ich sie noch je gesehen.

41 

Die Sonne sah ich,   sie war so schön
Als säh ich Gott den Schöpfer selbst.
Ich neigte der herlichen   heut zum letzten Mal
In dieser Welt des Wehs.

42 

Die Sonne sah ich,   so war ihr Glanz
Daß sonst mir nichts bewust mehr war.
Die Höllenflüße   hallten zur Linken mir
Gemischt mit manches Menschen Blut.

43 

Die Sonne sah ich   bebenden Angesichts.
Der Schrecken voll und Schmerzen,
Denn mein Herz,   das hart bedrängte,
Zerging in Angst und Ohnmacht.

44 

Die Sonne sah ich   noch selten verzagter;
Ich war der Welt schier halb entwandt;
Die Zunge stand mir   starr im Munde,
So fühlt' ich sie von Frost erfaßt.

45 

Die Sonne sollt ich   nicht wiedersehn
Nach jenem trüben Tage;
Der blaue Himmel   verbarg sich mir,
In Schmerzen entschwand die Besinnung.

46 

Der Stern der Hoffnung (die Seele)   in der Stunde der Neugeburt
Entflog der bangen Brust.
Er schwang sich hoch empor   und setzte sich nirgends,
Daß er zur Ruhe kommen konnte.

47 

Aber am ängstlichsten   war mir die eine Nacht,
Wo ich starr lag auf dem Stroh:
Da verstand ich erst ganz   das göttliche Wort:
Vom Staube stammen die Sterblichen.

48 

Das wiß und erwäge   der waltende Gott,
Der die Welt und den Himmel wirkte,
Wie einsam wir   beim Abschied bleiben,
Zählten wir gleich der Freunde viel.

49 

Seiner Thaten Frucht   empfängt ein Jeder:
Selig. wer da wohl gewirkt!
Ich schatzentblößter   kam auf ein Bett
Von schierem Sande zu liegen.

50 

Der Haut zu pflegen   vergißt man der Pflicht:
Dieß dünkt das erste Bedürfniss;
Doch mir verleidete sich   die Lauge solchen Bads
Ueber alle Maßen.

51 

Auf der Nornen Stuhl   saß ich neun Tage,
Ward dann auf den Hengst gehoben.
Schauerlich schien   die Sonne der Riesin
Aus Nacht und Nebel nieder.

52 

Innen und außen   wähnt ich alle sieben
Unterwelten zu durchwandern;
Auf und nieder   sucht ich ängstlich den Weg,
Der leidlicher zu wandern wäre.

53 

Nun ist zu sagen,   was ich zuerst ersah
Als ich zu den Qualorten kam:
Versengte Vögel,   die Seelen waren,
Flogen wie Fliegen umher.

54 

Von Westen drangen   die Drachen des Wahns
Und bedeckten die glühenden Gaßen.
Sie schlugen die Schwingen   als sollte der Himmel
Bersten und die Erde.

55 

Den Sonnenhirsch sah ich   von Süden kommen
Von Zwein am Zaum geleitet;
Auf dem Felde standen   seine Füße,
Die Hörner hob er zum Himmel.

56 

Von Norden ritten   der Nüchternheit Söhne;
Ihrer sieben sah ich.
Volle Hörner hoben sie   des herlichen Meths
Aus des guten Gottes Brunnen.

57 

Der Wind schwieg,   die Waßer stockten:
Da hört ich kläglichen Klang.
Aus allen Kräften   eifrige Weiber
Malten das Müll zum Mal.

58 

Triefende Steine   sah ich die traurigen Weiber
Uebel handhaben;
Blutige Herzen   hingen von ihren Brüsten
Zu langem Leide nieder.

59 

Viel Männer sah ich   matt von Wunden
Auf den glühenden Gaßen.
Ihr Angesicht   dauchte mich immerdar
Roth von rauchendem Blut.

60 

Viele sah ich   der Erde befohlen
Ohne das letzte Geleit;
Heidnische Sterne   umstanden ihr Haupt
Von Todesstäben getroffen.

61 

Manche sah ich da,   die der Missgunst sich
Um Anderer Glück ergeben,
Blutge Runen   standen auf ihrer Brust
Vermerkt des Meines halb.

62 

Manchen sah ich da,   der weglos muste
In der Oede traurig irren.
Der Lohn wird dem,   der dieser Welt
Eitelkeit sich äffen läßt.

63 

Männer sah ich da,   die manches Stück
Von Anderer Gut sich angeeignet;
In Scharen gingen sie   zu Schatzliebs Burg
Und schleppten Bürden von Blei.

64 

Männer sah ich da,   die Manchen hatten
Entleibt dem Gut zu Liebe;
Die Brust durchbohrten   den Bösewichtern
Grimme Giftdrachen.

65 

Männer sah ich da,   die es missen wollten,
Die heiligen Tage zu halten.
Ihre Hände waren   an heiße Steine
Nothfest genagelt.

66 

Männer sah ich da,   die mehr als billig
Der Hochmuth höhnte.
Ihr Gewand war   wunderbar
Uebergoßen mit Blut.

67 

Männer sah ich da,   die manch Wort hatten
Auf andre Leute gelogen:
Ihren Häuptern hackten   die Höllenraben
Eifrig die Augen aus.

68 

Alle Schrecken   mag Einer nicht wißen,
Die die Höllenkinder quälen.
Süße Sünden   werden schwer gebüßt;
Hochmuth kommt vor dem Fall.

69 

Männer sah ich da,   die manchen Schatz
Gott zu Liebe gegeben:
Himmlische Kerzen   über ihren Häuptern
Brannten lichterloh.

70 

Männer sah ich da,   die großmüthig
Den Armen geholfen hatten:
Heilige Bücher   lasen die Himmlischen
Ueber ihren Häuptern.

71 

Männer sah ich da,   die sich gemartert
Hatten viel mit Fasten.
Ihnen neigten   die Engel Gottes:
Das ist süße Seligkeit.

72 

Männer sah ich da,   die ihrer Mutter
Das Mal zum Mund geführt.
In Himmelsstralen   standen ihnen
Die Betten gebreitet.

73 

Himmlische Mädchen   wuschen ihnen
Die Seele rein von Sünden,
Die freiwillig   mit keuschem Fasten
Sich manchen Tag gemartert.

74 

Himmlische Wagen   sah ich zum Himmel fahren
Empor die göttlichen Gaßen.
Männer lenkten sie,   die unter Mörderhand
Ledig sanken aller Schuld.

75 

Allmächtiger Vater,   gleichmächtiger Sohn,
Heiliger Geist des Himmels,
Dich bitt ich,   nimm die du erschaffen hast
Uns aus dem Elend alle.

76 

Beugwör und Lisiwör   sitzen vor des Hirten Thor
Auf dem Orgelstuhl,
Flüßiges Eisen   entfließt ihren Nasen;
So weckten sie Haß und Wuth.

77 

Frigg, Odins Frau,   fährt auf der Erde Schiff
Zu der Wollust Wonne,
Ihre Segel   senkt sie spät,
Die an harten Tauen hangen.

78 

Erbe, dein Vater   allein verhalf dir
Mit Solkatlis Söhnen
Zu des Hirschen Horn,   das aus dem Hügel nahm
Der weise Wigdwalin.

79 

Das sind die Runen,   die da ritzten
Njörds Töchter neun,
Radwör die älteste,   und Kreppwör die jüngste
Mit ihrer Schwestern sieben.

80 

Welche Gewalttaten   wirkten nicht
Swafr und Swafrlogi!
Blut weckten sie,   Wunden sogen sie
Tödliche, bitterböse.

81 

Dieses Lied,   das ich dich lehrte,
Sollst du vor dem Volke singen:
Das Sonnenlied   wird selten wohl
Den Leuten zu lügen scheinen.

82 

Hier laß uns scheiden;   am schönen Tag
Finden wir uns wieder.
Gebe Gott   den Begrabnen Ruhe
Und verleihe den Lebenden Frieden.

83 

Tröstliche Lehre   ward dir im Traum gesungen
Und Wahrheit ward dir enthüllt.
Von allen Lebenden   war Niemand so gelehrt,
Daß er das Sonnenlied singen hörte.


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