Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Fünftes Kapitel.

Frau von Muslor wartete mit dem Mittagessen schon länger als eine Stunde auf ihren Gemahl. Während sie, zuweilen seufzend, die Daumen ihrer fleischigen Hände umeinander drehte, schaute ihre Tochter vom Fenster des Speisezimmers nach dem Vater aus. Vor dem Rathause stand ein Haufen Neugieriger, welche auf das Ergebnis der gemeinsamen Sitzung der beiden Räte harrten. Schon seit dem frühen Morgen waren sie versammelt. Von den Leuten auf der sonst so stillen Herrengasse – es waren vorwiegend Handwerker in ihren Arbeitsanzügen – wanderten die mattblauen Augen Sabines zum Himmel, an dem leichte, weiße Wölkchen schwebten, und blieben zuletzt an dem Storchnest auf der Turmspitze des Rathauses hängen. Es war ein uraltes Nest, dessen Bewohner heuer früher als in anderen Jahren zurückgekehrt waren. Einer von den Frühlingsboten, die von der städtischen Jugend stets mit Jubel begrüßt wurden, stand in dem Neste und die Bewegung seines Kopfes deutete darauf hin, daß er die alte Heimstatt, welche von den Winterstürmen übel zugerichtet sein mochte, auszubessern beschäftigt war. Eben kam sein Genosse auf weit gespannten Schwingen daher, umkreiste das Nest und ließ sich auf dessen Rand nieder. Vielleicht brachte er Baumaterial oder Nahrung und erzählte dann von 306 dem, was er draußen erfahren. Denn er bewegte lebhaft den langen roten Schnabel.

Wie Sabine ihnen zuschaute, stieg in ihren sonst so gleichgültigen, ja gelangweilten Augen etwas Träumerisch-sehnsüchtiges auf. Ihre Freundin lehnte mit gekreuzten Füßen in einem Sessel und las in einem fliegenden Blatte. Die breitgerundeten Spitzen ihrer über den Zehen gepufften Schuhe lauschten unter dem Saume des dunkelblauen, mit Silber gegürteten Wollenkleides hervor. Das aufgeflochtene Haar krönte wie ein Diadem ihr Vorderhaupt. Das zu Nürnberg gedruckte Blatt erzählte von einer jungen, römischen Kaiserin, die mit einem Ritter ihrem alten Gemahl die Ehe bricht, wovon diesem ein Horn auf der Stirn wuchs, und wie es die Ehebrecherin durch die List, daß sie sich vor den Augen des Betrogenen von ihrem Liebsten mit Gewalt umarmen läßt, es möglich macht, sich rein zu schwören, ohne daß ihr das Bild der Wahrheit die Finger abbeißt, die sie dabei in dessen Mund legen muß, worauf dann das Horn von der Stirn des alten Kaisers abfällt. Der derbe Poet war ein wunderlicher Frauenlob, den er zu Anfang seines Gedichtes anruft; denn zum Schlusse legt er es dem alten Kaiser selbst in den Mund, daß man die Frauen nicht schmälen dürfe, wenn sie manchen weisen Mann zum Toren machten. Er würde dadurch nicht weiser. Durch Frauenliebe hätte sich Adam schwer versündigt, sei Troja zerstört, Holofernes getötet und der starke Simson geblendet worden. Auch Aristoteles hätte sich aus Liebe vergangen, sowie der große Alexander, Absalon, König David und der weise König Salomon.

Die schöne Gabriele nahm an der laxen Moral des ungenannten Dichters keinen Anstoß, obgleich sie das Blatt mit einer fast heftigen Gebärde weg warf. Es erinnerte sie an Max Eberhard, den sie trotz ihrer verführerischen Reize nicht bezwungen hatte. Die Wunde brannte noch immer. Sie lehnte den Kopf zurück und 307 schloß die Augen, jedoch nicht, um von ihrer Liebe zu träumen. Was nutzte ihr in dem kleinen Rothenburg, wo ihr alles fehlschlug und sie verletzte, ihre Schönheit, die sie für einen großen Schauplatz zu bestimmen schien? Sie sehnte sich fort aus den engen Verhältnissen der Vaterstadt, die ihr feuriges Temperament nur noch mit Ungeduld ertrug. Hier mußte sie apathisch werden, wie es Sabine war, die es ohne Widerspruch über sich ergehen ließ, daß sie mit dem Stadthauptmann von Adelsheim vermählt wurde, obgleich sie nicht die geringste Neigung für ihn empfand. Hier mußte sie zu einem solchen Fettklumpen von Gewöhnlichkeit und Willenlosigkeit werden, wie es Frau von Muslor war. Sie haßte diese beiden Wesen jetzt beinahe um der Zuneigung und Liebe willen, die ihr von ihnen erwiesen wurde. Es war eine Fessel.

»Da kommt der Vater und Herr Eberhard mit ihm«, verkündete endlich Sabine und verließ das Zimmer, um für den Tischgast ein Gedeck auflegen zu lassen. Es war nichts Ungewöhnliches, daß Erasmus von Muslor aus der Ratssitzung einen Gast zu Tisch mitbrachte. Die Speisestunde war die einzige Erholung des vielbeschäftigten Mannes. Seine Gäste mußten fürlieb nehmen, denn er war kein Feinschmecker und Schlemmer wie Stephan von Menzingen. Die beiden Bürgermeister kamen in keiner heiteren Stimmung vom Rathause. Die schmale hohe Stirn des Herrn Erasmus war bewölkt und Bitterkeit krümmte seine feinen Lippen abwärts. Die scharfgeschnittenen und stählernen Augen des Herrn Konrad hatten einen noch härteren Ausdruck als sonst und er milderte sich auch nicht wie sonst, wann er seine schöne Mündel begrüßte. Gabriele selbst verhielt sich kühler gegen ihn, seitdem es ihr mißlungen war, ihn zum Abstande von der Klage gegen Zeisolf von Rosenberg zu bewegen.

»Es hat wieder Verdruß gegeben?« wagte Frau von Muslor ihren Gatten schüchtern zu fragen. 308

»Nun, Du magst es wissen, es ist kein Geheimnis«, versetzte er, die Brauen zusammenziehend. »Der Äußere Rat hat sich aufgelöst und der Ausschuß tritt an seine Stelle.«

»Das wolle Gott nicht«, rief die Hausfrau erschrocken.

»Gott vielleicht nicht, aber dieser Teufel von Menzingen hat es verlangt und dem Ausschuß eingeblasen«, knirschte Konrad Eberhard: »Wenn in dem Äußeren Rat Männer säßen! – Der Innere Rat sollte ihn seiner Verpflichtungen entbinden, bat er flehentlich.«

»Und der Innere Rat hat nachgegeben?« fragte Gabriele, indem sich ihre wollüstigen Lippen verächtlich kräuselten.

Der Vormund warf ihr einen unwilligen Blick zu und sprach mit nachdrücklicher Betonung:

»Von der Gemeinde und ihrem Ausschuß in der Stadt versperrt, gefangen, schwerlich und hochbedrängt, mußte der Innere Rat wohl, wenn auch mit bekümmertem, traurigem Gemüte, tun, was die Gemeinde wollte, gleichviel, ob es gut oder böse war, ob es wohl oder übel geriet.«

»Und so werden wir denn«, fügte der Hausherr hinzu, der inzwischen jedem am Tische vorgelegt hatte, »das Vergnügen haben, Bäcker, Hafner, Metzger, Tuchscherer, Gerber demnächst als unsere liebwerten Ratskollegen zu begrüßen. Nun, ich bin nur froh und Ihr werdet es auch sein, verehrter Freund, daß unsere Amtsdauer in vier Wochen abläuft.«

»Und es wird ein Gaudium sein, den ehrenfesten Ritter Stephan von Menzingen als Bürgermeister unserer guten Stadt zu sehen«, äußerte Konrad Eberhard mit grimmigem Hohn.

»Aber es darf dahin nicht kommen«, rief die schöne Gabriele mit flammendem Antlitz.

»Wohin es immer kommen mag, mein liebes Kind, es wird arg genug sein«, antwortete Herr Erasmus mit 309 einem Lächeln über ihren Eifer. »Wir können es nicht hindern. Der Schwäbische Bund ist nicht gerüstet und die Fürsten und freien Städte haben alle selbst vollauf mit ihren aufrührerischen Untertanen zu tun, als daß sie uns helfen könnten. Wir werden alle darunter zu leiden haben, auch Ihr Mädchen, und meine arme Sabine wird sich in den Aufschub ihres Glückes schicken müssen; das ist keine Zeit, um Hochzeit zu machen.«

»Armes Binchen«, seufzte Frau von Muslor und streichelte zärtlich den Rücken von ihrer Tochter Hand.

»O, ich kann warten«, versetzte Sabine mit großer Gemütsruhe, und Gabriele bemerkte sarkastisch: »Auf ein solches Glück kann man nie lang genug warten.«

»Du tust übel daran, zu spotten, schönes Fräulein«, rügte der Vormund. »Der Aufruhr wird auch Deiner nicht schonen.«

»Spüre ich ihn denn nicht schon?« erwiderte Gabriele spitz. »Verdank' ich's ja ihm, daß die Dirne, die mich erstechen wollte, der Justiz eine lange Nase macht und die Handwerksknechte, die sie befreiten, unbehelligt bleiben.«

»O, Gabriele, möchtest Du so dem eigentlichen Retter Deiner Ehre lohnen?« fragte ihre Freundin vorwurfsvoll. »Denn das war doch der Tuchergeselle, nicht der junge Goldschmied.«

»Und sein Vater sitzet im Ausschuß. Vielleicht erlangst Du es von ihm, daß er den jungen Burschen, diesen Plebejer, der Deinen Dank damals verschmähte, uns, den Patriziern, zur Bestrafung für seinen Frevel ausliefert?« So äußerte Herr Erasmus ironisch und fügte dann ernst hinzu: »Ist die Rechnung auch noch unbeglichen, so ist sie doch nicht zerrissen. Auch nicht die des Mädchens!«

»Sie ist eben verrückt«, bemerkte Herr Konrad mit einem Achselzucken und Frau von Muslor meinte, daß 310 man sie in diesem Falle nach Dettwang ins Narrenhaus tun müßte.

Gabriele schwieg zu dem allem. Ihr Stolz hatte nicht das Geständnis gelitten, daß Eifersucht das Motiv von Käthes Tat gewesen. Unerträglich war es ihr, daß ein so tief unter ihr stehendes Geschöpf wie Hans Lautner die Augen zu ihr zu erheben gewagt hatte. Sie empfand seine Liebe wie einen Schimpf, die Erinnerung daran tauchte ihre Wangen in eine tiefe Glut. Sie wollte sich emporschwingen wie ein Adler und alles zog sie in die Tiefe. Die Ungeduld, mit der sie innerlich an ihren Banden zerrte, flammte jetzt in den Worten auf: »O, wie das alles so halb ist! Ein Belauern hüben und drüben und keine ganze Tat!«

Frau von Muslor und ihre Tochter schauten sie betroffen an, Herr Erasmus strich sich lächelnd den Schnurrbart von den Lippen und sein Amtsgenosse setzte mit trockener Schärfe ein: »Unten im Taubertal und in St. Jakob ist es ja schon zu Taten gekommen. Mich will es fast bedünken, Du sähest es gern, wenn der Bundschuh Glauben, Wissen, Bildung, kurz die ganze Kultur, deren Segnungen wir uns erfreuen, in ein wüstes Chaos stampfte. Das wäre wohl eine Tat nach Deinem Sinn?«

»Aber das Chaos wird kommen, wenn nicht ein Mann der Tat aufsteht«, rief Gabriele mit blitzenden Augen, »ein Held, ein Ritter Georg oder ein Siegfried, wie er in den Volksbüchern steht, und den Drachen überwältigt und ihm das Haupt abschlägt.«

»Es geschehen heut keine Wunder mehr«, versetzte der Vormund geringschätzig und der Hausherr scherzte: »Einen solchen Helden hätten wir ja gleich zur Hand, wenn es uns gleichgültig wäre, ob wir in der Pfanne oder am Spieße gebraten würden. Ich meine den Markgrafen Kasimir.«

Damit neigte er sich leicht gegen den Gast, der den dünnlippigen Mund zu einem unhörbaren grimmen 311 Lachen in die Breite zog, warf sein Handtüchlein auf den Tisch und erhob sich.

Fast schien es, als ob der Wächter auf dem Rathausturm nur auf das Ende der Mahlzeit gewartet hätte. Denn kaum war man vom Tische aufgestanden, so stieß er auf dem Steinkranze droben mehrere Male rasch in sein Horn. Dumpf und unheimlich, wie der Stier von Uri, heulten die Töne über die Stadt hin. Die beiden Männer rissen die Fenster auf und blickten nach dem Turme. Eine Feuersbrunst war nicht, wie sie befürchteten, in der Stadt ausgebrochen, denn es war droben keine Fahne ausgesteckt, wie es in solchen Unglücksfällen der Brauch war. Schon begannen in der Herrengasse die Leute aus den Häusern zu laufen. Herr Erasmus, der sie fragend anrief, erhielt nur verneinende Zeichen zur Antwort. Sie wußten nicht, welche Gefahr die Stadt bedrohte. »Ob der Lärmruf nicht den Wolf in der Fabel ankündigt?« meinte der Hausherr, das Fenster schließend. »Nun, wir werden es ja gleich erfahren.«

»Den Markgrafen ließ der Menzingen nicht ein«, bemerkte Konrad Eberhard. »Mußte doch dessen Bote vorgestern abend außerhalb der Stadt nächtigen, nachdem er ihm am Tor des Markgrafen Schreiben abgenommen –«

– »Und ehe er es dem Rate übergab, gelesen hatte«, ergänzte der erste Bürgermeister. »Wir können einem solch strengen Zensor nur dankbar sein, überhebt er uns doch jeder Verantwortung, und Kasimir wird es verstehen, warum wir sein freundliches Angebot, zwischen Rat, Ausschuß und Bauern zu vermitteln, abgelehnt haben.«

Hier wurde von dem Diener der zweite Turmwächter angemeldet; denn es hielten deren zwei abwechselnd Tag und Nacht droben die Wacht.

»Nun, was gibt's?« wandte sich Herr Erasmus lebhaft zu dem Eintretenden. 312

»Euer Gnaden, die Bauern kommen«, antwortete der Mann mit rauher Kehle. »Sie ziehen in großer Zahl von den Lindachseen her«.

Die Frauen erschraken. Der Hausherr füllte einen Becher mit Wein, reichte ihn dem Boten und sprach: »Es ist gut, ich dank' Euch.«

Herr Konrad suchte unterdessen Frau von Muslor und die Mädchen zu beruhigen. Es hätten sich an den Mauern von Rothenburg schon ganz andere Bauernschädel eingerannt. Erasmus von Muslor machte sich zum Ausgehen bereit, und auch der zweite Bürgermeister steckte sich sein Schwert an, warf die Schaube über und griff zum Barett. Darüber sandte der oberste Stadthauptmann Albrecht von Adelsheim Botschaft, daß er für alle Fälle auf dem Faulturm zu finden sein werde. In dem geräumigen Hausflur des Erdgeschosses begegnete ihm der Stadtrichter Georg Hörner und vor dem Hausflur warteten vier Stadtknechte in voller Rüstung. Verwundert fragte der erste Bürgermeister, was es mit ihnen solle? »Als Euer Gestrengen Leibwache«, erklärte Hörner. Das bürokratisch-aristokratische Gesicht des Herrn Erasmus wurde dunkelrot. »Schicket die Leute fort«, befahl er und fügte, den nächsten Weg nach dem Faulturm einschlagend, gegen seinen Amtsgenossen bitter hinzu: »So weit ist es also schon gekommen, daß die Oberhäupter der Stadt in deren Gassen einer Schutzwehr bedürfen?«

»Nicht doch, es ist nur der Übereifer des Mannes«, erwiderte der zweite Bürgermeister mit finsterer Miene.

»Aber der Übereifer der Untergebenen tut dem Ansehen der Regierung mehr Abbruch, als die feindselige Gesinnung der Untertanen«, antwortete Erasmus von Muslor.

Der Faulturm lag so ziemlich in der Mitte zwischen dem Rödertor und der Ecke, die der weitvorspringende Kappenzipfel bildete. Er war der stärkste und höchste 313 von den neunundzwanzig Türmen, welche die Stadtmauer zwischen sich faßten. Manch unheimliche Sage war von ihm im Schwange, und wie man sich erzählte, sollten in dem tiefen Verließ unter der Erde Spieße emporstarren, in die man durch eine Falltür Verbrecher stürzte. Andere wollten wissen, daß das Verließ eine eiserne Jungfrau beherberge, welche den Opfern den Kopf abschnitt. Die Staatsgefängnisse, in denen unter anderem Rothenburgs berühmtester Bürgermeister Heinrich Toppler den eifersüchtigen Argwohn der Patrizier mit dem Hungertode entgelten mußte, lagen unter dem Rathause.

Albrecht von Adelsheim erwartete bereits seinen zukünftigen Schwiegervater und dessen Begleiter auf dem Guckaus des Faulturms, von wo man die Felder und Forsten der Hochebene weit überschaute. Die Bauern zogen so nahe an der Stadt hin, daß es deutlich war, daß sie sich keines Angriffs von dieser versahen. Der Stadthauptmann riß in ohnmächtiger Wut an seinem Schnurrbart; er empfand es als einen Spott der Bauern, die in Fähnchen geordnet waren und deren Vor- und Nachhut aus wohlgerüsteten Reitern bestand. Von den Fähnlein war nur ein Teil mit Feuerwaffen versehen, ein anderer mit Armbrüsten, die Mehrzahl war mit Spießen, deren langen, biegsamen Spitzen kaum ein Panzer widerstand, mit aufgerichteten Sensen und igelartigen Dreschflegeln versehen. Ihnen nach wurden auf einer Reihe von Wagen die Hakenbüchsen und Falkonettlein geführt, welche die Bauern von den Landtürmen genommen hatten. Neben den mit vier, sechs und selbst mit acht Pferden bespannten Wagen, die tiefe Geleise in den Boden schnitten, schleppten sich Weiber mit Pfannen, Kesseln, Töpfen und Lebensmitteln. Jedes Fähnlein hatte sein besonderes kleines Banner, wie seine eigenen Pfeifer und Trommler. Hoch über allen den glitzernden Speeren und Sensen flatterte das Hauptbanner des Haufens. Es war braun, gelb 314 und grün, gleich der Farbe des Ackerfeldes, und darauf eine dreizackige Gabel und ein Dreschflegel in Form eines Andreaskreuzes übereinandergelegt. Das Herzschild zeigte eine Pflugschar, unter der ein Bundschuh hervorragte. Alle Fahnen waren von dem Beutegeld angeschafft, das Fritz Mölkner aus Nortenburg verwaltete. Er ritt an der Spitze des Zuges mit den obersten Hauptleuten, unter denen einer auf einem Eisenschimmel durch seine Größe auffiel. Den Herren auf dem Faulturm war er fremd; unter den Leuten jedoch, deren Köpfe dicht bei dicht über die Stadtmauer lugten, lief es von Munde zu Munde: »Schau, der lange Lienhart!«

Albrecht von Adelsheim schätzte die Bewaffneten auf 2000 Mann. Der Eindruck, den sie machten, war um so tiefer, als Pfeifer und Trommler ihr Spiel nicht rührten, kein Lärmen und Singen in den Reihen sich vernehmen ließ, sondern sie in einem feierlichen Ernst zogen. »Seltsam«, wiegte Herr Erasmus den Kopf, »der Wernizer schrieb von 4000, die zu Reichardtsrode beisammen wären. Mehr noch erstaunt es mich, daß er, der doch so gut unterrichtet scheint, uns von diesem Zuge und seinem Ziel nichts vermeldet hat.«

»So steht uns also noch ein zweites Schauspiel bevor; denn die Fehlenden werden ja nicht ausbleiben«, bemerkte Konrad Eberhard mit einem Satirgesicht. Wie wär's, wenn wir das Geschütz unter sie gehen ließen? Hei, wie sie zappeln würden!«

Die Bauern waren mittlerweile auf dem Brühl vor dem Rödertor angelangt. Trommeln wirbelten, der Zug schwankte und stand, Spieße und Büchsen glitten von den Schultern zur Erde. Die laute Aufregung der Rothenburger auf den Wehrgängen wich einer erwartungsvollen Stille. Auf dem Brühl traten die obersten Hauptleute zusammen und einige Minuten später näherten sich drei Personen, von denen die eine ein Trommelschläger war, die andere eine Fahne trug, dem 315 Tor. Sie begleiteten einen Mann in schwarzem Pfarrkleide, über welches ein Panzer geschnallt war. An der Seite trug er ein Schwert und seine Kopfbedeckung bestand aus einem schwarzen Schlapphute mit einer roten Feder.

»Sie schicken uns einen Unterhändler«, rief Erasmus von Muslor. »Eilet zum Rödertor, lieber Adelsheim, Ihr habt jüngere Beine wie wir. Wir folgen so schnell wir können.« Er sagte letzteres, indem er schon mit seinen Begleitern die Turmtreppen hinunterzusteigen begann. Noch unterwegs hörten sie die Trommel rühren, und eine mächtige Lunge über den Festungsgraben das Verlangen nach dem ersten Bürgermeister herüberschreien. »Ein Glück, daß die Mauern unserer Stadt stärker sind als die von Jericho, der Kerl würde sie sonst umschreien«, scherzte Herr Erasmus. Einen Stich aber gab es ihm, als er die Stimme des Ritters von Menzingen die Frage von der Torbastei zurückrufen hörte, was das Begehren des Parlamentärs an den Bürgermeister sei. Der sonst so schweigsame Stadthauptmann von Adelsheim verwies ihm mit scharfen Worten seine Einmischung in Dinge, die ihn nichts angingen und rief hinunter, daß Se. Gnaden sogleich erscheinen würde. Stephan von Menzingen schlug zornig an sein Schwert und Adolf von Adelsheim entgegnete kalt: »Ich stehe Euch zu Diensten, wann und wo Ihrs begehrt.«

Das Erscheinen des Bürgermeisters schied die Streitenden. Der Stadthauptmann verkündete es dem Unterhändler, der ein noch junges Gesicht mit einer auffallend großen Nase, die so knöchern wie seine lange Gestalt war, zur Bastei emporwendete.

Er rief: »Der christliche Bruderbund der Rothenburger Bauernschaft sendet mich, von der Stadt zu begehren frei Geleit für seine Gesandten auf den morgenden Tag in der Früh.«

»Zu was Zweck?« 316

»Um in Güte zu verhandeln und abzutun in christlicher Liebe der Bauernschaft Beschwerden.«

»Und gelobet Ihr«, fragte Herr Erasmus von neuem, »daß Euere Boten sich friedlich halten, so ihnen die Stadt für morgen gewährt, frei ein- und auszureiten in Wehr und Waffen?«

»Ich gelob' es im Namen des Rothenburger Haufens.« Erasmus von Muslor warf einen fragenden Blick auf seinen Amtsgenossen und da dieser nickte, so rief er hinunter: »So sollen den Boten morgen die Stadttore geöffnet sein um sieben Uhr in der Frühe!«

Damit verließen er und seine Begleiter die Röderbastei. Das Heer der Bauern setzte sich wieder in Bewegung, jetzt unter Trommelschall und Pfeifenklang und begleitet von lauten Zurufen der Rothenburger auf den Mauern. Es zog nach dem drei Viertel Stunden entfernten Dorfe Neusitz, welches ihnen eine feste Stellung bot. Denn das Dorf lag an einer Anhöhe, die von dem besonders festen Kirchhof gekrönt wurde, und gewährte den Bauern den doppelten Vorteil, nicht nur Rothenburg im Auge zu haben, sondern auch die Straße nach Ansbach zu beherrschen. Leonhard Metzler war mit den Seinigen schon früher von Gebsattel her in das Dorf gerückt.

In Erwartung der noch fehlenden Zweitausend blieben die Zugbrücken von Rothenburg aufgezogen und die Tore geschlossen. Anstatt der Bauern kam ein Bote von Endsee. Der Schultheiß schrieb, daß sich von dem Lager zu Reichardtsrode die Hälfte westlich gewendet hätte; von der Bewegung der anderen auf Rothenburg hätte er zu spät erfahren, um noch rechtzeitig warnen zu können. Von dem Aufbruch dieser zweiten Hälfte hätte er erst infolge eines groben Unfugs, den sie in Ohrenbach verübt, Kunde erhalten. Es wäre nämlich ein Haufen in der Frühe dem dortigen Pfarrer vor das Haus gezogen, hätten einen Graben vor der Tür aufgeworfen, die Tür selbst zugepfählt, den Eimer über 317 dem Brunnen weggehauen und den Backofen mit Lehm vermauert. Nach solcher Ächtung und Interdicto aquae et ignis oder Untersagung des Gebrauchs von Wasser und Feuer hätte sich der ehrwürdige Herr, sobald die wüste Rotte hinweggezogen, samt seinem Hausrat und der Pfarrköchin, der er manch' gute Nachricht über das Fürhaben der Bauern verdanke, zu ihm auf Schloß Endsee geflüchtet, allwo er sich noch verhielte.

Auch dieser Brief war erst auf dem Umwege durch Stephan von Menzingens Hände an die Bürgermeister gelangt. Die Wache am Galgentor hatte den Boten erst zu dem Ritter geführt. Dieser wußte sich die westliche Fichtung, welche die Bauern von Reichardtsrode genommen hatten, richtig zu deuten. Wendel Hipler hatte ihn über die Verabredungen in Ballenberg nicht in Unkenntnis gelassen und der Sonntag Judica, an welchem sich die Bauernheere bei dem Kloster Schönthal treffen sollten, war ganz nahe zur Hand. Er sah sich selbst schon am Ziele. Jetzt, in Nachahmung der neuen spanischen Mode, den Erfolg auf den Zufall eines Schwertstoßes zu setzen, wäre ein Wahnsinn gewesen, und er drängte die Wut über die ihm von dem Stadthauptmann zugefügte Beleidigung zurück. Seiner Machtstellung würden ja die Mittel nicht fehlen, den künftigen Eidam des ersten Bürgermeisters den Schimpf entgelten zu lassen. Wie ein Trinker nur um so durstiger wird, je mehr er trinkt, so steigerte der Erfolg nur seinen Ehrgeiz. Derselbe machte ihn blind für die Herzensangst, mit der seine Gattin seinem gewagten Fluge nachschaute, blind für die verblassenden Rosen auf den Wangen seiner Tochter, die mit der Mutter und um ihrer Liebe willen zu Max litt.

Dreißig von ihren Hauptleuten, unter ihnen den gestrigen Parlamentär, der niemand anders als der Pfarrer Denner aus Leuzenbronn, und Fritz Mölkner aus Nortenburg, sandten die Bauern als Unterhändler in die Stadt. Eine tausendköpfige Menge erwartete sie 318 auf dem Straßenzuge vom Spitteltor bis zum Rathause, in dessen großem Saale der Innere Rat und der Ausschuß, der an Stelle des Äußeren Rates saß, von dem er etliche Mitglieder aufgenommen, versammelt waren. Mit sehr wenigen Ausnahmen waren es noch junge Männer, die im Anfang der Dreißig standen, kernige und auch wie Eichen knorrige Gestalten, mit klugen und entschlossenen Gesichtern, die Wind und Wetter braun gebeizt hatten. Ihre Haltung war, die des Pfarrers und Mölkners ausgenommen, kaum eine heldische zu nennen; aber sie war auch keine demütige, noch von dem Gefühl befangene, vor ihre Herren treten zu sollen, die ihnen seit Generationen den Fuß auf den Nacken gesetzt hatten. Es war die von Männern, die sich ihrer ernsten Aufgabe bewußt waren, und unter denen manchen das Gefühl, ihr vollkommen gewachsen zu sein, selbst heiter stimmte. Die Menge begrüßte sie mit lauten, ermutigenden Zurufen, begleitete sie und drängte sich ihnen nach. Seit dem Jahre 1513, wo Kaiser Maximilian bei der Stadt zu Gast gewesen war, hatte Rothenburg in seinen Gassen kaum ein solches Menschengewühl gesehen und das Brausen desselben kündigte den vereinigten Räten schon von weitem das Nahen der Gesandtschaft an. Damals hatte es auf dem Marktplatze ein glänzendes Turnier gegeben, heute sollte ein solches im Rathause, aber mit scharfen Lanzen gehalten werden, und die Menge wogte erwartungsvoll um dasselbe hin und her. Die Arbeit ruhte.

Auch Kaspar Etschlich, der sich bisher vorsichtig bei seiner Arbeit zu Hause gehalten hatte, machte heute einen Feiertag. Er mischte sich aber nicht in das Gewühl auf den Gassen, sondern wanderte nach Neusitz hinaus, nachdem er sich überzeugt hatte, daß unter den Gesandten, die ihre Pferde im Hirschen auf der unteren Schmiedgasse einstellten, kein Ohrenbacher sich befand. Es trieb ihn die Sehnsucht, von dem langen Lienhart, 319 den er seit dem Begräbnis Lautners nicht gesehen hatte, zu hören, wie es in Ohrenbach stände.

Eine Wagenburg deckte das Dorf von der Landstraße her, die außerdem von starken Posten beobachtet wurde. Die Bauern lagen teils in den zur Zeit leeren Scheuern, teils unter Schutzdächern, die sie sich von Reisig und Brettern errichtet hatten. Kaspar wurde von der Vorwacht angehalten und ein junger Bursche von etwa sechzehn Jahren, der mit einer rostigen Hellebarde bewaffnet war, führte ihn nach dem Pfarrhaus, wo der lange Lienhart und Leonhard Metzler im Quartier lagen. Jener stand eben vor der Haustür. »Gott's Tod, der Kaspar«, dröhnte sein Baß und er schüttelte ihm mit seiner mächtigen Faust fast den Arm aus dem Gelenk; seine runden, schwarzen Augen leuchteten vor Vergnügen.

»Ist das aber gescheit, daß Du kommst, und nun setz' Dich daher und erzähl«, fuhr er fort und zog Kaspar nach einem Bänklein, das vor dem Hause stand. Für seine langen Beine war es viel zu niedrig und er mußte sie lang von sich strecken.

Zu ihren Füßen senkte sich das Dorf, dessen Stroh- und Schindeldächer aus dem jungen Grün der Holunder- und Obstbäume hervorlugten, zur Landstraße abwärts. In der milden Luft sangen die Bienen aus den Stöcken des Pfarrers. In der Ferne, etwas zur Linken, ragten der schlanke Rathausturm von Rothenburg und die zierlichen Steinpyramiden der beiden Türme von St. Jakob in die Luft. Noch mehr links glitzerte der Schlangenleib der Tauber, gegen welche vom Sandhofe, der dem Spital gehörte, bewaffnete Bauern Rinder und Schweine herantrieben, während andere an ihren Spießen Hühner, Enten und Gänse trugen. Die reichen Vorräte des Hofes ließen das Bauernheer nicht darben. Auf den sanft geneigten Wiesen zur Rechten des Dorfes brannten bereits die Mittagsfeuer und Männer und Weiber waren bei ihnen beschäftigt. Spieße, Sensen, 320 Hellebarden waren dort in Pyramiden zusammengestellt, und die Mannschaften ruhten daneben im Grase oder trieben allerlei Kurzweil. An Pflöcken befestigte Pferde zermalmten bedächtig das ihnen vorgeworfene Heu oder Gras. Ein Fähnlein übte sich unter Georg Teufel aus Schonach in den Waffen.

»Gelt, die werden die Junker das Tanzen lehren, insonderheit den Zeisolf von Rosenberg«, sprach der lange Lienhart mit einem lautlosen Lachen. »Er hat sich noch einen Schnitt ins Kerbholz gemacht und der geht tief, seinen Bauern bis auf die Knochen. Bist Du dessen denn nicht wissend, daß er ihnen, wie sie uns nach Reichardtsrode zugezogen sind, ins Dorf gefallen ist und ihre Häuser und Höfe verbrannt und ihr Vieh erschlagen hat?«

Der erschrockene Blick, mit dem Kaspar ihn anstarrte, verriet ihm, daß er von dieser Heldentat des wilden Zeisolf noch nichts wußte, »Ja«, fuhr der lange Lienhart fort und wies auf die Exerzierenden, »die werden den armen Buben, den Hans, besser rächen, als ich es könnte, und wenn Du in einigen Tagen etwan nach Ohrenbach machst, nachher kannst Du der Käthe sagen, daß es geschehen ist. Schau, Kaspar, ich hab' an dem Buben so eine Freud' gehabt, daß es nit zu sagen ist,« Er schüttelte sinnend den Kopf.

Kaspar nickte stumm. Nach einer Weile sagte er: »Er war mir ein so rechter Herzensbruder. – Aber wie ist es mit der Käthe? Von wegen ihrer bin ich gekommen. Ich trau' dem Schultheißen dort nit, und seit Ihr von Reichardtsrode fort seid –«

»Kannst ruhig sein, Bruderherz«, versicherte der Riese und schüttelte die Wehmut von sich ab. »Der Andres von Tauberzell, was Dein Vetter ist, hält dort Wacht, und der Pfarrer in Ohrenbach, der Bockel, wird's dem Schultheißen jetzt wohl schon bewiesen haben, daß wir nit spaßen.«

»Wie soll ich denn das verstehen?« fragte Kaspar 321 verwundert. Der lange Lienhart lachte in seinen Bart. »Ja, schau, das ist halt eine verwundersame Geschichte. Kennst Du den Konz Hart? Den Hörigen, der aus Ohrenbach ist worden ausgetrieben?«

»Freilich kenn' ich ihn«, erwiderte Kaspar und erzählte, wie derselbe mit anderen Flüchtlingen und Heimatlosen ihm und Hans gegen den Rosenberger zu Hilfe gekommen war.

Der lange Lienhart ließ einen leisen Pfiff hören, dann sprach er:

»Wenn einer sich tags über bald hier bald dort in den Wäldern verhalten muß – die Waldvögte merken's wohl am Abgang ihrer Hirsche, Hasen und Rehe – und zur Nacht in unterschiedlichen Dörfern bei diesem oder jenem Bauern unterschlupft, da sieht und hört er mehr als unsereiner. Es heißt auch – ob's wahr ist, weiß ich nit –, daß der Hart dem Konz Wirth auf der Halden, dem Freibeuter, zugehalten und Briefe und Botschaften zwischen den Wissenden hin und her getragen hat. Nu, er ist auch nach Reichardtsrode gekommen. Da ist ein Ehepaar, zwei hörige Leut', die einen kleinen Buben haben. Ist aber nit der ihrige, sondern ein Pfaffensohn. Der Konz Hart hat's gewußt und auch, daß seine Mutter niemand anders wär', als dem Ohrenbacher Pfarrer seine Köchin, die Jungfer Apollonia.«

Kaspar mußte bei dieser Enthüllung laut auflachen. Auch der oberste Hauptmann der Bauern lachte, strich sich seinen martialischen Vollbart und fuhr darauf fort: »Itzt lose, wie der Teufel sein Spiel hat! Kommt die Jungfer just nach Reichardtsrode, wie wir dort lagern, und geht die Ziehmutter nächsten Nachmittag nach Ohrenbach und nachher die Apollonia nach Endsee. Der Konz Hart wittert Unrat, spürt's aus und steckt es dem Simon. Der nimmt sich sachte das Ehepaar her: es soll gestehen, was es der Apollonia alles bericht't hat, wenn nicht, vors Kriegsgericht und hängen. Nu, da haben denn die zwei Leut' mit klappernden Zähnen 322 gestanden, daß sie der Jungfer alles, was sie hatten erspähen können, hinterbracht hätten und diese dem Schultheißen von Endsee. Haben sich auch hoch und teuer verschworen, daß es nit wieder geschehen sollte. Nu, der Simon hat Gnade für Recht ergehen lassen, ist aber mit uns der Meinung gewesen: besser ist besser. Und so sind wir denn nach Ohrenbach gezogen und haben den Pfarrer in den Bann getan und ihm das Haus verpfählt. Haben ihn auch nicht im Finstern gelassen, warum, auch ihm erklärt, daß die Gemeind' ihn nicht länger als Pfarrer dulden wollte. Da ist denn dem Simon sein Bruder in Ohrenbach geblieben, um die Pfarre zu versehen und ein Auge zu haben, daß den Seinigen und denen seines Bruders nix Übles geschieht.«

Kaspar atmete erleichtert auf, warf seine Kappe in die Luft, fing sie wieder auf und rief: »Juch!« Der lange Lienhart machte eine satirische Miene, die jedoch seinem Raubvogelgesicht eher den Ausdruck des Grimms gab, und sagte: »He, Bruder Tuchscherer, stehts so mit Dir? Na, dann wollen wir der Käthe zu Ehren einen Trunk tun, hab' Dir ohnehin noch keinen Tropfen angeboten.« Er erhob sich, indem er sich dabei mit beiden Händen auf die Kreuzstange seines breiten Schwertes stützte, das er die ganze Zeit über zwischen den Beinen gehalten hatte. »Sixt, da kommt der Neusitzer Pfarrer«, rief er und deutete mit einer Kopfbewegung nach einem Geistlichen, der die Dorfgasse heraufschritt. »Er kommt von einem Kranken. Wie der, so stell' ich mir vor, daß die Apostel gewesen sein müssen. Er red't mit Feuerzungen, sein Evangelium ist die Freiheit, und die werktätige Liebe soll sie zur Wahrheit machen. Nu, ich denk' halt, unsere Schwerter werden ein bissel nachhelfen müssen.«

Der Pfarrer näherte sich gemächlich, so daß Kaspar Zeit hatte, ihn zu betrachten. Hans Stöcklein war ein junger, kaum dreißigjähriger Mann von schlanker Gestalt, mit einem runden Gesicht, dem Luft und 323 Gesundheit frische, ins bräunliche spielende Farben verliehen. Aus blauen Augen schaute er den seiner Harrenden mit einem milden Ernst entgegen. Aschblondes Haar quoll unter seinem Hute hervor. Schon aus der Ferne winkte er einen Gruß mit der Hand und herantretend sagte er: »Es ist eine verkehrte Welt, daß die Gäste den Hausherrn vor seiner Tür erwarten.« Seine Stimme hatte einen vollen Tenorklang. Als der lange Lienhart ihm den jungen Gesellen nannte, versetzte er: »Was bedarf's des Namens, ist er nicht ein Mensch? So kommt denn herein!«

Ein Schuß auf dem äußersten rechten Flügel hielt sie jedoch vor dem Hause fest. Die Lärmtrommel rasselte und der lange Lienhart eilte mit Riesenschritten davon. Die Bauern liefen mit ihren Wehren allerwärts zu ihren Sammelplätzen. Auf der Höhe der Landstraße erschien ein Trupp Panzerreiter mit einem Trompeter an der Spitze. Die Kürassiere hielten und nur der Trompeter ritt noch eine kleine Strecke weiter vor. Kaum eine Minute später warf er sein Pferd herum, der ganze Trupp machte Kehrt und verschwand in den Staubwolken, welche die Hufe erregten.

»Das Wetter ist unschädlich vorübergegangen«, sprach Hans Stöcklein und lud Kaspar in das Haus. Er führte ihn in eine geräumige Stube mit weißgetünchten Wänden und niedriger Balkendecke. Außer einem Tische und einigen Stühlen von altersbraunem Nußholz standen zwei ärmliche Bettstellen darin für den langen Lienhart und Metzler. Der letztere war am frühen Morgen nach Brettheim geritten, um einen Blick auf seine Wirtschaft zu werfen. Der einzige Schmuck der Stube bestand aus einem plumpen Kruzifix an der langen Wand zwischen den beiden Betten. Dieser gegenüber leitete eine Tür zu dem Studium des Pfarrers. Eine sauber gekleidete Bäuerin, deren Haar bereits ergraut war, brachte Milch und Wein in irdenen Krügen, Becher von Buchsbaum, Brot und Honig. 324 »Lasset's Euch gut schmecken«, wünschte sie freundlich, und Kaspar suchte nach Kräften ihren Wunsch zu erfüllen. Der Pfarrer schenkte sich Milch ein. Er trank nie Wein. Seine Lebensweise war überhaupt die allereinfachste. Er war aber kein Asket, sondern schränkte sich nur aufs äußerste ein, um den Bedürftigen desto mehr geben zu können. »Auf den Sieg des Volkes«, sagte er und stieß mit Kaspar an. »Rebell wird der arme Mann gescholten, wenn er in seiner Verzweiflung zur Wehr greift, weil sein Geschrei nach Gerechtigkeit überall und allerwärts taube Ohren findet.«

»Mein Vater hat's erfahren«, bemerkte Kaspar.

»Wer nicht, dessen Wiege in einer Hütte stand?« seufzte Hans Stöcklein und strich sich über die stark vorgewölbte Stirn. Seinen Hut hatte er abgelegt und Kaspar gewahrte, daß er seine Tonsur hatte überwachsen lassen. »Ich sollte geistlich werden, um für die Sünden anderer zu büßen. Das ist eine leichte Art, sein Unrecht zu sühnen. Da hab' ich zu denken angefangen, zu denken, daß die Kirche nicht das Christentum ist; keine Kirche ist's. Darum erziehe ich meine Gemeinde zur evangelischen Freiheit.«

Kaspar scheute sich, nach den Schicksalen des Pfarrers weiter zu forschen. Dieser lobte das ordentliche Betragen der Bauern, denen der Gedanke, für ihre Freiheit zu kämpfen, einen höheren Schwung gebe.

Darüber kam der lange Lienhart zurück. Die Stubentür war für ihn viel zu niedrig, vollends mit dem Eisenhut auf dem Kopfe. Jenen warf er sogleich auf das nächste Bett; den Brustharnisch legte er nicht ab, sondern setzte sich in ihm an den Tisch und ergriff den Weinkrug. »Ansbachische waren's, an die fünfzig Mann«, berichtete er, nachdem er einen Becher hinuntergestürzt hatte. »Wie sie sahen, was Dornen das Röslein hat, so sie zu pflücken vermeinten, machten sie Kehrt. Rief ihnen einen schönen Gruß an den 325 Markgrafen Fettwanst nach und wir würden beisammen bleiben, bis der Rat unsere Forderungen erfüllt hätte. Bin begierig, was der Denner für Antwort bringen wird. Ist ein tapferer und geschickter Fechter.«

»Der Muslor aber auch, hab' ich meinen Alten sagen hören«, schaltete Kaspar ein.

Dem langen Lienhart ging etwas anderes durch den Sinn und er rief, sich zu dem Geistlichen wendend: »Pfarrer, Du solltest auch wie der Denner Deine Lenden mit dem Schwert – wie heißt's in der heiligen Schrift?«

»Das Schwert Gideons,« half Stöcklein ein.

»Also gürte Deine Lenden mit dem Schwert Gideons. Du sollst sehen, Pfarrer, daß Du ein ganz anderer Kerl bist, wenn Du ein Eisen in der Faust hast.«

Der junge Pfarrer lehnte die Aufforderung lächelnd ab. »Ich fechte mit der Waffe, die ich zu führen verstehe, und bin hier nötiger als im Feld,« sagte er.

»Not tät's, daß wir alle daheim die Felder bestellten; aber itzt gilt es, ein ander Feld zu bestellen,« wandte Lienhart ein. »Schau, ich weiß erst jetzt wieder, wozu ich auf der Welt bin. Über ein Kleines und ich wär' halt ganz verkrummt hinter dem Pflug.« Er trank, drehte den Schnauzbart in die Höhe und begann mit seinem tiefen Baß zu singen:

»Was soll ich aber heben an
Aufs best so ichs gelernet han?
Ein neues Lied zu singen.
Faladeridum.«

Hans Stöcklein hielt sich vor den gräulichen Mißtönen, die aus des Sängers Kehle drangen, die Ohren zu, sprang auf und lief aus der Stube. Der lange Lienhart ließ sich dadurch nicht stören. Unverdrossen sang er alle dreizehn Strophen, aus denen das Lanzknechtslied bestand, herunter. Dann lachte er und setzte, anstatt sich den Becher zu füllen, den Krug an den Mund. 326

»Itzt, Lienhart,« fragte Kaspar mit gedämpfter Stimme, denn die Tür zum Studium des Pfarrers war offen geblieben, »Du kennst den Pfarrer wohl schon längere Zeit; weißt Du, weshalb er hat geistlich werden müssen?«

»Ob er hat müssen, ist mir nit bewußt,« antwortete jener, nachdem er einen Blick auf die offene Tür geworfen, ebenfalls leise. »Ich hab' ehedem bloß von ihm gehört. Es wird aber wohl seine Richtigkeit damit haben, daß er in das Pfaffenkleid ist gezwungen worden. Darin läßt sich manches ersticken, was nit an das Licht der Sonne kommen soll. Nämlich die Leut' erzählen, daß er der Bankert einer Edelfrau im Würzburgischen ist. Da hat ihn der Bischof dann hierher getan, wo er weit weg ist.«

Der Pfarrer kam wieder zu ihnen. »Sind die Fenster noch ganz?« scherzte er. Die erhöhte Teilnahme, mit der Kaspar ihn betrachtete, bemerkte er nicht. Nach einer kleinen Weile bedankte sich Kaspar bei ihm für die Bewirtung und der lange Lienhart ging mit ihm durch das Dorf. »Und Du meinst, daß die Käthe ganz sicher in Ohrenbach ist?« fragte er. »Denn daß ihr Bruder Simon nicht mehr in Reichardtsrode ist, weiß ich von meinem Vater, der im Ausschuß sitzt.«

»Ach ja, das Käthelein,« neckte der Lange den Besorgten. »Der auf Endsee wird sich hüten, jetzt noch in die Kohlen zu blasen. Es wird ihm ohnedies bald auf seinem Schloß zu heiß werden, wie allen in ihren Schlössern und Burgen. Und was die Neureuterin ist, so wird all ihre Pracht und Herrlichkeit vergehen wie Schnee in der Märzsonne, wann jetzt die Bauern von den Gilten und Leibrenten, die auf ihren Höfen stehen, die Zinsen nit mehr zahlen. Haben sich lange genug darum schinden müssen. Kannst ruhig sein, Bruder.«

Damit schieden sie.

Kurz vor der Stadt traf Kaspar auf Lorenz Knobloch, der einen auffallend roten Kopf hatte. Sein Atem roch 327 nach Wein. »Wohin denn?« hielt Kaspar ihn auf und jener erwiderte mit einem starken Schnaufen: »Zu den Bauern! Es will drinnen nicht vom Fleck. Das halt' der Teufel aus, mir wird's zu langweilig. Die Bauern sind doch noch ganze Kerle. Sie wollen sich nicht länger an der Nas' herumziehen lassen. Gleich auf der Stell' sollten ihre Beschwerden abgetan werden, und als der Rat erklärte, das könnte er nicht, was antwortete ihm der Denner mit der roten Feder? Sie würden Gefälle, Fronden, Zehnten und was sonst wider die heilige Schrift sei, von Stund' ab nit mehr leisten, und dabei schlug er an sein Schwert und die andern taten's ihm nach. Hätte nit viel gefehlt und etliche von ihnen wären mit dem Hassel und dem Winterbach handgemein geworden. Der Ehrenfried Kumpf brachte sie auseinander. Auch der Menzingen kriegte was zu hören – von dem Mölkner. Wenn der Ausschuß mit ihnen gemeinsam ihre Angelegenheiten erledigen wolle, so sei es gut; einen Vormund brauchten sie nicht. Auch was die Handwerker und Weingärtner der Stadt für Beschwerden hätten, die sollten ihnen mitgeteilt und von dem Ausschuß und ihnen gemeinsam geschlichtet werden. Auch die Rechnungen des Rats wollten sie einsehen. Feurio! Jetzt halten sie auf der Stadt Kosten einen gemeinsamen Trunk im Roten Hahnen. Ist nicht mehr pläsierlich drinnen, hol's der Teufel!« Er nahm den Weg wieder zwischen die Füße; drehte sich aber noch einmal um und rief: »Als Hauptmann siehst mich wieder.«

»Solche Kerle wie Dich können sie just brauchen,« spottete Kaspar dem leichtfertigen Menschen nach. 329



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