Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Weinsberg zieht sich ziemlich steil den nördlichen Talrand hinan. Auf der höchsten Stelle erhebt sich die Kirche, zu der man von dem abschüssigen Marktplatz mit dem Rathaus auf einer breiten Treppe hinansteigt. Zwei Tore durchbrechen die Stadtmauer nach der Talsohle zu. Das obere Tor, bei dem eine Mühle liegt, und das untere Tor oder Siechentor, von welchem die Hauptstraße an dem Siechenhause vorüber zum Marktplatz hinaufleitet. Auf der Westseite, bei der Kirche, führt eine schmale Pforte zu der nur wenige Schritte entfernten untersten Umfassungsmauer der hochthronenden Burg, welche die Sage mit dem Namen der Weibertreue geschmückt hat. Die Überreste der gewaltigen Rundtürme und der gegen die Stadt zu doppelten Ringmauern zeugen noch heute von der damaligen Festigkeit der Burg.

Graf Ludwig Helfrich von Helfenstein, der Stuttgart gegen den Herzog Ulrich gehalten hatte, saß als Österreichs Obervogt auf dem alten Welfenschlosse. Er war erst 27 Jahre alt, ein Günstling des Erzherzogs Ferdinand und seit fünf Jahren mit Margarethe, einer unehelichen Tochter des Kaisers Maximilian, vermählt. Ihr zweijähriges Söhnlein auf den Armen, schaute die Gräfin, die schon einmal verheiratet gewesen, vom Schlosse auf die mit großem Getöse und fliegenden 372 Fahnen im Tale ziehenden Bauern. Es war am Karfreitage. Ihr Gatte stand neben ihr und die Geringschätzung, mit der er von dem Feinde sprach, erhob ihr beklommenes Herz. Plötzlich rief sie: »Ein Ritter unter ihnen? Schau' den in der schwarzen Rüstung bei der schwarzen Fahne! Wer kann das sein?«

»Es heißt, daß Florian Geyer von Geyersberg seines Adels und seiner Ehre so schmachvoll vergessen hat, sich unter das Gesindel zu mischen«, äußerte der Graf mit finsterer Stirn.

»Ei?« rief die Gattin betroffen, denn sie kannte ihn sehr gut, war sie ihm als jungem Hauptmann doch mehr als einmal an dem Hoflager ihres verstorbenen Vaters begegnet. Sie erinnerte sich, daß derselbe von seinen militärischen Gaben stets mit großer Anerkennung gesprochen hatte, und ihre Besorgnis kehrte zurück. Sie verriet sich in den Worten: »Unter einem solchen Führer, Ludwig –«

»Bah, mit den zusammengelaufenen Roßmucken!« erwiderte er. »Haben sie sich vollgesoffen am Klosterwein, wir wollen ihnen Blut zu trinken geben, daß sie daran ersticken sollen. Übrigens steht die Bürgerschaft treu zu mir und die Hilfe aus Stuttgart muß auch jeden Augenblick eintreffen.« Er hatte Tages zuvor nochmals um dieselbe geschrieben, nachdem er persönlich dort gewesen, um Verstärkung zu holen. Denn ihm stand zur Verteidigung des Schlosses nur ein knappes Dutzend Reisiger zur Verfügung. Augenblicklich hatte man ihm nur 70 Ritter und Reisige mitgeben können. In heiterer Laune waren die edlen Herren mit ihm den Neckar heruntergeritten und hatten dabei zum Vergnügen auf die Bauern in den Feldern und Weinbergen geschossen wie auf Spatzen oder Hasen. Der Graf von Helfenstein hatte lachend seiner Gattin erzählt, wie gar kurzweilig es gewesen, die Kerle springen und purzeln zu sehen. Dietrich von Weiler wäre vor Lachen über die Haken, die sie gleich den Hasen schlugen, fast vom Pferd 373 gefallen, darob ihm denn ein Bäuerlein, das er just aufs Korn genommen, in einen Weinberg entwischt wäre. Und auch der stolze Mund der Gräfin hatte gelächelt, anstatt sich über solchen Frevel an Unschuldigen und Wehrlosen zu entsetzen.

Die Aufforderung der Bauern, ihrem Bunde beizutreten, hatte der Graf mit der Forderung beantwortet, daß ihm bis zum Samstag Mittag Zeit zum Erwägen gelassen würde. Sie wurde ihm gewährt. Bis dahin mußte ja die verlangte Unterstützung von Stuttgart eintreffen, hatte er doch höchst dringend darum geschrieben, die Verantwortung für jeden Nachteil oder Schaden, der sonst daraus folgen möchte, ablehnend. Wie die Gattin, so ermutigte er mit dem Hinweis auf den versprochenen Beistand nun auch die Väter der Stadt, die er über das zahlreiche Bauernheer schreckensbleich auf dem Rathaus versammelt fand. Die adligen Herren, welche mit ihm nach Weinsberg gekommen waren, standen unter der Bürgerschaft auf der Mauer und übten ihren Witz an den Bauern, die unter Waffenklirren, Gesang, Gelächter, Trommelwirbeln, worin sich das Brüllen des erbeuteten Viehes mischte, fort und fort vorüberzogen. Das Witzeln der Herren aber wurde zum Drohen und Fluchen, wenn in dem Gewühl eine Kirchenfahne auftauchte. Die Klöster von Schöntal und Lichtenstern hatten sie hergeben müssen und von ihren Trägern hatte mancher eine Altardecke oder ein Meßgewand über die Schultern geworfen. Die Herren waren daher nur zu lustig, nachdem das Hauptheer vorübergeflutet war, mit dem Grafen zu Pferde zu steigen und trotz der schwebenden Unterhandlung auf die Nachzügler zu fallen. Bis zum Abend hielt der Graf im Rücken des Heeres und färbte die Landstraße mit Bauernblut.

Die Bürger von Neckarsulm empfingen die Bauern mit offenen Armen und das Ordenshaus war bald erobert. Die wenigen Ritter darin ließ man ungefährdet entrinnen. Reich waren die erbeuteten Vorräte und es ging fröhlich 374 her in dem Städtchen und draußen auf der Wiese. Da brachten Verwundete und Nachzügler die Kunde von dem Überfall des Grafen von Helfenstein, und durch das Lager auf der Wiese und durch die Gassen des Städtchens erscholl der Ruf: »Verrat! Verrat!« Dazu verbreitete sich die Nachricht, daß der Truchseß Georg von Waldburg an der Donau senge und brenne, daß er ein furchtbares Blutbad unter den Bauern angerichtet, den edlen Pfarrer Wehe und viele andere, die zu ihnen gehalten, dem Scharfrichter überantwortet habe. Ihre Köpfe wären zu Leipheim gefallen, und bei Wurzach sollten 7000 Bauern hingeschlachtet worden sein. Diese Zahl war von den Herren selbst absichtlich übertrieben, um die Bauern einzuschüchtern. Es geschah aber gerade das Gegenteil. Die Bauern wurden zur Wut entflammt und schrien nach Vergeltung und Rache.

Abseits des Lagers, an dem Ufer der Sulm, saß einsam brütend die schwarze Hofmännin. Niemand störte sie, denn jeder wußte, daß sie Zwiesprach hielt mit den geheimen Mächten, mit denen sie zum Wohl der Bauern im Bunde war. Ein Anruf störte sie aus ihrem Sinnen auf. Vor ihr stand ein Mann, barhäuptig und in zerrissenen Kleidern, der sich ihr als ein Salzführer aus Neuenstein, namens Semmelhans, zu erkennen gab. Er hätte, wie er ihr erzählte, in der Schänke des Hans Schocher zu Weinsberg auf das österreichische Regiment geschimpft und wäre deshalb eingetürmt worden. Seit Mitfasten hätte er gefangen gesessen; in dieser Nacht wäre er ausgebrochen. Er war gelaufen, was er konnte und kurzatmig erkundigte er sich, wo er Wolf Gerber, den Hohenloheschen Hauptmann, fände, er brächte eine wichtige Nachricht. »Ich weiß eine Stelle, wo die Weibertreu leicht zu stürmen ist«, vertraute er der Hofmännin, »und es liegen bloß acht reisige Knechte droben.«

Sie lachte unheimlich vor sich hin. »Komm«, sagte sie, indem sie sich erhob, und schritt ihm voraus nach 375 dem Städtchen Der Vollmond war heraufgekommen und sein silberner Schleier breitete sich über die Berge, die Wiese, das Städtchen, das wie aus Marmor erbaut schien. Jedoch der Frieden in der Landschaft war nicht in die Brust der Menschen eingezogen. Nur wenige hatten sich auf der Wiese zum Schlafen hingelegt; Groll und Erbitterung gönnten den meisten keine Ruhe, und unheimlich blinkten im Monde die Eisen der Waffen.

Florian Geyer, Wendel Hipler, Jörg Metzler, der lange Lienhart und einige andere Hauptleute saßen noch auf dem Stadthause beisammen. Als Semmelhans, von der schwarzen Hofmännin zu ihnen geführt, seine Mitteilung wiederholte, da schlugen sie freudig an ihre Wehren und wollten sogleich zum Aufbruch die Trommeln rühren lassen. Florian Geyer aber hielt sie zurück und rief: »Der Verrat des Grafen entbindet uns nicht von unserem Wort. Wir haben ihm bis morgen Mittag Stillstand zugesagt und das müssen wir halten.«

»Gott's Tod, und er verfährt gegen uns als ob wir Räuber wären«, schnob der lange Lienhart.

»So beweisen wir ihm das Gegenteil!« unterstützte Hipler den Hauptmann der Schwarzen Schar. »Zwingen wir ihn, indem wir ehrlich halten, was wir versprochen, uns als Feind zu achten. Morgen um Eins, oder ist's schon Samstag? wird es sich spätestens entscheiden.«

Widerstrebend fügten sich die anderen. Hans Lautners Ahne aber seufzte, indem sie sich hinwegwendete: »Immer und immer haben wir den Versprechungen der Herren vertraut und immer haben wir es mit blutigen Tränen büßen müssen. Wann wird Eure Faust endlich eisern werden?«

In kaum noch zu zügelnder Ungeduld erwarteten die Haufen die Antwort des Grafen. Mit hochmütiger Verachtung wies er jede Gemeinschaft mit den Bauern von der Hand. Den Hintersassen seines Amtes aber drohte er, wenn sie sich nicht unverzüglich von der 376 aufrührerischen Rotte lossagten und heimkämen, dann wollte er ihnen ihre Weiber und Kinder nachschicken und ihre Dörfer mit Feuer verbrennen.

Ob dieser Drohung erschraken die Bauern des Weinsberger Haufens und schrien, daß man sie heimziehen lassen oder ihnen Frieden machen sollte. »Ja, ziehet nur heim«, zürnte ihr Hauptmann Wagenhans aus Lehren. »Ihr kennt ja die Gnade, die Ihr von dem Grafen zu erwarten habt, und sanft war das Joch, das Ihr truget. Gehet und leckt dem Grafen den Staub von den Stiefeln, die Gnade von Leipheim und Wurzach ist Euch gewiß!«

Da erhob sich die schwarze Hofmännin unter ihnen und weithin war ihre schrille Stimme zu vernehmen: »Wollet Ihr Frieden mit dem Grafen, so machet ihn selbst. Loset! Ich saß die Nacht unter den Weiden und gedachte an all' die Not und den Jammer, so wir armen Leute gelitten haben von Kindesbeinen an, und gedachte an all' die salzigen Tränen, die wir geweint haben in unserer Verzweiflung. Und es war Karfreitag, wo Christus gestorben ist für die Erlösung der Armen und Enterbten. Und wie mir der Schlaf das herzbrechende Weh von der Seele nahm, da sah ich im Traum, wie aus dem Blut unserer Brüder, das zu Wurzach der Staub trank, Rosen aufwuchsen, und sie wuchsen höher und höher, bis sie den Berg und die Burg des Grafen ganz überzogen hatten. Rot war alles von Rosen, und Ihr wisset, was das bedeutet. Hei, sind Eure Spieße nicht scharf? Treffen Eure Büchsensteine nicht? Die blühenden Rosen, die werdet Ihr schneiden, Gott will es.«

Die Weinsberger dachten nicht mehr daran, heimzuziehen. »Gott will es«, riefen auch sie und begannen eifrig ihre Waffen in Stand zu setzen.

Etwa um dieselbe Zeit hatte Ludwig von Helfenstein die Bürgerschaft von Weinsberg auf dem Markte versammelt. Er war bei seiner Rückkehr von dem 377 Ausfall auf der Bauern Nachtrab nichts weniger als jubelnd empfangen worden. Die Bürger zitterten vor den Folgen seiner treulosen Tat und es erhob sich ein Geschrei, er verderbe die Stadt; er solle sich mit seinen Rittern und Reisigen hinaustun auf das Schloß, damit sie Frieden mit den Bauern gewännen. Er hatte aber bei der Kirche, am oberen Ende des Marktplatzes, die Ritter und ihre Knechte aufgestellt, und dieser Anblick dämpfte das Feuer des Aufruhrs, das aus der Furcht aufschlug. Nachdrücklich redete er die Versammelten an, weissagte er ihnen, anstatt der Befreiung durch die Bauern, Plünderung und Totschlag, wenn sie von ihrer Treue gegen Österreich abfielen, und wies er abermals auf die Hilfe von Stuttgart hin. Man würde daher, wenn nur jeder seine Pflicht erfüllte, den Bauern einen Widerstand tun können. Er selbst rechnete noch immer auf diese Hilfe und hatte am Morgen einen eilenden Boten nach Stuttgart gesendet. Deshalb ließ er auch das dreifache Untertor bei dem Siechenhause, das dorthin führte, nicht wie die übrigen durch Dung und Steine verrammeln.

Woher sollte jedoch die Regierung in Stuttgart den so dringend verlangten Zusatz nehmen? Sie hatte nur so viel Truppen in der Hauptstadt zurückbehalten, um diese gegen einen Überfall der Schwarzwälder schützen zu können und sonst jeden Mann an den Truchseß von Waldburg abgeben müssen. Der Graf blieb in der Stadt und traf alle Vorkehrungen zu ihrer Verteidigung. Auf das Schloß schickte er noch fünf Reisige. Das schien ihm genügend, obwohl Weib und Kind und alle seine Kostbarkeiten droben sich befanden. Er hielt es für unmöglich, daß die Bauern ein so festes Schloß stürmen könnten, zumal es ihnen an Geschütz gebrach. Die Ritter dachten wie er. Sorglos des Kommenden, trieben sie allerlei Kurzweil, liebelten mit den hübschen Weinsbergerinnen und sprachen dem Nachtmahl wacker zu, das ihnen der Rat richtete. Des 378 Grafen Spielmann und Hofnarr wurden vom Schlosse geholt und belustigten sie mit Musik, Späßen und Zoten.

Der Ostermorgen fand Tore, Mauern, Wehren im Verteidigungszustande und besetzt, Ritter und Knechte gewappnet, ihre Pferde gesattelt in den Ställen. Kein Feind zeigte sich. Die Glocken riefen zur Messe. Während derselben wurde dem Grafen gemeldet, daß die Bauern kämen. Er begab sich auf die Mauer beim Untertor, wo er die Besatzung noch einmal mit kurzen Worten ermutigte, während sein Freund, Dietrich von Weiler, das Straßenpflaster aufbrechen und die Steine von den Frauen, Töchtern und Mägden der Bürger auf die Mauern tragen ließ.

Ja, sie waren da, die Bauern. Auf dem breiten Rücken des Schemelberges, der, den Namen von seiner Gestalt tragend, nordwestlich vom Schlosse sich hinstreckt, glitzerten ihre Waffen in der Morgensonne. Die Schwarze Schar Florian Geyers stand voran und hinter ihr Jäcklein Rohrbach mit den Heilbronnern, Löwensteinern und Weinsbergern, während der helle Haufen unter Jörg Metzler noch über Erlenbach heranzog. Dort stand die schwarze Hofmännin. Sie machte das Zeichen des Kreuzes über dem Heere, schüttelte drohend die Faust gegen Weinsberg und rief: »Ziehet mutig, die Philister sind in Eure Hand gegeben. Ihre Kugeln fange ich auf!« Ihre Augen flammten unheimlich, ihr graues Haar flatterte im Winde.

Bevor die Bauern zum Angriff schritten, schickten sie nach Kriegsgebrauch zwei Herolde mit einem Hut auf einer Stange zum Untertor, um Weinsberg zur Übergabe aufzufordern. »Eröffnet Schloß und Stadt dem hellen christlichen Haufen«, schrie der eine hinauf. »Ansonst, so bitten wir um Gotteswillen, tut Weib und Kind hinaus; denn beide, Schloß und Stadt, werden wir den freien Knechten zum Stürmen geben und es wird niemand geschont werden.« 379

Dietrich von Weiler sprang auf die Mauer und rief: »Was, ein Rittersmann soll mit Roßmucken verhandeln? Pfui der Schande! Solchem Gesindel antwortet man nur mit Kugeln!« Er befahl einem Reisigen Feuer zu geben. Der eine Gesandte stürzte schwer getroffen zu Boden, raffte sich aber wieder auf und folgte seinem fliehenden Gefährten. Herr Dietrich lachte. »Lieben Freunde«, rief er, »sie kommen nicht. Sie wollen uns nur also erschrecken und vermeinen, wir hätten von Hasen das Herz.« Er hatte die Bauern auf dem Schemelberge schreien hören und glaubte, ihnen Furcht eingeflößt zu haben. Es war aber die Wut darüber, daß auf ihre Herolde geschossen worden. Florian Geyer schwenkte sofort links ab, um das Schloß von der nördlichen Seite, wo der Berg noch am zugänglichsten war, zu stürmen. Semmelhans zeigte seiner Schar den Weg. Jäcklein Rohrbach stürzte mit seinem Haufen und den Weinsbergern wie ein wildes Gebirgswasser von dem Schemelberg gegen das Untertor. Vor das Obertor zogen nachrückend Georg Metzler und der lange Lienhart. Da mochten Graf Ludwig und Dietrich von Weiler wohl inne werden, daß die Roßmucken das Osterspiel ernst nahmen. In der Stadt schlug es 9 Uhr.

Jäcklein Rohrbachs Haufen achtete nicht der Schüsse, mit denen er von der Mauer empfangen wurde, noch der niederprasselnden Steine. Die Büchsen taten ihm auch nur wenig Schaden, aber von den Steinen wurden viele wund. Immer neue Streiter drängten an die Stelle der Kampfunfähigen und fort und fort schmetterten die Äxte und Hämmer, krachten die Sturmbalken gegen das Untertor. Die Ritter und Reisigen und die Ehrbaren wehrten sich mit aller Gewalt; die Handwerker und Weingärtner taten nur lässig ihre Pflicht. Die Erhaltung des österreichischen Regiments war kein Preis, der zur Tapferkeit reizte. An der schmalen Pforte bei der Kirche wurde nicht nur 380 kein Widerstand geleistet, sondern die Bürger bemühten sich auch, sie von innen aufzubrechen, während sie von außen berannt wurde.

Schon war bei dem Siechenhause das äußere Tor eingestoßen; nun zersplitterte auch das zweite unter den Axthieben und den Stößen der Sturmböcke. Da erhob sich im Haufen ein Jubelgeschrei: von dem Schlosse wehte Florian Geyers Fahne. Es war gewonnen, und während Bäume, Schmiedehämmer, Äxte mit erhöhter Macht gegen das Tor schlugen, raubte das schwarze Banner auf den Burgzinnen auch den ergebenen Bürgern den Mut.

Dem Dietrich von Weiler, der, durch die Straßen reitend, die Bürger anzufeuern suchte, fielen die Weiber in die Zügel und beschworen ihn, den Widerstand, der sie alle ins Verderben stürzen mußte, aufzugeben. Die Männer riefen, man solle die Stadt gegen Zusicherung des Lebens übergeben, und da die Ritter hiervon nichts wissen wollten, wurden sie gewaltsam von den Mauern heruntergerissen. Dem Hans Dietrich von Winterstetten, der eben einen Bauern erschossen hatte, drohten sie mit dem Tode, wenn er nicht von der Mauer herunterkäme.

Der Graf von Helfenstein, der die Verteidigung gegen Jörg Metzler leitete, sah ein, daß unter solchen Umständen ein längerer Widerstand unmöglich wäre. Er gab deshalb zu, daß ein Bürger, mit einem Hut auf einer Stange, zum Unterhandeln an das Untertor geschickt wurde. »Friede! Friede!« schrie er hinaus und andere mit ihm. Ein Bauer aber schoß ihm den Hut von der Stange und Jäcklein Rohrbach, der herbeieilte, rief ihm zu, daß die Bürger am Leben bleiben sollten, die Ritter aber sterben müßten. »Schonet wenigstens des Grafen von Helfenstein«, bat der Unterhändler. »Nein! er muß sterben, und wenn er von Gold wäre«, rief Rohrbach wild hinauf.

Der Graf mußte es hören. Er hatte den 381 Unterhändler begleitet und mit Grauen wandte er sich hinweg. Nun war es Zeit, an die eigene Rettung zu denken. Als er aber auf dem Markte mit den Edelleuten und Reisigen in den Sattel sich schwang, da wollte die Menge sie nicht fortlassen. Vergebens redete er zu ihr und rief: »Wo sind meine frommen Bürger itzt?« Seine Worte erstarben in dem allgemeinen Geschrei. Die Weiber jammerten und wehklagten, seine Anhänger überhäuften ihn mit Vorwürfen, daß er sie in der Brühe stecken lassen wolle; Andere verwünschten ihn; denn durch ihn sei die Stadt ins Unglück gekommen und es sei jetzt keine Zeit zum Entfliehen. Schon war es auch zu spät dazu. Ein wildes Siegesgeschrei vom Untertor verkündete, daß die Bauern in die Stadt gedrungen waren. Die Ritter ließen ihre Pferde und flüchteten mit den Knechten in die Kirche, wo sie sich verbarrikadierten. Ein Priester wies den Edelleuten eine verborgene schmale Wendeltreppe zum Turm hinauf, Von den Knechten und Reiterknaben verbargen sich manche in den Grabgewölben; einige retteten sich in die Bürgerhäuser und wurden von mitleidigen Frauen versteckt und später in mancherlei Verkleidungen aus der Stadt geschafft. Zwei Ritter, die in ihren schweren Rüstungen nicht schnell genug fort konnten, wurden von den Bauern, die inzwischen das Ausfallpförtlein erbrochen hatten, auf dem Kirchhofe erschlagen.

Jäcklein Rohrbach stürmte mit seiner Schar die Spitalgasse herauf. »In die Häuser und haltet Euch eingeschlossen, wenn Euch Euer Leben lieb ist«, riefen sie den Bürgern zu, die totenbleich auf ihre Knie fielen. Gleich der wilden Jagd stürmten die Bauern vorüber, Jäcklein Rohrbach voran, das nackte Schwert in der Faust, seine Augen waren mit Blut unterlaufen, sein rötlicher Bart schien sich zu sträuben. Als sie auf dem Markt die verlassenen Pferde fanden, fegten sie nach der Kirche hinauf, während durch das obere 382 Tor, zu dem die Frauen der Schlüssel sich bemächtigt hatten, Jörg Metzler mit dem Hauptheer eindrang.

In entfesselter Leidenschaft umtobte die Masse die Kirche. Durch das Gelärm drangen die Axthiebe, denen die Kirchentür nicht lange zu widerstehen vermochte. Mit gefällten Spießen drangen die Bauern ein und stachen alle nieder, die sie hier fanden. Auch in die Gruft stiegen sie, erstachen die Versteckten, brachen die Särge auf und plünderten sie. Inzwischen hatte Semmelhans, der mit anderen von der Burg in die Stadt gekommen war, die Schnecke entdeckt. Die Kirche widerhallte von dem triumphierenden Gejauchze und jeder wollte die Treppe hinan, die so schmal war, daß auf ihr nicht zwei Personen neben einander Platz hatten. Semmelhans sprang als der erste lustig hinauf. Da traf ihn das Schwert Jakobs von Bernhausen, des Vogts von Göppingen Sohn. Jählings stürzte er rückwärts, ehe noch der junge Ritter sein Schwert zurückziehen konnte, riß die folgenden mit sich und verstopfte so auf eine kleine Weile den Aufstieg.

Dietrich von Weiler benutzte sie, trat auf den Kranz des Turmes und rief in die Stille, die sein Erscheinen verursachte, daß sie sich ergeben und 30 000 Gulden Lösegeld zahlen wollten, wenn man ihnen das Leben ließe. »Ihr müßt sterben!« – »Und wenn Ihr uns eine Tonne Goldes gebt, der Graf und alle Ritter müssen sterben!« – »Rache für das Blut unserer Brüder!« – »Rache für die Siebentausend von Wurzach, Rache, Rache!« So heulte es ihm entgegen und der Bolzen einer Armbrust traf ihn tötlich in den Hals. Er taumelte zurück, fast in die Arme der Bauern, die währenddessen die Stiege erklommen hatten. Sie ergriffen den Sterbenden und warfen ihn auf den Kirchhof hinunter, wo er von Spießen aufgefangen wurde. Den Forstmeister Leonhard Schmelz und zwei andere ereilte dasselbe Schicksal. Der Sohn Dietrichs von 383 Weiler erkaufte von einem Bauern aus Frankenheim sein Leben um zehn Goldstücke, als er sich aber wandte, schlug ihn dieser mit seinem Handrohr von hinten nieder. Jörg Metzler, der mit dem langen Lienhart auf den Kirchhof sprengte, tat dem Morden Einhalt. Die Ritter wurden mit Stricken gebunden und nach dem nächsten Stadtturm ins Gefängnis geführt. Da Jäcklein Rohrbach sie gefangen genommen hatte, so blieben sie in seiner Hut. Wie sie über den Kirchhof geführt wurden, erhielt der Graf von Helfenstein einen Lanzenstich in die Weiche und ein anderer einen Schlag über den Kopf, so daß er blutete.

Die Eroberung von Burg und Stadt hatte kaum eine Stunde Zeit erfordert. Die Gräfin von Helfenstein, bereits zum Osterfeste geschmückt, hatte sich mit dem Kinde und ihren Frauenzimmern in die Burgkapelle geflüchtet, als die Schwarze Schar das Schloß erstürmte. Das Gekreisch der Frauen lockte Florian Geyer herbei, der die Gräfin suchte, um sie zu beschützen. Etliche von seiner Schar, die sich bereits plündernd im Schlosse verbreitete, waren in die Kapelle gedrungen, hatten die einen die heiligen Geräte, die anderen die gestickte Altardecke an sich gerissen, den Priester, der ihnen wehren wollte, gewaltsam von den Stufen gestoßen.

Bleich, doch stolz trat die Gräfin Herrn Florian entgegen. »Ich bin Eure Gefangene«, sagte sie und er versetzte, indem er sich vor ihr verneigte: »Ihr irret, edle Frau, wir führen nur mit Männern Krieg. Ihr seid frei, doch bitte ich Euch, wollet Euch in Euer Gemach begeben; eine Wache wird für Eure Sicherheit sorgen. Das Schloß und was darin ist, gehört nach Kriegsrecht meinen Leuten.«

»Krieg nennt Ihr dies wüste Rauben, Brennen und Morden?« fragte sie mit einem Gemisch von Zorn und Verachtung.

»Dieses Plündern und Verbrennen der Klöster und 384 Stifte, diese rohe Gewalt wider die Geweihten des Herrn«, fiel der Kaplan mit zum Himmel erhobenen Händen ein.

»Ihr beliebt es so zu nennen, Frau Gräfin«, erwiderte Florian Geyer und richtete seine großen ernsten Augen fest auf sie. »Dennoch, es gibt keinen heiligeren Krieg als diesen, den der Unterdrückte, weil er auf Erden nirgends Recht finden kann, gegen seine Tyrannen erhoben hat. Der Verrat des Grafen von Helfenstein zwingt uns zu dieser Gewalt.«

Die Gräfin erbebte und Florian Geyer wandte sich zürnend gegen den Geistlichen: »Einen Geweihten des Herrn nennt Ihr Euch? Ei, so sagt doch an, wann hätten Bischof und Mönch seine Gebote befolgt? Euren Nächsten habt Ihr zu Eurem Knecht und Leibeigenen erniedrigt; auf den Himmel habt Ihr die Armen verwiesen und Euch der Güter dieser Erde bemächtigt. Höhlen des Raubes, der Schlemmerei und der Unzucht sind Euere Klöster. Darum müssen sie ausgetilgt werden, auf daß die lauteren Lehren des Evangeliums wieder Raum auf der Erde gewinnen. Wie Christus am heutigen Tage auferstanden ist von den Toten, so ist das Volk auferstanden zum wahren Glauben und zur Freiheit.«

»Er lästert Gott«, rief der Kaplan mit purpurrotem Gesicht, »und wer Gott lästert –«

»Der soll sterben«, vollendete für ihn ein Lanzknecht und er hätte das Wort an dem Geistlichen wahr gemacht, wenn Florian Geyer nicht die schon erhobene Hellebarde bei Seite geschlagen hätte. Der Kaplan fiel vor Schreck zu Boden und die Schwarzen lachten. Florian Geyer wandte sich wieder an die Gräfin und ersuchte sie, ihm nach ihren Gemächern zu folgen. Paul Ickelsamer, den das Gerücht von den Vorgängen in der Kapelle eben dorthin zog, erhielt den Auftrag, mit einigen zuverlässigen Leuten das Zimmer der Gräfin, der sieh ihre Frauen anschlossen, gegen alle 385 Eindringlinge zu schützen. Auf allen Treppen, in allen Gängen und Gemächern schwärmte es von Beutesuchenden.

»Lebte mein hochseliger Herr Vater noch, dieser Tag wäre nimmer gekommen«, seufzte die Gräfin Margarethe, als sie ihr Gemach erreicht hatte, und sie fügte, zu Florian Geyer sich wendend, mit bebenden Lippen hinzu: »Ihr waret ihm wert, Herr Geyer von Geyersberg; wie wollet Ihr, nicht vor mir, sondern vor dem Richter droben, den doppelten Abfall von Eurem Glauben und Eurer Ritterpflicht verantworten?«

»Es ist wahr, seine hochselige Majestät war mir ein gnädiger Herr, so lange ich in seinen Diensten stand«, versetzte Florian Geyer mit ruhigem Ernst. »Aber glaubet mir, Frau Gräfin, er hätte diesen Tag nicht verhindern können, ebenso wenig wie Kaiser Karl es konnte. Kein Monarch kann es, der sich nicht auf das Volk, sondern auf Adel und Geistlichkeit stützt. Ihr sehet, wie schwach diese scheinbar so starken Pfeiler der Macht sind. Was mich aber betrifft, edle Frau, so spricht mich mein höchster Richter, mein Gewissen, frei. Ich erfülle nur meine Menschenpflicht.«

Die Gräfin nahm ihr Söhnlein von den Armen seiner Wärterin und drückte es mit schmerzlicher Miene an ihren Busen. Florian Geyer wollte sich entfernen, als die Tür aufgestoßen wurde und Simon Neuffer hereinrief: »Sieg, Sieg! Die Stadt ist unser, die Ritter sind gefangen, auch der Obervogt!«

Frau Margarethe stieß einen Schrei aus; ihre stolze Haltung erzitterte und schwankte. Mit bleichen Lippen bat sie, die Haft ihres Gatten teilen zu dürfen. Florian Geyer willfahrte ihr voll Mitleid. Er selbst führte sie nach dem Turm. Ihr Kind ließ sie nicht mehr von den Armen.

In der Stadt war das Plündern ebenfalls in vollem Gange. Jörg Metzler und seine Leute hatten es jedoch durchgesetzt, daß nur die Häuser der Geistlichen, des 386 Kellers, des Schultheißen und Stadtschreibers den Bauern preisgegeben wurden. Die Häuser der übrigen Bürger wurden verschont, ihnen dafür aber zur Bedingung gemacht, die Verwundeten zu pflegen und die Sieger mit Wein und Lebensmitteln zu versorgen. Auch in der Kirche wurden alle Truhen erbrochen; das Geld der Armen, Witwen und Waisen rührten aber die Bauern nicht an. Die reichste Beute ergab das Schloß. Diese trugen silberne Becher, Kannen, Schüssel, Löffel, jene seidene Decken und seidene Gewande, Leinwand, Zinngeräte davon. Ein Bauer aus dem Weinsberger Tale erbeutete an 300 Gulden Wert und verkaufte später noch für 200 Gulden Ringe und Kleinodien an einen Goldschmied in Nürnberg. Ein anderer gewann so viel, daß er lachend sagte, Lukas schriebe nicht davon. Es war ein solches Zerren und Reißen um die Kostbarkeiten, daß oft das Beste übersehen, oder achtlos mit den Füßen fortgestoßen wurde, bis dann ein Glücklicherer zufällig den Schatz hob. Über dem Plündern ging das alte Welfenschloß in Flammen auf.

Jäcklein Rohrbach hatte sein Hauptquartier in der Mühle am oberen Tor aufgeschlagen. Er saß mit seinen Freunden und den Vertrautesten beim Wein und ratschlagte mit ihnen über die Gefangenen. Die schwarze Hofmännin saß unter ihnen. Sie alle trugen noch die Spuren des Kampfes an sich. Das wirre Haar war bestäubt, die Gesichter, die Hände von Pulver geschwärzt und auch von geronnenem Blute, manches Wams zerschlissen und von Kugeln durchlöchert. Der Durst nach dem heißen Streite war groß; was aber aus ihren Augen glühte, flackerte, war nicht der Geist des Weines, sondern der Rache.

»Das Blut unserer heimtückisch überfallenen Brüder schreit nach Blut«, rief Jäcklein Rohrbach, indem er seinen Zinnbecher heftig auf den Tisch stieß, und Hans Winter vom Odenwalde fügte hinzu; »Es wird nit anders, 387 lieben Freunde, denn wir jagen dem Adel ein sonderbar Entsetzen und Furcht ein.«

»Wir wollen ihnen zeigen, daß wir mit gleicher Münze zahlen können«, rief der grimmige Mathias Ritter, welcher den Forstmeier Schmelz vom Turm gestürzt hatte. »Schießen sie unsere Herolde nieder, so sollen sie lernen, daß edle Geburt keinen Freibrief gibt.«

Beckerhans aus Brackenheim, der den jungen Weiler erschlagen hatte, rief mit einem Faustschlag auf den Tisch: »Wir dürfen keinen Fürsten, Grafen, Herren und was sonst Sporen anträgt, desgleichen keinen Pfaffen, Mönch noch Müßiggänger leben lassen.«

Jäcklein Rohrbach rollte seine Augen im Kreise umher und rief: »Tod den Gefangenen!«

Der Ruf klang in furchtbarer Einstimmigkeit von allen Lippen wieder. Die schwarze Hofmännin aber zischte: »Das ist ein eitel Gerede. Das Urteil steht bei den gesamten Hauptleuten und der Hipler, in dessen Hand der Jörg Metzler ein Rohr ist, wird sie beschwatzen, die Gefangenen um ein Lösegeld zu erledigen.«

Ein stürmischer, mit Flüchen untermischter Widerspruch unterbrach sie. Mit erhobener Stimme fuhr sie fort: »Hat der lange Lienhart nicht den Mörder meines Enkels in seiner Gewalt gehabt? Aber der Schwarze von Leuzenbronn und die Stadtherren haben ihn laufen lassen. Also wird's auch itzo geschehen. Ihr habt den Grafen und seine Gesellen in Eurer Gewalt, so Ihr wirklich nach ihrem Blut lechzet wie ich, dann kommt dem Kriegsrat zuvor und vollstrecket das Urteil selbst. Ich werde ihr Blut trinken, wie ich diesen Wein trink'!« Mit dämonisch funkelnden Augen griff sie nach einem Becher und trank.

»Sie hat Recht«, rief Jäcklein Rohrbach aufspringend. »Als Verräter haben sie an uns getan, und ehrlos sollen sie sterben nach Kriegsrecht auf der Stelle.«

»Durch die Spieße mit ihnen«, schrien alle und sprangen auf, um zum Werk zu schreiten. Sie 388 sammelten von den Heilbronnern und Weinsbergern so viel sie ihrer fanden. Jäcklein Rohrbach holte mit ihnen die Gefangenen aus dem Turm und führte sie auf die schmale Wiese am Untertor. Es waren ihrer vierzehn vom Adel und etliche Knechte. An der Seite des Grafen von Helfenstein ging gebeugten Hauptes seine Gemahlin, ihr Söhnlein auf dem Arm. Es beachtete den Zug kaum jemand. Die Bauern hielten ihr Mittagsmahl in den Schänken, Herbergen und Häusern der Bürger, und die Hauptleute waren auf dem Rathaus. Auf der Wiese bildete die bewaffnete Schar einen Ring, und in demselben verkündete Jäcklein Rohrbach den Gefangenen das Urteil. Sie sollten durch die Spieße gejagt werden. Das war die Strafe, welche das Kriegsrecht auf Verrat und Ehrlosigkeit setzte. Da wurden die stolzen Gesichter bleich und die Gräfin wäre in Ohnmacht gefallen, wenn ihr Gatte sie nicht gehalten hätte.

Er bot den Bauern für sein Leben 30 000 Gulden.

»Und gibst Du uns zwei Tonnen Gold, Du mußt dennoch sterben«, scholl es ihm entgegen. Da fiel die Gräfin vor Jäcklein auf die Knie und flehte mit heißer Inbrunst um Gnade für den Gatten. Aber nicht die Demut der stolzen, schönen Frau, noch ihre Bitten und Tränen vermochten die Herzen zu rühren. Voller Verzweiflung wandte sie sich der schwarzen Hofmännin zu, die sie mit ihren heißen Blicken verzehrte, und rief, ihre Kniee umschlingend: »Du bist ein Weib, Dein Mutterherz flehe ich an, um das Leben des Vaters meines Söhnleins. Gnade und Barmherzigkeit!«

Die schwarze Hofmännin strich sich das graue Haar aus dem Gesicht und sprach tief aufatmend: »Weißt Du, was die Herzen dieser Männer hart gemacht hat, so daß sie all' Deine Tränen nicht zu erweichen vermögen? Ich will's Dir sagen: sie denken daran, wie oft ihre Herren sie mit Hunden gehetzt haben, wie oft sie auf ihrem vom Hunger und Fronen fleischlosen Rücken die 389 erbarmungslose Peitsche der Herren gefühlt haben. Wie sie umsonst winselten und ihr Flehen und Heulen und Erbieten kein Gehör und Erbarmen fanden, wann Ihr Edelleute ihren Vater, ihren Bruder, ihren Sohn eines kleinen Vergehens wegen in die tiefsten Verließe Eurer Türme hinuntergeworfen, wo sie ohne Speise und Trank verschmachten mußten. Ja, ich bin ein Weib wie Du«, fuhr sie fort, sich hoch aufrichtend. »Und mein Leib ward geschändet von den Herren, der Vater meines Kindes verbrannt von den Herren, der Mann meines Kindes mit Hunden zu Tode gehetzt von den Herren, mein Enkel erschlagen von den Herren. Winde Dich im Staub' wie ich und verzweifle wie ich.«

Sie kehrte sich ab, und der Graf von Helfenstein riß seine Gattin, die unter den Worten der Hofmännin wie von Keulenschlägen zusammengebrochen war, rauh vom Boden auf. Er gab sich für verloren und sie sollte sich nicht weiter demütigen.

Unterdessen hatte Jäcklein Rohrbach die Gasse bilden lassen. Ein Bauer aus dem Odenwalde befehligte sie, voran standen die Böckinger. Dumpf, wie es bei standrechtlichen Hinrichtungen der Brauch war, schlug die Trommel. Der erste, der in die vorgestreckten Spieße der Bauern gejagt wurde, war ein Knecht Konrad Schenks von Winterstetten; dieser selbst der zweite. Sie wurden nacheinander rasch niedergestochen. Dann kam die Reihe an den Grafen von Helfenstein. Ein zu Rom geweihter Priester, Jakob Leutz, der sich dem Aufstande angeschlossen hatte und jetzt Feldschreiber der Bauern war, hörte ihn beichten und empfing von ihm seinen Rosenkranz, den er fortan am Arm trug.

Noch aber befand sich in dem bitteren Kelch, den der Graf sich selbst durch seinen Verrat eingeschänkt hatte, ein letzter Tropfen, und auch dieser blieb ihm nicht erspart. War da ein Mann, der höchst kunstvoll die Zinke blies, Melchior Nonnenmacher war sein Name und war Pfeifer zu Ilsfeld. Der hatte in früheren glücklichen 390 Tagen den Grafen oft durch sein Spiel bei der Tafel ergötzt und bei ihm in großer Gunst gestanden. Allein die Gunst der hohen Herren ist wetterwendisch, und das hatte auch Nonnenmacher an sich erfahren müssen. Dieser trat jetzt vor den Grafen auf seinem letzten Gange hin, nahm ihm den Federhut vom Kopfe und setzte ihn sich mit den Worten auf: »Das hast Du nun lang genug gehabt; will auch einmal ein Graf sein.« Er fuhr fort: »Hab' ich Dir einst lang genug zu Tanz und Tafel gepfiffen, so will ich Dir jetzt erst den rechten Tanz pfeifen.« Damit schritt er lustig spielend ihm bis an die Gasse voran.

Schon beim dritten Schritt stürzte der Graf, von unzähligen Spießen durchstochen, tot zu Boden. Melchior Nonnenmacher salbte mit dem Fett der Leiche seinen Spieß. Die schwarze Hofmännin gab der Leiche einen Fußtritt, stach »dem Schelm«, wie sie ihn nannte, ihr Messer in den Bauch und schmierte sich mit dem herausquellenden Fette die Schuhe. Ihre Nasenlöcher blähten sich dabei weit auf, als ob sie den Blutgeruch mit Wollust einsog.

Helfensteins Knappe und sein Hofnarr waren die nächstfolgenden Opfer. Und so ward einer nach dem andern in die schreckliche Gasse gestoßen unter dem Tönen und Dröhnen der Pfeifen, Trommeln und Zinken, das den Todesschrei der Erstochenen erstickte.

Die Leichen wurden von den Bauern geplündert. Einer stolzierte in des Grafen Harnisch; Jäcklein Rohrbach trat in des Grafen Überwurf vor die unglückliche Witwe und fragte sie: »Frau, wie gefalle ich Euch in der damastenen Schaube?« Auch die Gräfin, die vor Schmerz und Angst halb ohnmächtig war, wurde beraubt. Rohe Fäuste rissen ihr das Geschmeide und prächtige Festgewand ab, wobei der Knabe von einer Lanzenspitze leicht an der Brust verwundet wurde. Die Narbe blieb ihm fürs ganze Leben. Die schwarze Hofmännin nahm die Gräfin vor weiteren Mißhandlungen 391 in Schutz. Nachdem ihr Rachedurst befriedigt war, erwachte in ihr wieder das Weib. Die Gräfin wurde in ihren zerfetzten Unterkleidern mit dem Kinde auf einem Mistwagen nach Heilbronn geschickt. Bürger von Weinsberg liefen mit ihren Weibern eine Strecke nebenher und höhnten sie:

»In einem goldenen Wagen bist Du zu uns gekommen, in einem Mistwagen fährst Du fort!« – Zwölf lange Jahre blieben ihr noch, um über den jähen Wechsel ihres Schicksals nachzudenken. Die Worte der schwarzen Hofmännin ließen ihren Adels- und Weltstolz nicht wieder aufkommen. Sie erkannte, daß ihr Leben in seiner Herrlichkeit nur von den Früchten des jahrhundertelangen Unrechts, das seine furchtbare Vergeltung gefunden, gezehrt hatte. Ihr Sohn trat in den geistlichen Stand.

Der auf dem Stadthause versammelte Bauernrat erfuhr von dem blutigen Trauerspiel erst, als es zu Ende war. Pater Eusebius, den das kriegerische Gelärm auf die Wiese gelockt hatte, brachte die Nachricht. In seiner Stimme malte sich noch das Entsetzen, das ihn wie eine Lähmung dort festgehalten hatte. Die Hauptleute hielten ihn anfangs für geistig gestört und konnten ihm nur stückweise seinen Bericht entreißen.

»Aber das ist fürchterlich«, rief Wendel Hipler erschüttert.

»Grafenblut für Bauernblut!« Wagenhans aus Lehren rief es, als ob zwei harte Steine aufeinander knirschten.

Pater Eusebius schwankte unterdessen davon. Als das Heer von Schönthal aufgebrochen, hatte er in dem verwüsteten Kloster nicht allein zurückbleiben mögen. Mit rostigem Spieß und Harnisch aus der Waffenkammer der Klosterbrüder war er guten Mutes mitgezogen und es war ihm gewesen, als ob er bisher nicht gelebt hätte. Nun war sein Kriegsfeuer verraucht. Er verließ Weinsberg und wanderte nach seinem Kloster zurück, wo er wieder zum Karst griff. 392

Auf dem Rathause übertönte Florian Geyers kraftvolle Stimme das Durcheinanderreden. »Den Grafen von Helfenstein und seine Edelleute hat ihr verdientes Schicksal ereilt«, sprach er mit Festigkeit. »Rohrbach ist nur zu tadeln, daß er dem Urteil des Bauernrats vorgegriffen hat. Nach Kriegsrecht hätten auch wir sie zu dem gleichen Tode verurteilen müssen. Wir hätten nicht einmal Gnade für Recht ergehen lassen dürfen; es wäre ein Verbrechen gegen uns selbst gewesen. Denn jetzt werden es die Herren begreifen, daß wir keine Horde, sondern ein Feind sind, den auch sie auf gleichem Kriegsfuß behandeln müssen.«

»Da aber Rohrbach dem Urteile unseres Kriegsrats vorgegriffen hat, so wird seine unselige Tat uns als schnöder Mord angerechnet werden«, wandte Hipler ein. »Unsere Sache ist dadurch schwer geschädigt. Niemand wird mehr ein Bündnis mit uns eingehen mögen, wohl aber die Zahl unserer Feinde sich unendlich vermehren.«

»Aber der Schrecken, der vor uns hergeht, wird sie lähmen«, rief der lange Lienhart.

»Im Gegenteil, und gerade der Adel wird jetzt vollends in Haß gegen uns auflodern«, erwiderte Wendel Hipler.

»Der Adel?« rief Florian Geyer. »Haben wir denn zu einem Possenspiel das Schwert gezogen? Beide Bäume, vor denen die junge Pflanze der Freiheit nicht aufkommen kann, müssen nicht nur umgehauen, sondern mit der Wurzel ausgerissen werden, daß keiner einen Schoß mehr treibt. Es genügt nicht, daß wir bloß die Römlinge abtun und bloß die Mönche hacken und reuten. Wir beide sind darüber einig und wir alle sind es, daß es fortan nur einen Stand auf deutscher Erde geben darf: den Stand der Gemeinfreien. Aber dann muß auch der Adel dem Bauern gleich gemacht werden und es darf keine Burgen mehr geben und 393 kein Haus mehr denn eine Tür haben wie das des Bauern.«

»Ja, die Gemeinfreiheit ist mein Ziel wie das Deine; aber Du schüttest das Kind mit dem Bad' aus«, entgegnete Wendel Hipler. »Der niedere Adel wünschet sie ebenso sehnlich wie wir. Und ihn hätten wir ohne diese Bluttat gar leicht für uns gewinnen können. Jetzt wird er sich zu unseren Feinden schlagen, wenn wir nicht fürsorgen, da es noch Zeit ist. Ich weiß es bestimmt, daß er noch heut ebenso gesonnen ist wie damals, als er sich dem Unternehmen des Franz von Sickingen anschloß.«

»Du weißt es bestimmt?« fragte Florian Geyer mit hochgezogenen Brauen.

»Götz von Berlichingen sagte es mir, als er wegen des Schutzbriefes in Schönthal war«, versicherte Hipler. »Auch bedeutete er mich, daß er den Adel zu uns bringen könnte, wenn wir es wollten. Demnach wäre er der rechte Mann, in Anbetracht der gefährlichen Lage, in die uns die Voreiligkeit Rohrbachs versetzt, den wir brauchen könnten. Bruder Jörg wird es mir daher nicht übel nehmen, wenn ich rate, Götz neben ihm zu unserem Feldhauptmann zu machen, so wir ihn gewinnen können.«

Die Überraschung war allgemein und Florian Geyer schlug ein zorniges Hohnlachen auf. Jörg Metzler jedoch, den Hipler wohl schon in Schönthal für seine, bei der jetzigen günstigen Gelegenheit offen hervortretenden Absicht gestimmt haben mochte, sagte: »Ich bin's zufrieden. Wenn einer den Karren aus dem Dreck ziehen kann, in den ihn der Jäcklein gestoßen hat, dann ist's der Götz. Und daß er ein Herz für das Volk hat, das hat er schon mehr wie einmal bewiesen. Wir wissen ja alle, daß er schon manchem armen Teufel wider die großen Hansen zu seinem Recht verholfen hat.«

»Weil er einen Vorwand zu seinen ewigen Raufereien 394 brauchte«, rief Florian Geyer, dessen edles Antlitz finster wie die Nacht geworden war. »Das ist's, was ihm ein falsches Ansehen im Volk verschafft hat. Wie von ihm, so erzählt es sich von Konz Wirth auf der Halden und anderen Freibeutern und rühmt sie. Der Götz ist sein Lebtag nichts besseres als ein Wegelagerer und Straßenräuber gewesen. Und der soll unserer gerechten Sache ein Ansehen vor der Welt geben?«

»Und weiter als Dreinschlagen kann er nix«, grollte der lange Lienhart. »Von Heer- und Kriegsführung versteht er halt nix. Fort mit ihm.« Er stieß nachdrücklich sein Schwert gegen den Fußboden.

»Und noch eins, Ihr Brüder«, ergriff Florian Geyer wieder das Wort. »Ist der Adel noch heut gesonnen wie zu Sickingens Zeit, um so schlimmer für uns. Wir sollen die Katze spielen, mit deren Pfoten der Affe sich die Kastanien aus dem Feuer holt. Ja, die Freiheit will der Adel, aber nur für sich allein; eine Republik will er, aber außer ihm soll kein anderer Mensch darein ein Recht haben. Das hat er damals gewollt, das will er noch heut. Ich bitte und beschwöre Euch daher, lieben Brüder, stürzet Euch durch solche Wahl nicht selbst ins Verderben.«

Seine Worte machten Eindruck auf viele Hauptleute, das verriet die Bewegung, die unter ihnen entstand. Wendel Hipler beeilte sich daher, ihn zu widerlegen. »Heut' zeigt die Sache ein ander Gesicht«, äußerte er. »Ohne uns vermag der Adel nichts. Er ist daher gezwungen, unsere Bedingungen anzunehmen und danach zu handeln. Darüber aber brauch' ich kein Wort weiter zu verlieren, daß wir den Götz nicht als Feldhauptmann annehmen werden, wenn er auf unsere zwölf Artikel nicht einen körperlichen Eid schwört.«

»O, er wird ihn schwören«, rief Florian Geyer geringschätzig. »Denn um oben auf zu bleiben, würd' der Adel sich selbst dem Teufel verschreiben. Was 395 hilft es, dem Falken die Fänge beschneiden, oder Wölfe zu zähmen versuchen? Die Fänge wachsen dem Federspiel wieder und die Wölfe lassen das Würgen nicht, und der Götz hat sie stets als seine lieben Gesellen erachtet.«

»Du siehst wirklich zu schwarz, Bruder Florian«, meinte der Kanzler.

»Und Du willst es gar zu klug anstellen«, antwortete jener und stand auf. Mit umwölkten Blicken fügte er hinzu: »Magst Du es nimmer bereuen. Vor Würzburg sehen wir uns wieder, Ihr Freunde. Ich will mit dem Götz nichts zu schaffen haben.«

Er verließ mit seinen Hauptleuten die Stube. Eine Stille herrschte. Der lange Lienhart ließ seine runden Augen grimmig über die Zurückgebliebenen blitzen und rief: »Himmel Herrgott ist es denn möglich, daß Ihr den einzigen kriegskundigen Mann, den wir haben, von Euch stoßet? Ja, das ist er, und er macht kein Aufhebens von sich und fürchtet den Teufel nicht. Er begehrt weder Ruhm noch Ehren, sondern unsere Sache ist ihm das Höchste. Hat er auch nur mit einem Ton verlautbart, daß sich Götz ihm bei Möckmühl hat ergeben müssen, und der soll itzt sein Oberster sein!«

»Sorge Dich nicht, er bleibt uns unverloren«, tröstete Wendel Hipler und vertagte die Sitzung.

Florian Geyer aber verließ mit seiner Schwarzen Schar in der Frühe des Ostermontags Weinsberg. Der lange Lienhart brach ebenfalls auf, um sich mit den Rothenburgern zu dem Zuge nach Würzburg zu vereinigen. Der Schrecken über die Standrechtung des Helfenstein und seiner Ritter führte noch selbigen Tages, begleitet von einem Schreiben des Grafen von Hohenlohe, zwei Feldschlangen nebst etlichen Zentnern Pulver und Steinkugeln den Bauern zu. Auch die beiden Grafen von Löwenstein kamen nach Weinsberg und erboten sich, in den evangelischen Bund zu 396 treten. Als ein Bürger vor ihnen den Hut abnahm, schlug ihm ein alter Bauer mit dem Schaft seines Spießes über den Rücken und rief: »Dummkopf, die sind nicht mehr wie ich.« Breit stellte er sich vor sie hin und befahl ihnen mehrere Male, den Hut vor ihm abzuziehen. Sie zogen ihn und er wollte sich schier totlachen. Von dem Bauernrate wurde ihnen bedeutet, daß er jetzt nicht Zeit hätte, sich mit ihnen zu beschäftigen, und sie mußten zu Fuß, in Bauerntracht und weiße Stäbe in den Händen im Haufen mitgehen, als dieser Tags darauf nach Heilbronn aufbrach. Die Vorhut bildete Jäcklein Rohrbachs Schar und ihr voran schritt die schwarze Hofmännin. Ihr runzeliges Antlitz leuchtete wie verjüngt. Siegfroh blickte das zertretene Volk in die Zukunft. 397



 << zurück weiter >>