Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Viertes Kapitel.

Am späten Abend desselben Tages, an dem die Bauerngesandten in Rothenburg eingeritten waren, koste unter der Linde vor dem Wirtshause zu Hochberg ein junges Menschenpaar. Er hatte seinen rechten Arm um den Leib der Dirne gelegt und sie seine Hand über den Hüften fest an sich gedrückt, um sich noch enger an seine Brust zu schmiegen. Sie hatten einander lange nicht gesehen; denn der lange Wilm diente auf dem Marienberge. Nun war er von dem Domprobst nach Heidelberg geschickt und er benutzte die Gelegenheit, um die Küsse der Liebsten mit auf den Weg zu nehmen. Die ihm anvertraute Botschaft stak in dem hohlen Schacht des Spießes, der an der alten Linde lehnte. Ihr dicker Stamm aber und die Schatten der mächtigen Laubkrone verbargen das Weib, das im Rücken des jungen Paares kauerte. Es war die schwarze Hofmännin. Sie hatte die Arme auf die hochgezogenen Knie gestützt und das Gesicht in die knöchernen Hände gelegt. Als sie erfahren, daß der Bischof von dem Marienberge entflohen sei, war sie anfangs ganz betäubt gewesen und hatte es für unmöglich gehalten, daß ihrer Rache die Krone noch im letzten Augenblick aus der Hand geschlagen sein sollte. Dann hatte sie ihr graues Haar zerrauft, die Brust mit ihren Fingernägeln zerfleischt, wie eine Wahnsinnige geschrien und mit 520 schäumendem Munde Gott verflucht. Den Wirbelstürmen ihrer Seele gehorchend, trieb sie sich bald ruhelos um, bald hockte sie, so wie jetzt, stundenlang brütend auf derselben Stelle. Wie unter den Odenwäldlern und Neckartalern, so war sie bald in allen Lagern bekannt, und der Ruf ihres Bündnisses mit überirdischen Mächten verschaffte ihr überall ein mit Grauen gemischtes Ansehen. Die Feldkessel waren auch für sie gekocht, wenn sie Hunger hatte, und war sie müde, so streckte sie sich an dem nächsten Lagerfeuer aus, oder sie schlief in den Ställen oder sie kroch in den Scheunen ins Stroh. Sie achtete nicht Tag noch Nacht. Die Linde, unter der des Wirtes Töchterlein mit dem langen Wilm flüsterte und koste, war ein Lieblingsplatz von ihr; sie hatte hier einen freien Blick auf den Marienberg.

Sie achtete des Raunens der Verliebten nicht. Vielleicht nahm sie es für ein Aufrauschen der Linde. Jetzt aber richtete sie horchend den Kopf auf; denn lauter als bisher sagte der Bursche:

»Ade, herztausiger Schatz, itzt muß ich den Weg wieder unter die Füße nehmen.«

»Ach, ist das ein Kreuz!« seufzte Rösel. »Wie lang soll's denn noch währen, bis wir fürs Leben zu einander können?«

Die welken Lippen der Alten verzogen sich halb verächtlich, halb mitleidig. Immer dieselbe Jugendtorheit!

»Jetzt hat's wohl am längsten gedauert,« tröstete der Bursche. »Die Herren sind gestern gar lustig gewesen und ich hab' auch aufwarten müssen. Da hat der Wein mehr aus ihnen gered't, als sie sonst über ihre Zungen lassen. Sie hoffen, daß dem Götz und dem Metzler sein Haufen ihnen zufallen werde. Das soll ich wohl dem Bischof vermelden.«

»Geh', redt' nit so ungescheit, Wilm,« zweifelte Rösel. »Wie sollt' denn das möglich werden.«

»Nu, die Hauptleute gehen ja bei Euch ein und aus,« 521 antwortete er und nahm seinen Spieß zur Hand. »Hast Du nit etwan bemerkt, daß sie mehr wie sonst darauf gehen lassen? Sie müssen viel Geld im Sack haben.«

Das Mädchen schüttelte den Kopf, und er erklärte: »Sie müssen Geld vom Schloß gekriegt haben, oder sie kriegen noch welches. Paß' auf.«

Rösel schrie auf und Wilm rief, ihr den Mund zuhaltend: »Willst mich gar verraten? – Sie haben droben davon geschwätzt. Und noch eins, Rösel! Nu, wo sie Geld haben und Du läßt Dich vom Teufel verblenden –«

Sie ließ ihn nicht ausreden, sondern verschloß ihm den Mund mit Küssen, indem sie ihn mit beiden Armen umschlang. Solche Beteuerungen ihrer Treue mochten ihm baß behagen, denn sie mußte sie gar oft wiederholen. Endlich ging er; die schwarze Hofmännin hörte das Geröll des Weges unter seinen Füßen knirschen und dann die Tür des Wirtshauses leise ins Schloß fallen.

Die schwarze Hofmännin harrte schlaflos des Morgens. Kaum graute er, so störte sie die Bauern in Hochberg mit dem Geschrei auf, daß ihre Hauptleute von denen auf dem Schlosse bestochen seien, um ihre Brüder zu veranlassen und zu verraten. Georg Metzler und Hans Flux versuchten umsonst, die Aufregung und Wut, die darüber entstand, zu sänftigen. Vergebens schwuren sie, daß weder sie noch irgend ein Hauptmann Geld vom Schlosse erhalten hätten. Die Bauern bemächtigten sich der Geschütze des Grafen von Wertheim und zogen mit ihnen durch den Kuhbachgrund. Ihnen voraus eilte die schwarze Hofmännin nach Heidingsfeld, und als jene an dem Fuß des Nikolausberges ankamen, strömten ihnen bereits die dort lagernden Bauern in erhitzten Scharen entgegen, und alles legte Hand an, die schweren Geschütze auf den Gipfel des Berges zu schaffen.

Unterdessen durchflog bereits das Gerücht von dem 522 Verrat der Bischöflichen die Stadt und die schwarze Hofmännin brauchte nicht, wie vorher die Bauern, so jetzt die Würzburger erst anzufeuern, über das Schloß zu fallen und alles, was Leben habe, zu erstechen, ehe die Hilfe einträfe, um welche ein Bote nach Heidelberg geschickt worden. Ein Teil der Bürgerschaft lief mit Schaufeln, Karsten und Spitzhacken herbei, um das Schloß zu untergraben. Ein anderer zimmerte unter den Bögen der steinernen Brücke, der einzigen, die damals beide Ufer verband, Flöße, um eine gegen das Feuer vom Schlosse gedeckte Verbindung herzustellen. Bei dem Bleidenturm am rechten Ufer, im Deutschen Haus und unter dem Bogen der Augustiner wurden Feuerschlünde aufgepflanzt. Hans Bermeter entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit. Der Bürgermeister ließ aus allen Vierteln die Domherren, die unter dem Schein der Bauernfreundlichkeit in der Stadt geblieben waren, vor sich fordern und nahm ihnen den Eid ab, bei jedem Auflaufe sich zu stellen, den Hauptleuten zu gehorchen und der Stadt Schaden zu wehren.

Mittlerweile stürmten die Vorstädter unter Führung der schwarzen Hofmännin die Stiftskirche von St. Burkhard am Tor, das älteste Gotteshaus der Stadt. Die gemalten Fenster, Altäre, Heiligenbilder, Reliquienschreine, Meßgewänder fielen ihrer Erbitterung auf die Bischöflichen zum Opfer. Es wurde alles zerschlagen, zerrissen, zertrümmert. Selbst das Kreuz über dem Hochaltar wurde umgestürzt und die schwarze Hofmännin schlug mit dem Beil, das sie einem Häcker entriß, dem Bilde Jesu den Kopf ab.

Götz von Berlichingen sprengte nach dem Neumünster, um die immer höher gehenden Wogen zu dämpfen. Das wüste Treiben bei der Stiftskirche entflammte seinen Zorn und mit feuerrotem Gesicht trat er in die Kapitelstube. Hitzig rückte er den Räten vor, daß sie derartigen Unfug litten. Er möchte lieber bei den Türken als bei ihnen sein. Es kam zu den 523 heftigsten Auftritten. Jakob Köhl sagte es ihm auf den Kopf zu, daß er es mit denen auf dem Schlosse halte und Zwietracht zwischen den Haufen zu säen trachte. Götz hielt es für geraten, sich davon zu machen.

Kanonendonner läutete den Sonntag Cantate ein. In der Stadt schlug es vier Uhr, als der Nikolausberg sein Feuer auf das Schloß eröffnete. Die Belagerten erwiderten es nicht, sondern ließen ihr sämtliches Geschütz in die Stadt gehen, und in wilder Flucht stoben die Menschen, die sich auf den Plätzen und Gassen angesammelt hatten, vor den einschlagenden Kugeln auseinander. Eine ganze Stunde lang spie der Marienberg seine Geschosse in die Stadt und überstreute die Gassen mit einstürzenden Rauchfängen, Dachsteinen, Mauerstücken und Balkensplittern. Inzwischen taten aber auch die Geschütze am Pleidenturm, bei dem Deutschen Hause, den Augustinern und auf den Stadttürmen ihre ehernen Schlünde auf. Den ganzen langen Tag über donnerte und krachte es auf dem Nikolausberge und in der Stadt, während die Bischöflichen ihr Pulver schonten. Die städtischen Geschütze bewiesen sich wirksamer als diejenigen auf dem Nikolausberge, von denen eine Falkonettkugel den Amtskeller von Lauda auf seinem Bette tötete, während ein Schuß von den Stadttürmen dem Kaplan des Bischofs das Leben kostete. Der Stadt fügte den größten Schaden die neue auf der Schütt errichtete Batterie zu. Daß sie vor allen Dingen zum Schweigen gebracht werden mußte, darüber waren die auf dem Nikolausberge versammelten Hauptleute der Bauern einig. Vielleicht gelang es, sie durch einen plötzlichen Überfall zu nehmen und dabei auch das Schloß zu überrumpeln. Simon Neuffer war dem kühnen Handstreich nicht abgeneigt, riet jedoch, ihn aufzuschieben, bis Florian Geyer aus Rothenburg zurück sei und die Sache in seine kriegserfahrene Hand nähme. Da rümpfte insonderheit unter den Pfarrern, die stets aller Weisheit 524 voll waren, mancher die Nase. Jakob Köhl gab den Ausschlag, indem er, seinen Nacken steifend, bemerkte, es hätte auch sonst wohl manch einer Burgen gebrochen. So wurde denn in den Lagern bekannt gegeben, daß im Grünen Baum sich vorzeichnen lassen möchte, wer lustig zum Stürmen sei. Da ächzte dort die Stiege unaufhörlich unter den Füßen der sich Meldenden. Besonders kamen viele von der Schwarzen Schar und solche, die schon bei Weinsberg mit dabei gewesen waren. Simon Neuffer hielt es für seine Pflicht, nicht zurückzubleiben und von den Rothenburgern ließ sich auch Paul Ickelsamer, der Fähnrich, einschreiben. Der schöne Regenbogen, der am Montag um die Mittagsstunde bei völlig heiterem Himmel um die Sonne sich zeigte, galt den Bauern als ein Sieg verheißendes Zeichen. Viele feierten ihn im voraus durch Freudenschüsse.

Später bewölkte sich der Himmel. Eine sternenarme Nacht begünstigte das waghalsige Unternehmen. Um zehn Uhr traten die Freiwilligen ihren Todesmarsch an; jedoch nicht in möglichst größter Stille. Mit Trommelschlag und Pfeifenklang und flatternden Fahnen zogen sie durch die Stadt nach dem Zeller Tor. Sie waren mit langen Leitern und allem, was zum Stürmen erforderlich, wohl versehen. Die Schwarzen bildeten die Spitze und Simon Neuffer, dem der Oberbefehl über den ganzen Sturmhaufen übertragen war, führte sie. Neben ihm ging Konz Harts junger Stiefsohn mit der Trommel und rührte kampflustig das Spiel. Paul Ickelsamer schwenkte die Fahne der Rothenburger. Am Tore standen Jakob Köhl und die Bauernräte. »Dran! dran, lieben Brüder!« riefen sie den Scharen zu, und bald ertoste die Macht von dem wilden Geschrei der Stürmenden. Ein mörderisches Feuer empfing sie. Der Wächter auf dem Bergfried, dem hohen Wartturm des Schlosses, hatte die ungewöhnliche Bewegung in der Stadt während des Tages bemerkt, und die Belagerten 525 waren auf ihrer Hut. Die Bauern achteten jedoch der in ihre Reihen schlagenden Kugeln nicht. »Dran! Dran!« Gleich der vom Sturm gepeitschten Meerflut brandeten sie wieder und wieder an den Schanzen, überschäumten sie und rasten sie gegen den lichten Zaun. Sie schlugen mit ihren Äxten die Pallisaden nieder, rissen sie mit den Händen aus der Erde, zwängten sich zwischen ihnen hindurch und sprangen in den Graben vor den Schloßmauern. Unaufhörlich blitzten und krachten Wall- und Hackenbüchsen und Handrohre; siedendes Wasser ergoß sich von den Mauern, aus den Fenstern auf die Stürmenden, Stinkkrüge, Pechkränze, griechisches Feuer, Pulverklötze regneten auf sie. Der Barfüßermönch ließ seine Feuerkünste spielen.

Mit Grausen sahen die Würzburger, die auf der Brücke, den Gassen und Plätzen standen, das unaufhörliche Blitzen und Aufflammen und vernahmen sie das ununterbrochene, durch den Widerhall von den Bergen verstärkte Rollen, Krachen und Knattern, untermischt mit dem wilden Geschrei der Kämpfenden. Es war, als ob mehrere Gewitter zugleich über dem Schlosse sich entluden, das mitunter ganz vom Feuer eingehüllt erschien. Was sie aber nicht hören konnten, das war das Ächzen und Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden, das Jammergeschrei der im Schloßgraben Verbrühten, Verbrannten, Zerrissenen und Zerschlagenen. Plötzlich trat eine Stille ein, Simon Neuffer rief die Stürmenden ab, nicht zum Rückzuge, sondern um sie zu sammeln und frisch zu ordnen. Bald schlugen die Trommeln wieder zum Sturm. Der kleine Spielmann der Schwarzen war nicht mehr dabei. Er hatte seine Trommel weggeworfen, einem Toten die Büchse und Kugeltasche genommen und war unter den Ersten einer, wie eine Katze zwischen den Schanzpfählen hindurchgeschlüpft. Mit zerschmetterten Beinen lag er wimmernd im Graben. Da schaute ein Hauptmann der Fußknechte 526 aus einem Fenster aus, wo denn die Bauern wären; hinter ihm brannte ein Licht. Seine letzte Kraft zusammenraffend, richtete sich der kleine Spielmann ein wenig auf und seine Kugel zerschmetterte dem Hauptmann den Schädel. »Sie kommen! – Sieg! – Mutter!« hauchte der arme Knabe zurücksinkend und starb.

Mutiger denn zuvor entbrannte der Kampf und spie gleich einem Drachen rings um das Schloß Rauch und Feuer. Von allen Seiten zugleich stürmten die Bauern an. Etlichen gelang es, bis in den Vorhof des Schlosses zu dringen und zwei oder drei erkletterten sogar von der, dem Nikolausberge zugekehrten steilen Felswand die Mauern; sie wurden aber alle sogleich von der Besatzung niedergemacht, Der Bauern Heldenmut war umsonst. Sie mußten endlich weichen. Die Schwarzen waren die letzten auf dem Kampfplatze, Paul Ickelsamer war gefallen, Simon Neuffer verwundet. Er merkte es aber erst später. Vor dem Zeller Tore schloß sich ihnen die schwarze Hofmännin an. Sie hatte dort während des ganzen Kampfes gestanden, der pfeifenden Kugeln nicht achtend, nur mit brennender Seele des Augenblickes harrend, in dem die Bauern das Schloß überwältigen würden,

Die Belagerten erwarteten einen dritten Sturm. Als er ausblieb, ließen sie alle ihre schweren Stücke in die Stadt gehen. Dann machten sie sich daran, frische Kugeln zu gießen, denn sie hatten fast ihren ganzen Vorrat davon verschossen, so heftig war ihr Feuer gewesen. Vier Stunden lang hatte der Kampf gerast,

Bei Tagesanbruch kamen zwei Herolde mit einem Hut auf einer Stange vor das Schloß. Die Bauern ließen durch sie einen Waffenstillstand bis um zwei Uhr nachmittags anbieten, um ihre Verwundeten, die sie nachts hatten zurücklassen müssen, in die Lager zu schaffen und um ihre Toten zu begraben. In den Gräben und der Schanze allein lagen vierhundert von den ihrigen, verwundet oder tot. Der Domprobst, Markgraf Friedrich 527 von Brandenburg, erschien selbst zur Unterhandlung auf der Mauer. Er erklärte sich bereit, einen Stillstand nicht nur bis zwei Uhr, sondern bis Mitternacht anzunehmen; es sollte jedoch bis dahin alles in dem jetzigen Zustande verbleiben und kein Bauer oder Städter den Tell betreten. Alle Vorstellungen und Bitten der Herolde prallten an der gepanzerten Brust des geistlichen Fürsten ab. Die Verwundeten mußten in ihren Schmerzen und Qualen hilflos verziehen, bis der Tod sich ihrer erbarmte. Hoffte der Domprobst, die Bauern durch eine solche Unmenschlichkeit mürbe zu machen, so irrte er, Ihre Erbitterung wurde dadurch vielmehr auf das höchste gestachelt und sie machten sich sogleich daran, den Berg, auf dem das Schloß stand, oberhalb der Vorstadt St. Burghard zu untergraben und neue Schanzen anzulegen.

Wilhelm von Grumbach, der mit seinem Bruder eine Kammer im östlichen Schloßgiebel teilte, sah aus dem Fenster den Arbeiten zu. Sein Bruder lag auf dem Bette und versuchte, den verlorenen Nachtschlaf wieder einzubringen. »Angenehme Aussicht das,« sprach Wilhelm über die Schulter zurück. »eines schönen Tages in die Luft zu fliegen oder in den Main zu purzeln, wenn wir nicht früher vor Durst umkommen.«

»Verdursten? Ist halt nicht möglich,« erwiderte der ältere Bruder phlegmatisch. »Hab' mir mit dem Rotenhahn die Weinkeller angeschaut, können sie in etlichen Jahren nit leersaufen.«

»Die Weinfässer nicht, aber den Schloßbrunnen, zumal es nimmer regnen will. Ist doch seit Wochen kein Tropfen vom Himmel gefallen.«

»Hat mir auch schon Sorgen gemacht von wegen der Saaten,« gähnte Hans von Grumbach. »Mögen schlecht genug stehen, unsere Felder.«

»Um unsere Felder brauchen wir uns schwerlich noch zu sorgen, die werden die Bauern ernten,« antwortete Wilhelm mit bissigem Humor. »Wir werden von Glück 528 sagen können, wenn wir von unseren Burgen noch einen Stein auf dem anderen finden.«

Sein Bruder fuhr mit dem Oberkörper im Bette auf. »Plagt Dich der Teufel? – Ach, Unsinn,« fügte er dann hinzu und ließ sich wieder in die Kissen zurückfallen.

Wilhelm kam zu ihm und sagte mit gedämpfter Stimme: »Wenn Du die beiden größten Esel sehen willst, so schau mich und Dich an. Denn das sind wir weil wir hierherkommen, anstatt es wie der Henneberger und andere zu machen. Eine Schand' ist's, daß Edelleute bei Pfaffen zu Lehen gehen. Wenn unsere Vorfahren in ihres Herzens Einfältigkeit die Freiheit ihres Besitzes von den Kutten sich abschwindeln ließen, vielleicht für ein paar Seelenmessen, sollen wir darunter für alle Zeit leiden? Ich will's nit.«

»Denk' an den Sickingen,« warnte Hans, indem er sich auf den rechten Ellenbogen stützte. »Wenn wir dazumalen dem Florian gefolgt wären, äßen wir heut' unser Brot im Elend.«

»Damals war es allerdings schon zu spät dazu. Aber heut' liegt's anders und günstiger. Die Bauern haben die Macht, und was der Götz sich zutraut, das können die Grumbachs auch wagen, sollt' ich meinen. Mir frißt es die Leber ab, daß wir diesen vor Hochmut stinkenden Thüngens hofieren müssen. Mein Eisen in ihren Bauch! Was meinst Du, Hans? Noch könnten wir's wenden.«

»Laß' mich itzt schlafen; mir ist ganz dösig im Kopf,« murrte Hans und drehte sich der Wand zu.

Es lag nicht viel von brüderlicher Liebe in den feinen Zügen Wilhelms, als er von dem Bette wieder an das Fenster zurücktrat. An seinem rötlichen Schnurrbart zupfend, schaute er brütend hinaus.

Wie Hans von Grumbach, so lag Simon Neuffer zu Heidingsfeld in seinem Quartier, das er bei einem Töpfer hatte, auf dem Bette, nicht Schlaf suchend, sondern fest schlafend. Auf einem Schemel zu seinem Fußende saß die schwarze Hofmännin, das Gesicht in die Hände 529 gestützt. Sie hatte es eher bemerkt als er selbst, daß er verwundet, und war mit ihm gegangen, hatte die Wunde gereinigt und verbunden. Ein Streifschuß hatte ihm das Fleisch des linken Oberarms aufgepflügt. An sich hatte er aber nicht eher gedacht, als bis er in Heidingsfeld die Mannschaft mit einem Wort der Anerkennung für ihre Tapferkeit entlassen und für die Verwundeten, die sie mit sich hatten nehmen können, nach bestem Vermögen Sorge getragen hatte. Die schwarze Hofmännin hatte es ihm nicht vergessen, daß er ihrem Enkel zugetan gewesen; ihm verdankte sie, was sie von dessen letzten Tage wußte, und aus aller Verwüstung und Verwilderung, die das unsägliche Leiden in ihrer Seele angerichtet hatte, züngelte das Flämmlein weiblicher Barmherzigkeit auf. Ein dumpfes, dem Donner ähnliches Rollen, das näher und näher kam, störte sie aus ihrem Sinnen auf. Sie erhob sich geräuschlos und öffnete das Fenster, dem die dünne Haut einer Schweinsblase als Glas diente. Aber der Himmel war völlig heiter und jetzt erstarb das donnerartige Rollen in einem Jubelgeschrei. Es schien vom Marktplatze herzukommen. Darüber erwachte auch Simon. »Bleib' Du ruhig liegen; ich will nachschauen, was es gibt,« ermahnte ihn die Hofmännin und verließ ihn. Die Erschöpfung wiegte ihn bald wieder ein. Ein Poltern schwerer Tritte auf der Stiege zu seiner Kammer weckte ihn abermals. Dann tat sich die Tür auf und hinter der Hofmännin erschienen der lange Lienhart und Kaspar Etschlich. Simon fuhr in die Höhe und rieb sich die Augen. Waren das Traumgestalten, oder wachte er?

»Ha, Bruderherz, was sind das für dumme Geschichten?« schlug die tiefe Stimme des Riesen an sein Ohr. »Aber bleib' liegen! Wir wissen schon alles!« Und er drückte Simon in die Kissen zurück.

»Das mit mir hat nix auf sich,« versicherte Simon. »Und auch der Kaspar ist da? Na, grüß' Euch Gott! Und bringt ihr die Stücke?« 530

»Freilich,« rief der lange Lienhart, während Kaspar dem Vetter die Rechte schüttelte.

»Daß sie schon gestern hier gewesen wären,« seufzte Simon. »Ich hab' mir den ganzen ausgeschlagenen Tag die Augen nach Euch ausgeschaut.«

»Wären auch gegen Abend hier gewesen, wenn der Teufel sich nit ins Spiel gemischt hätte; muß überall dabei sein,« schnob der lange Lienhart.

»Kennst etwan einen anderen, der die Welt regiert?« fragte herb die schwarze Hofmännin.

»Kenn' mich in denen Sachen nit aus,« erwiderte jener, sie mit seinen Eulenaugen von der Seite ansehend. »Mußt die Schwarzröcke fragen. Das aber war ein außer alle Maßen schändlich Spiel von ihm. Bricht kurz von Rötlingen eines von den Stücken ein Rad und mußten wir darum bis heut früh dort liegen bleiben. Der Stellmacher und der Schmied in Röttingen werden an mich denken, so hab' ich sie zur Eil' angetrieben. Freilich, wie hätt' einer sich auch vorstellen mögen, daß Ihr stürmen würdet, ehe daß eine Bresche gelegt ist. Es ist halt zu dumm.«

»Nu, laß' schon,« mischte Kaspar sich ein, schob sich den Schemel ans Lager und begann Simon von den Seinigen und von Ohrenbach zu erzählen.

Der lange Lienhart wandte sich an die schwarze Hofmännin, winkte mit den Augen nach Kaspar und sagte: »Schau, der da war Deinem Hans sein bester Freund. Er kann Dir auch erzählen, wie ihn der Rosenberg erschlug: er war dabei.«

Ein langgezogener Seufzer zitterte über die welken Lippen der alten Frau, ihre Augen ruhten wie heiße Flammen auf dem Tuchscherer.

»Nur Mut,« fuhr der lange Lienhart fort. »Jetzt sind die Pfefferbüchsen zur Stell' und wollen wir die Bischöflichen pfeffern, daß sie aus dem Niesen nimmer herauskommen. – Aber es ist halt Zeit, daß ich nach unserem 531 Rothenburger Fähnlein mich umtu'. Adies, Simon, derweilen.«

Die schwarze Hofmännin lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fenster und hörte zu, wie Kaspar von Ohrenbach erzählte. Auch teilte er dem Vetter mit, daß er bei den Schwarzen eintreten möchte. Dieser freute sich dessen und bot ihm an, seine Kammer mit ihm zu teilen. Sie sei zwar eng, aber ein Bett fände wohl noch Platz darin. Die schwarze Hofmännin übernahm es, wegen eines zweiten Bettes mit dem Quartierwirt zu reden.

Nicht lange, so knarrte die Stiege wieder unter schweren, klirrenden Schritten. Es war Florian Geyer, der mit Tagesanbruch von Rothenburg fortgeritten war. Simon Neuffer wurde bei seinem Anblick dunkelrot. Er aber sagte freundlich: »Rege Dich nicht auf. Die Hauptsache ist, daß mir mein tapferer Leutinger erhalten geblieben ist. Die Verluste werden sich ja ersetzen lassen.« .

Simon atmete erleichtert auf; denn es hatte ihm vor der ersten Begegnung mit Florian Geyer nicht wenig gebangt. »Da steht gleich einer, der sich anwerben lassen will,« sagte er, auf seinen Vetter deutend. Florian Geyer musterte denselben aufmerksam. Die nicht große, jedoch kräftige Gestalt fand seinen Beifall, er nickte Kaspar zu und verwies ihn wegen des weiteren an den Leutinger; »Und itzt vergönn' mir ein vertraulich Wörtlein, Hauptmann Geyer,« bat dieser. Kaspar schob Florian einen Stuhl an das Bett und folgte der schwarzen Hofmännin aus der Kammer.

»Versprich mir, Hauptmann, daß Du es nit übel auslegen willst, was ich Dir sagen möchte,« begann Simon. »Es liegt mir schon lang auf dem Herzen; aber itzt, wo der Sturm verunglückt ist, muß es heraus.«

»Was zum allgemeinen Besten dienen soll, mag mir immerhin bitter schmecken, das tut nichts,« erwiderte Florian Geyer, der sich unterdessen gesetzt hatte. »Also sprich frei von der Leber weg!« 532

»Schau, das Unglück in der verwichenen Nacht wär' nimmer geschehen, wenn Dich der Ausschuß nit weggeschickt hätte.«

»Du willst doch nicht etwa sagen, daß die Hauptleute den Sturm vorher geplant hatten und ich absichtlich nach Rothenburg geschickt wurde, weil sie meinen Widerspruch gegen ein so törichtes Unternehmer befürchteten?« fragte Florian Geyer mit großen Augen.

»Das just nicht; aber sie wollten damit nit warten, bis Du zurückkamst. Schau, es glaubt halt jeder die Sach' ebenso gut zu verstehn wie Du. Sie sind halt eifersüchtig auf Dich. Weil sie ein Ansehen unter den Bauern gewonnen haben, so möchte jeder in allen Stücken der Erste sein, und Neid und Ehrgeiz fressen an ihren Herzen und Du stehst ihnen im Wege.«

»Darum möcht' ich sie nicht schelten, Bruder Neuffer; denn das ist nur menschlich,« entgegnete Florian Geyer mit Ruhe. »So lange ihre Herren ihnen das Mark aus den Knochen quetschten und sie wie das Vieh behandelten, wie hätten sie sich da als Menschen fühlen sollen? Jetzt erwacht der Mensch in ihnen und sie wollen daher nicht minder gelten als diejenigen, zu denen sie früher aus ihrer Entwürdigung mit knechtischer Furcht und Erbitterung aufschauten. Wir wollen uns dessen freuen; denn die Freiheit gedeiht nicht, wenn der Mensch ohne Selbstgefühl ist. Überheben sie sich in ihrem gährenden Freiheitsdrang, nun so wird der Most sich schon klären. Schlimm wäre es, wenn sie meinen ehrlichen Absichten mißtrauten.«

»Nein, nein, das tun sie nicht,« versicherte Simon lebhaft. »Aber diese Eifersüchteleien zernagen die Einigkeit und daran scheitern die besten Ratschläge. Wir verpassen die günstigen Gelegenheiten und stärken damit bloß die Feinde. Das kann und darf nit so fortgehen. Einer, der einen starken Willen hat, muß sie zum allgemeinen Besten zwingen. Und der wärest Du, Hauptmann Geyer. Wenn Du im Ausschuß an Dein 533 Schwert schlägst, sie werden murren, aber Du sollst sehen, sie gehorchen.«

Florian Geyer blickte ihn überrascht an, dann drehte er seinen Schnurrbart in die Höhe und antwortete: »Es könnte mich fast gelüsten, es zu versuchen, wenn ich sehen muß, wie das Stilliegen hier die Leute ganz und gar verdirbt, und es in Würzburg mit jedem Tag ärger wird. Der Rat hat nichts mehr zu sagen und auch dem Bermeter und seinen Freunden entschlüpfen die Zügel mehr und mehr. Bruder Ambrosius predigt vergebens und die Galgen bleiben leer. Aber im Ernst, der Zweck heiligt nimmer die Mittel, auch nicht in politischen Sachen. Wenn ich mich wirklich der Gewalt bemächtigen wollte, so würde nichts anderes daraus entspringen, als neue Gewalt. Denn Unrecht und Gewalt können sich nur durch Unrecht und Gewalt behaupten. So lange die Welt steht, haben sie noch kein Volk zur Freiheit geführt. Im Gegenteil, die Folge widerrechtlicher angemaßter Gewalt war stets neue Knechtschaft. Mag auch ein Mann vom lautersten Charakter und in der edelsten Absicht der Herrschaft sich bemächtigen, auch er ist nur ein Mensch, und wenn ihn nicht das Machtgefühl berauscht, so verderben ihn seine Helfershelfer und Gesellen mit ihren Schmeicheleien, Listen und Ränken, um ihren eigenen Vorteil durch ihn zu erlangen. Und noch eines will ich Dir sagen! Ist wo in einem Volke das Freiheitsgefühl erstorben, da mag sich wohl ein Ehrgeiziger die höchste Gewalt anmaßen; ein zur Freiheit aufstrebendes Volk läßt das nimmer zu. Meine eigenen Schwarzen würden mich in Stücke hauen, wenn ich es versuchen wollte, und sie täten recht daran.«

Simon blickte ihn bekümmert an. »Du wirst halt recht haben; ich will's Dir nachdenken,« sagte er kleinmütig. 534



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