Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Zweiter Teil

Erstes Kapitel.

Herzog Ulrich beging die Fastnacht nicht auf dem Schlosse zu Stuttgart. Er war kein Feldherr und anstatt unverzüglich auf die Hauptstadt zu ziehen, deren Bürgerschaft ihm wohlgesinnt war, vertrödelte er seine kostbare Zeit, um die Huldigungen der württembergischen Bauern, die in der Mehrzahl mißtrauisch gegen ihn blieben, entgegenzunehmen. Es gelang daher dem Truchseß von Waldburg, ihm zuvorzukommen und den Grafen Ludwig von Helfenstein mit einer bedeutenden Macht in die Hauptstadt zu werfen. Die Bürgerschaft wagte keinen Aufstand und in dem Lager des Herzogs schlich der Verrat um. Die Schweizer hielten die Einnahme von Stuttgart, worauf sie mit ihrer rückständigen Soldforderung von dem Herzog verwiesen, für ein wenig sicheres Unterpfand. Zudem hatte Georg von Frundsberg am 24. Februar König Franz bei Pavia gefangen genommen und das siegreiche Österreich forderte nunmehr nachdrücklich von der Eidgenossenschaft die Abberufung der Völker, die sie dem Herzog gestellt hatte. Die Reisläufer der Schweiz, welches damals noch zum Reich gehörte, hielten daher bereitwillig die Hand hin, als die Unterhändler des Truchseß Jörg von Waldburg ihnen für das Versprechen, den Herzog nicht nur zu verlassen, sondern auch an den österreichischen Feldhauptmann 232 auszuliefern, den rückständigen Sold und ein Draufgeld auszahlten. Der Herzog mußte von Stuttgart abziehen, jedoch gelang es ihm, der drohenden Gefangennahme bei Nacht und Nebel zu entrinnen. Seine eigenen Schwäger, die beiden Herzöge in Bayern, gaben das Geld zu dem Verrate her, aufgestachelt von ihrem Kanzler Eck, der in dem verschlagenen und herzlosen Truchseß von Waldburg ein nie versagendes Werkzeug seines fanatischen Hasses gegen die Reformation fand. Die Erscheinung mit der Ursache verwechselnd, wie es den herrschenden Klassen gewöhnlich geschieht, hielt er die Reformation, die er nie anders als die »lutherische Büberei« nannte, für die Quelle der allgemeinen Unzufriedenheit und Aufregung und drang darauf, daß man gegen sie den Schrecken anwende.

Das Scheitern Ulrichs an den Mauern seiner Hauptstadt hatte die Männer zusammengeführt, die in der Wohnstube des Georg Metzler zu Ballenberg beisammen saßen. Das Städtlein, zwei Stunden westlich von Krautheim an der Jaxt, wo hohenlohesches und kurmainzisches Gebiet zusammenstießen, war durch seine Lage hoch droben am Rande des Odenwaldes zu unauffälligen Zusammenkünften trefflich geeignet. In dem Wirtshause selbst hielten die armen, geplagten Bauern des Odenwaldes, die auf Georg Metzler ein felsenfestes Vertrauen setzten, ihre geheimen Versammlungen ab. Hierher hatte Wendel Hipler den Burgherrn von Giebelstadt eingeladen, und der Wirt seinen Vetter Leonhard Metzler von Brettheim darum beschickt, der Simon Neuffer mitgebracht.

Florian Geyer war in der Tracht eines gewöhnlichen Reisigen erschienen; nämlich schlicht und ohne den leisesten Anflug von Herablassung, die nur auf Bedientenseelen Eindruck macht, reichte er dem Bauer seine kräftige Rechte. Simon Neuffer ward nicht müde, ihn zu betrachten, hatte doch der lange Lienhart ihm oft von ihm erzählt. Das war der Mann, den er als 233 Bauernführer im Sinne gehabt, als er bei Betrachtung des Holzschnittes zu den zwölf Artikeln gegen Hans Lautner geäußert, daß es unter den Edelleuten wohl noch den einen oder anderen gäbe, der es mit den armen Leuten ehrlich meine.

Florian Geyer war innerlich froh, daß der übereilte Feldzug Herzog Ulrichs mißglückt war, und er äußerte es mit den Worten: »Jetzt ist unsere Sache frei von aller Rücksicht auf die Fürsten und wir können gerade auf unser Ziel losgehen. Es war ein Kuckucksei im Nest der evangelischen Freiheit. Wir laufen keine Gefahr mehr, von ihm im Stiche gelassen zu werden, wann es etwan sein Vorteil erheischt haben würde. Denn auf ein Fürstenwort, das in der Not gegeben, ist eben so wenig zu bauen, wie auf Sand. Die Hauptsache ist, daß die Bundesgenossenschaft mit dem Herzoge die Bauern mit Mißtrauen erfüllt haben würde. Seine eigenen Bauern haben sich lässig erwiesen, für ihn zu den Waffen zu greifen und es ist mir Kunde worden. daß die Schwarzwälder, nachdem sie sich durch einen Vorstoß gegen Württemberg hiervon überzeugt hatten, nur aus diesem Grunde wieder sich zurückgezogen haben.«

»Ein Wunder ist's just nicht«, bemerkte Wendel Hipler, »hat sich der Herzog doch laut genug vernehmen lassen, daß es ihm gleichgültig sei, ob Ritterstiefel oder Bauernschuh ihm wieder zu seinem Herzogtum verhelfe.«

»Jedennoch möcht' ich zu bedenken geben, ob die Herren jetzund nicht, wo sie der Furcht vor dem Herzog erledigt sind, mit aller Gewalt gegen die Bauern handeln werden?« Es war Georg Metzler, der das Bedenken äußerte.

»Wenn sie es können, gewiß«, gab Florian Geyer zu. »Aber das hat alleweile noch gute Wege. Wo die Herren auf die Beschwerden ihrer Untertanen in Unterhandlungen mit ihnen sich eingelassen haben, da ist's 234 ohne Zweifel nur geschehen, um die günstige Gelegenheit abzupassen, ihnen über die Köpfe zu hauen.«

»Freilich, freilich!« riefen Simon Neuffer und die beiden Metzler.

»Ja«, fuhr Florian Geyer fort, »aber dazu reichet die Macht nicht aus, über die der Truchseß Jörg gebietet, und der Schwäbische Bund hat nichts zu Händen. Der ist mit seinen Rüstungen auf die Kriegsknechte angewiesen, die zur Zeit noch in Italien stehen, und ehe der Winter die Pässe in den Alpen nicht frei gibt, können sie nicht her zu uns.«

»Und nachher ist's doch noch sehr fraglich, ob sie sich gegen uns schlagen werden«, bemerkte Georg Metzler. »Sind sie doch Bauernblut wie wir.«

»Darauf möchte ich nicht raten, sich allzu fest zu verlassen, wenn sie auch nicht sonderlich lustig sein werden, ihre Wehren gegen ihre Brüder und Väter zu wenden«, schüttelte Wendel Hipler den feinen Kopf.

»Darum ist meine Meinung, daß wir dem Schwäbischen Bunde zuvorkommen müssen, indem daß wir die Heimkehrenden anwerben«, sagte Herr Florian mit Nachdruck. »Für ihre Väter und Brüder werden sie sich begeistert schlagen, wie wir für unsere Freiheit, und die Bauernheere gewinnen an ihnen einen kriegsgeübten festen Kern, den keine Sorge um Haus und Hof von den Fahnen weglockt,«

Es war mittlerweile dunkel geworden und Georg Metzler zündete einige Kienspäne an. Er trug Käse und Brot auf und lud seine Gäste ein, seinen Wein nicht zu verachten, wenn er auch nur ein geringes Gewächs sei. Einen besseren habe er im Keller nicht. Er war kein wohlhabender Mann; die Armut der Odenwälder und seine rastlose Tätigkeit, sie für die evangelische Freiheit zu gewinnen, ließen ihn auf keinen grünen Zweig kommen. Um seine eigene Lage sorgte er sich aber wenig und seine Mienen wie sein Wesen zeigten nichts von der Verbissenheit seines Vetters 235 aus Brettheim. Er war vielmehr keinem Scherze abgeneigt und im Verkehr mit den Menschen umgänglicher als jener. »Beiß nit die Zähne zusammen, Vetter«, neckte er diesen. »Kommen wir erst über die Klöster, gibt's einen feinen Tropfen. Schenk' Dir ein und gib die Kanne weiter.«

Herr Florian ergriff seinen Becher und sprach: »Die Freiheit, für die wir gemeinsam kämpfen, kennt kein Vorrecht der Geburt und keinen Standesunterschied; sie machet uns alle zu Brüdern.«

»Und ihr Manifest, unsere Fahne, sind die zwölf Artikel«, fügte Wendel Hipler hinzu.

Sie stießen die Zinnbecher zusammen. Darauf sagte Simon Neuffer: »Der Saft ist längst in den Bäumen; aber er treibt erst jetzt Knospen, wo der Frühling kommt. Es ist halt mit dem Menschen nit anders, als daß auch er im Frühling seine Kraft erst zu spüren beginnt. Allerwärts zuckt die Hand ungeduldig nach der Wehr. Es ist Zeit!«

Florian Geyer nickte ihm zu. Sie kamen überein, daß die allgemeine Erhebung am Sonntag Judika (dem 4. April) stattfinden sollte und bestimmten als Sammelplatz das Cisterzienserkloster Schönthal an der Jaxt. Mit den Bauern in Schwaben, im Allgäu, in den Alpen müßten Brüderschaften geschlossen werden. Florian Geyer berichtete, daß ihn die Mitteilungen Stephans von Menzingen in den Stand gesetzt hätten, die Verbindungen aufzunehmen, welche der Fuchsteiner infolge des vorzeitigen Aufbruches des Herzogs Ulrich hatte fallen lassen müssen; daß Michael Gaismayer in Brixen nur auf Botschaft von ihm warte, damit Tirol sich gleichzeitig mit ihnen erhöbe.

»Vergessen wir auch unserer Nachbarn im Norden, der Thüringer, nicht«, nahm Wendel Hipler das Wort. »Thomas Münzer ist seit kurzem wieder in Mühlhausen. Ihr werdet gehört haben, daß er dorthin, wo Pfeiffer die neue Lehre predigte, von seiner Pfarre zu Altstedt 236 flüchten mußte, weil er den sächsischen Herzögen im Schlosse zu Weimar wie ein zweiter Daniel ihre Sünden vorgehalten hatte. Auch wird es Euch bekannt sein, daß der Stadtadel von Mühlhausen Pfeiffer und Münzer austrieb. Wohl, die Landleute und Arbeiter haben Pfeiffer im Dezember mit Gewalt in die Stadt zurückgeführt und jetzt ist auch Thomas Münzer wieder dort, läßt sich im Barfüßerkloster Geschütze gießen und gürtet sich mit dem Schwerte Gideons wider die Fürsten. Er tröstet sich in Sonderheit Eurer, der Franken, nachbarlichen Hilfe. Seine Briefe an die Landbevölkerung und Bergleute im Harz und im Mansfeldischen wehen wie Feuerflammen.«

Er hatte einen Brief, den Münzer ins Gebirge gerichtet, bei sich und las daraus vor. Das Schreiben begann: »Die reine Furcht Gottes zuvor. Lieben Brüder, wie lange schläft Ihr? Wie lange seid Ihr Gott seines Willens nicht geständig, darum, daß er Euch nach Eurem Ansehen verlassen hat? Wie oft habe ich Euch gesagt, daß es das sein muß. Gott kann sich nicht länger offenbaren. Ihr müßt stehen; tut Ihrs nicht, so ist das Opfer, ein herzbetrübendes Herzleid, umsonst. Ihr müsset darnach wieder in Leid kommen. Das sage ich Euch, wollt Ihr nicht um Gottes Willen leiden, so müßt Ihr des Teufels Märtyrer sein. Darum hütet Euch. Seid nicht verzagt, nicht nachlässig; schmeichelt nicht länger den verkehrten Phantasten, den gottlosen Bösewichtern. Fasset an und streitet den Streit des Herrn. Es ist hohe Zeit. Haltet Eure Brüder alle dazu, daß sie göttliches Zeugnis nicht verspotten; sonst müsset Ihr alle verderben. Das ganze Deutsch-, Französisch- und Welschland ist erregt. Der Meister will ein Spiel machen, die Bösewichter müssen dran.« Weiter hieß es dann; »Es ist Zeit. Die Bösewichter sind verzagt wie die Hunde. Reget die Brüder an, daß sie zu Fried kommen und ihr Gezeugnis halten. Es ist über die Maßen hoch, hoch von nöten: dran, dran, dran! Lasset 237 Euch nicht erbarmen, ob auch der Esau gute Worte vorschlägt! Sehet nicht an den Jammer der Gottlosen. Sie werden Euch so freundlich bitten, greinen, flehen wie die Kinder. Lasset es Euch nicht erbarmen, wie Gott durch Mosen befohlen hat, 5. Buch Mosis, 7. Uns, uns hat er auch offenbaret dasselbe. Reget an in Dörfern und Städten, und sonderlich die Berggesellen mit anderen guten Burschen. Wir müssen nicht länger schlafen. – Dran, dran, dran! weil das Feuer heiß ist. Lasset Euer Schwert nicht kalt werden von Blut; schmiedet Pinkepank mit dem Ambos Nimrods, werfet ihm den Turm zu Boden. Es ist nicht möglich, dieweil sie leben, daß Ihr der menschlichen Furcht sollt loswerden. Man kann euch von Gott nicht sagen, dieweil sie über Euch regieren. Dran, dran, dran! dieweil Ihr Tag habt. Gott geht Euch für, folget. Die Geschichte steht beschrieben Matthäi 25. Darum lasset Euch nicht abschrecken. Gott ist mit Euch, wie geschrieben stehet 2. Chron. 2. Dies sagt Gott: Ihr sollt Euch nicht fürchten, Ihr sollt diese große Menge nicht scheuen, Es ist nicht Euer, sondern des Herrn Streit; Ihr seids nicht, die Ihr streitet. Stellet Euch fürwahr männlich. Ihr werdet sehen die Hilfe des Herrn über Euch. Da Josaphat diese Worte hörte, da fiel er nieder. Also tut auch durch Gott, der Euch stärke ohne Furcht der Menschen im rechten Glauben. Amen. Gegeben Mühlhausen im Jahre 1525. Thomas Münzer, ein Knecht Gottes wider die Gottlosen.«

Die Aufregung der Zuhörer, die Wendel Hipler wiederholt mit Zwischenrufen unterbrochen hatten, trat jetzt gewaltig hervor. Der Vorleser, dem die Kehle trocken geworden war, stärkte sich derweilen mit einem Becher Weines.

»Dran, dran, dran! Das muß fortan auch unsere Losung sein«, rief Florian Geyer mit blitzenden Augen. »Aber lieben Freunde, wir bedürfen außer dem Schwerte noch eines anderen zum Siege. Unsere 238 Feinde werden weniger stark durch ihre Waffen als durch ihre Geldmittel sein. Geld ist das ABC der Kriegsführung und wir haben keines. Darum schlage ich vor, daß wo Dörfer gute Gemeindegüter haben, solche um Geld zu verpfänden. Wir lösen sie nachher reichlich wieder ein aus den Gütern der Klöster und Stifte.«

»Und aus denen der Edelleute«, fügte Simon Neuffer hinzu.

»Aber zum Anfang, zum Anfang!« rief Herr Wendel »Was nachher kommt, braucht uns heut nicht zu kümmern.«

Metzler aus Brettheim schielte ihn scharf von der Seite an. »Wir nehmen das goldene und silberne Gerät aus den Kirchen«, sagte er.

»Und das bare Geld aus den Heiligen«, ergänzte sein Vetter.

»Nichts da«, setzte Herr Florian scharf ein. »Hand weg von den Gotteskästen! Das Geld ist der armen Witwen und Waisen. Aber wir müssen es vertrauungswürdigen Männern aus den Gemeinden zur Verwaltung übergeben. Daß wir den Klöstern und Kirchen den Speck ausschneiden, den sie sich angemästet haben vom fremden Schweiß, das ist nicht mehr als billig. Es dürften Euere Vorschläge aber zu einem allgemeinen Plündern und Wüsten führen, so wir nicht in vornherein eine allgemeine Ordnung schaffen. Gott helf, wir wollen keine Diebe und Räuber sein.«

»Die Herren sollen das Aussaugen hinfüro wohl bleiben lassen«, rief Simon Neuffer und drückte seine geballte Rechte nachdrücklich auf den Tisch.

»Aber der Geyer hat recht«, stimmte diesem der ehemalige Kanzler bei. »Nehmen wir seinen Vorschlag an und trachten wir bei Zeiten, eine Ordnung in die Sache zu bringen, auf daß das allgemeine Gut, so doch unser Lebensblut ist, nicht vergeudet und verzettelt wird.« Ein Widerspruch erfolgte nicht und er fuhr fort: 239 »Sorgen wir überhaupt, lieben Freunde, daß die evangelische Freiheit kein leeres Wort bleibe. Als Jesus in Jerusalem einzog, jug er zuerst die Händler, Wechsler und Wucherer aus dem Tempel. Um das Volk frei zu machen, stürzte er die jüdische Priesterreligion. Aber siehe, an Stelle der jüdischen ist eine römische Priesterreligion getreten, die es trieb wie jene. Jetzt, wo die Reformation die Axt an ihre Wurzeln gelegt hat, schaffen wir, daß nicht eine lutherische Priesterreligion sich auf die römischen Stühle setze. Das Gelüsten darnach ist groß, wie mich dünket. Wann wir unseren Sieg nicht nützen, um die evangelische Freiheit festzusetzen in Gesetzen, welche die alten Mißbräuche abtun und eine neue Ordnung begründen im Reiche wie in der Kirche, in Gewerbe, Handel und Wandel, alsdann werden wir abermals um unsere Freiheit betrogen und alle Opfer, die wir ihr mit unserem Herzblut bringen, werden vergebens gebracht sein.«

»Also dran, dran, dran!« rief Florian Geyer und stieß sein Schwert gegen den Fußboden. Die anderen taten es mit ihren Bechern auf den Tisch, während sie den Schlachtruf wiederholten.

»Und Ihr sollet uns Rothenburger als ein erfahrener Kriegsmann führen«, sprach Simon Neuffer. »Wollet Ihr?«

»Ei, da kann Rat werden«, versetzte Herr Florian gut gelaunt. »Ich weiß, daß Ihr Rothenburger in den Waffen geübt seid. Die tüchtigsten Leute in meinem Fähnlein, das ich vor sechs Jahren gegen den Herzog Ulrich führte, waren aus Eurer Landschaft.«

»Dann kennt Ihr wohl auch den langen Lienhart?« fragte der Dorfmeister.

»Den Riesen von Schwarzenbronn? Freilich!« entgegnete der Ritter, und ein Lächeln erhellte sein ernstes Gesicht. »Er focht auch gegen den Erzbischof von Trier und ich bin von damals noch in seiner Schuld. Auf dem Marsch war's und eine unendliche Hitze. Mann und Roß verschmachteten schier. Mir selbst klebte die 240 Zunge am Gaumen. Wie wir Rast halten, kommt der Brenneken, denn so ist sein wirklicher Name, und bringt mir Wasser in seiner Sturmhaube. Aus einem Graben hatt' er's geschöpft, schmutzig war's und auch warm. Gut tat's dennoch. Zu beißen gab's auch nichts. Er hatte ein Stück Brot und eine Zwiebel, das teilte er beides mit mir und es hat mir gar köstlich geschmeckt. Ein paar Fähnlein solcher Gesellen wie er, die schlügen den Teufel aus der Welt, Adel und Pfaffen zu geschweigen.«

»Nu, er wird uns auch itzo bei unserem Fürhaben nit fehlen, darauf könnet Ihr Euch verlassen«, versicherte der Dorfmeister.

»Kann ich mir denken«, nickte Herr Florian. »Aber es ist Zeit, des Heimweges zu gedenken; das Wichtigste wäre besprochen und es tagt bereits.«

Durch das ölgetränkte Papier der Fenster schimmerte der junge Morgen. Georg Metzler löschte die Kienspäne aus und ging seinen Knecht wecken, um die Pferde seiner Gäste zu satteln. Mit einer Kanne warmem Würzwein zum Morgen- und Steigbügeltrunk kehrte er zurück. Herr Florian, der den weitesten Weg hatte, brach zuerst auf.

»Auf Wiedersehen denn am Sonntag Judika zu Schöntal, werte Freunde und Kampfgenossen«, rief er, den Männern, die mit ihm vor die Tür getreten waren, derb die Hand schüttelnd, und schwang sich in den Sattel eines prächtigen Rapphengstes von starkem Knochenbau und mit feurigen Augen.

»Mein Weg geht über das Cisterzienserkloster; soll ich Quartier bestellen?« scherzte Wendel Hipler.

»Ich wär's zufrieden, auf daß sie bis dahin ihre weißen Kutten fein säuberlich waschen«, gab Florian Geyer ebenso zurück und drückte seinem Rappen die Sporen in die Weichen. Er ritt über den Wald in den Schüpfgrund, ein flaches, grasreiches Tal, von sanften Rebenhügeln in seinem unteren Teile eingefaßt. Hier und dort 241 waren schon die Winzer beschäftigt, die Reben an die Stöcke zu binden und von den vertrockneten Ranken zu befreien. Das Wetter war so mild, als ob man in der Mitte des April wäre und die Lerchen jubilierten über dem Tale, das sich auf die hier breit und rasch fließende Tauber öffnete. An dem jenseitigen Ufer zog sich hinter festen Mauern das Städtchen Königshofen die waldbekränzten Berge hinan. Von halber Höhe grüßte eine weiße Kapelle den einsamen Reiter, der seinen feurigen Rappen gemächlich schreiten ließ. Das Licht der Morgensonne badete in ihrem warmen Golde die Berge, das Städtlein, den rauschenden Fluß, das sanfte Tal, und Florian von Geyer gedachte, daß der Tag nahe wäre, an dem die Sonne der Freiheit Berg und Tal verklären würde.

»Hm, was meinet Ihr, ob der wohl je seine goldenen Sporen vergißt?« wandte sich der Brettheimer, der mit den anderen Florian Geyer nachschaute, an Wendel Hipler.

Dieser krauste unwillig die hohe klare Stirn und versetzte: »Eines wird er nimmer vergessen, des bin ich gewiß: den Adel seines Herzens. Sein Wahlspruch lautet: Nulla crux, nulla corona, das heißet zu deutsch: Ohne Kreuz keine Krone. Die Krone aber, für die er kein Opfer scheut, das ist die Freiheit der Unterdrückten, des Volkes Freiheit.«

»Nu, Ihr dürfet mir mein Mißtrauen nicht verübeln, Herr«, antwortete Leonhard Metzler. »Ihr wisset, wie wir von den Herren geschunden werden, und was nicht mit Gewalt geht, da betrügen sie uns mit glatten Worten und Versprechungen, so daß unsereins keinem Edelmann nit trauen mag.«

»Ja, trau einer dem Teufel«, rief hier eine weibliche Stimme.

Von den Männern unbemerkt, war eine Frau um die Hausecke gekommen und hatte Metzlers Stimme gehört. Sie war dürftig gekleidet, von hagerer Gestalt und über 242 weibliche Mittelgröße. Eisgraues, vom Winde zerzaustes Haar quoll unter einem schwarzen Kopftuch hervor. Ihr mageres Gesicht war voller Runzeln und Falten. Die dunklen Augen aber, die sie, auf einen langen Stab gestützt, auf die Männer richtete, straften ihr Alter Lügen. Ein unruhig Feuer brannte in ihnen. Gesicht und Hände erschienen stark gebräunt.

»Ihr seid's?« rief Wendel Hipler erstaunt. »Und der Jäcklein Rohrbach, warum ist er ausgeblieben? – Aber kommt ins Haus!«

Er schritt voraus. Der von ihm genannte Namen durchblitzte Simon mit einer Ahnung und Georg Metzler machte sie zur Gewißheit. Denn er begrüßte, nicht minder erstaunt wie Hipler, die Greisin als schwarze Hofmännin. Es war Hans Lautners Großmutter. »Der Jäcklein hat nit abkommen können«, erklärte sie, nachdem sie dem Wirte die Hand gereicht und den Becher Weines, den er ihr bot, mit sichtlichem Durste geleert hatte. Kein Wunder, daß sie durstig war, hatte sie doch den weiten Weg von Böcklingen herauf während der Nacht ohne Erquickung zurückgelegt. Eine Ermüdung war ihr nicht anzumerken. »Die Löwensteiner«, fuhr sie fort, »hatten sich just für diese Nacht zusammengetan und ihn beschickt, daß er ihnen den Artikelbrief auslegen sollte. Da ist er denn über den Neckar gegangen. Wir wollten aber nimmer warten, bis daß der Herr Kanzler Zeit hätt', uns zu verständigen, was beschlossen ist. Nu?«

»Habet Ihr in Eurem langen Leben so wenig Geduld gelernt, Frau?« scherzte Herr Wendel.

Sie richtete ihre dunklen Augen fest auf ihn und antwortete: »Ich hab' halt mehr Geduld gehabt als Ihr, trotzdem mein Herz all die Jahr lang nach Rache geschrien hat wie der Hirsch nach Wasser. Itzo bricht der Stab meines Wartens wie ein dürres Reis. Zudem ziehen uns die Heilbronner an den Haaren zu sich.«

»So saget dem Rohrbach, daß wir am Sonntag Judika 243 Heerschau halten bei dem Kloster Schöntal an der Jaxt«, erwiderte Wendel Hipler mit langsamer Bestimmtheit.

Sie stieß mit einem langgedehnten »A« den Atem aus und ihre Augen leuchteten wie eine Flamme auf. Eine Weile saß sie still und die andern störten sie nicht. Dann wischte sie sich mit den knöchernen Fingern die welken Lippen und bat, indem sie aufstand: »Metzler, um Gottes Lohn, gib mir ein Brot, wann Du's entbehren kannst.«

»Gern«, versicherte dieser. »Aber Du willst doch nicht schon wieder gehen? Ruh Dich doch erst rechtschaffen aus; es eilt ja nit.«

»Ich muß einen aufmahnen«» antwortete sie, während ihre Blicke wie in die Ferne schauten. »Er darf nit fehlen, wann das Schwert Gideons bloß wird. Einen Boten kann ich nit zahlen, so muß ich selbst gehen!«

»Ihr dürfet Euch nicht überanstrengen, ich duld' es nicht«, wandte Herr Wendel ein. »So viele Albus werde ich wohl noch im Sack haben, um einen Boten für Euch entlohnen zu können. Wohin soll er, wenn es kein Geheimnis ist?«

»Nach Rothenburg soll er, zu meinem Enkel.«

»Herr Gott«, stöhnte Simon Neuffer.

»Da haben wir ja die Boten gleich zur Hand«, rief der ehemalige Kanzler. »Diese beiden Freunde hier sind aus dem Rothenburgischen.«

»Ich hab' Euren Enkel, den Hans Lautner, gut gekannt«, sagte Simon, sich mühsam bezwingend.

Ein heller Schein flog über das faltenreiche Gesicht der Ahne und erlosch rasch wieder, indem sie fragte: »Du hast ihn gekannt? Ist er nit mehr in Rothenburg?«

»Sagte ich so?« versetzte Simon Neuffer unsicher und versuchte, ihren Blicken auszuweichen. »Freilich ist er noch dort – und wird auch nimmer fortgehen – selbst nit, wenn Ihr ihn rufet. Er höret Euch nimmer. – Unser 244 Schöpfer hat ihn vor der Zeit zu sich gerufen. Er ist tot.«

Die Augen der schwarzen Hofmännin, die ihn unverwandt anschauten, als wollten sie ihn verbrennen, taten sich weit auf. Erst nach ein paar Sekunden aber rief sie: »Das ist nit wahr«, und wiederholte es dann mit stärkerer Stimme. Es war gleichsam das Rohr, an das sie sich wie eine Ertrinkende klammerte. Es zerbrach in ihrer Hand, als Simon darauf schwieg und sie nur mitleidig ansah. Tief aufstöhnend fiel sie auf den Schemel, von dem sie sich vorher erhoben hatte. Zusammengesunken, mit starren Augen saß sie da. Wendel Hipler wollte tröstend ihre Hand fassen; da zuckte ihr Oberkörper auf und sie schrie, die Arme zur Stubendecke streckend: »Wenn es einen Gott im Himmel gibt, wie war denn das möglich? Tot? Tot?« Gleich darauf schnellte sie von ihrem Sitze auf und herrschte dem Dorfmeister zu: »Ich will wissen, wie's geschah!«

Simon berichtete umständlich den Hergang und sie schien ihm mit brennenden Blicken jedes Wort von den Lippen zu saugen. Nur einmal unterbrach sie ihn durch einen Aufschrei, als er den Junker von Rosenberg als den Täter nannte. Simon erzählte weiter von der Aufregung, die Lautners Tod in Rothenburg erregt, und von der leidenschaftlichen Rede Karlstadts an seinem Grabe.

»Und der Rat ließ ihn gewähren?« fragte Herr Wendel erstaunt.

»Ei, der hat wohl vermeint, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben«, gab der Dorfmeister mit einem verächtlichen Achselzucken zur Antwort. »Der Teufel aber war der Dr. Deutschlin, der auf der Kanzel dem Kirchenbann des Bischofs offen Trotz geboten hat, und war darob die Bürgerschaft arg in Hitze. Nu, der Rat hat's nachher nachgeholt. Tags darauf, am Aschermittwoch in aller Früh, da pochten die Stadtknechte den Tuchscherer Etschlich, bei dem der Karlstadt herbergte, aus 245 dem Schlaf und durchsuchten das ganze Haus nach ihm. Das Nest war aber leer. Hatte ihn der Altbürgermeister abends zuvor heimlich abgeholt. Da hatte der Rat dann gut austrommeln lassen, daß niemand dem Karlstadt Unterschlupf geben dürfte, bei harter Gefängnis.«

Die schwarze Hofmännin hatte von dieser Erklärung schwerlich ein Wort vernommen. Sie hatte sich schon vorher wieder hingesetzt und starrte vor sich hin. Sie schluchzte, jedoch ohne daß eine Träne in ihre Augen getreten. Der Quell ihrer Tränen war unter dem maßlosen Leid, das sie erduldet, versiegt. Endlich richtete sie ihren auf die Brust gesunkenen Kopf auf, sah die Männer der Reihe nach an und ächzte: »Alle, alle tot, auch er, der sie rächen sollte!«

»Es wird an dem Rosenberg gerochen werden, verlasset Euch darauf«, versicherte Simon Neuffer. »Seine eigenen Hintersassen passen nur darauf, ihm alle seine Schindereien heimzuzahlen.«

Die Greisin lachte bitter. »Freilich, mit dem Geschlecht fing's an; aber das ist bloß eines. Sie müssen alle ausgenichtet werden, die Sporen und die Glatzen. Gott will es und er hat mich ausgeschickt, seine Rache zu vollziehen. Verschlungen sollen sie werden von der Erde und gefressen von dem Feuer des Herrn, wie die Rotte Korah.« Ihre hagere Gestalt reckte sich in die Höhe, drohend ballte sich ihre knöcherne Faust, während ihre Augen fanatisch glühten. Ein Grauen überkam die Männer. 247



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