Robert Schweichel
Um die Freiheit
Robert Schweichel

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Fünftes Kapitel.

Käthe hatte es ihrem Vetter auf die Seele gebunden, ehe sie mit ihrem Bruder von Rothenburg fortging, daß er sich nach seinem Freunde umtue und er sie wissen lasse, wie es mit ihm stehe. Sie hatte noch gesehen, wie Hans kühn auf die Junker sich gestürzt hatte, und sie war voll Besorgnis um ihn, aber auch voll Freude über seinen Mut. Nun war es Sonntag, aber Kaspar stellte sich nicht ein, weder allein noch mit Hans, worauf sie heimlich gehofft. Nachmittags ging sie mit dem vierjährigen Büblein ihres Bruders an der Hand bis zum Heck, das auf die Rotenburger Straße sich öffnete. Dort blieb sie eine gute Weile stehen und schaute auf die Landstraße entlang. Es zeigte sich aber nichts. Der kleine Martin, der ihr Liebling war, plauderte lustig, sie achtete es nicht. Zögernd ging sie noch einige Schritte weiter. Zu ihrer Linken erhoben in der feuchten Luft ein paar Krähen ein heftiges Gezänk und jagten einander über ihrem Kopfe den ausgedehnten, nur von wenigen Lichtungen unterbrochenen Waldungen zu, die weithin das rechte Ufer der Tauber bedeckten und bis dicht an Grenbach sich heranzogen. Die zänkischen Krähen erschienen Käthe als ein böses Anzeichen und sie kehrte um. Ihr Herz war voll Unruhe, aber sie kannte es noch so wenig, daß es ihr nicht einfiel, den Grund derselben in etwas anderem, als in dem Mitleid mit Hans wegen des schrecklichen Schicksals seiner 88 Eltern zu suchen! Und nun war er wohl selbst zu Schaden gekommen. Wie mit ihrem Vetter, so hatte sie bisher mit allen Buben unbefangen und heiter verkehrt. Die Wünsche manches von ihnen gingen auch wohl weiter, als bloß mit ihr zu scherzen. Denn sie war nicht nur hübsch und schlagfertig, sondern auch von einer flinken, unverwüstlichen Arbeitskraft, und Simon hatte ihr von dem Hofe ein Stück Geld herauszuzahlen, wann sie heiratete. Ihr Bruder, der Pfarrer zu Tauberzell, hatte auf seinen Anteil an dem Hofe zu ihren Gunsten verzichtet. Sie durfte daher an Feierabenden und den Sonntagen, sei es auf dem Dorfplatze, sei es im Hause, nicht darüber klagen, daß sie vereinsamt blieb. So war es auch heute, als sie auf dem Rückwege den Dorfplatz betrat. Sie aber verhielt sich gegen ihre Gewohnheit recht schweigsam.

Indessen wurde die Aufmerksamkeit bald allgemein auf einen Wagen mit einem Leinwandplan gelenkt, der, von zwei mageren Pferden gezogen, mit knarrenden Rädern auf dem Platze erschien und bei der Linde hielt. Das Gefährt und auch der Mann, der neben den Köpfen der Pferde ging, waren nicht nur in Ohrenbach, sondern in allen Dörfern weit und breit zwischen Rothenburg und Würzburg eine bekannte Erscheinung. Denn Krispin Wölffl war ein Hausierer und seine Päcke und Kisten enthielten so ziemlich alles, was besonders Frauen begehren. Er führte Nadeln, Scheren, Messer, Zwirn, Nesteln, Haken und Ösen, Gewandstoffe für Mann und Weib, farbige Sonntagsschürzen, grellbunte Blusen und schwarze Kopftücher, seidene Zopfbänder, Spiegel, Rosenkränze, Heiligenbilder und auch manch »Neues Lied, gedruckt in diesem Jahr«. Krispin Wölffl war jedoch nicht nur ein Handelsmann, sondern auch eine lebende Zeitung. Er wußte von allen Hochzeiten, Kindtaufen und Sterbefällen und was sonst Bemerkenswertes in den Flecken und Dörfern, auf den Edelhöfen, in Rothenburg und in Würzburg sich ereignet hatte. Auch 89 übernahm er Aufträge und mündliche und schriftliche Bestellungen von Ort zu Ort. Daß er unterwegs ausgeraubt worden wäre, hatte man noch nie gehört. Es hieß, daß er dem berüchtigten Freibeuter Konz Wirth auf der Halden, dem die Bauern allerwärts gegen die blinde Gerechtigkeit Vorschub leisteten und Unterschlupf gewährten, ein Schutzgeld zahle. Es war eine Steuer mehr zu den endlosen Brücken- und Wegzöllen, die Handel und Wandel erschwerten.

Kaum hielt er mit seinem Wagen bei der Linde, so wurde er von den Dörflern umringt. Der in mittleren Jahren stehende Mann, dessen Gesicht Wind und Wetter gebeizt hatten, schüttelte vielen die Hand. Munter rief er, während er die Pferde absträngte, ihnen die Gebißstangen aus den Mäulern nahm und das Zaumzeug über die Hälse schob: »Nur immer 'ran, Leutlen! Ich guck's Euch an den Augen ab, daß Euch die Batzen aus dem Sack wollen. Für Euch Maidelin ins Besundere habe ich ganz was Blitzfunkelnagelneues: Fürtücher von der Bamberger Messe.«

»Ne, Wölffl«, bemerkte Wendel Haim, »Ihr werdet schwerlich einen reichen Fischzug tun, die Zeiten sind gar zu schlecht.«

»Und sind sie heute schlecht, so werden sie morgen besser sein«, antwortete der Hausierer unentmutigt, und begann den Plan an der einen Seite des Wagens zurückzuschlagen. »Die Welt ist halt rund, und was heut' unten ist, das ist morgen oben.«

»Ihr sollet Recht behalten«, rief Simon Neuffer, der eben dazugekommen war, nachdrücklich. »Woher des Wegs itzo?«

»Von Endsee, wo ich die Nacht gelegen«, antwortete Wölffl.

»Und was Neues dort?« wurde gefragt.

»Nix Besundres«, versetzte er. »Denn das werdet Ihr ja wissen, daß es dort diese Nacht brennt hat. Ihr müsset ja den Gleisch am Himmel gesehen haben. 90 Droben im Schloß war's. Die vollen Zehntenscheuern sind in Feuer aufgegangen.«

Die Leute standen erstaunt und betroffen. Frau Wieland rief schadenfroh, indem sie mit der rechten Faust in die linke Handfläche schlug: »Der alte Gott lebt noch!«

Vater Martin verwies es ihr: »Schwätzet nit so ungescheit. Jetzt werden wir den Zehnten noch einmal entrichten müssen. – Aber wie hat denn Feuer in den Scheuern auskommen können? Es hat doch keiner dort mit Licht was zu tun.«

»Freilich nit«, pflichtete der Hausierer ihm bei, der einsah, daß er erst die Neugierde befriedigen müßte, bevor an ein Geschäft zu denken war. »Es scheint halt, als ob in die Zehntenscheuern überhaupt eine absonderliche Hitze gefahren ist. Die Nürnberger und die Bamberger haben's auch erlebt, daß ihre Zehntenscheuern sind in Asche gelegt worden.«

»Also angelegt war's?« fragte Simon mit durchdringenden Blicken, und der zweite Dorfmeister fragte: »Wer soll's denn getan haben?«

Wölffl zuckte die Schultern. »Der Bischof von Bamberg hat 50 Gulden ausgeboten, wer ihm die Brandstifter anzeigen könnte«, sagte er. »Bis zur Stund' hat keiner Laut gegeben. Gesehen hat auch in Endsee den Brandstifter keiner. Wie der Türmer Lärm gemacht hat – nach Mitternacht ist's gewesen –, da brannte es in den Scheuern inwendig schon lichterloh und war an kein Löschen mehr zu denken. Nu, gestern morgen ist die Frau von dem Konz Hart oben gewesen mit ihren beiden kleinen Kindern aus der zweiten Ehe und hat den gestrengen Herrn Schultheißen himmelhoch gebeten, daß ihr Mann auf der Hofstell' hier bleiben könnte, oder daß er in eine andere eingewiesen würde. Er hat's abgeschlagen, weil keine frei sei, hat sie nachher im Dorf unten erzählt.« 91

»Der Konz?« zitterte und murmelte es erschreckt über die Lippen seiner Zuhörer.

»Er hat sich gerächt!« rief Paul Ickelsamer aus voller Brust.

»Als wie ein Feigling!« fuhr Wendel Haim ihn zornig an.

»Auge um Auge, Zahn um Zahn«, triumphierte die Frau des Schmiedes gegen diesen.

»Gesehen hat den Konz keiner«, sagte Krispin Wölffl. »Und kriegen werden sie ihn schwerlich, wenn er's war. Die Knechte des Zentamts sind seit dem frühen Morgen auf der Streife nach ihm. Gefunden haben sie ihn noch nicht, als ich vom Endsee fortmachte, aber –«

»Nu?« »Aber?« fragten die Leute gespannt, da er abbrach.

»Aber die Frau haben sie gefunden samt ihren beiden kleinen Kindlein«, fuhr der Hausierer zögernd fort.

»Daß sich Gott erbarm«, rief Simon mitleidig und andere wiederholten die Worte.

»Ja, ja, er hat sich ihrer erbarmt«, sagte Wölffl, als ob ihm die Worte nicht aus der Kehle wollten, und er rückte an seiner Pelzmütze hin und her. »Just, wie ich meine Mähren anschirrte, brachten sie sie – alle drei – tot – aus dem See.«

Seine Zuhörer waren tief erschüttert. Die Mütter standen stumm, während die Frauen ihrem Gefühl durch Ausrufe des Entsetzens und durch Tränen Luft machten. Es schien, als ob die Männer aus Furcht, ihre geheimsten Gedanken zu verraten, einander anzusehen sich scheuten.

»Und hier unter dieser Linde hat uns neulich der Prädikant unseren von Gott ausgestellten Freibrief ausgelegt, den keine Menschenhand zerreißt«, erhob Simon mahnend seine Stimme.

Wendel Haim entfernte sich. Simon folgte ihm.

»Feig schiltst Du dem Konz sein Tun?« fragte ihn Simon mit gedämpfter Stimme. Wendel Haim sah sich unruhig um. »Feig?« wiederholte Simon. »Er war ein 92 einzelner gegen die Gewalt, die ihn zur Verzweiflung trieb. Aber wie heißest Du es alsdann, wenn wir, anstatt mitsammen unseren Plackern offen die Stirn zu bieten, uns mit Schafsgeduld den Fuß auf den Nacken setzen lassen? Wie die Bienen sammelt unser Fleiß in die Zehntenscheuern und wir dulden's, daß die Herren den Honig verzehren.«

»Man kann mit dem Kopf halt nicht durch die Wand rennen«, verteidigte sich Wendel Haim. »Haben's doch die armen Leut' hier und dorten schon versucht, sich mit Gewalt wider die Herren zu setzen. Es hat nimmer gelingen wollen. Wurd' ihr Vornehmen nicht schon vor der Zeit verraten, war doch den Pfaffen das Beichtgeheimnis nicht heilig, so wurd's in Blut erstickt. Ich trau keinem.«

Simon ließ sich jedoch nicht entmutigen. Er wollte lieber mit dem Schwert in der Hand erschlagen liegen, als das Joch der Knechtschaft weiter schleppen. Während Wölffl auf seiner Handelsfahrt die traurige Geschichte des Konz Hart in allen Dörfern verbreitete, benutzte Simon die stille Zeit in der Landwirtschaft, um mit den Leuten über ihre Lage ausführlich zu reden. Die Rede des Prädikanten hatte so manchen aus dem Elend, in dem er bisher stumpf und dumpf dahingelebt hatte, jäh aufgerüttelt, erschreckt sah er den Abgrund zu seinen Füßen gähnen und ergriff begierig die Hand, die Simon ihm reichte.

Am Sonnabend fuhr er mit einer Last Dinkel nach Rothenburg zu Markt. Es hatte in den Tagen vorher zum ersten Mal in diesem Winter geschneit, dann war Frost eingetreten und es gab eine prächtige Schlittenbahn. Friedel, der Knecht, mußte mitfahren. Der Wochenmarkt war aber nur ein willkommener Vorwand, um, wie verabredet worden, mit den Freunden unauffällig im Bären zusammenzutreffen. Käthe drängte es, ihn zu bitten, daß er sich nach Hans Lautner erkundigen 93 möchte. Dennoch ließ sie ihn davonfahren, ohne ihren Wunsch über die Lippen gebracht zu haben.

Sie hatte die Woche über angestrengter als sonst gearbeitet, um sich die »dummen Gedanken«, wie sie es nannte, aus dem Kopfe zu schaffen. Denn es erschien ihr gar zu dumm, daß sie fortwährend um den blonden Gesellen sich sorgte. Wenn ihm etwas Ernstliches zugestoßen wäre, so würde Kaspar es ihr schon angezeigt haben. Es wollte nicht helfen, und heute nun gar nicht. Die Schwägerin hatte es ihr längst angemerkt, daß sie nicht mit der frohen Sorglosigkeit aus Rothenburg zurückgekommen, mit der sie hingegangen war. »Das Mädel ist wie aufs Maul geschlagen«, klagte sie einmal ihrem Manne. »Ich kenn' mich gar nit mehr in ihr aus.« Er wußte ihr keine Erklärung zu geben. »Wenn ihr Weibsleute euch nicht ineinander auskennt, wer soll's denn?« sagte er. Aber auch er machte ihr Sorge. Denn sie war an seine häufige Abwesenheit von Hause und sein Brüten daheim, ohne daß sie erfuhr, was er trieb und dachte, nicht gewöhnt. Der Argwohn, der in ihrer Brust keimte, lenkte ihre Aufmerksamkeit von ihrer Schwägerin ab.

Simon blieb ungewöhnlich lange aus. Schon wurde es dunkel. Käthe ging in die Küche und zündete das Abendfeuer auf dem Herde an. Die Schwägerin folgte ihr. Die Kinder waren bei dem Großvater auf dessen Stube.

»Ich weiß gar nit, warum der Bauer heut so lang macht«, begann Ursel nach einer kleinen Weile, ihrer Unruhe Ausdruck gebend. »Sonst war er um diese Zeit immer schon vom Markt zurück. Mir schwant nichts Gutes.«

Käthe blies erst das Feuer an; dann fragte sie: »Wieso denn?«

»Er hat was vor, seit er mit Dir letzt in Rothenburg war«, seufzte Ursel. »Ich merk's halt, wenn er auch mit der Sprach' nit heraus will. Und Du weißt auch darum. 94 Aber das hilft ja alles nix. Wir kommen bloß tiefer ins Unglück und wer's nachher auszufressen hat, das sind die Kinder.«

Käthes braunrötliche Wangen erglühten. Sie hatte ihrem Bruder versprechen müssen, über den Beschluß, der im Bären gefaßt worden war, zu schweigen. »Du siehst nach Deiner Art halt zu schwarz«, rief sie. »Das Elend muß ein End haben, Schwägerin. Ich wollte, daß ich ein Bub' wäre und auch dazu tun könnte! Fürchten tu ich mich nit und Kraft hab' ich auch wie so mancher Bub' nit. Aber da schlenkern einem die Weiberröck' um die Beine und aus is's.«

»Jesus, Maria, was fallet Dir denn ein, Mädel?« fragte die Bäuerin, die sich auf einem Schemel niedergelassen hatte, mit verwunderten Augen.

»Nu, da hockst Du und wartest auf den Bauer«, rief Käthe heftig, »und – und –. Ach, es ist gar zu dumm, daß wir Frauensleut' in allen Stücken immer zuwarten müssen, bis es an uns kommt, ob's einem auch in allen zehn Fingern kribbelt.« Schmollend warf sie den Mund auf.

Ursel sah sie noch immer erstaunt an; dann sagte sie: »Wirst es schon noch lernen, geduldig sein, wann Du erst einen Mann und Kinder hast.«

»Das wär' erst recht ein Elend; ich heirat' nie!« antwortete Käthe entschlossen.

»So sagt jede«, erwiderte die Schwägerin, und ein mattes Lächeln glitt über ihr schmales sorgenvolles Gesicht. »Ja, Geduld! Was hast Du davon, wenn Du dem, was kommt, entgegenläufst? Das Unglück kommt immer zu schnell und zu früh.«

»Das Unglück?« wiederholte Käthe betroffen, und das Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf. »Du weißt was? Was ist's?«

Die Bäuerin schüttelte verneinend den Kopf. »Ich weiß nichts nich. Aber wo soll denn ein Glück herkommen in diesen Zeitläuften?« 95

Der alte Neuffer mit den Kindern unterbrach sie. Die beiden kleinen Flachsköpfe mit den rotbackigen Apfelgesichtern sprangen zur Mutter und begannen eifrig durcheinander von einem Märchen zu zwitschern, das der Großvater ihnen erzählt hatte. Es handelte von Dornröslein. Der Alte wärmte sich unterdessen die Handflächen an der Herdflamme, welche sich in dem kupfernen und blechernen Küchengeschirr spiegelte, das Käthe nachmittags am Dorfbrunnen blank gescheuert hatte. »Das Dornröslein, das sind wir Bauern«, erklärte er, sein verrunzeltes Gesicht der Tochter zuwendend, »und der Prinz, wo sie mit seinem Kuß entzaubert, das ist die evangelische Freiheit. Der Pfeifer von Niklashausen war nicht der Rechte.«

Käthe gab nicht acht und verstand ihn nicht. Denn die Worte ihrer Schwägerin lagen ihr wie eine schlimme Prophezeiung auf dem Herzen und sie klapperte bei der Zubereitung des Abendessens mit dem Gerät geräuschvoller als nötig war. Jetzt ließ sich auf dem Dorfplatz Schellengeklingel vernehmen, Hunde bellten, eine Peitsche knallte. »Der Bauer«, sagte Ursel, als das Hoftor knarrte, und stand rasch auf. Vater Martin nahm eine Stallaterne vom Nagel und zündete sie an. Bevor er damit zustande kam, schrillte auf dem Flur vor der Küche eine Pfeife, brach aber nach zwei, drei Tönen wieder ab. Die Tür flog auf und Simon schob lachend den jungen Goldschmiedgesellen herein, der zum Schutz gegen die Kälte einen leeren Getreidesack über die Schultern geworfen hatte. Käthe hatte bei den Pfeifentönen einen kleinen Schrei ausgestoßen; jetzt war es ihr, als ob sie Blei in den Füßen hätte. Im nächsten Augenblick trat sie rasch auf Hans zu, erfaßte kräftig seine Hand und lachte mit strahlenden Augen: »Ach Du!«

»Ja, er«, bestätigte ihr Bruder heiter und gab der Bäuerin einen schallenden Kuß, worauf er fortfuhr, indem er die Kinder, die sich an seine Beine drängten, 96 auf die Arme nahm und herzte: »Mußte doch schauen, ob die Junker was von ihm übrig gelassen hätten. Er wollte morgen mit dem Kaspar herauskommen, und da es just Feierabend war, so hab ich ihn gleich mitgebracht. Ist alles wieder im Schick. Auch das Wams.«

»Wirklich?« fragte Käthe mißtrauisch besorgt. »Mir hat's geschwant, daß Du nicht heil warst, Du Armer.«

»O, es war gar nicht der Red' wert«, versicherte Hans. »Auch ist der Kaspar die paar Täg, daß ich hab liegen müssen, nicht von meiner Kammer gewichen, und die Meisterin hat um mich gesorgt, als ob ich ihr eigen Fleisch wäre. Sie ist sonst nit so.«

»Das kann ich bezeugen«, lachte Simon, an den kleinen Martin und sein Schwesterlein die Wecken verteilend, die er für sie aus der Stadt mitgebracht hatte. »Hat sie doch dem langen Lienhart und mir, wie wir nach dem Lautner fragen kamen, den Kopf gewaschen, daß es eine Art hatte. Schämen sollten wir uns, daß wir das junge Blut in unsere Händel mit den Junkern stießen; der Schuster sollt' bei seinem Leisten bleiben. Ist nur ein kleines Weibel, aber der lange Lienhart riß vor ihm aus.«

Hans hatte sich mittlerweile des Sackes und seiner Kappe entledigt und bot der Bäuerin die Hand. Er stand in der vollen Beleuchtung des Feuers und Frau Ursel betrachtete ihn wohlgefällig und warf dann Käthe einen Blick zu. Sie kannte sich jetzt in dem Mädchen aus. Vater Martin starrte den blonden Gesellen mit weit geöffneten Augen an, die brennende Laterne, die er dem Knecht hatte bringen wollen, in der Hand. Friedel kam sie jetzt holen, Da gewann der Alte die Sprache wieder und fragte, indem er auf Hans mit dem Finger deutete, mit zitternder Stimme: »Wer ist denn das?«

Der Sohn nannte ihn. »Hans Lautner!« wiederholte der Alte, ohne die Augen von diesem zu lassen. »Nein, den kenn' ich halt nicht.« Nach einem tiefen Aufatmen 97 fuhr er fort: »Ich hab' vermeint, daß die Toten wieder auferstanden sind. Just so schaute er aus; so weizengelbes Haar hatte er auch und so blaue Augen, und so blaß war er.«

Die anderen starrten ihn mit einem unheimlichen Gefühl an. Simon legte ihm die Hand auf die Schulter, als ob er ihn wach rütteln wollte und fragte: »Aber von wem sprecht Ihr denn?«

»Von wem anders, denn von Hans Böheim, dem Pfeifer«, antwortete der Greis.

»Das war der Vater von meiner Mutter«, erklärte der junge Gesell, und er fuhr fort, während die anderen überrascht aufschrien: »Ihr habet ihn gekannt? Auch die Ahne sagt, daß ich ihm ähnele.«

Vater Martin umarmte ihn und küßte ihn auf beide Wangen. Zwei dicke Tränen rollten ihm aus den umfältelten Augen und er sagte bewegt: »Ach, sein Enkelkind! Ich hab' ihn predigen hören in Niklashausen. Aber ich wußt' nit, daß er beweibt war.«

Hans strich sich das Blondhaar aus der jugendlich gerundeten Stirn, blickte Käthe an und versetzte nach einigem Zögern: »Meine Ahne war nach Niklashausen gepilgert, um ihn predigen zu hören. Und er wendete ihr das ganze Herz um. Weil sie aber so blutarm war, daß sie gar nichts zu opfern hatte wie die anderen, so schnitt sie ihre schönen schwarzen Zöpfe ab, auf die sie so stolz war, und brachte sie dar. Und sie ging zu ihm in das Hirtenhaus vor dem Dorf, wo er wohnte, umschlang seine Knie und bat ihn mit vielen Tränen, daß sie ihm dienen dürfe um Gotteswillen als seine Magd. Und sie diente ihm und wurde sein Weib vor Gott. Aber Ihr wisset«, schloß er mit Bitterkeit, »daß die Pfaffen mächtiger sind als der allmächtige Gott, und sie verbrannten ihn zu seiner Ehre.«

»Ja, wir wissen es«, sagte Simon dumpf.

»Ach, Du armer Mensch, auch das noch zu allem übrigen«, weinte Käthe, schlang ihre Arme um Lautners 98 Nacken und drückte die Stirn an seine Brust.

Auch die Bäuerin weinte, und man hörte nichts als das Knistern und Prasseln des Feuers und das Brodeln des Kessels. Die Kinder hingen sich verschüchtert an ihre Röcke. Sie schneuzte sich in ihre Schürze und ging an den Herd, Käthe richtete sich auf und trocknete ihre Augen. Hans sagte mit finsterem Gesicht: »Fast siebenzig Jahr ist sie alt, die Ahne, aber ihr Leib ist wie Stahl, und ist doch alle Not und alles Herzeleid, was ein Armer erfahren kann, auf sie gefallen. Ihre Gedanken sind wie ein lodernd Feuer. Und sie weiß, daß sie nicht sterben wird, als bis daß der Kaiser Rotbart aus dem Berg herauskommt, wo er schläft, denn er ist nicht gestorben. Wenn die Raben nicht mehr um den Berg fliegen, dann kommt er zum Gericht, und ihm voraus geht ein Bauer, der trägt ein bloßes Schwert in der Hand.«

»Ja, wir werden Gericht halten«, sprach Simon mit starker Stimme und reckte seine Gestalt in die Höhe.

Der Knecht, der unterdessen die Pferde besorgt hatte, kam aus dem Stalle. Käthe legte einen Laib schwärzlichen Brotes auf den Tisch und für jeden einen Löffel und holte zu Ehren des Gastes einen Krug jungen Weines aus dem Keller. Die Bäuerin richtete das Essen an. Es gab ein Roggenmus und Hering. Käthe sprach das Tischgebet und dann begannen sämtliche Löffel taktmäßig aus der gemeinsamen Schüssel zu schöpfen. Nur der kleine Martin, der nicht so weit langen konnte, hatte eine besondere Schüssel für sich. Er saß an des Vaters Seite, wie sein Schwesterlein, das von der Mutter gefüttert wurde, neben dieser. Das Geplauder der Kinder mit ihren feinen Stimmchen und die gelegentlichen Antworten der Eltern war alles, was bei Tisch gesprochen wurde. Vater Martin verwendete kein Auge von dem Enkel des Pfeiferhänselin und auch Käthes Blicke hingen oft in dieser Richtung. Wie bleich er noch war. Der schwermütige Ausdruck seiner Mienen 99 ließ ihn der Bäuerin als einen vom Unglück Gezeichneten erscheinen. Sie hatte wohl richtig geweissagt.

Als sie alle nach dem Abendessen in der großen Stube um den warmen Ofen herumsaßen, mußte der junge Gesell Käthe über seine Verwundung ganz genau Rechenschaft ablegen. Er zog seine Pfeife aus dem Gürtel und zeigte ihr an dem Wams den wieder zugenähten Riß. »Es ist halt mein bestes Zeug; ich hab' kein anderes gutes Gewandl,« entschuldigte er sich dabei etwas verlegen. Neben ihnen, ganz in der Ecke, begann Friedel zu schnarchen. Vater Martin bog den Kopf um die Ofenkante zu den beiden jungen Leuten und fragte Hans: »Aber Du hast mir noch nit gesagt, woher Du bist?« Hans gab ihm Auskunft. »Von so weit ist Deine Ahne bis nach Niklashausen gelaufen?« rief der Alte verwundert.

»O nein, bloß von Haltenbergstedten,« antwortete Hans und seine Stirn bewölkte sich. »Sie war dort hörig,«

»Himmel Herrgotts Donner, dem Rosenberg hörig?« fluchte Simon, der, auf der anderen Seite des Ofens sitzend, sein Büblein auf dem Knie reiten ließ. »Jetzt versteh' ich, warum Du so wütig auf den Junker losgegangen bist, wie mir der lange Lienhart erzählte.«

Hans wurde dunkelrot, seine Brust wogte, aber er schwieg. Es mochte ihm das schlimmste, was er noch hätte sagen können, nicht über die Lippen. Er griff nach seiner Pfeife und begann zu spielen.

»Ist recht,« sagte Simon. »Vorhin, mit den verklammten Händen, war's gefehlt. Aber was Lustiges!«

Die Kinder stellten sich Hans vor die Knie und sahen mit neugierig runden Augen zu ihm auf. Mit dem Lustigen aber wollte es nichts werden, obgleich er es versuchte. Seine Stimmung ließ es nicht zu, und die Weisen wurden immer trübsinniger. Käthe seufzte vernehmlich. Er setzte ab und begann eine neue Melodie, die wie ein geistlich Lied klang, aber schier 100 trotzig. Mächtiger schwoll sie an, feuriger wurde sie, und es gellte fast wie ein Triumphgeschrei, als der Spieler mit schrillen Tönen kurz endete.

»Das Lied, wo hast Du das Lied her?« fragte Vater Martin aufgeregt. »O, ich kenn's halt, ich kenn's!«

»Das hab' ich die Ahne gar oft singen hören, so hab' ich's behalten,« antwortete Hans, dessen Augen wie ein blaues Feuer leuchteten. »Sie sagt, daß es die Hussiten gesungen haben, wann sie in die Schlacht zogen.«

»Ich hab's mitgesungen!« rief der Alte wie verjüngt. »Wir sangen es die Hunderte, ja Tausende, auf der Wiese von Niklashausen am Sonntag vor St. Margreten.«

»Und wir wollen es wieder anstimmen, wann's Zeit ist,« sagte Simon. »Gelt, das soll wohl das schwarze Gevögel vom Berg scheuchen.« Er erhob sich, nestelte sein an der Seite geschlossenes Wams auf und zog einige zusammen geheftete Blätter hervor, mit denen er an den Tisch trat, auf dem ein Kienspan im eisernen Lichtstock brannte. »Schau her!« fuhr er fort und zeigte Hans, der ihm mit den übrigen und dem Knecht, der bei dem Spiel aufgewacht, neugierig gefolgt war, den Holzschnitt auf dem ersten Blatte. Er stellte einen Ritter mit hohem Federbusch auf einem Streitrosse dar, der an der Spitze einer mit Spießen, Morgensternen und Sensen bewaffneten Bauernschar ritt. Darüber war ein Opferlamm abgebildet.

»Wenn's der Kaiser wäre! Kein Edelmann soll die Bauern anführen,« protestierte Hans, und Friedel, der Knecht, grinste beifällig.

»Anführen, ja, das möcht' sein,« spielte Vater Martin in seiner Aufregung mit dem Worte. »Zu Niklashausen waren dazumalen auch ein paar Edelleute, waren Lehnsträger des Bischofs von Würzburg. Die vermeinten, daß wir für sie krebsen sollten. Wie es aber galt, den heiligen Jüngling aus der Gefangenschaft zu erlösen, hei, wo waren sie da hingestoben?« 101

»Nu, es gibt schon noch diesen und jenen, der's redlich mit uns meint,« wandte Simon ein. »Selten sind sie freilich, als wie die weißen Raben.«

»Na, dann geruhsame Nacht all' mitsamm',« sagte der Knecht und verließ mit schweren Schritten die Stube.

Hans erwiderte dem Dorfmeister nichts. Mit gefalteter Stirn las er die Aufschrift der gedruckten Blätter. Sie lautete: »Die gründlichen und rechten haupt Artikel aller Bauernschaft und Hyndersassen der Geystlichen und Weltlichen oberkeyten, von welchen sie sich beschwert vermeynen.«

»Das sind die Beschwernisse von uns armen Leuten im ganzen Reich,« erklärte Simon. »Es ist alles in zwölf Artikeln zusammengefaßt und aus der heiligen Schrift belegt, daß sie wider Gottes Wort sind. Morgen abend soll uns der Paul Ikelsamer die Geschrift verlesen. Sie ist dem Doktor Luther zugeschickt, daß er sie prüfen soll.«

»Was hilft's?« seufzte die Bäuerin. »Der Prädikant hat es neulich auch von vielem, was uns drückt, erwiesen, daß es wider die Schrift ist.«

»Den Oberkeiten sollen die Artikel vorgelegt werden und sind es auch schon an manchen Orten,« versetzte Simon. »Wir verlangen halt nichts, was wir nicht als billig und recht erhärten können. Was es hilft? Es hilft, daß wir uns im Recht wissen, und das macht auch den Schwachen stark.« Er verbarg wieder das Büchlein, das ein herumziehender Kesselflicker dem Brettheimer Metzler von dessen Bruder in Ballenberg in vielen Abzügen zugetragen hatte.

Hans blickte stumm in die rötliche Flamme des Kienspans. Der Ausdruck seines Gesichts war traurig, ja schmerzlich. Käthe beobachtete ihn mitleidig; sie glaubte zu wissen, was in ihm vorging. Für die bäuerlichen Lebensgewohnheiten war es zu spät geworden. Simon leuchtete dem Gast über den Flur nach einer Kammer, darin ein Bett stand. 102

Des Hausherrn Wunsch einer guten Nacht erfüllte sich an dem jungen Gesellen nicht. Die Erinnerungen, die der Abend aufgefrischt hatte, hielten Hans wach. Er sah sich wieder in der ärmlichen Hütte der Großmutter, die sich und ihn kümmerlich ernährte, indem sie Eier und Geflügel auf dem Markt zu Heilbronn feilhielt. Und er hörte sie wieder von dem schrecklichen Tode seiner Eltern und des Großvaters erzählen in den Dämmerstunden oder wann es abends um die Hütte stürmte und heulte, oder der Regen auf das Schindeldach eintönig niederrauschte. Sie lebte nur in diesen furchtbaren Erinnerungen, und sie wurden für Hans das, was für andere Kinder die Märchen der Ahne. Sie hatte dabei gestanden, als der Geliebte auf der Schütt vor dem Schlosse Marienberg verbrannt worden, und als sie dann einige Monate später seiner Mutter das Leben gegeben, war sie nicht in die Heimat zurückgekehrt. Um ihr Kind vor der Hörigkeit zu bewahren und der rohen Gier des Herrn, der sie selbst zum Opfer gefallen – war sie doch eine Sache – hatte sie das Elend vorgezogen und war in die weite Welt gegangen. Und der Enkel sah sie wieder mit seiner Mutter auf dem Arm in jedem Wind und Wetter, in Regen und Schneegestöber, in Sonnenbrand und Winterfrost wandern von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, bettelnd, frierend, obdachlos. Sie mußte froh sein, wenn sie einmal irgendwo während der Erntezeit Arbeit fand; in Dienst behalten wollte sie wegen des Kindes niemand. Wie aber hätte sie sich von dem Vermächtnisse dessen zu trennen vermocht, der ihre Seele durch seine Liebe erweckt und aus dem Schmutz und Schlamm der Leibeigenschaft erhoben hatte? Zu Böckingen in dem wein- und kornreichen Neckartale hatte sie endlich eine dauernde Unterkunft gefunden und ihre Tochter verheiratet.

Mehr als diese Erinnerungen quälte den Schlaflosen das Bewußtsein der Untreue gegen seine Pflicht, welche ihm das furchtbare Geschick der Seinen auferlegte. Wie 103 hatte er der Rache nur so gänzlich vergessen können. »Gedenke der Toten!« war das letzte Wort der Ahne gewesen; er aber hatte ihrer nicht eher gedacht, als am Dreikönigstage im Bären, und das Schuldbewußtsein hatte ihn während seiner Verwundung auf Dornen gebettet. Bittere Vorwürfe und schmerzliche Entschlüsse rangen in seiner Brust.

Der Kopf war ihm am anderen Morgen wüst. Er nahm deshalb den Vorschlag Simons, der sich mit seinem Bruder, dem Pfarrer in Tauberzell besprechen wollte, gern an, ihn nach dem Frühmahl eine Strecke zu begleiten. Es war ein klarer Tag, der Schnee knirschte unter den Füßen der Wanderer und das Gehölz, durch das sie der Weg führte, glitzerte in der Sonne wie versilbert. Die Bewegung in der kalten Luft tat Hans wohl. Bei seiner Rückkehr fand er nur Käthe und die Kinder auf dem Hofe; die anderen waren zur Kirche gegangen. Die große Stube war inzwischen aufgeräumt, der Estrich gekehrt und mit weißem Sande bestreut. Das kleine Mädchen spielte mit einer Puppe, die nur noch einen halben Kopf hatte, unter dem Tische, während ihr Brüderlein sein ungebärdiges Schaukelpferd mit Hü! und Hott! tummelte. Käthe saß in sonntäglicher Ruhe, die Hände im Schoße und mit gekreuzten Füßen auf der Bank unter dem Fenster. Auch sie selbst hatte sich sauber gemacht, das lichtbraune Haar frisch gezöpft und mit einem roten Bande zusammengehalten und durchflochten. Schneeweiß bauschte sich das grobe Hemd aus dem dunkeln Leibchen und die zurückgeschlagenen Ärmel ließen ihre vollen, runden Arme frei. Sie sah Hans prüfend an und reichte ihm darauf mit einem zufriedenen Lächeln die Hand, damit er sich zu ihr setze. Luft und Bewegung hatten seine blassen Wangen gefärbt.

»Jetzt schaust gut aus, und wann Du die Woch' über dableibst, wirst Du wieder ganz Deine Gesundheit haben,« sagte sie. 104

Daran sei nicht zu denken, erwiderte er; er müßte Montag früh wieder in der Werkstatt sitzen, denn es gäbe viel zu schaffen.

Sie machte ein unmutiges Gesicht. »Muß es denn sein?« fragte sie. Er bejahte und sie sagte mit einem halben Seufzer: »Ich kann's mir freilich denken, daß der Meister Dich nicht missen mag. Der Kaspar hat mir gesagt, daß Du ein gar künstlicher Mensch bist, und er hat mir erzählt, daß Du aus Gold ein Jungfernkränzlein gemacht hast, so was Schönes hätt' er sein Lebtag nit geschaut. Für wen war's denn?«

Das Lächeln, mit dem er das Lob hingenommen, verschwand aus seinen Mienen. »O, es war für die Neureuterin,« zwang er sich, gleichgiltig zu antworten.

»A!« rief Käthe überrascht und wurde rot. »Das muß ihr zu den schwarzen Haaren gar prächtig stehen,« fügte sie hinzu.

»Ja, freilich,« bestätigte er lebhaft und Käthe machte große Augen. »Hast Du sie denn damit gesehen?«

Mit innerem Widerstreben befriedigte Hans ihre Neugierde. »Nun, weil ich das Kränzlein gemacht hatte, so wollte mir der Meister ein Lob zuschanzen und hieß mich, es selbst in des Bürgermeisters Haus tragen. In der Stuben waren die Frau von Muslor, ihre Tochter, die Neureuterin und noch etliche Jungfern.« –

»Und da hat sie mit Dir geredt't,« unterbrach ihn das Mädchen gespannt.

Hans schüttelte jedoch verneinend den Kopf. »Kein Wort! Wie sie das Kränzlein aufgesetzt und sich vor dem Spiegel langsam rundum gedreht hat, da riefen sie alle, daß sie über die Maßen schön ausschaue. Und das ist wahr. Sie aber machte ein schief Maul. ›Wenn's noch eine Fürstenkrone wäre,‹ hat sie gesagt.«

»Ist das aber eine Hochmütige!« wallte Käthe auf. Der junge Gesell entschuldigte sie jedoch: »Mag sie! Sie lebt halt in einer anderen Welt als wir zwei beide.«

»Bist Du so demütig?« fragte sie unzufrieden. »Wenn 105 ich Du wäre, ich wollte sie wohl gewinnen. Mir sollten die Trauben nicht zu hoch hängen.«

Er lächelte gutmütig. »Du meinst, dieweilen die Goldschmiede die fürnehmste Zunft sind, so brauchte ich mich bloß als Meister zu setzen und könnte dann frei vor sie hintreten?« Ernst fuhr er fort: »Mein Meisterstück wollt' ich wohl machen. Aber mich hier oder anderwärts als Meister setzen? Ja, wenn ich eines Meisters Sohn wäre! Die gehen vor. Die anderen lassen sie nicht zu und sie mögen noch so geschickt sein, wenn die Meisterstellen besetzt sind. Die mögen als Gesellen ihr Lebenlang fortarbeiten, und wenn's ihnen das Herz abfrißt: da sind die Schenken und die Landstraßen! Der Verdruß und die Verzweiflung hat schon manch tüchtigen Gesellen unter die fahrenden Leute getrieben. Des Seilschwimmers Narr in Rothenburg war vordem auch einer; ist seines Zeichens ein Schuster gewesen. Der Kaspar hat ihm nachgefragt. – Aber was ich eigentlich sagen wollte: demütig? das bin ich ganz und gar nit. Warum sollt' ich's sein? Glaubst Du, daß unser himmlischer Herrgott bloß die vornehmen Leute nach seinem Ebenbild erschaffen hat, und daß er es in Dir und mir verpfuscht hat, wie einer, dem nicht jedes Werkstück gelingt? Ich will und darf mit jenen nichts zu schaffen haben. Niemals!«

»Aber –,« wollte Käthe einwenden, brach aber ab und das Blut stieg ihr bis zum Stirnhaar empor. Entschlossen setzte sie dann hinzu: »Gelt, Dein Herz hängt doch an ihr.«

»Es darf aber nicht sein,« rief er heftig und sprang auf und lief in der Stube hin und her. »Du weißt, was zwischen mir und jenen ist, wenn auch nicht alles. Es darf nicht sein.«

»Ja, ich weiß alles,« sagte sie leise und streckte bittend die Hand nach ihm aus.

Er strich sich das Haar aus der Stirn, sah sie mit einem langen, tiefen Blick an und sprach dann 106 gehaltener, indem er sich wieder zu ihr auf die Bank setzte: »Was ich für eine Kindheit gehabt hab', davon kann Dir nichts bewußt sein.« Er erzählte von jener einsamen und finsteren Zeit und Käthe lauschte ihm bewegten Herzens. »Wie hätt's auch anders sein können?« fuhr er trübe fort. »Die einzige Hoffnung der Ahne war, daß das Strafgericht Gottes alle Schuldigen ereilen würde, und wann sie davon sprach, dann war es wie eine gewaltige Feuersbrunst, die den nächtlichen Himmel in Blut taucht. Erst wie ich nach Heilbronn in die Lehr' kam, da erkannte ich, wie schwarz der Himmel gewesen war, unter dem ich bis dahin gelebt hatte. Erst wie ich auf die Wanderschaft ging, fing ich zu leben an. Da sah ich, wie schön die Welt ist, da fühlte ich, wie warm die Sonne scheint. Und ich hatte meine Kunst lieb und vermeinte, daß auch ich ein Meister werden wollte, wie die im Welschland, wo es so berühmte Goldschmiede hat.« Er verstummte. Ein wehmütiger Glanz leuchtete aus seinen blauen Augen.

Käthe legte ihm die Hand auf die Schulter und ergänzte mit leiser Stimme: »Und nachher sahst Du sie; die war tausendmal schöner als alles, was Du je geschaut und geträumt hast. Und wie Du das Kränzlein für sie schafftest, da hast Du immer an sie denken müssen mit Deinem Herzen.«

Er seufzte und nickte mit einem bitteren Zug um die Lippen.

»Sie hat es Dir angetan,« flüsterte Käthe.

»Fast glaub' ich's auch,« pflichtete er ihr mit dumpfer Stimme bei. »Wie hätt' ich sonst auch alles vergessen können! Darum traf es mich dazumalen im Bären wie ein Faustschlag auf das Herz und wie ein Sturmwind trieb es mich weg. Ich wußte von mir nichts, bis ich auf einmal in dem Kirchlein Unserer lieben Frauen unten im Taubertal stand; da sah ich meinen Großvater, meinen Vater und die Mutter. Sie sahen mich streng an und wiesen auf den blutigen Heiland am 107 Kreuze. Ich hatte sie alle verraten.« Er schlug die Hände vor das Gesicht.

Die Hand des Mädchens ruhte schwerer auf seiner Schulter.

»Verraten um ihretwillen«, stöhnte er. »Ich darf ihr Bild nicht länger im Herzen tragen,« fuhr er fort und schnellte von seinem Sitze auf.

Dem Mädchen perlten die Tränen über die braunen Wangen. Jetzt schlug sie die nassen Augen zu ihm auf und sagte: »Freilich, sie gehört zu denen, die uns armen Leuten den Fuß auf den Nacken setzen. Aber es tut halt weh, die Lieb' aus dem Herzen zu reißen.«

»Aber es muß sein und es soll zu End' sein,« rief er entschlossen.

Käthe blickte in ihren Schoß. Er stürmte hin und her. Als er wieder vor ihr stehen blieb, sagte sie zögernd, indem sie zu ihm aufsah und wie eine dunkle Rose erglühte: »Ich wüßt was, was Dich entzaubern könnte. Dein Herz hängt doch bloß darum an ihr, weil sie gar so bildsauber ist. Die wahre Lieb' ist das nit.« Langsam erhob sie sich; eine Sekunde lang blickte sie ihm in die Augen. Dann nahm sie rasch seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und küßte ihn dreimal auf den Mund.

»Jetzt bist Du frei,« lachte sie darauf verwirrt und wollte zurücktreten. Hans aber, der nicht wußte, wie ihm geschehen war, hielt sie fest. »Käthe!« murmelte er verwirrt, »Käthe!« Da schlang sie beide Arme um seinen Hals und flüsterte: »Ach, Hans, ich hab' Dich gar so lieb!«

Der kleine Martin machte mit seinem Steckenpferde vor ihnen halt und sah verwundert zu ihnen auf. Sie bemerkten es gar nicht.

Die Glocken läuteten den Gottesdienst aus. Käthe seufzte. Noch einmal bot sie den kirschroten Mund dem blondlockigen Gesellen, und er rief aus voller Brust: »Ich wollte, daß sie schon Sturm läuteten!« – 108

Um dieselbe Zeit ungefähr stand Gabriel Langenberger in der Stube des ersten Bürgermeisters auf der Herrengasse. Der Wirt »Zum Bären« war angetan mit einem Wams von grasgrüner Farbe, die sein käsiges Gesicht wie angeschimmelt erscheinen ließ. Dazu trug er dottergelbe Hosen, die unter dem Knie gegürtet waren, und feuerrote Strümpfe. Herr Erasmus, der einer leichten Unpäßlichkeit halber im pelzgefütterten Hausrocke sich befand, mußte ein Lachen über die groteske Erscheinung des Mannes unterdrücken, der in ehrerbietiger Entfernung vor ihm stand und seine Augen in dem reich ausgestatteten Gemach gewohnheitsmäßig hin und her zucken ließ.

Die Mienen des Herrn Erasmus wurden aber bald sehr ernst. Denn Gabriel Langenberger fühlte sich von seiner Bürgerpflicht gedrungen, dem Oberhaupte der Stadt mitzuteilen, daß am gestrigen Markttage etliche Bauern in einer besonderen Stube seiner Wirtschaft beisammengesessen und allerlei bedenkliche Reden geführt hätten. Sie hätten sich bitter beklagt, daß sie von Schoß und Steuern und Zehnten gar arg beschwert wären, in Sonderheit durch die neue Klauen- und Tranksteuer, auch daß keiner in der Landwehr eine eigene Kuh halten dürfte; daß sie sich der Last wohl erledigen und die evangelische Freiheit aufrichten möchten, wenn sie zusammenständen, wie die Bauern im Lechrain, in Oberschwaben und im Schwarzwalde. Es wären ihrer fünfzehn bis sechzehn aus verschiedenen Dörfern gewesen; gekannt hätte er nur den Dorfmeister Simon Neuffer aus Ohrenbach, den Leonhard Brennecken, den sie den langen Lienhart nannten, aus Schwarzenbronn, den Schwager des Wirtes zum roten Hahnen, und Leonhard Metzler aus Brettheim. Von städtischen Bürgern wäre keiner dabei gewesen.

Erasmus von Muslor schrieb sich die Namen auf ein Blatt. Er belobte den Bürgersinn des Bärenwirtes, aber es geschah ein wenig kühl und ebenso kühl 109 verabschiedete er Langenberger, nachdem dieser sein Gewissen erleichtert hatte. Er hätte halt nicht alles hören können, denn er hätte das Haus voll Marktgäste gehabt, fügte dieser nach kurzem Besinnen noch hinzu und zog sich mit krummem Rücken aus der Stube. Mit unzufriedener Miene stülpte er vor der Tür seinen rauhhaarigen Filzhut auf. Er hatte das Gefühl, als ob seine wichtigen Mitteilungen eine andere Aufnahme verdient hätten. Als er auf die Straße kam, spuckte er giftig aus. Mochte der Rat sich fortan sichern, er würde seine Hände in Unschuld waschen.

Der Bürgermeister, der vor seinem Schreibtische sitzen geblieben war, strich sich über die schmale, spitz zulaufende Stirn, als ob er etwas wegwischen wollte. Die Denunziation war ihm willkommen, der Angeber widerwärtig. lndessen war er nicht geneigt, den erhaltenen Mitteilungen großes Gewicht beizulegen. Was wollte auch das Murren einer Mandel von Bauern bedeuten? Unzufrieden waren sie ja immer; regnete es, so verlangten sie Sonnenschein, und war schön Wetter, dann wollten sie Regen; fiel die Ernte schlecht aus, dann jammerten sie und bei reichem Segen klagten sie über die niedrigen Fruchtpreise. Die Unzufriedenheit und Rottierung der Untertanen anderer Herren kümmerten ihn nicht; das war deren Sache und sie würden schon mit ihnen fertig werden.

Schellenklingeln und Peitschenknallen auf der Gasse entzogen ihn seinem Sinnen. Er verschloß das Namensverzeichnis, nachdem er noch eine Bemerkung dazu geschrieben, in seinem Pulte und trat an das Fenster. Ein Schlittenzug ordnete sich vor dem Hause; die Geschlechter wollten den klaren Wintertag ausnutzen. Die ein- und zweispännigen Schlitten hatten die Gestalten von Muscheln, Seejungfern, Drachen, Schwänen, Gondeln und waren mit lebhaften Farben bemalt. Die Kufen bogen sich vorn hoch auf und trugen mythologische oder allegorische Figuren. Bunte Federbüsche 110 nickten von den Köpfen der Pferde, und die Geschirre waren mit vielen Schellen behangen. Zwei als Türken verkleidete Knechte ritten, fortwährend mit ihren Hetzpeitschen knallend, vor dem buntschillernden Zuge, der klingelnd quer über den Marktplatz nach dem Rödertore und durch dieses auf glatter, glitzernder Bahn gen Ansbach dahinsauste. Gleich in dem ersten, eine goldene Muschel auf roten Kufen darstellenden Schlitten, dessen Gespann der Bräutigam Sabines von Muslor lenkte, saß neben dieser die schöne Gabriele in einem kirschroten Atlaspelz. Sie hatte das mit Marder verbrämte Barett keck in die weiße Stirn gedrückt und ihre schwarzen Augen blitzten übermütiger als je. 111



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