Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Viertes Kapitel.

Käthe verließ am frühen Morgen in Begleitung Kaspars und des Ohms das gastliche Dach. Um sich einigermaßen unkenntlich zu machen, hatte sie von Gundel ein großes Tuch entliehen, das Kopf und Oberkörper verhüllte. Kaspar hatte erst auf der Gasse Umschau gehalten, bevor sie das Haus verließen. Auf den Rat des Vaters richteten sie ihre Schritte nicht nach dem Galgentor, wo möglicherweise Häscher auf Käthe lauerten; sondern auf Umwegen nach der unteren Schmiedergasse und durch den Siebersturm nach dem Spitteltor, durch welches die Gesandtschaft an die Bauern ausreiten mußte. Der alte Etschlich rechnete darauf, daß es an dem letzteren nicht an Neugierigen fehlen würde, so daß Käthe und Kaspar weniger bemerkt hinauskommen könnten. Seine Voraussetzung traf auch zu, und während die Aufmerksamkeit der Leute wie die der Wache durch Hufschlag nach dem Siebersturm gelenkt wurde, schlenderten Käthe und ihr Vetter über die bereits herabgelassene Zugbrücke. Jenseits derselben wandten sie sich sogleich links und schritten nun rasch auf Fuß- und Feldwegen weiter. Käthe warf ihrem Vetter nur einen Blick zu, aus dem ihr ganzes Frohgefühl leuchtete, daß sie frei war. Mit einem inneren Jauchzen flog ihr Auge über Wiesen und Felder, die sich wie eine grüne Woge vor ihnen gegen Nordosten erhoben. Es hatte in der 290 Nacht geregnet, der Märzstaub, der für den Bauern Goldstaub ist, war niedergeschlagen, frischer grünten die Halme von Gras und Saat, an denen die Nässe noch wie Edelgestein funkelte. Dick geschwellt waren die Knospen der Bäume und die Hecken hatten bereits kleine grüne Blätter.

Während das Herz Käthes mit den Lerchen um die Wette jubilierte, ritten über den Kappenzipfel die Männer, welche versuchen sollten, den Bauern in Güte die ergriffenen Waffen aus der Hand zu winden. Unter dem Spitteltor stürzte auf dem noch nassen Pflaster das Roß des Georg Bermeter, der mit Hieronymus Hassel vom Rate in die Gesandtschaft gewählt worden. Der Sturz des Pferdes galt für ein übles Anzeichen, Franz Knobloch aber, dessen bleiches Gesicht es deutlich verriet, daß er die Nacht verschwärmt hatte, rief ganz laut: »Hochmut kommt vor dem Fall!« Valentin Ickelsamer, der gleich ihm mit dem Hafner Martin Hufnagel und Jos Schad den Ausschuß vertrat, verwies es ihm mit einem unwilligen Blicke. Knobloch lachte höhnisch, so daß der Ratsherr Hassel Lust verspürte, ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Der Wirt zum Roten Hahnen, welcher wegen seiner Verschwägerung mit dem langen Lienhart der Botschaft beigegeben war, um ihr bei den Bauern freies Geleit zu verschaffen, hob, nicht just wohlklingend, zu singen an;

»Ducke Dich, Hensel,
Duck Dich, laß fürüber gan!
Das Wetter will seinen Willen han.

Ducke Dich, gut Gsell,
Duck Dich, laß fürüber gan!
Das Unglück will sein Willen han.

Ducke Dich, Simon,
Duck Dich, laß fürüber gan!
Die Frau will ihren Willen han.« 291

Der weite Weg nach Brettheim wurde der Gesandtschaft erspart. Denn schon bei dem hochgelegenen Dorfe Gebsattel stießen sie auf die Bauern, die dort eben ihr Lager schlugen. Es waren ihrer nicht viel über hundert Mann und Leonhard Metzler führte sie als ihr Hauptmann. Ihre geringe Zahl mochte dazu beitragen, daß der Ratsherr Hieronymus Hassel es nicht für nötig erachtete, seinem brutalen Hochmut einen Zügel anzulegen. Er sprach sie bei seiner Ankunft in einer Weise an, die nicht übler gewählt sein konnte. Es dünkte ihn kein Wort hart genug, um die Empörung der Bauern, welche in ihren Wehren die Abgesandten umschlossen, zu strafen. Wenn sie sogleich ruhig zu ihren Hütten heimgingen, fuhr er fort, ohne ihres Murrens zu achten, dann wollte der Rat ihnen gnädigst verzeihen, andernfalles würde er sie an Leib und Leben strafen. Hätten sie Beschwerden, so sollten sie dieselben vor das kaiserliche Kammergericht bringen.

Wie es um die Gerechtigkeit dieses Gerichtes bestellt war, das hatten die Bauern seit Generationen zur Genüge erfahren. Ein zorniges Hohnlachen war daher ihre Antwort auf dessen Erwähnung. Leonhard Metzler aber fragte mit finster drohenden Blicken: »Wie, ist das die Meinung der ganzen Gemein von Rothenburg?«

»Ja«, erwiderte Hieronymus Hassel.

»So redet ein Fuchs«, rief Metzler ihm zu und die Bauern schrien, mit ihren Waffen klirrend, er solle machen, daß er fortkäme.

Valentin Ickelsamer und den anderen Mitgliedern vom Ausschusse, die sich unter die Bauern mischten und auf sie einredeten, gelang es, die Aufregung zu stillen. »Nein«, rief Valentin Ickelsamer, »der Ratsherr hat Euch bloß seine eigene Meinung gesagt; die Gemeinde will in Güte und Brüderlichkeit mit Euch über Euer Begehren verhandeln.«

»Nun, wenn es so stehet, das ist ein anderes«, 292 antwortete darauf Leonhard Metzler. »Wir denken gar nicht daran, die Gemein zu beschädigen. Ihr seid des wohl wissend, daß wir etliche Beschwer wider den Rat haben. Die wollen wir fürtragen, so uns die Gemein freies Geleit auf einen Tag gewährt. Ansonst müssen wir uns freilich in eine festere Stellung ziehen.«

Georg Bermeter verbürgte ihnen das freie Geleit und darauf schieden beide Teile in Frieden von einander. Als die Gesandten aber nach Eckardsdorf kamen, ritten die Mitglieder vom Ausschusse wieder zu den Bauern zurück und ließen die Ratsherren in dem dortigen Wirtshause fünf Stunden lang auf sie warten.

Die Bauern zu Gebsattel waren kein vorgeschobener Posten, sondern die Nachhut des großen Haufens, der in Brettheim die zwölf Artikel beschworen hatte. Simon Neuffer war mit den Seinigen noch in derselben Nacht nach Ohrenbach zurückgegangen und der lange Lienhart ihm in der folgenden mit den übrigen dorthin gefolgt, während eilende Boten die noch säumigen Gemeinden zum schleunigen Zuzuge aufmahnten. Zum Sammelplatz wurde Reichardtsrode bestimmt, das, etwa eine halbe Stunde nördlich von Ohrenbach gelegen, eine vorteilhaftere Stellung als dieses bot.

Fortwährend langten dort neue kriegsgerüstete Scharen an, darunter die Bauern aus dem Aischgrunde, welche der grauköpfige Müller Jos Buchwalder von Ottenhofen heranführte. An der Spitze mancher Gemeinde zogen deren Pfarrer, die nicht nur im Lager predigten, sondern auch ihren Rat und ihre Feder in die Dienste der Bauern stellten. So aus Leuzenbrunn der Pfarrverweser Lienhart Denner und der Frühmeßner. Selbst höhergestellte, kriegskundige Leute, wie Georg Teufel aus Schonach und Fritz Nagel, der Amtmann des nahen Scheckenbach, stellten sich in Reichartsrode ein und lehrten die Bauern exerzieren und fechten. Es zogen ihnen aber auch die Hintersassen mancher benachbarten Herrschaft mit fliegenden 293 Fähnlein zu und wurden in die Bruderschaft aufgenommen; dazu aus den Wäldern und Verstecken manch flüchtiger Höriger und geächteter Mann.

Mit ihnen kam der unglückliche Konz Hart, den das Elend arg verwildert hatte. Sein Stiefsohn begleitete ihn nicht; er hatte den Knaben einem blinden Dudelsackpfeifer als Führer vermietet. Der Blinde war Spielmann und Sänger zugleich, und dasjenige Lied, mit dem er überall auf den Dörfern die Herzen der Weiber erschütterte und die der Männer zum Zorn entflammte, schilderte das tragische Geschick Konz Harts und den Tod von dessen Weib und Kindern. Ein fahrender Schüler, der zu Heidingsfeld im Wirtshaus gesessen, als der Hausierer Crispin Wölffl auf seiner Reise gen Würzburg dort die Leidensgeschichte erzählt, hatte sie in Verse gebracht und der Blinde sich selbst die Weise dazu erfunden. Eine andere Weise sangen jetzt die Hämmer, die in Reichardtsrode und in den Dörfern ringsum für die armen Leute Speereisen schmiedeten, ihre Sensen aufrichteten und eiserne Schlägel und stachligte Kolben für ihre Dreschflegel herrichteten.

Auch in Ohrenbach, wo Wendel Haim zurückgeblieben war, um seines Amtes als Dorfmeister zu walten, klangen Hammer und Ambos, und Kaspar und seine Muhme vernahmen das Klingen schon vor dem Dorfe. Er scherzte, daß zu ihrem Einzuge die Glocke geläutet würde. Die wahre Bedeutung davon erfuhr das Paar dann auf Simons Gehöft, wo Käthe sich kaum die Zeit nahm, ihren Vater, die Schwägerin und die Kinder zu herzen. Es ihrem Vetter überlassend, die Geschichte ihrer Befreiung zu erzählen, lief sie auf ihre Kammer, um sich gründlich zu waschen und die Kleider zu wechseln, die sie seit ihrer Verhaftung nicht hatte ablegen können. Als sie dann wiederkam, in ihrem besten Zeug und das lichtbraune Haar sauber geglättet und gezöpft, glich sie dem jungen frischen 294 Morgen. Kaspar erschien sie so, über dessen bewundernde Blicke sie lächelte und ein wenig errötete. Sie setzte sich zu dem Vater, nahm dessen knorrige Rechte in ihre beiden Hände und hörte still an, was er und seine Schnur von den Vorgängen im Dorfe seit ihrer Gefangenschaft erzählten. Vielleicht hörte sie auch nicht; denn ihre Augen wanderten langsam in der großen Stube von einem Gegenstand zum andern und es schimmerte in ihnen das Wohlgefühl, wieder zu Hause zu sein. Als Friedl, der Knecht, zum Mittagsessen hereinkam, sagte er, ihr die Hand schüttelnd: »Gott sei Dank, daß Du wieder da bist. Seitdem daß der Bauer in Reichardtsrode ist, bist Du uns nötig wie das liebe Brot. Jetzt kann er ruhig dort bleiben.«

Kaspars gute Laune machte die Mahlzeit so heiter, wie seit langer Zeit keine auf dem Hofe gehalten worden. Erst sein Abschied mahnte wieder an die stürmische Zeit, in der man lebte. Er wollte nach Rothenburg zurück, trotz der Gefahr, die ihm drohte, und ließ sich davon auch durch Käthes Vorstellungen, die ihm das Herz warm machten, nicht abhalten. »Wär's Dir leid, wenn sie mich griffen?« fragte er sie schlau. »Nu, sie werden nicht, sie haben wichtigeres auf den Armen. Aber heim muß ich halt, von wegen des Geschäfts. Mein Alter hat jetzt kein' Zeit, sich darum zu kümmern, er muß ja im Ausschuß regieren helfen.« Lachend sprach er die letzten Worte. Er faßte Käthe um die Hüften und sie küßte ihn rasch auf den Mund, ließ sich aber von ihm nicht festhalten. »Das ist mein Dank«, sagte sie und entwand sich seinem Arm. »Ein Dank wie Gottes Lohn«, rief er halb ärgerlich, halb lachend.

Eine kleine Weile nach ihm verließ die Jungfer Apollonia ebenfalls das Dorf. Sie schlug aber nicht den Weg zur Heerstraße ein wie er, sondern beschritt den Fußpfad, der linker Hand durchs Holz nach Endsee führte.

Kaspar kam unaufgehalten in die Stadt, in der es gar 295 unruhig herging. In der Nacht waren auf dem Kirchhof zur reinen Maria, zu dem Dr. Deutschlin einst den Judenkirchhof geweiht hatte, dem großen Marterbilde Kopf und Arme abgeschlagen worden. Am Morgen hatten die Müller im Taubertal das zierlich gotische Wallfahrtskirchlein Unserer lieben Frau zu Kobolzell verwüstet, die schönen gemalten Fenster eingeschlagen, die Altäre und Heiligenbilder zertrümmert und zerfetzt und in die Tauber geworfen. Am Nachmittage war in der Stadt selbst Tumult entstanden. Bürger waren in die Häuser der Geistlichen gefallen, hatten sie mißhandelt, etlichen auch den Wein ausgetrunken.

Dann kam die Nachricht, daß zu Mergentheim die Bürgerschaft unter Fritz Büttner sich erhoben hätte und den Hochmeister des Deutschen Ordens in seinem Schlosse belagere, daß das Schloß trotz seiner Festigkeit nicht zu halten sei, wenn Rothenburg nicht Hilfe schicke.

Erasmus von Muslor reichte das Schreiben mit einem bitteren Lachen dem zweiten Bürgermeister. Hilfe! Woher sollte er Hilfe nehmen? Und während sie noch berieten – es dunkelte schon –, traf ein Bote des Schultheißen von Endsee ein. Er sandte einen ausführlichen Bericht über das Bauernlager zu Reichardtsrode ein. So genau zeigte er sich über die dortigen Vorgänge unterrichtet, daß die Vermutung nahe lag, er habe seine Spione unter den Bauern. Eben seien ihnen, so schrieb er, die Hintersassen der Junker von Rosenberg und Finsterlohr mit fliegenden Fahnen zugezogen, so daß sie schlecht gezählt viertausend Mann stark seien. Bauern, die sich weigerten, zu ihnen zu treten, zwängen sie dazu, indem sie ihre Häuser plünderten und den Pfarrern die Weinfuhren abfingen. Auch das feste Haus des Ritters Kaspar von Stein hätten sie rein ausgeplündert. Beutemeister, die sie eingesetzt, nähmen aber alle Beute an sich und verkauften sie, und der Erlös käme in eine Kriegskasse, daraus sie Wirte, Boten, Lebensmittel und alle Bedürfnisse zahlten. An Leib und Leben sei bisher niemand 296 von ihnen geschädigt worden. In einer kurzen Nachschrift bemerkte der Schultheiß Wernizer, daß, wie er eben erfahre, die aus Rothenburg flüchtige Käthe Neuffer sich zu Ohrenbach im Hause ihres Bruders aufhalte.

»Wenn er das weiß, warum nimmt er sie nicht gefänglich an?« rief Konrad Eberhard. »Von dem Verbrechen abgesehen, das die Dirne begangen hat, war sie uns eine Geisel für das Wohlverhalten ihres Bruders. Wir müssen trachten, sie wieder in unsere Gewalt zu bekommen.«

»Um dadurch die Bauern noch mehr wider uns aufzureizen. Der Wernizer würde in ein Wespennest greifen, fürcht' ich. Morgen ist auch noch ein Tag, lautet das Sprichwort; sorgen wir nur, daß wir heut' den Kopf oben behalten.« So entgegnete Erasmus von Muslor.

Der folgende Tag brachte neuen Sturm. Von ihm ergriffen kam am Morgen Ehrenfried Kumpf mit einigen Freunden in die Pfarrkirche von St. Jakob, stieß den Priester vom Pulte hinweg, warf das Meßbuch auf den Boden und jagte die Chorknaben aus der Kirche. Er, der stets vor Gewalttätigkeiten gewarnt hatte, war um des Glaubens willen selbst gewalttätig geworden, vielleicht ohne sich dessen vollkommen bewußt zu sein. Andächtig lauschte er der Orgel, die von dem hohen Chor das protestantische Kampflied durch die Wölbungen brausen ließ:

»Ein' feste Burg ist unser Gott.«

Auf katholische Weise wurde derselbe fortan nicht mehr in St. Jakob verehrt, und einige Tage später ward die Marien-Kapelle auf dem Judenkirchhofe dem Boden gleich gemacht.

Die Frommen, die in der Kirche anwesend waren, und seine Freunde gaben Herrn Ehrenfried das Geleit zum Rathause. Von dem Inneren Rat ward er mit manch grimmigem Blicke empfangen. Sie prallten von ihm ab, so siegesfroh und mit jugendlich strahlenden Augen schaute er um sich. Selbst Konrad Eberhard fühlte sich nicht geneigt, ihn anzugreifen, zumal man 297 den Abgesandten der Bauern zu Gebsattel erwartete. Ihr Führer, Leonhard Metzler, selbst überbrachte im Vertrauen auf das freie Geleit die Beschwerden der Bauern, und Stephan von Menzingen trat damit als Obmann des Ausschusses vor den Rat. Das Siegel der Schrift wies eine Pflugschar, über der sich Dreschflegel und Mistgabel kreuzten, darunter einen Bundschuh mit der Jahreszahl 1525. Ritter Stephan von Menzingen ließ seine großen schweren Augen über die Ratsmitglieder hinrollen und verlas selbst die Beschwerdeschrift. Darin hieß es, Beschwernisse, die wider Gott und sein Wort und die Nächstenliebe seien, haben sie, die Bauern, als Brüder vereinigt. Sie seien beladen mit Hauptrecht und Handlohn, mit Steuern und neuerdings mit Klauengeld, Tranksteuer und anderem; sei es doch ein jämmerlich Ding, daß keiner in der ganzen Landwehr eine eigene Kuh haben solle. Und nachdem sie doch alle an einen ewigen, wahren, einigen Gott glauben, mit einer Taufe getauft seien und ein einiges ewiges zukünftiges Leben hoffen, habe der Teufel durch seine tausendfältige List einen großen Greuel in die Christenheit eingeführt, also daß einer des anderen eigen sein solle. Seien doch alle ein Körper, eine geistliche Gemeinde, deren Haupt Christus der Erlöser sei.

Nicht minder beschwert seien sie durch den großen und kleinen Zehnten, und doch seien gar viele Pfarrherren von ihren Pfründen abwesend und tun garnichts, als daß sie ihre Kapläne verursachen, das Volk täglich zu schinden und zu schaben mit ihren Lügen und mit ihrem Menschentod. Die, welche bei ihm die Mühe tragen, wollen sie belohnen; wer aber nicht arbeite, solle auch nicht genießen. Weitere und kleinere Beschwerden, wie unbillige Zölle, wollten sie sich vorbehalten.

»Ehrbare und günstige Herren«, sprach darauf Stephan von Menzingen, das Schriftstück auf dem 298 Ratstische niederlegend, »Ihr habet vernommen, wessen sich die armen Leute beschwert fühlen, und zwar, wie ich hinzufügen muß, leider mit vollwichtigem Rechte. Der Ausschuß lebet der Hoffnung, daß Ihr ein Einsehen haben werdet und er hat mich beauftragt, Euch in anbetracht der schweren Zeitläufte seine Vermittelung anzubieten, daß es zu einem friedlichen Vergleich komme. Unsere Brüder, denn als solche betrachten wir die uns durch den evangelischen Glauben verknüpften Bauern, haben unsere Vermittelung angenommen.«

Eine Totenstille folgte diesen Worten. Während dessen griff der Ratsherr Leonhard Denner nach dem Schriftstücke, sobald er aber einen Blick hineingetan, warf er es wieder hin, als ob er in Nesseln gegriffen hätte. Er kannte die Handschrift nur zu gut: es war die seines Sohnes Leonhard, des Pfarrverwesers zu Leuzenbronn. Nun erhob sich der Bürgermeister Erasmus von Muslor mit Würde und sprach dem Ausschusse den Dank für die angebotene Vermittelung aus. Es sei der Rat jedoch des Meinens, daß er derselben nicht bedürfen werde, um sich mit seinen Untertanen in Güte zu verständigen. Die Zornader auf der spitz zulaufenden Stirn des Ritters schwoll dick an. Herr Erasmus hatte dessen jedoch nicht acht, sondern wandte sich zu Leonhard Metzler. Der Rat wolle der Empörung der Bauern und ihres Meineids nicht im Argen gedenken, wenn sie ruhig nach Hause zögen, sagte er. Er werde ihre Beschwerden überlegen und mit ihnen gütlich rechten vor kaiserlichem Regiment und Reichskammergericht.

Das war, wenn auch in milderer Form, dieselbe Antwort, die bereits Hieronymus Hassel den Bauern zu Gebsattel erteilt hatte. Finster schauten die Augen Metzlers unter seinen überhängenden Brauen auf den Bürgermeister. »Wir sind nicht meineidig«, zischte er, bezwang sich jedoch auf einen Wink Stephans von Menzingen so weit, daß er gehaltener hinzufügte, wenn auch 299 ohne jede Demut, in der sich die Bauern bisher vor den Herren gekrümmt hatten: »Wir wollen alles halten, ehrsame Herren, was nit wider Gott und die Liebe des Nächsten ist, mehr nit!« Damit entfernte er sich und der Ritter sprach in stolzer drohender Haltung, bevor er ihm folgte; »Der Ausschuß wird des Rats Antwort erwägen, Ihr Herren!«

»Da haben wir den Brei!« schnob der beleibte Herr von Winterbach. »Wer anders hat ihn uns eingerührt als diese gottverdammte Reformation. Das ist der stinkende Pfuhl aller Pest.«

Ehrenfried Kumpf schnellte kampflustig empor, jedoch Georg Bermeter legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm, und so begnügte er sich, jenem die Äußerung hinzuschleudern: »Die Eiche ist's, an der die Schweine ihre Hauer wetzen.«

»Und ich frage«, rief Hassel und schlug mit der Faust auf die grüne Tischdecke, »warum, zum Teufel, haben wir das Angebot des Markgrafen nicht angenommen?«

Erasmus von Muslor ließ Groll und Ärger eine Weile sich Luft machen. Dann stellte er die Ruhe mit den Worten wieder her: »Als die wilden Barbaren das alte Rom stürmten, da erwarteten die Senatoren sie schweigend auf ihren kurulischen Sesseln. Sie ließen sich töten, aber sie unterwarfen sich nicht. Wohlan, liebe Herren und Freunde und werte Kollegen, wir dürfen der Gewalt nicht weichen, und wenn wir gezwungen werden, jetzt den Bauern etwas nachzulassen, so ist's mit Gewalt erpreßt, und wir sind darum nicht verbunden, es zu halten.«

Das gefiel den Herren vom Innern Rate. Nur Georg Bermeter schüttelte bedenklich den Kopf und Ehrenfried Kumpf erhob sich unmutig, um die Ratsstube zu verlassen. Ein tiefer summender Ton bannte seinen Fuß. Alle lauschten. Kein Zweifel, die große Ratsglocke wurde geläutet, und die Herren schauten einander betroffen an. Sie rief die Bürgerschaft zur Versammlung auf dem 300 ehemaligen Judenkirchhof. Ehrenfried Kumpf sprach bekümmert: »Ich habe den Innern Rat gewarnt, als es noch Zeit war. Aber da sei Gott für, daß ich mich von ihm trenne in der Stunde der Gefahr!« Und er nahm wieder seinen hochlehnigen Stuhl am Tische ein.

»Man muß es dem Menzingen lassen, er ist rasch zur Tat«, äußerte der erste Bürgermeister mit einem eigentümlichen Lächeln. Es war das letzte laute Wort, das in der Ratsstube gesprochen wurde. Des Kommenden harrend, flüsterten die Herren nur dann und wann miteinander. Sie mußten lange warten. Endlich stieß ein Ratsdiener die Tür auf und meldete: »Gesandte vom Ausschuß bitten um geneigtes Gehör.«

Herr Erasmus neigte sein Haupt. Die Ratsherren, die bisher auf und ab gegangen waren oder in den Fensternischen beieinander gestanden, nahmen ihre Sitze wieder ein. Herein traten Ritter Stephan, Valentin Ickelsamer, der Rektor der Lateinschule und etliche bürgerliche Mitglieder des Ausschusses. Ihre Mienen waren noch erhitzt von den Reden und Debatten auf dem Judenkirchhofe. Stephan von Menzingen ergriff als Obmann des Ausschusses das Wort und sprach mit laut schallender Stimme: »Ehrsame, günstige und liebe Herren! Die von dem Ausschuß berufene Gemeinde der Stadt hat beschlossen und tut Euch kund und zu wissen durch seine Abgesandten: In Erwägung, daß der Äußere Rat die Gemeinde vertreten soll, so muß er nunmehro aufgehen im Ausschusse und mit ihm sitzen, raten und bessern. Diesen Schluß auszuführen, gewährt die Gemeinde den beiden Räten eine Frist von 24 Stunden.«

Die Ratsherren sprangen zornig von ihren Stühlen auf. Der erste Bürgermeister aber winkte ihnen mit der Hand zur Stille. Seine Mienen zeigten unerschütterte Ruhe. »Die Räte werden erwägen und beschließen«, erwiderte er trocken. »Fahret fort!«

»Weiter begehret die Gemeinde von dem Innern Rate, daß er die Beschwerden der Bauern ohne Verzug 301 vornehme und durch Zugeständnisse sie beschwichte, ehe sie der Stadt zu stark werden, Mit ihnen einen Vergleich zu schließen, dazu, so ist der Gemeinde Begehr, soll der Innere Rat uns, dem Ausschuß, allsogleich Vollmacht erteilen.«

»Das wird nimmer geschehen«, rief Konrad Eberhard mit kalt schneidender Stimme, und die Mehrzahl der Ratsherren rief es ihm nach.

»Haben's die Herren so hitzig, ei, so sperret die Fenster auf«, drohte Jos Schad, der Gerber, der hinter dem Ritter stand.

»Auf dieses Verlangen, Herr Ritter, kann der Rat nicht eingehen«, sagte von Muslor fest. »Es ist unmöglich.«

»Dem Willen ist nichts Menschliches unmöglich«, äußerte der alte Ritter Bessermayer.

»Es handelt sich hier nicht um unsern Willen, nicht um Rothenburg allein«, nahm der erste Bürgermeister wieder das Wort. »Es wäre ein böses Beispiel, das wir mit unserer Nachgiebigkeit den Bauern der benachbarten Herrschaften gäben. Es würde unserer Stadt gar übel geraten, wann die fremden Hintersassen sich auf das Beispiel Rothenburgs berufen könnten, und ihre Herren würden uns darob feindlich ansehen.«

»Umgekehrt wird ein Schuh d'raus«, mischte sich Lorenz Knoblauch vorwitzig ein. »Brot können die Herren essen, aber keins backen.«

»Donnerwetter«, fuhr ihn der Ratsherr Hassel mit kirschrotem Gesicht an, »es täte not, daß dem Kerl einer über das ungewaschene Maul führe!«

»Wahret den eigenen Mund, Herr, daß Euch der Ausschuß nicht wegen Beleidigung zur Rechenschaft zieht«, donnerte Stephan von Menzingen ihn an. »Recht aber hat er; denn schon brennt es ringsum, und darum ist es notwendig, daß die Stadt mit ihren Bauern rasch sich vergleicht, ansonst bei uns eine Wut entsteht, die uns alle verzehrt.«

Mit einem Anflug von Pathos erwiderte aber Herr 302 Erasmus: »Der Himmel behüte, daß der Rat von den Rechten der Stadt, die von den Altvordern her sind, ein Tüpfelchen vergebt, es sei denn, daß der Schiedsspruch des kaiserlichen Gerichts es ihm aberkennt.«

»Quos Deus perdere vult, dementat prius«,Denjenigen, welche Gott verderben will, verwirrt er vorher den Verstand. murmelte Valentin Ickelsamer, und Kilian Etschlich rief: »Gott's Tod, ich hab' ein Urteil des Kammergerichts erstritten, und mein Recht ist mir zur Stund' nit worden vom Rat.«

»Ja, das ist's«, ließ sich der Ritter wieder vernehmen und straffte seine ansehnliche Gestalt. »Zu viel des Unheils hat der Rat schon durch seine ungerechten und falschen Maßregeln über die Stadt gebracht. Der Ausschuß kann und darf ihn deshalb in jetzigen gefährlichen Läufen nicht handeln lassen.«

Bei dieser unverhohlenen Drohung, welche einen allgemeinen Sturm erzeugte, in dem alle gegen einander schrien, erhob sich der Altbürgermeister. Es trieb Ehrenfried Kumpf, dem bedrängten Rate beizustehen. Er wüßte wohl einen Mann, der geeignet wäre, zwischen der Stadt und den Bauern Frieden zu stiften. Er verhalte sich in seinem Hause; ihn solle man zu den Bauern schicken.

»Und wer ist dieser Wundermann?« fragte Konrad Eberhard.

»Der Dr. Karlstadt ist's«, antwortete Herr Ehrenfried unerschrocken.

Da geschah es, daß bei dem Namen, der die allgemeine Verwunderung der Ratsherren erregte und dem zweiten Bürgermeister ein grimmes Hohnlachen entlockte, Erasmus von Muslor zum ersten Male seine Selbstbeherrschung verlor. Er schnellte wie eine Feder von seinem Stuhle auf und rief mit geröteter Stirn: »Wie, das böse ABC ist in der Stadt und in Eurem Hause verborgen, trotzdem er bei strenger Strafe ausgewiesen wurde? Wie wollet Ihr, ein Ratsherr, diese gröbliche 303 Verletzung der Gesetze und Eurer beschworenen Pflichten rechtfertigen? Wie sollen andere die Gebote des Rates achten, wenn Ihr, der einst die höchste Würde unserer Stadt bekleidet hat, sie mit Füßen tritt? Beim Himmel, das ist stark!«

Herr Ehrenfried erwiderte uneingeschüchtert: »Ich hab's gewagt, im Dienste Gottes und für Gottes Sache ihn zu schützen und zu beherbergen. Karlstadt ist ein frommer und unglücklicher Mann und vorzüglich geschickt und vom Himmel begabt, um die Irrungen zwischen einem Rat, der Gemeinde und den Bauern zu schlichten. Ich kenne meine Pflichten gegen den Rat, ich erachte mich aber nicht gebunden, wo es gegen Gottes Wort und das Evangelium geht. Denn ich bin ein Christ und werde diesem allein gehorchen, so weit Leib und Gut reicht.«

»Höllenelement, wir sind so gute Christen wie Ihr«, schnaufte der dicke Herr von Winterbach, und Konrad Eberhard setzte spitz hinzu: »Aber wir treiben keinen Priester aus dem Tempel und schänden ihn nicht durch Bilderstürmerei.«

Damit erhoben sich die Herren vom Rate und schickten sich an, die Stube zu verlassen. Der Altbürgermeister vertrat ihnen jedoch den Weg. »Ich lasse Euch mit nichten, es sei denn, daß Ihr die Ausweisung aufhebet«, rief er. »Das möget Ihr von einem Rat am jüngsten Tage erwarten«, beschied ihn Herr Erasmus. »Mutet uns nicht zu, daß wir über unsere gute Stadt die Ungnade und Strafe des Kaisers, der Fürsten und Reichsstände bringen, noch soll er den gemeinen Mann vollends zum Aufruhr anstiften, wie er es allerwärts getan, wo er gewohnt und gepredigt hat. Wendet Euch an den Ausschuß, der hat ja jetzt die Gewalt.«

»Ist das Eure Meinung, Herr Bürgermeister?« rief Stephan von Menzingen und entfaltete seine Arme, die er bisher über der Brust gekreuzt hatte. »Wohl, wohl! 304 Ich bürge Euch dafür, Herr Ehrenfried, daß der Ausschuß den Dr. Karlstadt in der Stadt umgehen und sein Abenteuer bestehen lassen werde, so er sich zu Recht erbietet.«

»Wir aber, der Rat, waschen unsere Hände in Unschuld«, erklärte Erasmus von Muslor und eilte mit seinen Kollegen aus der Ratsstube. 305



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