Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Achtes Kapitel.

Die beiden Flüchtlinge hatten den Rothenburger Fähnlein nicht begegnen können. Denn wie diese, von dem brandroten Himmel mit bösen Ahnungen erfüllt, ohne Rast und Ruhe fürbaß zogen, kamen ihnen Scharen fliehender Bauern entgegen und riefen ihnen zu, daß alles verloren, alles aus sei; daß die Reisigen des Truchseß gleich toll gewordenen Wölfen wüteten; daß Jörg Metzler und Wendel Hipler entflohen seien,

Wenn es also stünde, das Heer bei Königshofen geschlagen und zersprengt sei, warum sollten sie weiter ziehen und sich nutzlos opfern, meinten die Rothenburger. Der lange Lienhart erhob sich mit dröhnender Stimme dagegen: »Glaubet den Feiglingen nicht. Wir dürfen unsere Brüder nicht verlassen. Vorwärts! Vorwärts!« Es hatte aber niemand Lust, ihm zu folgen, selbst Leonhard Metzler nicht. Der ehemalige Lanzknecht wetterte und fluchte gräulich, er riß sein gewaltiges Schwert heraus und versuchte, indem er ihnen seinen starkknochigen eisengrauen Schimmel in den Weg warf, die Bauern mit flachen Hieben voran zu treiben. Aber die rückwärtsdrängende Flut war zu stark und er selbst wurde von ihr mit fortgerissen, Jeder strebte der Heimat zu.

Nur mit großer Mühe und indem er seinen Gaul rücksichtslos ansprengen ließ, gelang es dem langen 590 Lienhart, sich aus dem Gedränge zu befreien, und mit Tränen der Wut jagte er nach Heidingsfeld. Er konnte den Hauptleuten, die er in des Pfarrers Steinmetz Haus beisammen fand, nur die Hiobspost bestätigen, die schon vor ihm dort angekommen war. Sie war ihnen aber so unglaublich erschienen, daß man die ersten Flüchtlinge ins Gefängnis geworfen hatte; man hielt sie für Sendlinge der Bündischen, welche unter den Bauern Angst und Schrecken verbreiten sollten. Dem langen Lienhart mußte man wohl glauben und die Schreckensnachricht verursachte in Heidingsfeld und Würzburg eine ungeheure Aufregung und Verwirrung. Mancher Hauptmann, dem das Stolzieren mehr am Herzen lag als das Fechten, machte sich in dieser Nacht aus dem Staube, auch verschwand mancher Pfennigmeister mit der ihm anvertrauten Kriegskasse. Gegen Morgen erfuhr man durch Flüchtlinge des Tauberhaufens, die sich über die Berge gerettet hatten, daß Hans Kolbenschlag gefallen war, nachdem er sich bis zur Dunkelheit im Walde auf der Höhe gehalten und dem Feinde schwere Verluste beigebracht hatte.

Im Laufe des Sonntags hob sich die gedrückte Stimmung wieder in etwas, besonders als der schweigsame Gregor von Burgbernheim, dessen Fähnlein den Markgrafen Kasimir zurückgescheucht hatte, wieder einzog. Auch verbreitete sich das Gerücht, daß die Brüder noch unbesiegt bei Königshofen ständen. War es absichtlich von den Führern ausgestreut worden, so verfehlte es doch seine Wirkung nicht. Man wurde wieder hohen Mutes, beschloß nach Königshofen zu ziehen, und man hörte bei den Bechern Gelöbnisse, keinen Gefangenen leben zu lassen, sondern die Reiter aufzuhenken, den Fußknechten die Hälse abzuschneiden.

Der Tag verging in eifrigen Rüstungen, und Simon Neuffer war sicher nicht der einzige, der sehnsüchtig nach Florian Geyer ausschaute. Mancher von seinen Gegnern wünschte jetzt den erfahrenen Kriegsmann 591 herbei, dessen Abwesenheit Simon Neuffer die schwere Verantwortlichkeit auflud, an seiner Stelle die Schwarze Schar zu führen. Um nicht die Aufmerksamkeit der Besatzung des Schlosses zu erregen, sammelte sich der Auszug während der Nacht bei Heidingsfeld. Es schien aber auch auf dem Marienberge etwas Ungewöhnliches vorzugehen; denn von der Stadt und den Tellschanzen aus sah man bald nach Mitternacht Lichter durch alle Zimmer des Schlosses sich bewegen, und die Mannschaft in den Tellschanzen gewahrte bei dem ersten Morgengrauen einige schwarze Reiter in der Richtung vom Schlosse gegen den Wald vor Hochberg. Sie gab Feuer, aber die Reiter waren verschwunden. Thes Mertz, der Fischer, meinte, es sei ein Spuk des Schwarzkünstler-Mönches. Als die Pfingstsonne den Himmel zu röten begann, standen die Fähnlein, wohl 5000 Mann mit ihrem gesamten leichten Feldgeschütz von etwa 70 Falken, Steinbüchsen, Doppelhacken, ganzen und halben Hacken, nebst Pulverkarren und Proviantwagen, zum Abmarsch bereit. Um das Schloß in Schach zu halten, blieben 2000 Bewaffnete aus Würzburg und 3000 aus den Landstädten unter Hans Bermeter, Bernhard Wießner und Balthasar Wirzberger zurück.

Und jetzt, wer kam den Abfall der Hochebene nach Heidingsfeld auf einem von Schaum ganz weißen Pferde herabgejagt? Wem sprengten Jakob Köhl, Gregor, Simon Neuffer, der lange Lienhart entgegen und schüttelten ihm die Hand? Ein sturmartiger Zuruf aus tausend und aber tausend Kehlen und klirrendes Zusammenschlagen der Wehren begrüßten Florian Geyer. Auch Bruder Ambrosius war zugegen, fast der einzige von den Dorfpfarrern, die ihre Gemeinden nach Würzburg geführt hatten, der ausharrte. Die anderen waren im Mantel der Nacht ohne Abschied heimgegangen. Er segnete die Ausziehenden. Auch die schwarze Hofmännin tat es, allerdings in ihrer Weise. 592 Wie das Heer aus dem Tor von Heidingsfeld gegen die Berglehne herausquoll, rief sie mit schriller Stimme: »Rache! Rache für unsere erschlagenen Brüder! Die Gräber bersten, die Toten stehen auf und streiten Euch voran. Der Sieg ist unser!« Sie blieb in Würzburg zurück. Wie sie, mit der knöchernen Hand auf den Marienberg deutend, zu Kaspar Etschlich sagte, als er von ihr Abschied nahm: »Ich bleib' zum Gericht.«

Florian Geyer eröffnete an der Spitze seiner Schwarzen Schar den Heerzug. Ihr hatte sich der lange Lienhart mit 50 frommen Knechten angeschlossen, welche die Barfüßer zu Würzburg angeworben und besoldeten. Die Sonne des vierten Juni stieg herrlich am Horizonte herauf, wie das Heer die Berglehne sich aufwärts wand. Es verfolgte den Weg nach Röttingen; denn man glaubte, daß der Feind noch bei Königshofen stände; da die Flüchtlinge vom Tauberhaufen in ihren Aussagen darin übereinstimmten, daß ihm Hans Kolbenschlag äußerst schwere Verluste beigebracht hätte. Es war ein köstlicher Pfingstmorgen. In der balsamischen Luft trillerten die Lerchen, und Finken, Ammern, Meisen durchtönten mit ihrem Schlagen und süßen Singen die Gehölze am Wege. Die Spielleute rührten fleißig Trommeln, Pfeifen und Dudelsack, und die Bauern stimmten wohlgemut ein Lied an, neckten einander und ließen manchen Jauchzer in die Luft steigen.

Auf dem weiten Wiesenplan bei den Dörfern Ingolstadt und Sulzdorf, die kaum eine halbe Stunde westlich von Giebelstadt liegen, machten die Bauern zu einem kleinen Imbiß halt. Eine Bodenwelle, auf der die Ruinen des einst von den Rothenburgern zerstörten Raubschlosses Ingolstadt sowie ein Wäldchen lagen, verbarg den Blicken Florian Geyers die Heimat. Nördlich, im Rücken der Bauern, nahm bei dem etwa dreiviertel Stunde entfernten Dorfe Moos der große Guttenberger Wald seinen Anfang.

Noch hatten die Bauern kaum ihre Schultern von den 593 Handrohren, Büchsen, Spießen und zweihändigen Schwertern entlastet und die Reiter nur eben die Sättel verlassen, als in südwestlicher Richtung ein Flimmern und Blitzen sichtbar wurde. Ein Geschrei erhob sich: »Der Feind!« »Der Truchseß!« In rasender Eile wurde auf Florian Geyers Befehl der ganze Wagenpark rings um das Heer zu einer Burg zusammengefahren und geschoben und in den Lücken die Geschütze aufgepflanzt. Schon rasselten die Eisenreiter der Rennfahne oder des Vortrabes heran. Ein mörderisches Feuer empfing ihn. Sie schwenkten rechts und links und versuchten die Bauern von zwei Seiten zugleich zu fassen. Es gelang ihnen aber nicht, die Wagenburg zu sprengen, Zweimal tobten sie heran und zweimal trieb sie das Feuer zurück, das manchen Sattel leerte und manches Roß niederstreckte.

Da schwoll es wie eine schwarze Wetterwolke heran. Es war aber nicht das Fußvolk; denn dasselbe meuterte, weil der Truchseß ihm den Schlachtensold verweigerte, den es nach den Kriegsartikeln für die bei Königshofen gewonnene Schlacht forderte. Es waren die Hauptleute, Fähnriche, Waibel und Doppelsöldner, etwa 800 Mann, welche der Truchseß durch seine Beredtsamkeit von der gemeinsamen Sache des Fußvolks abwendig gemacht hatte. Während der Truchseß persönlich sie heranführte, zogen sich die Reisigen bei dem Dorfe Moos zusammen, um den Bauern den Rückzug in den Guttenberger Wald abzuschneiden. Aber auch die erlesene Schar wurde von den Bauern gar übel empfangen. Verderblicher als das Geschützfeuer wurden ihr die Büchsensteine der Schützen, besonders derjenigen der Schwarzen Schar. Die pflügten manche tiefe Furche durch den Haufen, der in zerhauenen Hosen, zerrissenen Wämsern und keck aufs Ohr gedrückten Federbaretts prunkte. Hei, wie die bunten Lappen in Fetzen gingen und mancher Mutter Sohn die Erde küßte. »Dran! Dran!« Aber die Erlesenen hatten keine Spieße und 594 die bäuerlichen Schützen waren durch die Wagenburg gedeckt. Aber jetzt begann der Boden zu beben unter den Hufen des reisigen Hauptgeschwaders und dem Rollen der nahenden Geschütze.

Da tat sich hinterwärts die Wagenburg auf und heraus stürzten in panischem Schrecken die Bauern, der oberste Hauptmann Jakob Köhl als einer der ersten, und suchten das Weite, »Jörgs Tod« aber stürzte über sie, unter sie, jagte ihnen weit und breit bis auf viele Stunden nach und erstach, erschlug, erwürgte ohne Maß und ohne Erbarmen alles, was er erritt. Wie Heinrich Truchseß, der Marschall des Bischofs Konrad, diesem nachher erzählte, war es gar lustig anzusehen gewesen, wie eine Sauhatz. Ein Eber aber kehrte sich gegen die Jäger. Gregor von Bergbernheim wollte nicht fliehen. Er hielt den Reitern mit einem Häuflein der Seinigen im Felde stand und starb mit ihnen den Heldentod. Sechzig Bauern, welche die Reisigen gegen das Versprechen eines beträchtlichen Lösegeldes gefangen annahmen, wurden auf Befehl des Truchseß bei der Wagenburg in einem Haufen erstochen, weil es ihm hinterbracht worden, daß die Bauern gelobt hätten, keinem Feind das Leben zu lassen.

Eine kleine Schar zog sich, fest geschlossen, aus der unhaltbar gewordenen Wagenburg nach dem Dörflein Ingolstadt zurück. Das waren die Schwarzen Florian Geyers nebst den 50 freien Knechten Würzburgs, die der lange Lienhart befehligte. Wiederholt prasselten die Eisenreiter heran, allein die langen Spieße verwandelten die Schar in einen Igel, vor dessen Stacheln die Pferde scheuten, während die also gehegten Schützen ihr Blei mit tötlicher Sicherheit versendeten. Glücklich erreichte die Schwarze Schar das Dorf. Die Dornhecke, von der es umgeben war, bot jedoch nur dürftigen Schutz. Die Schar teilte sich deshalb; Simon Neuffer besetzte mit 200 Mann den ummauerten Dorfkirchhof und Florian Geyer warf sich mit den übrigen, deren 595 etwa 400 sein mochten, in die einstige Burg des Raubritters von Elm, zu der vom Dorfe ein zertrümmerter Torbogen führte. Die Ringmauer, um die sich ein versumpfter Graben zog, war noch ziemlich gut erhalten, auch stand noch ein Eckturm. Auf dem Hofraum in den Ruinen hatten sich nach der Zerstörung des Raubnestes durch die Rothenburger heimatlose Leute angesiedelt; jetzt waren von ihren elenden Hütten nur noch rauchgeschwärzte Reste übrig. Denn eine Streifpartie der Bauern, wohl dieselbe, die Florian Geyers festes Haus verwüstet, hatte sie niedergebrannt.

Florian Geyer ließ das Tor mit Steinen verterrassen und erstieg den Turm, um nach dem Feinde Ausschau zu halten. Er mußte leider Zeuge sein, wie im Dorfe, woher wildes Kampfgeschrei und Schießen erschollen, Simon Neuffer mit den Seinigen trotz des tapfersten Widerstandes von der überlegenen Schar der Hauptleute, Doppelsöldner und Waibel gezwungen wurde, den Friedhof zu räumen und in die Kirche sich zurückzuziehen. Weiter konnte er den Kampf dort nicht verfolgen. Denn von der Wagenburg rückte der Pfalzgraf mit etlichen schweren Stücken gegen das Schloß an und der Truchseß Georg folgte ihm mit allen Grafen, Herren und Rittern, um Zeugen des blutigen Kampfspieles zu sein.

Die groben Geschütze warfen ein Stück Ringmauer ein, so daß eine 24 Fuß breite Öffnung entstand. Drei Bauern liefen hinaus und baten um Gnade. Sie wurden aber auf der Stelle niedergestoßen, als sollte den Belagerten vor Augen gestellt werden, welche Gnade ihrer harrte, wenn sie sich etwa ergeben sollten. Den Herren dünkte es jetzt ein leicht Stück, das Schlößlein zu gewinnen. Sie stiegen von den Rossen, die Ritter und die Grafen, und wateten in ihren schweren Rüstungen den Reisigen durch den zähen Schlamm des Grabens voraus. Hinter ihnen bliesen die Zinken und sie selbst schrien; »Dran! Dran!« Aber in der Bresche 596 starrten ihnen die Spieße und Hellebarden entgegen und schlugen die Kugeln der Schützen wie Hagel in sie. Da hielt der Tod gar reiche Beute und es half dem Truchseß nichts: er mußte zum Rückzug blasen lassen. An Hundert lagen tot oder schwer verwundet in dem sumpfigen Graben, darunter viele Grafen, Herren und Ritter. Die Überlebenden waren derart erschöpft, daß sie ruhen mußten. Der Spaß war ihnen vergangen. Sie banden die wuchtigen Helme und Sturmhauben ab und verkühlten die heißen Köpfe, während die Geschütze wieder zu spielen begannen und die Bresche erweiterten. Die Ringmauer bot den Schwarzen kaum noch Schutz; allein ihr Mut war ungebrochen und manch derber Spott über die Herren, die gleich lahmen Kranichen abgezogen waren, ließ sie bei der eifrigen Arbeit zu ihrer Verteidigung Hitze und Durst vergessen. Kaspar Etschlich hatte seinen Humor wiedergefunden.

Plötzlich verstummten die Kanonen. Die Herren traten zum zweiten Sturm an, dieses Mal nicht fröhlichen Sinnes, sondern mit Grimm in der Brust. Ohne Widerstand zu finden, drangen sie durch den Graben in die Bresche; denn die Schwarzen hatten weder Pulver noch Büchsensteine mehr. Die Herren brachen in ein Triumphgeschrei aus, schien ihnen doch das Schwerste überstanden. Aber siehe! vor ihnen stand noch eine Mauer, etwa einen Spieß hoch, mit einer kleinen Fensteröffnung und einer schmalen Tür, dahinter die Ruinen des Wohnhauses lagen, und auf der Mauer flatterte das Banner der Schwarzen Schar, Die Tür war von innen mit Steinen verbaut und auf der Mauer standen die todverachtenden Schwarzen und fünfzig freien Knechte. Und sie stachen mit ihren Speeren hinunter und warfen unaufhörlich wuchtige Steine auf die Stürmenden, die es nur ihren festen Helmen und Harnischen zu danken hatten, daß keiner tot blieb. Arge Beulen, Quetschungen und 597 Gliederbrüche trugen sie genug davon. Sie mußten abermals den Rückzug antreten, und der lange Lienhart sang ihnen von der Mauer mit seinem Baß in greulich falschen Tönen das allgemein bekannte Spottlied nach:

»Ach, Du armer Judas,
Was hast Du getan?
Weiß ich doch sonst was,
Das geht auch Dich an.
Ach, Du armer Judas,
Was hast Du getan?«

In das Gelächter darüber ertönte der Schreckensruf: »Schaut die Kirche!« Kaspar hatte ihn ausgestoßen, indem er dabei mit der Hand nach dem Dorfe wies. Simon und die Seinigen hatten fortgefahren, sich grimmig zu wehren, selbst noch auf dem Kirchendache und dem Turm, von denen sie Ziegel und Mauerstücke auf die Stürmenden hinabwarfen und viele zu Tode schlugen, als sie ihr Pulver verschossen hatten. Jetzt stand die Kirche in Flammen und der Turm loderte wie eine Riesenfackel gen Himmel, Simon und allen seinen Tapferen ein feuriges Grab bereitend.

Im Schlosse waren aller Blicke dem Fingerzeige Kaspars gefolgt. Erschüttert und stumm schauten sie auf die wirbelnden Flammen. Florian Geyer entblößte sein Haupt und die übrigen folgten seinem Beispiele.

»Wie jene als tapfere Männer in den Tod gegangen sind«, sprach er nach einer Weile, sich wieder bedeckend, »so lasset auch uns, lieben Brüder, mit einander sterben, wenn es sein muß, Sieg oder Tod, ein Drittes gibt es für uns nicht.« Und: »Sieg oder Tod!« erscholl es ihm aus tiefster Brust nach. Florian Geyer fuhr fort: »Itzt aber verruht Euch, auf daß Euch die Kraft nit ausgehet. Lange werden sie nit säumen.«

Jeder setzte und legte sich, wie es die Gelegenheit bot. Die Mehrzahl harrte ernst des Kommenden, manche aber hörte man auch scherzen und lachen. Der lange Lienhart und Kaspar saßen nebeneinander auf einem behauenen Stein des zerstörten Burghauses und 598 schauten trüben Sinnes auf die bald hell auflodernden, bald durch den Qualm gedämpften Flammen der Kirche. Der Riese legte seine gewaltige Tatze Kaspar auf die Schulter; er wollte sprechen, aber er vermochte es nicht gleich. Es zuckte seltsam in dem raubvogelartigen Gesicht. Kaspar sah ihn an und sagte mit einem schmerzlichen Lächeln: »Laß gut sein, ich weiß schon, was Du sagen willst.«

Nun kam es wie ein tiefes Grollen über die bärtigen Lippen des langen Lienhart: »Der Teufel soll mich holen, wenn er nicht ein ganzer Kerl war, der Simon. Bei Gott, das war er!« Eine Träne rollte aus seinen runden Augen in seinen Schnurrbart. Kaspar nickte stumm. Florian Geyer trat zu ihnen und redete den langen Lienhart an: »Gib mir die Hand, alter Kriegskamerad! Wer weiß, ob wir später noch die Zeit dazu finden! Sei bedankt für die Treue, mit der Du zu unserer Fahne gestanden bist.«

»Äh, Hauptmann,« versetzte der Lange, indem er ihm die Rechte reichte, »ist's aus mit der Freiheit, so mag der ganze Krempel zur Hölle fahren. An dem Bissel Leben ist halt nix gelegen. Aber hier, der Etschlich, um den würd's mir leid tun, hat was Liebes daheim.«

Kaspar wurde feuerrot. Florian Geyer aber sagte mit einem Lächeln, indem er auch ihm die Hand gab: »Auf alle Fälle! Grüß' Dein Lieb von mir, wenn Du davonkommst. Ich glaub's; denn Du schaust mir aus wie einer, der selbst den Tod narret.«

»Es geht wieder los!« rief der lange Lienhart aufstehend und setzte leiser hinzu: »Wenn nur der verdammte Durst nicht wär'!«

Da die Kugeln der Schwarzen Schar nicht mehr zu fürchten waren, so hatten die Büchsenmeister die Stücke bis an den Rand des Grabens vorgeschoben. Das aus solcher Nähe erneuerte Feuer erweiterte nicht nur die bereits vorhandene Bresche in der Ringmauer beträchtlich, sondern legte auch von der inneren 599 Mauer ein Stück der oberen Hälfte nieder, das glücklicherweise nach innen fiel. Die edlen Herren traten aber nicht wieder zum Sturm an, sondern begnügten sich mit dem Zusehen. Der Truchseß war nämlich nach der zweiten Niederlage nach dem Dorfe Ingolstadt geritten und brachte nun die erlesene Fußtruppe, welche dort ihr Werk getan hatte, heran. Die adeligen Herren folgten ihnen und hetzten sie an wie Hunde. Weil aber die Hauptleute, Fähndriche, Waibel und Doppelsöldner durch keine Eisenkleider geschützt waren, so kamen sie nicht mit Beulen und Quetschungen davon, sondern es fanden ihrer viele in dem niederprasselnden Steinregen den Tod, und auch die Spieße und Hellebarden der Schwarzen taten ihre volle Schuldigkeit. Mancher, der schon den Rand der Mauer erfaßt hatte und sich hinaufzuschwingen gedachte, fiel einhändig, oder durchbohrt, oder mit eingeschlagenem Schädel zurück. »Dran! Dran! Dran!« schrien unaufhörlich die Herren.

Am Fuße der Mauer häuften sich die Leichen, und sie dienten den Stürmenden zum Schemel. Einer mit einem schwarzgelben Fähnlein war der erste oben. Im Jubel darüber stockte der Sturm einen Augenblick, da sprang Kaspar auf die Mauer, gab jenem, der sich dessen nicht versah, einen Stoß, so daß er taumelte, riß das schwarze Banner an sich und sprang damit hinunter. Doch dem Fähnrich folgten mehr und mehr, an verschiedenen Stellen krabbelten sie hinauf, und mit wildem Geheul stürzten sie sich auf die Bauern, die nicht wankten und nicht wichen. Ein wüstes Gewoge entstand. Man schlug einander mit den Speerstangen, Büchsenkolben, Steinen auf die Köpfe, stach mit den Händen – alles in fast stummer Erbitterung, so daß man das Klirren der Waffen, das Knirschen der zerschmetterten Gebeine, das Ächzen der Verwundeten und Sterbenden, den dumpfen Aufschrei der unter die Füße Getretenen vernahm.

Florian Geyer und der lange Lienhart waren überall, 600 wo die Not der Ihrigen am größten schien, und ihre scharfen Schwerter fraßen gierig Leib und Leben. Rot von Blut war auch der lange Degen Kaspars, der seine Büchse auf dem Schädel eines bündischen Hauptmanns zerschlagen hatte. Das Tuch der schwarzen Fahne mit den goldenen Strahlen hatte er von der Stange gerissen und sich um den Leib geschlungen.

Es wurde dunkel und mit der Dunkelheit ging die stumme Wut in ein Geheul über, wie von hungrigen Raubtieren. Dem Morden tat sie keinen Einhalt und das brennende Ingolstadt leuchtete zu dem Graus. Hier und da mußten die Leiber der Verwundeten und Toten den Kämpfenden zum Wall dienen. Die Zahl der Bündischen war jedoch zu groß und die Schar der Schwarzen schmolz und schmolz. Die 50 freien Knechte Würzburgs lagen Mann für Mann erschlagen. Ein Häuflein Bauern flüchtete in den Burgkeller. Die Bündischen warfen brennendes Stroh und ein Fäßchen Pulver durch die Luftlöcher hinunter. Krachend flog es auf und alle bis auf drei erstickten und verbrannten. Das Gewölbe barst, die Steine wurden weit umher geschleudert, so daß die Bündischen zurückwichen. Aber auch ein Stück der Ringmauer war im Rücken der Schwarzen eingestürzt. Florian Geyer gewahrte es. »Hinaus!« schrie er den Seinigen zu. Der lange Lienhart sprang an seine Seite und ihre gezückten Schwerter deckten den Rückzug der Ihrigen. Es war nur noch ein ganz kleines Häuflein. In der Verwirrung der Explosion, dem aufgewühlten Staube und der Dunkelheit gelang es allen, Florian Geyer und dem langen Lienhart als den letzten, das Freie zu gewinnen.

Das südlich von der Burg gelegene Gehölz nahm sie in seinen Schutz, ehe es den Bündischen noch ganz deutlich wurde, was geschehen war. Der nicht große Wald steckte voll Bauern, die sich vor den Reisigen hierher gerettet hatten, wohin ihnen die Reiter nicht folgen konnten. Der Brand der Dörfer Ingolstadt, 601 Sulzdorf, Bütthart und Giebelstadt rötete den Himmel über dem Walde und wie in Blut schwamm der abnehmende Mond herauf. Von Moos her, wo der Truchseß inzwischen das Lager geschlagen hatte und die Herren von den Vorräten der bäuerlichen Wagenburg sich gütlich taten, schmetterten die Trompeten und dröhnten die Pauken zur Siegesfeier.

Eben stellte sich dort auch reumütig das meuterische Fußvolk ein. Der Truchseß verzieh ihm nicht aus Großmut etwa, denn einer solchen war sein Herz nicht fähig, sondern weil er es für die große Blutsarbeit, die ihm noch oblag, nicht entbehren konnte. Der Tag bei Königshofen und der heutige besonders hatten ihm sehr viele Menschen und Pferde gekostet. Von der erlesenen Schar kehrte kaum der dritte Teil aus den Burgruinen zurück. Die berittenen Wachen, welche bisher das Gehölz umkreist hatten, wurden jetzt von Posten des zu Kreuz gekrochenen Fußvolks abgelöst. War die »Sauhatz« beendigt, so gab es am Morgen wohl noch eine fröhliche Jagd auf Kleinwild.

Florian Geyer versammelte bei dem feurigen Widerschein des Himmels und dem bleichen Mondlicht, die das Walddunkel unheimlich durchdämmerten, die Flüchtlinge und versuchte, ihnen Mut einzuflößen. Er stellte ihnen vor, daß sie eine sichere Beute des Todes werden müßten, wenn sie abwarteten, bis der Tag den Fußknechten das Eindringen in das Gehölz gestattete. Es wäre ihnen ja auch zu gut bekannt, daß der Wolf eher ein Schaf, denn der Truchseß einen Bauern verschone. Von Jugend auf und als Jäger mit der ganzen Gegend genau bekannt, versprach er ihnen, sie sicher über den Main und nach Würzburg zurückzuführen, wenn sie ihm folgten. Etwaige Streifwachen brauchten sie nicht zu fürchten, da sie alle gut bewaffnet wären. Immer aber sei es ruhmvoller, mit den Waffen in der Hand zu sterben, als sich hier im Walde feig erwürgen zu lassen. 602

Die Entmutigung war jedoch zu groß und nur ein ganz kleines Häuflein schloß sich ihm und seinen wenigen Schwarzen an. Nur ihre noch vollen Pulvertaschen und Handrohre gaben sie letzteren her. Unterdessen hatte der lange Lienhart am Waldrande gespäht und kam jetzt mit seiner Auskundschaft zurück. Darauf unternahm Florian Geyer mit großem Lärm einen scheinbaren Vorstoß gegen Sulzdorf zu, eilte, als die Lanzknechte dort von allen Seiten zu Hauf kamen, durch das Gehölz zurück und brach im Süden gegen Allersheim heraus. Sein ungestümer Angriff zersprengte die überraschten Lanzknechte, bevor ihnen die Kameraden zu Hilfe kommen konnten, und er erreichte glücklich den bewaldeten Seeberg bei jenem Dorfe.

Erschöpft von der fast ununterbrochenen Kampfarbeit seit dem Morgen, warfen sich die Entronnenen nieder. Nur einer fehlte und der lange Lienhart rief jäh auffahrend: »Alle Hagel, wo ist denn der Etschlich? Und ich sah ihn doch noch, als wir aus dem Holz vorbrachen.« Auch andere hatten ihn damals noch gesehen, keiner vermochte jedoch, weitere Auskunft zu geben und auf den Ruf seines Namens, den der lange Lienhart mehrmals mit aller Kraft erschallen ließ, erfolgte keine Antwort. Man mußte ihn verloren geben,

Die Pein des Durstes trieb die Flüchtlinge trotz ihrer Ermüdung weiter. In Euershausen erreichten sie die Heerstraße, die über Giebelstadt nach Würzburg führte. Bei dem Wirtshause war ein fließender Brunnen, auf den sich alle gierig stürzten. Florian Geyer hämmerte unterdessen mit seinen Eisenfäusten den Wirt aus dem Schlafe. Erst nach einer guten Weile steckte derselbe den Kopf vorsichtig zu einem Fensterlein heraus, zog ihn aber schleunigst wieder zurück, als er der späten Gäste ansichtig wurde, Er hatte Angst vor der Rache der Bündischen, deren Reisige auf der Verfolgung der Bauern auch durch 603 Euershausen gefegt waren. Nur die Drohung, sich mit Gewalt Eingang zu verschaffen, bewog ihn endlich, die Haustür aufzusperren. Die Flüchtlinge verlangten vor allen Dingen Brot und fielen dann heißhungerig über dasselbe her. Hatte doch seit dem Aufbruch von Heidingsfeld keiner einen Bissen gegessen. Dem langen Lienhart wollte es trotzdem nicht munden, selbst der Wein nicht, den Florian Geyer zum Nachtrunk bringen ließ. Er brummte Unverständliches vor sich hin und schüttelte wieder und wieder den Kopf. Florian Geyer saß in tiefem Nachdenken.

»Und itzt lasset uns jeder seine Straße ziehen,« sprach er, nachdem er die ganze Zeche aus seiner Tasche beglichen hatte, wobei ihm nur ein paar Heller übrig blieben, und sie wieder auf der Gasse standen. »Wer über den Main will, hat es von hier am nächsten nach Ochsenfurt. Haltet Euch aber meines Aufrufes in den nächsten Tagen gewärtigt. Denn der Tanz ist noch nit aus. Ich vermeine, wir spielen ihnen wohl noch den Kehraus auf.«

Sie schüttelten einander die Hände und zerstreuten sich in die Nacht. Florian Geyer, der lange Lienhart und ein paar von den Schwarzen, die aus Reichardtsrode waren, schlugen einen Landweg ein, der weiter südlich die nach Röttingen führende Heerstraße durchschnitt und sie dann nach Bieberehren brachte, wo die Steinach in die Tauber sich ergießt. Hier trennten sich die letzten von Florian Geyer und dem langen Lienhart, der dem obersten Hauptmann der Schwarzen Schar erklärte, er bleibe, wo jener bleibe. So wanderten die beiden allein die Tauber aufwärts weiter und erreichten nachmittags Rothenburg.

Die Wache am Klingentor und die wegen des Feiertages zahlreichen Menschen auf den Gassen machten große Augen, als sie die beiden und besonders Florian Geyer in seiner vollen Rüstung zu Fuß daherkommen sahen. Vor dem Hause von Menzingens trennten sie 604 sich. Der lange Lienhart wollte bei seinem Schwager, dem Ratmann und Wirten zum Roten Hahnen, herbergen: »Du hast mich also vollkommen verstanden?« fragte Florian Geyer, und als der lange Lienhart bejahend nickte, fügte er hinzu: »Dann morgen mit dem Frühesten; ich verlasse mich auf Dich. Auf ein hoffentlich glücklicheres Wiedersehen, alter Kamerad!«

Der lange Lienhart wiederholte den Wunsch und schritt der Schmiedgasse zu, während Florian Geyer in das Haus des Ritters Stephan trat. Derselbe stand im Begriff auszureiten. Er war allein zu Hause, seine Gattin mit ihrer Tochter einer Einladung des Fräuleins von Badell in ihren Garten gefolgt. Er prallte vor Florian Geyer förmlich zurück. »Um Gott, was ist geschehen?« fragte er mit weitgeöffneten Augen.

»Das ist bald erzählt«, erwiderte der Gast so ruhig wie immer. »Doch helfet mir erst von der Rüstung. Seitdem ich am Pfingstabend von Euch ging, bin ich nicht aus ihr herausgekommen.« Und er berichtete in wenigen Worten von der Niederlage bei Ingolstadt, während der Hausherr, ungeschickt vor Aufregung, ihm den erbetenen Knappendienst leistete. Alles Blut wich aus seinen Wangen und fast tonlos kam es über seine Lippen: »Dann ist alles verloren!« Florian Geyer aber erwiderte mit dem Tone voller Überzeugung: »Nein, noch ist nichts verloren! – Doch gönnet mir einen Trunk und einen Imbiß. Ich bin dessen sehr benötigt.«

Es wurde Stephan von Menzingen schwer, sich äußerlich so weit zu fassen, daß er seinem Diener unauffällig die nötigen Befehle erteilen konnte. Voll Unruhe ging er, bis sie vollzogen waren, sporenklirrend hin und her, ohne Barret und Reitschaube abzulegen. Florian Geyer, der sich körperlich ermüdet am Tische niedergelassen hatte, mußte erst seine von Staub und Hitze ausgetrocknete Kehle mit einem Becher Weins erfrischen, bevor er den kalten Speisen zusprechen konnte. Seine Ruhe steigerte noch die Aufregung des Herrn Stephan, der 605 sich zu ihm gesetzt hatte. Nach einigen Bissen begann er endlich: »Nein, es ist noch nichts verloren. Was von dem Fränkischen Heer nicht erschlagen, das ist freilich in alle Winde versprengt. Die Zeit ist bisher leider zu kurz gewesen, um die Bauern im Kriegshandwerk zu festigen. Aber sie werden es noch lernen. Und meine Schwarze Schar ist leider Gottes aufgerieben. Ich mag's Euch wol gestehen, daß sie das Vertrauen, das ich in sie setzte, mehr als gerechtfertigt hat.«

»Aber was soll denn geschehen?« unterbrach ihn Stephan von Menzingen, fieberhaft an seinem Schnurrbart zerrend.

»Aber die Bauern von Schwäbisch Hall besitzen noch ihre Waffen, die Schenken von Limburg haben den Artikelbrief angenommen und der Gaildorfer Haufen dort ist noch in keiner Schlacht gewesen. Mahnen wir dazu die Bauern des Rothenburger Gebiets wieder auf – und Brennecken, der lange Lienhart ist überzeugt, daß sie dem Rufe folgen werden – so steht in wenigen Tagen ein neues Heer im Rücken des Truchseß. Waffen, Pulver und Geschütz liegen hier in der Stadt genug und die hiesige Bürgerschaft, vermein' ich, natürlich nicht die Patrizier und Protzen, ist gewiß ebenso willig zum Kampf, wie die von Würzburg, Meiningen, Bamberg und anderen geringeren Bundesstädten. Es geht halt ihnen allen an den Kragen, wenn sie sich nicht wehren.«

Das Blut war wieder in Herrn Stephans Gesicht zurückgekehrt. Er atmete wieder auf. »Die niedern Zünfte Rothenburgs stehen fest zu mir«, versicherte er. »Ob aber der Rat im guten seine Rüst- und Vorratskammern öffnen wird, das möcht' ich bezweifeln.«

»So muß er dazu gezwungen werden«, rief Florian Geyer nachdrücklich. »Es muß sich jetzt zeigen, ob er nur auf die Gelegenheit paßt, von dem beschworenen Bunde abzufallen. Unsere gestrige Niederlage wird ihn günstig dünken. Dann ist seine Zeit um. Feget ihn hinweg.« 606

»Meiner Treu, an mir soll es wahrlich nicht fehlen«, versicherte Menzingen. »Sein Maß ist übervoll.«

»Ihr müsset einsehen«, fuhr der Gast fort, »daß wenn Würzburg sich nur noch eine kleine Zeit hält, der Truchseß und die Fürsten sich zurückziehen müssen, wenn sie nicht ringsum eingeschlossen werden wollen, daß es trotz aller von ihnen erfochtenen Siege gar übel mit ihnen steht.«

»Wohl, aber kann Würzburg sich noch halten?« fragte von Menzingen, indem er seinen Schnurrbart links und rechts durch die Finger laufen ließ.

»Ich werde des Sorge tragen«, beruhigte ihn der Gast. »Ich gehe von hier nach Rimpar, bringe die Bauern auf dem Gramschatzer Walde in die Waffen, wenn es noch nicht geschehen sein sollte, rufe Hans Schnabel mit den Bildhäusern von Melrichstadt herbei, und mich dünkt, daß es mit solcher Macht wohl gelingen sollte, den Würzburgern von Norden her Luft zu machen, während der lange Lienhart mit den Limburgern und Gaildorfern von Süden herandringt. Und itzt noch eines! Wendel Hipler – er soll sich von Königshofen glücklich gerettet haben, wär's nit, der Truchseß hätt' es schon in alle Welt ausposaunen lassen – Wendel Hipler, der überall gute Verbindungen hat, erzählte mir, als er in Würzburg war, daß der Aufstand wieder an allen Enden auszubrechen drohe, von Salzburg bis an den Bodensee und längs dem Rheintal. Die Algäuer rüsten sich, Memmingen zu belagern, Weißenburg und Worms sind auf seiten der Bauern getreten, und in Münster soll es gewaltig gähren. Würzburg braucht sich also nicht gar so lange zu halten.«

Die etwas vorgewölbten dunkeln Augen Stephans von Menzingen glänzten unter den breiten Lidern. Der ungebeugte Mut und die Kühnheit Florian Geyers erfüllten auch ihn mit Zuversicht. Noch besprachen beide verschiedene Punkte des Planes, als ihnen gemeldet wurde, daß ein Ratsbote den Herrn Florian zu sprechen begehre. 607 Der Mann war in seiner Amtstracht und trug an einer Kette um den Hals ein Blechschild mit dem Wappen der freien Reichsstadt. »Nun, Liesegang, was schaffet Ihr, daß Ihr selbst am Feiertage in Dienst seid?« redete Stephan von Menzingen den ihm bekannten Diener mit einem Anfluge von Vertraulichkeit an. Dieser aber erwiderte mit der unnahbarsten Amtsmiene, die er anzunehmen vermochte: »Ein wohlweiser Rat schickt mich, dieses Schreiben dem hochgeborenen edlen Herrn Florian Geyer zu Geyersberg zu eignen Händen zu überantworten.«

Florian Geyer nahm den großen, mit dem Ratssiegel versehenen Brief, öffnete ihn und las. Eine zornige Röte stieg in sein Gesicht; dann lachte er kurz auf und sprach, nachdem er zu Ende gelesen hatte, mit Ironie zu Liesegang, der wie eine Schildwacht dastand: »Vermeldet dem wohlweisen Rate, daß ich, der hochgeborene edle Herr und Ritter Florian Geyer von Geyersberg, es mir zur höchsten Ehre schätzen werde, den Staub dieser gastlichen Stadt von den Füßen zu schütteln.«

»Werd' es pflichtschuldigst vermelden«, antwortete der Bote und ging steif zur Tür hinaus.

Florian Geyer reichte den Brief Stephan von Menzingen und sagte: »Da leset! Der Rat weiset mich aus; morgen früh soll ich die Stadt verlassen.«

»Hölle und Teufel, das waget der Rat?« fuhr Stephan von Menzingen auf und schlug mit der geballten Faust auf das Schreiben.

»Brauchet Ihr einen Beweis, daß er bundesbrüchig ist, hier habt Ihr ihn«, äußerte Florian Geyer, und sein Gastfreund schnob: »Und ich will's ihm in die Zähne rücken! Er und das ganze Stadtjunkertum sollen hinweggeblasen werden wie Federn vom Wind.«

Gleiches gelobten die Bürger, die der lange Lienhart im Roten Hahnen bei ihren Feiertagsschoppen fand. Allerdings waren auch sie über die fürchterliche Niederlage bei Ingolstadt höchlich bestürzt; der lange Lienhart 608 richtete jedoch ihren Mut wieder auf, indem er ihrer Zaghaftigkeit den Heldenmut der Schwarzen im Dorf und Schloß Ingolstadt gegenüberstellte, auf den Beistand der Haller und Gaildorfer deutete und seine Überzeugung aussprach, daß die Rothenburger Bauern wieder auf sein würden, sobald sie sähen, daß die Städter endlich Ernst machten. Die Hauptsache aber sei, daß Florian Geyer noch lebe und nicht daran denke, sein Schwert wegzuwerfen, Das übrige tat der Wein, und mancher Becher ward auf das Wohl Florian Geyers gestürzt.

Der lange Lienhart war vorsichtig genug, mit dessen Absichten, in die er auf ihrer langen Wanderung eingeweiht worden, nicht offen herauszugehen. Unumwunden sprach er erst davon, als er später mit dem Metzger Fritz Dalk, dem Gerber Jos Schad, dem Weingärtner Hans Mack und noch ein paar ebenso entschlossenen Männern wie sie allein war. Sie wollten eher ihr Leben lassen, als daß die Patrizier und Protzen für sich die Fettaugen von der Suppe schöpften.

»Aber itzt, wer hilft mir zu einem Gaul?« fragte der lange Lienhart noch, ehe sie sich trennten. »Ich und der Florian, wir haben beid' unsere Rösser nit mehr aus dem Schlosse retten mögen.«

Fritz Dalk versprach ihm, daß er eines zu jeder Stunde in seinem Stall finden würde. Er hielt auch sein Wort und der lange Lienhart trabte am nächsten Morgen aus dem Kobolzeller Tor, vorüber an dem Wallfahrtskirchlein und über die steinerne Brücke, die in drei Stockwerken die Tauber überspannte, gen Schwäbisch Hall. 609



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