Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Erster Teil

Erstes Kapitel.

Es war am Vortage der heiligen drei Könige, einem Donnerstage, da man schrieb das Jahr 1525. Trotz des rauh-feuchten Nebeltages hatte sich in dem Dorfe Ohrenbach vor einer der ärmlichen Hütten eine große Menschenmenge versammelt und wich und wankte nicht. Das Dorf lag in waldreicher Umgebung zur Rechten der Heerstraße, die von Rothenburg ob der Tauber gen Norden über die mittelfränkische Hochebene zum Main führte. Eine undurchdringliche Dornhecke umschloß das Dorf, und auch der Friedhof war durch eine starke Mauer aus Feldsteinen befestigt. Die Gassen liefen auf dem Dorfplatze bei der Kirche krumm und winkelig zwischen den Hofstätten der Bauern, den Holzhäusern und Lehmhütten der Hörigen und Tagelöhner hin. Die Bauernhöfe bildeten nach fränkischer Sitte geschlossene Vierecke, so daß man aus dem einstöckigen Wohnhause in die Ställe und Scheunen gelangen konnte, ohne daß man den Fuß ins Freie zu setzen brauchte. Meistens waren diese Vierecke jedoch weder gleichseitig noch rechtwinkelig. Die Leibeigenen waren oft schlechter behaust als das Vieh der Bauern. Jedenfalls ließen die Wohnräume an Reinlichkeit alles zu wünschen übrig, hatten doch Hühner, Enten, Schweine freien Zutritt zu ihnen. Innen glitzerten Wände und Decken von Ruß; Rauchfänge gab es nur in 4 den wenigsten Häusern, und wo solche vorhanden waren, bestanden sie aus Brettern, die mit Lehm ausgekleidet waren. Seltener noch sah man Fenster aus Glas; ein dickes, ölgetränktes Papier vertrat dessen Stelle. Die Dächer waren vorwiegend mit Stroh gedeckt, das wärmer als Schindeln hielt, und auf den Firsten fehlte ebensowenig ein Storchnest, wie in den Grasgärten der Holunder an der Scheunenwand. In den Grasgärten mit verkrüppelten Obstbäumen standen auch die plumpen Backöfen. Überall Spuren von Vernachlässigung, Verfall und Schmutz. Die Bauern saßen in Erbpacht auf ihren vor Zeiten freien Höfen, die Hörigen auf ihren wenigen Äckern in Zeitpacht. Die Geschlechter oder Ehrbaren von Rothenburg, in deren Händen ausschließlich das Regiment lag, waren bereits zu der Erkenntnis gediehen, daß die Bestellung der Felder durch verdrossene, von den Vögten zur Arbeit getriebene Leibeigene viel geringere Erträge lieferte, als die Bewirtschaftung durch Zeitpächter, die scheinbar für sich selbst schafften. Die Stadt hatte deshalb auf ihrem Gebiete, das über sechs und eine halbe Geviertmeile mit fünfundvierzig Dörfern umfaßte, ihre Hörigen zum größten Teil als Zeitpächter angesiedelt. Selbstverständlich mußten dieselben neben allen anderen Abgaben einen unverhältnismäßig hohen Zins entrichten, so daß ihre Freiheit im Gegensatz zu derjenigen der Leibeigenen auf den Privatgütern der Stadtherren und den Besitzungen des Adels und der Geistlichkeit in Wahrheit darin bestand, verhungern zu dürfen, wenn sie in Not gerieten, ohne daß ihre Herren sich um sie kümmerten. Da nun der Ackerbau die wirtschaftliche Hauptgrundlage der Zeit bildete, so mußten nicht nur diese Zeitpächter, sondern der ganze Bauernstand – die armen Leute, wie man sie nannte – um so mehr bluten, je höher die Bedürfnisse und der Luxus der Herren stiegen.

Die elende Hütte, vor welcher die Ohrenbacher, 5 Männer und Weiber, sich versammelt hatten, herbergte unter ihrem bemoosten, schadhaften Strohdache den Hörigen Konz Hart. Das Haus war verschlossen, und der Mann, der vor demselben wie der Pendel einer Uhr hin und herging, erklärte das beklommene Schweigen, mit dem die Leute dastanden, Der Mann, der die auf ihn gerichteten Blicke mit dem Ausdrucke eines übellaunigen Kettenhundes zurückgab, war ein Gerichtsbote des Zentamtes Endsee, zu dem Ohrenbach gehörte. Er hatte übrigens außer dem schlechten Wetter noch einen anderen Grund für seine bissige Laune. Denn es war ihm von Konz Hart nicht aufgetan worden, obgleich er im Namen des Schultheißen Einlaß gefordert hatte. Nicht einmal Antwort hatte er erhalten. Jetzt wartete er auf den Dorfschmied, nach dem er geschickt hatte. Was er von dem Hörigen wollte, errieten die Leute nur zu gut, und manchem mochte das geheime Bangen, gleich ihm über lang oder kurz aus seiner Hofstelle gewiesen zu werden, das Herz zusammenschnüren. Das ganze Dorf konnte es Hart bezeugen, daß er und sein Weib von früh bis spät in jedem Wind und Wetter sich geschunden hatten, um sich ehrlich zu erhalten. Und jetzt dennoch mitten im Winter erbarmungslos auf die Gasse geworfen!

»Der Dorfmeister!« hieß es, und es war wie ein Aufatmen, als dieser von dem nahen Dorfplatze herkam. Simon Neuffer stand in der Vollblüte der ersten Dreißig. Er war nur mittelgroß von Wuchs, jedoch breit in Brust und Schultern, und der Hals trug den eckigen charaktervollen Kopf in freier Haltung. Nach der Bauernsitte, welche Bart und Stiefel dem Adel ließ, war das Gesicht rasiert und zeigte frei die lange Oberlippe und den breiten Unterkiefer. Kluge braune Augen überschauten die Menge. Er war erster Dorfmeister, wie es sein Vater vor ihm gewesen, der als Witwer im Altenteil auf dem Gehöft des Sohnes saß.

Mit ihm kam Wieland der Schmied mit einem 6 wuchtigen Hammer auf der Schulter, der nach ihm gesandte Knecht des Amtsdieners mit Schwert und Sturmhaube begleitete ihn.

»Ihr habet einen Befehl des Herrn Schultheißen von Endsee, den Konz Hart aus der Pacht zu weisen?« fragte Simon Neuffer den Amtsdiener. »Zeiget ihn vor!«

»Was fallt Euch ein?« rief jener erstaunt. »Kennet Ihr nicht den Stöckerlein von Endsee, den Exekutor?«

»Und kennet Ihr Euer Amt so wenig, daß Ihr nicht wisset, daß Ihr in den Dörfern nicht pfänden, noch sonst amtlich handeln dürfet, es sei denn, daß Ihr dem Gemeinderat Eure Vollmacht gewiesen habt?« Die Ruhe, mit welcher der Dorfmeister sprach, steifte den anderen noch mehr in seinem Hochmut. Er pfeife auf den Gemeindevorstand und alle Dorfmeister der Welt.

»Dann wird aus der Pfändung nix und das Rügegericht nimmt Euch wegen Ungebühr gegen die Dorfoberkeit in Straf'«, entschied Simon gelassen. Die Dorfgenossen aber gaben durch die Bewegung, die sich unter ihnen erhob, ihrem Oberhaupte ihre Zustimmung zu erkennen.

»Kreuz und Hagel«, fluchte Meister Stöckerlein, »das wollen wir doch sehen!« und er befahl dem Schmied, die verschlossene Tür mit Gewalt zu öffnen. Dieser jedoch, dem das wirre Haar wie ein Storchnest um das berußte Gesicht stand, blickte fragend auf den Dorfmeister, und da dieser schwieg, so rührte er sich nicht. Zum Überflusse rief ihm noch seine Frau zu, ein hageres, starkknochiges Weib: »Du tust's nicht, Jakob!« Zu den Dörflern sich wendend, fügte sie hinzu: »Wenn Ihr Männer seid, dann dürft Ihr's nit leiden, daß der Konz mit Weib und Kindern wie ein Hund aus dem Haus gejagt wird.«

Der Gerichtsdiener warf ihr einen bösen Blick zu, hielt es aber dann, dem festen passiven Widerstand gegenüber, auf den er stieß, für geratener, das Begehren des Dorfmeisters zu erfüllen. Mit einem wütenden Schnaufen riß er das amtliche Schreiben, das die 7 Austreibung verfügte, aus seinem Gürtel. Während Simon es bedächtig auseinanderschlug und las, schaute ihm ein jüngerer Mann mit krausem Haar über die Schulter. Es war der Gemeindeschreiber Paul Ickelsamer, dessen Bruder Valentin lateinischer Schulmeister in Rothenburg war.

»Um die Pfändung auszuführen, braucht's aber doch keine Gewalt nit«, sagte Simon und gab Stöckerlein das Schriftstück, an dem nichts auszusetzen war, zurück. »Lasset den Konz in Ruh'! Er ist doch auch ein Mensch und ich will Euch Bürgschaft leisten, daß er bis morgen früh seine Kate geräumt hat. Der Herr Schultheiß von Wernizer wird's zufrieden sein.«

Aber der Exekutor fauchte: »Nix da, gleich muß er 'raus. Sein Nachfolger will einziehen. Was? Seit länger als einem Jahr hat er den Pachtzins nit mehr zahlt, auch nit den Zehnten an die Kirche. Die Obrigkeit und der Herr Pfarrer wollen auch leben.«

»Und wir können darüber verrecken«, schrie es schneidig aus der Menge.

»Konz, Konz, sperr auf!« erhob der Dorfmeister seine Stimme. Es blieb aber alles still im Hause. Stöckerlein wiederholte seinen Befehl an den Schmied. Als dieser auf die Haustür zuschritt, wurde es unter den Menschen so still, daß man sein langes, steifes Schurzfell rauschen hörte. Meister Wieland nahm seinen Hammer nicht von der Schulter: er sprengte die Tür mit einem mächtigen Fußtritt auf. »Dazu wird einer von seiner Arbeit weggeholt«, rief er verächtlich, indem er die Schrittsteine hinunterstieg. Hinter ihm in dem Türrahmen tauchte die von Arbeit und Entbehrung ausgemergelte Gestalt des Hörigen auf. Seine magere Faust hielt den Stiel eines Beiles umspannt, und er drohte mit funkelnden Augen: »Komm' mir keiner zu nah, wer sein Leben lieb hat.«

»Sei nit gar so ungescheit«, rief Simon ihm zu. »Mach' 8 Dich nit noch unglücklicher als Du bist. Denk an Dein Weib und die Kinder!«

»Betteln können sie auch ohne mich«, erscholl die Antwort des Verzweifelten und er schwang sein Beil gegen den Knecht des Zentamtes, der sein Schwert gezogen hatte.

Der Kampf konnte nur kurz sein. Der stämmige Knecht schlug dem Entkräfteten das Beil aus der Hand, packte ihn an der Brust und riß ihn mit solcher Gewalt von der Türe weg, daß er auf der Gasse der Länge nach hinschlug. Die laute Empörung der Leute über diese Rohheit wurde von dem Jammergeschrei der Frau des Hörigen übertönt, die jetzt mit einem Säugling auf dem Arm aus dem Hause eilte. Ein etwa dreijähriges Büblein klammerte sich an ihren Rock, während ein Knabe von etwa zwölf bis dreizehn Jahren hinter ihnen sichtbar wurde, und zitternd, mit schreckweiten Augen auf den blutenden Vater starrte, dem die jammernde Mutter vom Boden aufzuhelfen versuchte. Die Frau war um viele Jahre älter als Konz. Sie war eine Witwe und ihr verstorbener Mann der Vorgänger Konzes in der Pachtstelle gewesen, aus der dieser jetzt vertrieben wurde. In der Hoffnung, die durch den Tod erledigte Pacht zu erhalten, hatte er die Tochter eines Hörigen aus dem weiter nördlich gelegenen Reichardtsrode, die er liebte, heimführen wollen. Die Obrigkeit aber hatte ihm die Erlaubnis dazu verweigert und ihn gezwungen, die mit einem Kinde zurückgebliebene Frau des Verstorbenen zu heiraten. Alle seine Vorstellungen und Bitten hatten nichts gefruchtet und Konz Hart mußte für ein Weib, das er nicht liebte, und ein Kind, das nicht das seinige war, das Mark seiner Knochen hergeben.

Der Gerichtsdiener und der Knecht begannen die Hütte auszuräumen und das dürftige Hausgerät auf die Straße zu werfen. Sie bekamen dabei von den erregten Leuten manch derbes Wort zu hören. Stöckerlein herrschte ihnen brutal zu, daß sie die Mäuler halten 9 sollten. Damit kam er aber übel an; denn Simon Neuffer trat ihm mit den zornigen Worten entgegen: »Na, damit seid Ihr auf dem Holzweg. Ihr peinigt uns bis aufs Blut und wir sollen nicht schreien? Ich sag' Euch, wir werden schreien und sie sollen uns schon hören, die Herren in Rothenburg, verlasset Euch darauf!«

Paul Ickelsamer fügte hinzu: »Wenn der Hörige schaffen soll, wie ein Stück Vieh, dann soll die Oberkeit auch dafür sorgen, daß er's kann. Wo soll der Konz jetzt im Winter Brot für alle Mäuler finden?«

»Ach! Ach! Wer kann das ändern?« seufzte ein Bauer, dem das Haar schneeweiß um das in lauter Runzeln, Falten und Fältchen verschrumpfte Gesicht flatterte. Harte Arbeit, Alter und Rheumatismus hatten seinen Rücken gekrümmt und er mußte sich mit beiden Händen auf einen Krückstock stützen. Es war Martin Neuffer, der Vater Simons. Er fuhr fort: »Vor Zeiten, als wir noch eine freie Bauernschaft waren und unsere Sachen selbst in der Gemeind' richteten und schlichteten nach Fug und Billigkeit, da hätt' das einem redlichen Manne nimmer geschehen können. Aber itzo ist's halt so!«

»Und der Teufel geseg'n es, Amen!« rief das Weib des Schmiedes.

Unterdessen hatte die Frau des Hörigen, deren Tränenquell in der Wüste des Elends längst versiegt war, ein kleines Bündel, das sie wohl schon vorher bereitet hatte, aus der Hütte geholt. Konz Hart wischte sich mit dem Ärmel das Blut von der zerschlagenen Stirn, nahm das Bübchen auf den Arm und rief laut: »Kommt!«

»Wohin willst denn?« fragte Simon.

»In den ersten besten Straßengraben, um zu verrecken«, antwortete der Hörige mit wildem Hohn.

»Wartet noch!« rief eine kernig schlanke Dirne mit lichtbraunen Zöpfen, indem sie sich vordrängte. »Hast Du ein Geld bei Dir, Bruder?« wandte sie sich an Simon 10 Neuffer. »Wir können sie doch nicht so von dannen gehen lassen. Helfet und gebt alle um Gottes Barmherzigkeit willen!«

»Ist recht, Käthe«, lobte sie der Dorfmeister, zog seinen ledernen Beutel und legte einige Kupfermünzen in die ausgestreckte Hand der Schwester. Paul Ickelsamer folgte seinem Beispiele und so kamen viele zu der hübschen Dirne, auch mancher, der sonst wohl seinen Heller festgehalten hätte; aber er schämte sich vor den Nachbarn. Andere, deren Taschen leer waren, riefen der Frau des Ausgewiesenen zu, daß sie bei ihnen vorsprechen möge, bevor sie das Dorf verließ. Die klaren, braunen Augen des Mädchens leuchteten von mitleidsvoller Freude, als sie den Ertrag ihrer Sammlung dem unglücklichen Weibe aushändigte.

»Gott vergelt's«, stammelte diese mit zitternden Lippen, indem eine leise Röte in dem bleichen vergrämten Gesicht aufstieg. Es war weniger die Röte der Freude, als die der Scham. »Betteln!« schlug es ihr auf das Herz. Ihr Mann schüttelte die geballte Faust gen Süden, in welcher Richtung Endsee lag, und knirschte: »Aber Gott soll's auch denen vergelten, so mich wie einen Hund ins Elend hinausgestoßen, nachdem sie mir das Mark aus den Knochen gepreßt haben.«

»Gott vergilt jedem nach seinen Werken, und ich sage Euch, es entrinnt ihm keiner, wer er auch sei. Sein Gericht findet die Fürsten in ihrer Herrlichkeit gleich als wie den Bettler in seinen Lumpen. – Aber was gehet hier vor, Ihr lieben Leute?« Diese Worte kamen aus dem Munde eines Mannes, der unbeachtet dazu gekommen war. Ein abgenutzter Schäferhut bedeckte das fahle Haar, das in nebelfeuchten Zotteln auf die schmalen Schultern fiel. In der dürren Knochenfaust hielt er einen Wanderstecken. Den hageren, langgestreckten Leib umschloß ein grobes Zwillichgewand. Bartstoppeln umstarrten die hohlen, lederbraunen Wangen und das lange, spitze Kinn. Gesträubt standen 11 die Brauen über den tiefliegenden Augen, die wie Kohlen glühten. Zwischen ihnen streckte sich eine langgezogene Nase über einem großen Munde mit dünnen, farblosen Lippen vor. Frau Wieland, der er zunächst stand, ergriff sogleich das Wort, um dem Unbekannten Auskunft zu geben. Es blieb ihr jedoch nicht unbestritten. Der Fremde aber hörte, auf seinen Stab gelehnt, mit geduldiger Aufmerksamkeit zu. Unterdessen hatte der Exekutor mit Hilfe des Knechts die Hütte ausgeräumt und wollte die Versteigerung der gepfändeten Sachen beginnen. Der Unbekannte aber machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

»Vergönnt auch mir itzt ein Wörtlein«, sagte er, indem er sich aufrichtete. Er wollte die Schrittsteine vor der Hütte betreten, Meister Stöckerlein litt es aber nicht; er brauche den Platz für die Versteigerung.

»Nach der Linde!« erscholl es mehrfach aus der Menge und der alte Neuffer übernahm die Führung des Fremden nach dem nahen Dorfplatze. Männer und Frauen, alt und jung, groß und klein folgten ihm neugierig.

»Hölle und Teufel«, fluchte der Gerichtsdiener, »wer soll denn auf den Kram bieten, wenn Ihr mir die Leute alle weglockt?«

»Ei, Freund, wer anders als derjenige, den Du riefest«, versetzte der Unbekannte in einer nicht landesüblichen Aussprache. »Sonst mag wohl keiner ein Gelüsten verspüren, sich an der Habe der Armen etwa zu bereichern.« Und er schritt von dannen. Auf dem Dorfplatze bestieg er die Bank unter der breitästigen, jetzt kahlen Linde, die dort stand, und ließ seine kleinen glühenden Augen über die Zusammenströmenden schweifen.

»Ein Prädikant!« murmelte es unter den Leuten. Zwar hatten sie noch keinen solchen gesehen; allein das Gerücht von jenen Männern, die, ergriffen von dem Geiste der Reformation, im Reiche umzogen und das 12 Evangelium aus eigener Erleuchtung predigten, war auch zu ihnen gedrungen. Es waren ungelehrte Leute, meistens Handwerker, von denen viele erst aus der Bibel lesen gelernt hatten. Denn diese war das einzige Buch, das sie lasen und aus dem sie religiöse Überzeugung und Begeisterung schöpften, unbekümmert um alles theologische Gezänk. Mit unbeugsamem Mute ertrugen sie jede Entbehrung und Mühsal, Hunger und Durst, Frost und Hitze, wie jede Verfolgung. Weder Kerker, noch Staupenschlag und Brandmarkung, noch selbst der drohende Tod durch Henkershand vermochte ihre Begeisterung zu dämpfen. Der Prädikant, den sein Weg nach Ohrenbach geführt hatte, war ein Weber aus Zwickau. Und er begann mit einer etwas heiseren Stimme, die sich aber allmählich klärte:

»Also ein Höriger ist's, den die Oberkeit von Haus und Hof vertreibt? Ja, ihr guten Leute, was ist denn das für ein Ding, ein Höriger? Ist's etwan ein Hund? Aber den jagt bei solchem Wetter selbst kein Heide aus dem Hause, geschweige denn ein Christ. So es aber ein Mensch ist wie Ihr und ich, ei, so saget mir doch, wo es geschrieben steht, daß ein Mensch dem andern hörig sein soll? Sind wir nicht alle als Gottes Ebenbild erschaffen und heißet nicht das fürnehmste Gebot unseres Herrn Jesus Christus: Liebet Euch untereinander wie Brüder und Schwestern!? So frage ich Euch denn: kann ein Bruder der Leibeigene seines Bruders sein?«

»Nein, nein, nein!« scholl es ihm von allen Seiten entgegen.

»Nu eben,« bestätigte er. »Ist auch Joseph von seinen Brüdern, den stinkenden Neidhämmeln, verkauft worden, so hat doch Gott Moses befohlen, daß jeder zu seinem Sohne also spreche: Wir waren Knechte des Pharao aus Ägypten mit mächtiger Hand. Und der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: Bist du ein Knecht berufen, so sorge dir nicht; doch kannst du frei werden, so brauche das viel lieber.« 13

»Ja, das wollten wir«, rief die frische Stimme Paul Ickelsamers und der Prädikant fuhr triumphierend fort: »Horchet, wie die Kutten, so den Herren zum Maul reden, zu Schanden werden vor der Weisheit Salomonis, der da sagt: Bist du verknüpfet mit der Rede deines Mundes, so tue doch, mein Kind, also und errette dich; denn du bist deinem Nächsten in die Hand gekommen; eile, dränge und treibe deinen Nächsten! Durch den Propheten Jesaias aber spricht der Herr: Ihr seid umsonst verkauft und ihr sollet auch ohne Geld erlöset werden.«

Da brauste es durch die Menge wie ein Sturm durch die Waldkronen: »Loset! loset! Das ist das wahre Evangeli! Wie haben uns doch die Pfaffen also schändlich genasführt und betrogen!«

»Auch unserer«, schrillte Frau Wieland und schüttelte die Faust gegen das Pfarrhaus.

»Der versteht's halt nicht besser«, erklärte der Gemeindeschreiber. »Eine lateinische Bibel hat der ehrwürdige Herr Bockel wohl; aber lesen kann er sie nit. Er hat sein Latein längst ausgeschwitzt.«

»Beim Weinkrug«, rief es aus den hintersten Reihen. »Und bei seiner geistlichen Nichte Apollonia«, ergänzte eine andere Stimme.

Apollonia war die Wirtin des Herrn Nepomuck Bockel, und es entstand ein schallendes Gelächter.

»Sie sind allzumal Baalspfaffen«, setzte der Prädikant stark ein, und es wurde wieder still. »Ja, Baalspfaffen! Ihr Wanst ist mit Sünde gemästet und ihr Herz ist voll Fäulnis. Wahrlich, ich sage Euch, eher springt ein klarer Quell aus einem Misthaufen, denn das lautere Wort Gottes aus ihren weintriefenden Mäulern. Der Teufel hat sich den Ornat angezogen und läutet mit dem Schwanz zur Messe.«

Vater Martin, der auf seinen Krückstock gebeugt, dicht vor ihm stand, rief hier: »Es muß wieder werden, 14 wie es der Brauch vor Alters war, nämlich, daß jede Gemein ihren Pfarrer selbst wählt.«

Seine Stimme war jedoch viel zu schwach, um durchzudringen. Der Wanderprediger wiederholte daher seine Worte und fügte hinzu: »Dazu sag' ich Ja und Amen! Mit gepufftem und gekräuseltem Haar stehen sie am Altar und stinken vor Balsam. Sie schmausen und schwelgen von den Opfern, so Gott dargebracht werden und ihre Herden weiden sie auf dürrem Acker, auf dem nichts gedeiht, denn die Knechtseligkeit. Das ist die einzige Seligkeit, von der sie wissen, diese Apostel des Satans. Ausgerottet sollen sie werden, wie alle Widersacher Gottes. Schon ist die Axt an ihre Wurzeln gelegt und der Erlöser wird sie richten nach ihrem Munde.«

»In die Hölle mit ihnen!« unterbrach ihn der tiefe Baß des Schmiedes.

Der Wanderprediger aber fuhr fort: »Geschrieben steht, daß wir Gott mehr gehorchen sollen als den Menschen. Aber die Pfaffen deuteln und fälschen das Evangelium, also, daß die Herren auf ihre Herrlichkeit aus Vermögen der Schrift poltern und pochen. Ja, ihre Gewalt ist von Gott, aber doch so, als sie des Teufels Söldner sind und Satanas ihr Hauptmann. Und so richten sie eine neue Beschwerde über die andere auf Euch. Heute ist's ein gutwilliger Dienst, den Ihr leistet, daraus zu Jahr ein vergewaltigtes Muß wird. Heuer Bitte, morgen Sitte und hernach ist's Pflicht. Also ist mehrenteils das alte Herkommen beschaffen, worauf sie sich steifen.«

»Er hat recht!« – »Bei Gott, so ist's«, grollte und stöhnte es in der Menge, die wieder gebannt an seinem Munde hing. Paul Ickelsamer rief: »Hexenmeister sind's. Was heut ein Zinshahn ist, daraus machen sie morgen ein Kalb.«

»Und den Wein des armen Mannes verwandeln sie in Wasser«, sagte der Prädikant. »Sie schätzen und reißen 15 ihm das Mark aus den Beinen und das muß er verzinsen. Sie aber sind voller als die überfressenen Hunde. Dazu müßt Ihr ihnen Steuern, Zinsen und Gült geben und solltet Ihr samt Euern Weibern und kleinen unerzogenen Kindern weder Brot noch Salz noch Schmalz daheim haben.«

»Wie der Konz Hart,« schaltete eine Stimme ein.

»Dazu Handlehen und Faustrecht«, fuhr der Redner eifrig fort. »Ja, verflucht sei ihr Schandlehen und Raubrecht. Und sie selbst eignen sich Steuer, Zoll und Umgeld zu und vertuns schändlich und lästerlich, da doch alles in gemeinen Säckel kommen und zu Nutz dem Land dienen soll. Aber, daß sich ja keiner darwider rümpfe! Oder gar flugs geht es mit ihm als mit einem verräterischen Buben ans Pflöcken, Köpfen, Vierteilen. Da ist minder Erbarmen als mit einem wütenden Hund. Hat ihnen Gott solche Gewalt gegeben, in welchem Kappenzipfel stehet doch das geschrieben? Ich sage Euch, Gott mag in seiner Gerechtigkeit solchen Jammer nicht länger gedulden. Das behaltet in einem feinen Herzen, lieben Freunde!«

Er nahm seinen Schlapphut ab, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und stieg von der Bank. Seine Zuhörer aber wichen nicht von der Stelle. Einen Augenblick blieb es noch still unter ihnen; dann erhob sich ein Murmeln, ein Aufrauschen und unzählige Hände streckten sich aus, um die des Prädikanten zu fassen, zu drücken. Andere drangen mit weiteren Fragen in ihn und er stand allen Rede und Antwort. Meister Wieland fragte, was sie tun sollten, um sich der Söldner des Teufels zu erwehren? Der Prädikant betrachtete die nackten muskulösen Arme des Schmiedes und seinen wuchtigen Hammer und er sagte mit einem leisen Lächeln: »Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knecht. Ihr seid niemand nichts schuldig, denn daß Ihr Euch untereinander liebet. Richtet das Evangelium auf, dann wird keiner mehr sein als der 16 andere, sondern wir werden miteinander leben als Brüder und Schwestern.«

Der Schmied stieß einen leisen gedehnten Pfiff aus. Er mochte einen verständlicheren Bescheid erwartet haben, und viele mit ihm. Denn er hatte gefragt, was ihnen auf der Zunge schwebte. Der Prädikant zog aus seinem Wamse ein Stück Brot hervor und begann zu essen. Simon lud ihn zur Rast auf sein Gehöft; aber er lehnte mit den Worten der Schrift ab, daß der Mensch wirken solle, so lange es Tag sei, aber die Tage seien gar kurz. »Und wohin die Reis'?« fragte Vater Martin, und jener wies mit seinem Stecken gen Osten.

»So Ihr in den Aischgrund kommt, der Jörg Buchwalder in Ottenhofen ist ein sicherer Mann«, sagte Simon mit gedämpfter Stimme und fügte laut hinzu: »Aber hütet Euch vor den Ansbachischen! Der Markgraf Kasimir von Brandenburg ist einer von denen, wo flugs mit der Schärfe zur Hand sind, wie Ihr sagtet. Der schont selbst sein eigen Fleisch und Blut nicht. Hat er doch mit seinen jüngeren Brüdern eines Nachts den eigenen Vater überfallen – in der Fastnacht war's – und ihn gefangen auf die Plassenburg geführt. Dort sitzet er noch, zehn Jahre schon. Sie geben vor, daß er nicht richtig im Kopf ist. Wer's glaubt.«

Der Wanderprediger verzog seinen großen Mund zu einem mitleidigen Lächeln. »Was will der Markgraf wider mich, wenn Gott für mich ist?« Er reichte Simon die Hand und ging. Viele Männer und Frauen gaben ihm das Geleit bis weit vor das Dorf.

»Den Herrenleuten sollte er ins Gewissen reden; wir wissen schon selbst, wo uns der Schuh drückt«, äußerte Wendel Haim, der zweite Dorfmeister, zu Simon, der noch mit seinem Vater und Ickelsamer zusammenstand. Wendel Haim war um mehrere Jahre älter als sein Amtsgenosse und hatte ein bis zur Einfalt treuherziges Gesicht. Wer ihm jedoch scharf in die Augen sah, der mußte darin wohl den Schalk entdecken. 17

»Den Herrenleuten?« zuckte Simon die Schultern. »Zu Rothenburg redet der blinde Mönch auf den Gassen von ihrer sündhaften Üppigkeit. Der Doktor Deutschlin predigt in St. Jakob die neue Lehr': verspürest du's, daß unsere Lasten auch nur um ein Lot leichter geworden sind?«

»Wenn's das Predigen tät, es wär' uns schon längstens geholfen«, nahm Vater Martin das Wort. »Ne, das Predigen tut's nit. Von der evangelischen Freiheit ist schon lang vordem gepredigt worden, eh' noch einer von dem Luther etwas gewußt hat. Dazumalen wurden sie Hussiten geheißen. Ich war fast ein Knab noch, da hat so einer sich auch in unserem Taubertal aufgetan. Zu Niklashausen ist's gewesen und Gemeindehirt war er. Und weil er zur Kirmeß aufspielte, so hießen sie ihn das Pfeiferhänselein, auch wohl den Pauker. Ist noch ein jung Blut gewesen, aber zu predigen hat er gewußt gar gewaltig, und von weit und breit sind die Leut' zugelaufen bei vielen Tausenden. In ihrer Not und Drangsal lag den Menschen das Herz wie ein kalter Stein in der Brust. Wer ihn aber reden hörte, dem wurd' es lebendig, dem wurd's warm, und es war uns, als ob der liebe Gott im Himmel auch für uns arme Leute lebte und nicht bloß für die Herren und Reichen. Ich schau ihn noch, den Hans Böheim, mit seinem weizengelben Haar, wie er auf der Wiesen zu Niklashausen predigte und Tausende um ihn her.«

Er verstummte und drohte, sich in ein Nachträumen zu verlieren. Der Sohn ermahnte ihn um der anderen willen, weiter zu erzählen. Denn er selbst kannte die Geschichte schon. An den Winterabenden, wann der Alte auf der Ofenbank saß und die Spinnräder surrten, hatte er wohl dann und wann von dem Hans Böheim dieses und jenes berichtet.

»Ja, was ich erzählen wollte!« murmelte er und richtete seine gekrümmte Gestalt ein wenig auf. »Auch aus unserem Dorf ist mancher, dem heut kein Zahn mehr 18 weh tut, zu den Sonntagen nach Niklashausen gelaufen. Ich auch, so jung ich noch war. Also! Am Sonntag vor St. Margrethen ist's gewesen. Da hat er uns geheißen, daß wir das nächste Mal wiederkommen sollten, ein jeder mit seiner Wehr; aber die Weiber und Kinder sollten daheim bleiben. Dann würd' er uns bekannt geben, was wir tun müßten, um die evangelische Freiheit aufzurichten. So nahm ich meines Vaters Spieß heimlich von der Wand – konnt' ihn kaum erschleppen den weiten Weg – und lief auch hin in der Samstagsnacht. Itzt, wie wir am Sonntag Margrethen in der Früh zu Hauf kamen, da hatten die Reiter des Bischofs von Würzburg nachts zuvor den heiligen Jüngling in seiner Hütten vor dem Dorf überfallen und hatten ihn auf das feste Schloß, den Marienberg, geschleppt. Dort ist er hernach hingericht't worden, verbrannt bei lebendigem Leib, elendiglich.«

Simon Neuffer blickte mit seinen klugen braunen Augen seinen Amtsgenossen durchdringend an und fragte: »Nu, Wendel, was dünket dir? Ob der heilige Jüngling wohl die Herrenleute kannte?«

»Ja, was half's ihm?« entgegnete der Angesprochene, Simons Blick vermeidend. »Es war verspielt. Wir haben längst verspielt.«

»Ja, wenn du unsere Freiheiten meinst«, begann Vater Martin. Der krausköpfige Schreiber fiel jedoch heftig ein: »Mit falschen Würfeln haben sie uns betrogen. Das gilt nicht!«

»Nu, wir haben wohl noch einen Wurf frei, was meint Ihr?« fragte Simon mit bedeutungsvoller Miene. Und als Haim darauf seinen Filzhut mit einer unruhigen Gebärde tiefer in die querdurchfurchte Stirn zog, fügte er hinzu: »Wir reden da wohl noch ein Wörtlein über. Behüt Gott.«

Er ging nach seinem Gehöft, das an dem Dorfplatze lag. Die Baulichkeiten befanden sich in einem guten Zustande und auf dem von Schrittsteinen durchkreuzten 19 Hofe herrschte ziemliche Ordnung. Durch einen schmalen Flur, hinter dem die Küche lag, betrat Simon die Wohnstube. Es war ein großer Raum, der durch Fenster aus dickem grünlichen Glase spärlich erhellt wurde. Hier standen das eheliche Himmelbett, das bis zu der niedrigen geschwärzten Balkendecke reichte, und eine kleinere Bettstelle für die Kinder. Ein Ziegelofen, dessen Tünche in Rückenhöhe über der umlaufenden Bank ganz schwarz und blank gerieben war, drang weit in die Stube vor. Dem Himmelbett gegenüber stand in dem sogenannten Herrgottswinkel ein schwerer Eichentisch mit einer Bank dahinter, die unter den beiden kleinen Fenstern fortlief. Zwischen dem Bett und dem Ofen standen zwei Spinnräder mit einem nur noch ganz kleinen Rest von Flachs an den Rocken, Darüber hingen an der Wand eine Sturmhaube und ein Brustharnisch, Krebs genannt, und zu deren Seiten ein Schwert, ein Handfeuerrohr und der Spieß, dessen Martin Neuffer in seiner Erzählung vorhin gedacht hatte. Wehr und Waffen fehlten in keinem Bauernhause des Rothenburger Gebiets und die Männer waren in deren Führung wohl geübt.

Simon schritt auf dem Estrich von gestampftem Lehm in seinen schweren Bundschuhen, deren Riemen sich bis hoch die Waden hinauf kreuzten, nachdenklich hin und her. Nach einer Weile richteten seine Blicke sich auf die Waffen. Langsam streckte er den Arm nach ihnen aus, nahm das Schwert herunter und trat damit an das nächste Fenster. Er entblößte die Klinge und betrachtete mit zusammengezogenen Brauen den blanken Stahl, an dem sich ein brauner Flecken zeigte. Es war nicht Blut, sondern Rost. Simon versuchte, ihn mit dem Ärmel seines grobwollenen Wamses wegzuputzen. Darüber kam seine Frau aus der anstoßenden Küche herein. Obgleich jünger als ihr Mann, sah sie doch älter aus als er und ihre Stirn wies tiefe Querfurchen. Ihr Gesicht war schmal und in ihren Augen nistete die Sorge. Nach 20 ihrer Gestalt zu schließen, mochte Zähigkeit den Mangel an körperlicher Kraft ersetzen. Sie war betroffen, als sie das bloße Schwert in den Händen ihres Mannes gewahrte, und mit einem leichten Beben in ihrer etwas singenden Stimme fragte sie: »Was gibt's denn, was hast du vor?«

»Nichts«, erwiderte er barsch, stieß das Schwert in die Scheide zurück und hing es wieder an seinen Ort. Gemäßigter fuhr er fort: »Du weißt ja, daß ich morgen nach Rothenburg muß, um den Zins für die Gült des Neureuter zu entrichten, und daß ich der Käthe versprochen hab', sie mitzunehmen. Du besinnst dich wohl noch anders und kommst auch mit, gelt, Ursel?«

Sein Ton war ganz mild geworden und die Bäuerin dankte es ihm mit einem Blicke. Aber sie schüttelte den Kopf. »Wer soll denn bei den Kindern bleiben? Ich bleib' gern daheim, da ist mir am wohlsten und ich ruh mich einmal rechtschaffen aus, derweilen ihr lustig seid.«

»Und machst dir schwere Gedanken«, ergänzte er und setzte sich auf die Ofenbank, auf der sich die Bäuerin inzwischen niedergelassen hatte.

»Muß eins denn nit?« seufzte die Frau. »Je schwerer für uns die Zeiten werden, je härter werden die Herren. Morgen wird's wieder jährig, daß die drei heidnischen Könige aus dem Morgenland mit kostbaren Geschenken zu dem armen Christkindlein in der Krippe kamen, und heut waren es Christen, die dem Konz Hart und den Seinigen den Strohsack unterm Leib und das Dach überm Kopf wegnahmen.« Sie wischte sich mit dem Zeigefinger die naß gewordenen Augen.

»Darum muß es halt anders werden«, rief Simon, dessen Mienen finsterer und finsterer geworden waren, mit Nachdruck. »So kann es nicht weiter gehen.«

»Du kannst nichts ausrichten und bringst dich selbst bloß ins Unglück«, seufzte die Bäuerin. »Der Stöckerlein wird den Mund nicht halten und der Herr 21 Schultheiß es dir zum andern aufs Kerbholz schneiden.«

»Mögen sie«, entgegnete er fest. »Was ich gesagt und getan hab', das kann ich verantworten. Wer soll denn reden, wenn nit ich? Dazu hat mich die Gemeind' nicht zum Dorfmeister gemacht, daß ich das Maul halte, wo es das Recht gilt.«

»Der Gemeind' ist freilich recht, daß du für sie einstehst«, gab sein Weib zu. »Sie lobt dich darum, aber nachher mußt du's allein ausbaden; vor dem Schultheiß, dem gestrengen Herrn von Wernizer, ducken sie alle. Wie war's letzt bei der Fronleichnams-Prozession? Da hatten es die Hausväter ausgemacht, daß keiner von ihnen mitgehen sollte und nachher hast du allein gefehlt, und das Sendgericht hat dich um ein Pfund Wachs gebüßt.«

»Gebüßt wohl, aber der Bockel mag halt zuschauen, wie er's kriegt«, lachte Simon leicht auf. »Wie ich letzt bei meinem Bruder Andrä in Tauberzell war –«

»Ach ja«, fiel sie ihm ins Wort, »wenn die geistlichen Herren alle so wie der zu ihrer Gemeinde hielten, dann wär's wohl gut.«

»– Da hat er mir aus einem Gesprächbüchlein verlesen«, fuhr Simon fort, »der neue Karsthans war's geheißen, darin stund: So ein Sendpfaff zu uns käm', daß wir ihn mit Hunden vom Hof hetzen wollten. – Ich hab's gut behalten. Ein Pfund Wachs, weil ich unter den Schafen nicht mitlaufen und mitplärren wollte. Wer hat denn unseren geistlichen Hirten dafür gebüßt, daß er an Mariä Geburt so betrunken war, daß er über die Altarstufen ist gestolpert, wie er die Mess' hat lesen wollen.«

»Es war gar arg, aber was hilft's?« seufzte Ursel. »Wenn es uns armen Leuten gilt, dann ist die Oberkeit geistlich und weltlich wie Hand und Handschuh, Gott sei's geklagt!«

»Aber ich laß mich nit mit Füßen treten von den Herren«, rief Simon und richtete den Kopf trotzig auf. 22 »Faß dir nur ein Herz, Bäuerin! Noch ist nicht aller Tage Abend. Hat's Kräuter, wo heute Nacht die bösen Geister aus Stuben und Ställen räuchern, daß Menschen und Vieh im kommenden Jahr kein Schaden nit geschieht, so ist auch wohl ein Kräutlein wachsen gegen diejenigen, wo uns ärger drücken als die Nachtmaren.« 23



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